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stärker anwachsen sah, war er wohl vor Monaten be reit, mit Botha zu einem friedlichen Abkommen zu ge langen. Die Kriegsschürer Milner und Chamberlain traten jedoch hindernd dazwischen, letzterer mit der für Kitchener beleidigenden Aeußerung im Parlament: „Die Anerbietungen, die Botha gemacht, seien albern gewesen. Das ging Kitchener natürlich bös gegen den Strich. Geärgert war er ohnedies schon dadurch, daß Roberts mit der Behauptung, „der Krieg sei vorüber", ihm die schlimme Erbschaft zur Regelung hinterließ. Was man auch sagen mag, die beiden waren einander nie be sonders gut gesinnt. Laß Roberts für die Nichtbeendi gung des Krieges 2 Millionen Mark erhielt, trug auch nicht zur Besänftigung Kitcheners bei. Jetzt verlangt er, daß man ihn ungehindert solle walten und schalten lassen; dazu sofortige Aussendung einer Anzahl neuer tauglicher Truppen. Diesem letzteren Verlangen kann bekanntlich seitens Englands nicht entsprochen werden, da die Hilfsquellen erschöpft sind. Kitchener hat im Falle der Nichterfüllung einer dieser beiden Forderungen erklärt, er sehe sich dann genöthigt, seine Stelluug noch mals in Erwägung zu ziehen. Die Frage befindet sich also noch vollständig in der Schwebe. Türkei. Die von Frankreich und England bedrängte Pforte erklärt, daß die Nachrichten über einen Zwischenfall wegen des im persischen Golf gelegenen Hafens Koweit mit England der Begründung entbehrten. Der Streit mit Frankreich scheint nun gleichfalls friedlich und end- giltig beigelcgt. Asten. Tie neuerlichen Londoner Alarmnachrichten über ein angebliches Wiederauftauchen der Fremdenverfolgun gen in China scheinen, wie gewöhnlich, auf starken Uebertreibungen zu beruhen. Amtlicherseits wird nämlich erklärt, daß zu Befürchtungen keinerlei Anlaß vorliege und daß namentlich die Lage in dem deutschen Kiautschau eine vollkommen befriedigende ist. Ueber die Ausschreitungen gegen die deutsche Missionsanstalt in der Nähe von Kanton wird noch gemeldet, daß die be drohten deutschen Missionare rechtzeitig vor den heran ziehenden Rebellen gewarnt worden waren, deren Ziel die Ersetzung der Mandschurei durch die fremdenfeind liche Mingdynastie und die Vernichtung aller Nicht- Chinesen ist. Einer von den Missionaren, Namens Kutter, wird noch vermißt; aber auch er soll gerettet sein. Der deutsche Consul in Swatan ist energisch ein geschritten, die chinesischen Behörden sandten 1600 Mann Truppen zur Verfolgung der Rebellen, so daß man auf baldige Unterdrückung des Aufstandes hofft. Prinz Tschung hat dem deutschen Kaiser von Genua aus ein Telegramm übersandt, in dem er seinen innig sten Dank für die huldvolle Aufnahme aussprach und der Hoffnung Ausdruck gab, der machtvolle deutsche Kaiser werde durch seine Huld und Gnade die kulturelle Entwickelung Chinas fördern. Afrika. König Eduard hat Londoner Blättermeldungen zu folge wegen des südafrikanischen Krieges eine sehr heftige Auseinandersetzung mit seinen Ministern ge ¬ habt. Der König soll sich namentlich darüber beschwert haben, daß ihm die Nachrichten vom Kriegsschauplätze meist unvollständig übermittelt werden und er soll sich diese Handlungsweise energisch verbeten haben. Da raus erhellt, daß es das Londoner Kriegsamt gewagt hat, selbst dem Könige geschminkte Berichte über die Vorgänge in Südafrika zu unterbreiten. Man kann sich aus dieser Thatsache eine Vorstellung machen, in welchem Maße die Mittheilungen für das Volk in England günstigem Sinne umgrarbeitet werden. Nichts als Schön färberei ist es natürlich, wenn Kitchener meldet, daß die Lage auf den vornehmlichsten Kriegsschauplätzen un verändert sei, wenn er damit den Eindruck erwecken will, daß es den Buren schlecht ginge. Ueber die Kämpfe bei Jtala und Prospect sind englischerscits geradezu haarsträubende Berichte verbreitet worden. That sache ist, daß die Engländer trotz der äußersten An strengungen nicht im Stande waren, das Vordringen Bothas gegen Natal aufzuhalten. Im Zulu lande er focht Botha einen glänzenden Sieg über die Brigade Hamilton, durch den er den Engländern einen Verlust von mehr als 150 Todten und Verwundeten zufügte. Da durch schaffte sich Botha, dessen Vorposten bereits am Tugela stehen, freie Bahn nach Natal. Der Krieg ist also wieder da angelangt, wo er begonnen hat. Es ist bezeichnend, daß die Buren die Wiederkehr des dritten Jahrestages in dieser Weise begehen. Wie Londoner Blätter melden, stehen noch über 25,000 Buren im Felde, von denen etwa die Hälfte aufständische Kap- Holländer sind. Deswegen „sollen" englischerseits mehrere Milizregimeter und indische Truppen nach Südafrika gesandt werden. Wenn sie da wäre», würden sie wohl geschickt werden, aber sie fehlen eben. Aus dem Muldenthale. *Waldeuburg, 3. October. Nachdem in unserem 14. städtischen Landtagswahlkreis — Waldenburg- Meerane-Hohenstein-Ernstthal-Limbach — neben dem na tionalliberalen Candidaten Fabrikanten Focke in Meerane vom Kleingewerbe dortselbst der antisemitische Candidat Richard Krügel in Meerane aufgestellt worden ist, ist Herr Focke zu Gunsten des Fabrikanten Rittberger in Limbach zurückgetreten. Zuvor trat bekanntlich der von Meerane prä- sentirte Baumeister Gentzsch von der Candidatur zurück. Ter erste Vertreter unseres Wahlkreises im Landtag war der nun mehr verstorbene Stadtrath Reinhold in Meerane. Dieser war für die laufende Landtagsperiode auf Grund eines Compromisses aufgestellt und gewählt worden, obwohl Waldenburg das verbriefte Vorschlagsrecht hatte. Walden burg trat zu Gunsten Meerane's um deswillen zurück, weil Meerane erklärte, wichtiger Bahnhofsangelegenheiten halber durch einen seiner Angehörigen vertreten sein zu müssen. Jetzt nun erfährt man, wenige Tage vor der Wahl, daß Herr Focke, der offenbar die Antisemiten fürchtet, unter der Bedingung des Städtischen Vereins zu Gunsten des Herrn Rittberger in Limbach zurück getreten sei, daß die Stadt Meerane für die nächste Landtags-Wahlperiode abermals das Vorschlagsrecht habe. Meerane vergißt oder ignorirt dabei, daß nach schriftlich festgelegter Vereinbarung der betheiligten Städte die Stadt Waldenburg das Vorschlagsrecht hat. Daß auch Limbach und Hohenstein-Ernstthal vergessen haben sollten, was sie versprochen haben, glauben wir einstweilen noch nicht. Es ist aber bezeichnend, wie der Städtische Verein in Meerane unter Umständen alte politische Verpflichtungen auffaßt. Die Waldenburger werden gewiß für Herrn Rittberger eintreten, sie werden aber an ihrem Vorschlags recht festhalten, was, wie wir hören, feiten des hiesigen Conservativen Vereins dem Städtischen Verein zu Meerane und dem Wahlausschuß in Limbach mitgrtheilt worden ist. Früher, als noch das alte Wahlgesetz galt, haben die Waldenburger regelmäßig die Candidaten der Ord- nungSparteien herausgehauen; jetzt scheint der Städtische Verein zu Meerane die Waldenburger Stimmen ent behren zu können. *— Im Monat October verlassen uns vollends die Schwalben, Staare, Lerchen, Bussarde, Sperber, Bach stelzen, Rothschwänzchen, Kiebitze, Schnepfen, Rothkehlen, von denen einzelne bei uns überwintern. Ans dem Norden kommen Drosseln und ziehen weiter. Auch rücken von Norden her die dort wohnenden Bögel nach. Es kommen die Goldhähnchen, Bussarde, Zwergfalken, Schnepfen, Möven u. s. w. Dohlen und Nebetkcähen, unsre Standvögel, fangen an, sich auf den Winter ein zurichten. *— Ein» neu» Weinrebe japanischen Ursprungs, von dem Franzosen Caplat durch Zucht verbessert, soll durch Bemühungen des praktischen Rathgebers im Obst- und Gartenbau jetzt in Deutschland eingeführt werden. Es wurden im vorigen Frühjahre mehrere hundert Samen korn der neuen Einführung vertheilt und wird in Nr. 39 des praktischen Rathgebers von verschiedenen Seiten über den ausgezeichneten Wuchs und die schöne Be laubung der jungen Pflanzen berichtet. Wir haben es somit auf jeden Fall mit einer wrrthvollen Schling pflanze zu thun. Von den Trauben ist bekannt, daß sie kleiner bleiben als die unseres edlen Weines, sie haben aber große Beeren und sollen auch dort noch sicher reisen, wo unser Wein nicht mehr gedeiht. Wahr scheinlich läßt sich die neue japanische Weinrebe durch Kreuzung mit unseren einheimischen noch weiter ver vollkommnen. *— Ter Honig ist Heuer besonders gut gerathen. Während man das Vorjahr 1900 als ein gutes Honig jahr bezeichnen konnte, vermag man das gegenwärtige ein vorzüglich gutes zu nennen. Auf einzelnen gut ge pflegten Ständen erzielte man die höchsten Resultate, die man bisher kaum für möglich gehalten hat, so z. B. von 12 Stöcken über 9 Ctr. Schleuderhonig. Einen außerordentlich reichen Stand von 44 Völkern besitzt der Gutsbesitzer und Bienenvater Ang. Winkler in Colm. Ihm sind für seine heurige Ernte 1500 M. bereits geboten worden. Man schätzt die Honigmenge auf diesem Stande auf ca. 15 bis 20 Ctr. *— Ueber die Haftpflicht der Lehrer äußert sich in der „Deutschen Juristenztg." LandgerichtSrath Dr. Gum- binner-Berlin. Er kommt zu dem Schluß, daß eine irgendwie wesentliche Verschärfung der Aufsichtspflicht der Lehrer vom Bürgerlichen Gesetzbuch weder gewollt, noch herbeigeführt ist. Unterhaltungstheil. Im Berghause. Novelle von Bertha v. Suttner. 18) (Fortsetzung.) „Ich heiße Leonore." „Also, wenn Sie einmal aufrichtig sein wollten, Frau Leonore . . wenn Sie mir Ihre Seele offenlegen wollten." „Sie hatten mich zum Plaudern, nicht zur Beichte eingeladen. Ein behagliches, heiteres halbes Stündchen wollten Sie die Güte haben, mir nach des Tages Mühen zu bereiten; das habe ich dankbar angenommen — so will ich das Programm auch einhalten." „Von was für Dingen soll da programmmäßig ge redet werden?" „Von allem Möglichen, auch über nichts und wider nichts — denn das versteht man wohl unter Plaudern? Nur nichts von der eigenen Person." „Und doch: was giebt's für jeden Menschen denn Interessanteres, als das liebe, eigene Ich? Darüber kann man nicht hinausfliegen . . das folgt, so weit und so hoch man sich auch versteige, doch überall mit." „Mag sein, aber unerwähnt kann man's lassen." „Wie Sie wollen, Frau Leonore. So lassen Sie denn hören, wovon Sie zu plaudern gedenken, ohne Ihr Selbst in Mitleidenschaft zu ziehen." „Bon . . was lesen Sie da?" Sie streckte die Hand nach dem Hefte aus, das er bei ihrem Eintritt aus der Hand gelegt hatte. „O nein — das gilt nicht. Gelehrte Dissertationen über Gelesenes, das verdiente schon am allerwenigsten den Namen Plauderei. Ich werde Ihnen selber einen Vorschlag machen: sprechen wir von der Liebe. Oder wollen Sie auch diesen Gegenstand vermeiden?" „Warum sollte ich? Meine weißen Haare gestatten mir, ungestraft darüber zu reden. Fangen Sie an." „Mein Gott — so wie Sie mich sehen — habe ich eigentlich nur wenig im Leben geliebt . . . eine einzige, wahrhaft tiefe Neigung. . ." „Ich weiß. Ihre Lebensgeschichte ist mir bekannt." „Wirklich? Sehen Sie, wie ungleich wir uns da gegenüberstehen: ich weiß von Ihrer Vergangenheit gar nichts." „Ist auch nicht nöthig. . . War darum das ostauck- Iroiä weniger gut, welches, nach meiner Anweisung zu- bereitet, heute Ihre Mittagstafel geziert hat?" „Ausgezeichnet war's! Aber damit sind Sie wieder von der Liebe abgckommen." „Nicht so ganz, odauU-sroiä — heiß-kalt —: das umfaßt ja die ganze Physiologie des Herzens. Kalt bis zur Starre des Eises: das ist das liebesleere, heiß bis zur Gluth der Lava . . . das ist das lieberfüllte Sein. Durch alle Grade der Kühle, der Lauheit, bis zur wohl- thuenden Wärme, bis zur verheerenden Flamme, bis zur lebenspendenden Sonnenhitze steigt das Thermometer unseres Fühlens . . und sehen Sie" — sie nahm aus einer blumengefüllten Vase, die neben ihr stand, eine rothe Rose heraus — „sehen Sie, damit hat der sonn geküßte Strauch sein: ,Jch blühe' gestanden, was ja in der Pflanzensprache dasselbe heißt wie in unserer Sprache das süß erröthende ,Jch liebe'." „Frau Leonore! ..." „Was?" „Geben Sie mir diese Rose . . . ." Sie aber steckte die Blume in die Vase zurück. „Nein," sagte sie, „der Winter" — dabei fuhr sie sich mit der Hand über den Scheitel — „der Winter, der schneeige Winter vertheilt keine Blüthen." „Ich werde in Musik setzen, was Sie da über die Liebe gesprochen haben." „Sie thun ja ohnehin nichts anderes, als dieses Thema variiren, wenn Sie Ihre sanften Adagios spielen. Darum vielleicht sind Sie auch im stände, so ohne Herzensbande weiter zu leben: alles, was an Zärtlich keit in Ihnen pulst, legen Sie in die getragenen Melo dien hinein." „Wenn ich aber Fugen und dergleichen trockene Sachen componire?" „Dann treiben Sie nebenher musikalische Mathematik." „Sie haben recht. Tie Musik ist eine Welt für sich — alles, was uns sonst bewegt, das ist auch in ihr enthalten: Schmerz und Jubel . . ." „Erhabenheit und Gemeinheit — Geist und Blöd sinn." — „Natürlich — auch das Schlechte muß darin ver treten sein, sonst wtir's nicht eine .eine Welt' . . Ihr Kaffee ist ausgetrunken — darf ich Ihnen ein Gläschen Chartreuse . . . ?" „Nein, ich danke. Es ist ohnehin spät," fügte sie hinzu, indem sie aufstand, „ich will mich zurückziehen." „Spät? wo denken Sie hin! Sie haben mir ja kaum eine Viertelstunde geschenkt, und . ." „Ich muß noch Briefe schreiben, die mit der morgigen Frühpost abgehen sollen . . ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Herr von Bolton." Und sie ging zur Thür. Er sprang von seinem Sessel auf und erreichte sie an der Schwelle. „Wenn Sie durchaus wollen," sagte er, „dann: gute Nacht, Frau Leonore," und mit einer höflichen Ver neigung öffnet« er die Thür für sie. * * * Bolton hatte zugesagt, also mußte er der Zinndorfer Einladung Folge leisten, obschon er es mit einiger Un lust that. Der strömende Regen hatte seit gestern nicht nachgelassen und schien auch noch lange nicht aufhören zu wollen — alles Grau in Grau: wahrlich kein ver lockendes Wetter, um über Land zu fahren. Dazu die Aussicht, die Koketterien einer Frau abzuwehren, welche, wie es schien, es scharf auf ihn abgesehen hatte; auch keine angenehme Aufgabe. (Fortsetzung folgt.)