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brachte. Es ist das erste Mal gewesen, daß sich social demokratische Abgeordnete im Reichstage an der Ehrung eines regierenden Fürsten betheiligten. Es liegt nichts daran, wenn Socialdemokraten die Huldigung verweigern, bringen sie sie aus freien Stücken dar, so verdient das nach mehr als einer Richtung hin bemerkt zu werden, und ist sicherlich auch bemerkt worden. Die Budgetcommission des Reichstags beschäftigte sich mit dem vom Etat des Reichsamts des Innern zurück gestellten Capitel „Reichs-Versicherungsamt", das 1,744,580 Mk. erfordert. In der Debatte bemängelt Abg. Fischbeck die langsame Ausführung der neuen Ver- sicherungsgesetze durch das Reichsamt. Abg. Singer wünscht die Ausgestaltung des Reichs-Verficherungsamts zu einem besonderen Reichsamt. Gegen letzteren Vor schlag macht der Staatssekretär Graf Posadowsky constitu- tionelle Bedenken geltend. Mit geringfügigen Abstrichen wurden die Ansätze deS Etats den Wünschen der Re gierung entsprechend genehmigt. Wie die „Neiffer Ztg." meldet, hat das Commando des 6. (schlesischen) Armeecorps der katholischen Militär geistlichkeit seines Bereiches direct untersagt, in Zu kunft für die Soldaten polnischer Zunge polnische Predigten zu halten. Jahre lang war das persönliche Verhältniß des Frei herrn v. Stumm zum Kaiser ein außerordentlich intimes. Man konnte den Freiherrn damals oft genug an der Seite des Monarchen im Thiergarten bei Berlin spazieren gehen sehen. Seit 1^ Jahren hat diese Verbindung plötzlich aufgehört, ohne daß über die Ur sache dieser Aenderung in weiteren Kreisen etwas be kannt geworden wäre. Nach der „Rein.-Westf. Ztg." sagt man nun, daß sich der Kaiser durch eine allzuwenig höfische Aeußerung des Freiherrn v. Stumm verletzt gefühlt und dann, wie auch in anderen Fällen, den jahrelangen Verkehr plötzlich abgebrochen habe. In das Goldene Buch von München schrieb der Kaiser vor einigen Jahren das viel nachgesprochene Wort: re^io voluntas suprema lex, des Königs Wille ist das höchste Gesetz. In derselben Stadt München schrieb der Prinzregent von Bayern mit eigener Hand unter seine den Ministern am 80. Geburtstage über sandten Bildnisse: salu8 publica 8umura lex 68t, das öffentliche Wohl ist das höchste Gesetz. Die Wahl dieses Spruches durch den Prinzregenten ruft jenen andern ähnlich lautenden unwillkürlich in die Erinnerung, ge radeso wie der umfassende Amnestieerlaß des bayerischen Reichsverwesers das Ausbleiben jeder Amnestie bei der preußischen 200jährigen Jubelfeier in das Gedächtniß zurückruft. In der Reichstagsersatzwahl in Posen, die durch das Ableben des bisherigen Abgeordneten Motty erforderlich wurde, hat wieder der polnische Candidat den Sieg davongetragen. Der Pole Rechtsanwalt v. Chrzanowski erhielt gleich im ersten Wahlgange die absolute Majorität. Dieses Resultat erzielte die polnische Propaganda, trotzdem sich sämmtliche deutsche Parteien, nur die Socialdemokraten hatten eine Ausnahme ge macht, auf eine gemeinsame Candidatur, die des Posener Oberbürgermeisters Witting, geeinigt hatten. Unterhaltungstheil. Auf der Felseninfel. Eine Erzählung aus den norwegischen Schären. Von M. Ottesen. 22) (Fortsetzung.) Wie im Traum sah ich das altmodische Mahagoni mobiliar der Zimmer, die schweren, vergoldeten Spiegel, die riesigen, eisernen Oefen. Endlich öffnete sich eine Thür, Gunhilda trat mit heißen Wangen auf die Haus frau zu und flüsterte ihr einige Worte ins Ohr. Allgemeiner Aufstand. In feierlicher Ordnung schritten die älteren Herrschaften paarweise ins Neben zimmer. Schon wollte ich Gunhilda meinen Arm an bieten, als mir der Hausherr den Weg vertrat. „Liebe Kleine," sagte er, sich mit altmodischer Ga lanterie verbeugend, „nimm Du mit mir altem Kerl vorlieb. Die beiden Kavaliere werden sich den übrigen jungen Damen widmen." „Dann führen Sie mich, bitte," rief Hannah und hing sich vertraulich an meinen Arm. „Ich hatte noch nie einen Tischnachbarn. Sie sollen sehen, wie ich Dame sein kann!" Ich verbeugte mich steif mit nicht allzu freundlicher Miene, während Sigurd lachend mit den Zwillingen voranging. Hannah schien wirklich ihre Rolle als Erwachsene allen Ernstes ausführen zu wollen. Sie sprach mit Eifer und Kenntniß gerade von Dingen, von denen sie denken konnte, daß sie mich interessirten, und erst als sie bemerkte, wie zerstreut und einsilbig ich ihr antwor tete, verstummte sie allmählich. Die Unterhaltung bei Tische war indes so lebhaft, daß niemand auf uns achtete. Große Freude erregte der Vorschlag des alten Hall, am Abend einen Ausflug zu Wasser zu machen, und Hannah meinte, jetzt wäre eS zum .Lysterw*) dunkel *) ,Lystre': bei Fackelschein fischen. Rutzlanv. Die Lage der russischen Studenten ist infolge der Studentenunruhen eine überaus traurige, die meisten derselben sind arm, so daß sie sich die Mittel zum Studium durch Unterrichtsarbeiten selbst verschaffen müssen. Dazu sind sie gegenwärtig aber außer Stande, da sowohl die Bürger der Universitätsstädte wie auch die Gutsbesitzer der Umgegend sich davor hüten, einen von der Regierung „nicht wohlangesehenen" Menschen, als welche jetzt alle Studenten gelten, ins Haus zu nehmen oder mit einem solchen überhaupt Umgang zu haben. Auch in ihrem Studium sehen sich die Studenten gestört und bedroht, da es in den Universitätsstädten von Geheimpolizisten förmlich wimmelt, die das Leben der Studenten überwachen und jedes freie Wort, jede freie Regung sofort gewaltsam unterdrücken. Asten. Die diplomatische Lage scheint sich wieder zu be festigen, nachdem sich die Mächte darüber klar geworden sind, daß ein gemeinsamer Widerspruch gegen die Annection der Mandschurei durch Rußland ebenso vergeblich als gefährlich sein würde. Hat diese Meinung wirklich Platz gewonnen, so ist damit viel er reicht und der Nebel gewichen, der jeden Ausblick auf die endliche Erledigung der Chinafrage unmöglich machte. Ob sich die Mandschurei — allerdings kein geringwerthigeS Territorium — im chinesischen oder russischen Besitze befindet, kann den westeuropäischen Mächten und in sonderheit Deutschland ganz gleichgiltig sein. Gegen die Annection der Mandschurei durch Rußland hat daher auch Niemand Widerspruch erhoben, der laut gewordene Protest galt vielmehr andern Concessionen und Garantien, die zwar mit der Mandschureifrage in Beziehung standen, diese aber doch nicht selbst waren. Hat Rußland die Mandschurei einmal im sicheren Besitze, dann wird es der schleunigen Erledigung der Chinasrage keine Hinder nisse mehr in den Weg stellen. Wäre aber der süd afrikanische Krieg nicht gewesen, hätte England vielmehr auch in Ostasien die Arme rühren können, dann wäre die Sache weniger glatt, ja vielleicht verhängnißvoll für ganz Europa verlaufen. Nach einer Londoner Meldung des „Berl. Tagebl." sind deutsche Capitalisten mit einem hohen chinesischen Beamten über die Errichtung von Arsenalen in Nanking, Wutschang, Tschengtu und Schantung in Unter handlung getreten. Wieso deutsche Capitalisten Lust verspüren sollten, in China Werkstätten für Waffen zu gründen, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich liegt bei dieser Meldung wieder eine der englischen Bosheiten vor. Ueber die Kämpfe in dem gebirgigen Grenzgebiete zwischen Tschili und Schansi, die den Zweck hatten, die Chinesen an dem Eindringen in die Provinz Tschili zu hindern, liegt ein Bericht vor, welcher besagt, daß die Chinesen stets die Angreifendcn waren und große Kriegskunst verriethen, so lange sie die Stärkeren waren. Erhielten die angegriffenen deutschen Patrouillen Ver stärkung, dann verloren die Chinesen plötzlich alle KriegS- tüchtigkeit und gaben Fersengeld, erhielten aber stets noch gehörige Denkzettel. genug. Die Fischpreise wurden sodann eifrig diskutirt, und die Pastorin erklärte, es sei eine Schande, daß jetzt der beste Lachs, der schönste Hummer nach England aus geführt werde. „Als ich noch im Elternhause war," rief sie eifrig, „machten es sich die Dienstleute zur Bedinguug, nicht mehr als dreimal wöchentlich Lachs zu bekommen — und jetzt, prosit Mahlzeit, die verrückten Mylords essen uns alles vor der Nase weg. Freuen muß man sich einmal wieder, ein so köstliches Stück vor sich zu haben." Und sie zerthrilte mit sichtbarem Wohlgefallen die an sehnliche Portion, welche ihren Teller füllte. Entrüstet wandte ich mich hinweg. Wie war es nur möglich, daß ich diese Frau verehrt, sie eine würdige Gefährtin Gunhildas genannt hatte! Alles war mir heute an diesen Menschen zuwider. Die Späße zu derb, die Unterhaltung zu flach, das Essen zu solide, die Weine zu schwer. Auf dem feinen Damastgedeck glitzer ten Krystalschalen und feingeschliffene Gläser um die Wette mit dem massiven Silber. Mir sollte dieser Prunkhaft zur Schau getragene Reichthum wahrlich nicht imponiren! So saß ich stumm und einsilbig da, und wenn mich ein verwunderter Blick Gunhildas traf, raffte ich mich momentan zusammen und richtete verkehrte Fragen an meine Nachbarin. Diese war heute seltsam ernst und verlegen. Der kleine Mund öffnete sich gar nicht mehr, um lachend die blitzenden Zähne zu zeigen, und die Augen hatten einen feuchten Glanz wie von verhaltenen Thränen. Was mochte sie nur haben, hatte ich sie durch mein Benehmen verletzt? Ter sinnende Ausdruck verlieh dem feinen Gesichtchen einen neuen Reiz, sie war heute wirklich allerliebst — nur keine Wasserfei mit tiefen, schwarzen Augen und einem seltsam uner gründlichen Lächeln! Das war ja der Zauber, der mich immer von neuem anzog, daß Gunhilda stets eine andere erschien, obgleich Afrika. Nach Berichten der „Times" soll auch Präsident Steijn, der Gefährte Dewets, zur Capitulation geneigt sein, da die Buren keine Aussichten hätten, das ver lorene Land wieder zu gewinnen. Dew et aber würde den Krieg unter allen Umständen fortsetzen. Aus dem Muldeuthale. *Waldeuburg, 13. März. Am gestrigen Lage schlossen auf den Sächsischen Gymnasien die diesjährigen Maturitätsprüfungen ab. Unter den Abiturienten be findet sich auch Se. Durchlaucht Fürst Otto Victor von Schönburg-Waldenburg, welcher das Examen am Vitz- thum'schen Gymnasium zu Dresden, dessen Schüler er war, ablegte und gut bestand. Wir freuen uns von Herzen über diesen ersten Erfolg eigener persönlicher Energie und Tüchtigkeit und beglückwünschen den jugend lichen hohen Herrn, der nun im Alter von 18^ Jahren zunächst die Universität Bonn beziehen wird, ebenso aufrichtig wie ehrerbietig. * — Se. Durchlaucht Fürst Otto Victor ist von Sr. Majestät dem Kaiser durch Cabinetsordre zum Leutnant im Leib-Garde-Husaren-Regiment ernannt worden. Das Regiment steht in Potsdam. Bekanntlich gehörte der Vater des jungen Fürsten, der leider zu früh Heimgegangene Erbprinz Victor von Schönburg- Waldenburg, diesem Regiment an, zuletzt als Rittmeister und Escadronscommandeur. * — Die Verloosungsliste Nr. 82 des Landwirth- schaftlichen Creditvereins im Königreiche Sachsen, Ziehung vom 8. d., ist erschienen und in unserer Expe dition einzusehen. * — Die Niederschlagsmenge in der ersten Decade des Monat» März betrug im unteren Muldenthale 17 mw (normal 15), im mittleren 8 (normal 7) und im oberen 16 (normal 22). An hiesiger Station wurden im gleichen Zeiträume 14 ww gemessen. *— Am hiesigen Fürstlich Schönburgischen Lehrer seminar fanden in dieser Woche die Reifeprüfungen ihren Abschluß. Sämmtliche 26 Schüler der bisherigen I. Klaffe, von denen jeder bereits ein halbes Jahr al- Vikar im Schuldienste thätig war, bestanden die Prüfung. In den Wissenschaften erhielten 3 Ib, 5 Ila, 6 II, 7 Ilb, 4 Illa, 1 III. In den Sitten konnte allen Abgehenven bis auf einen die erste Censur ertheilt werden. An der musikalischen Prüfung betheiligten sich 16; von diesen erhielten 2 I, 5 Ila, 4 II, 5 Ilb. Die Prüfungen fanden unter dem Vorsitze des Herrn Seminardirector I-w. Steude als Königlichen PrüfungS- commissars statt; das Landesconsistorium vertrat als Lommiffar Herr Superintendent Weidauer in Glauchau. Heute Vormittag wurden die jungen Candidaten in feierlichem Actus aus dem Seminarverbande entlasten. *— Die auffällig gelbe Färbung des Himmels in den Morgenstunden des Montag dürfte einem heftigen Sirokko zuzuschreiben sei, jenem afrikanischen heißen Sandsturme, der dort zu den gefürchtetsten Naturereig nissen gehört. In einem Theile Italiens hat sich die Erscheinung als Blutrcgen bemerkbar gemacht. In Trautenstein im Unterharz in Braunschweig fiel am sie sich gab, wie sie war, nie daran dachte, sich zu ver stellen oder zu täuschen. Und doch schalt ich sie jetzt eine Kokette, ein falsches, herzloses Wesen. Wie konnte sie ihrem wenig zartfühlenden Tischnachbarn so freund lich zunicken und sich so eifrig mit ihm unterhalten! Warum erröthtete sie, als der Pastor in salbungsvoller Weise das Wohl des Sohnes vom Hause ausbrachte, und senkte wie in holder Scham das Auge, als der junge Mann, ein siegesgewisses Lächeln auf den Lippen, sein Glas gegen das ihrige stieß und es bis auf die Neige leerte! Abgeschmackt und lächerlich schienen mir die Toaste, die nach guter, alter Sitte auf jeden der Gäste ausge bracht wurden. Nur mühsam gewann ich es über mich, nicht laut aufzulachen, als auch mein Wohl getrunken wurde und es lustig im Kreise erklang: „Und dies sei unseres Gastes Skaal,*) Hurrah! Schlecht ergehe es dem, der nicht klinken Und des GasteS Skaal will trinken. Hurrah, der Skaal war brav, Hurrah!" Ich wußte ja, daß sie mich alle weit fort wünschten. Eine erwartungsvolle Stille trat ein. DaS Dessert wurde herumgereicht, Puddings, Speisen, Früchte und Sahne in jeder Form. Da knallte der Champagner. Alle blickten überrascht und dankbar zugleich auf den freudestrahlenden Wirth, der alle diese guten Gaben spendete — und dann, merkwürdig genug, auf mich. Sollte jetzt das Wohl des Brautpaares ausgebracht werden, bemitleidete man mich, wollte man meine ge heimsten Gedanken erspähen? Eine weiche Hand legte sich mit leichtem Druck auf die meinige. „Alle erwarten, daß Sie reden sollen, Herr Doktor," flüsterte Hannah leise, und die braunen Augen strahlten wieder vor Erwartung. „Sie müssen das Wohl de- HauseS ausbringen." (Fortsetzung folgt.) *) Skaal (sprich: slrobl) — eigentlich Schale. Hier: Wohl sein, Prosit!