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2. Leilage M Kchönburger Tageblatt, n Sonntag, de« 6 Ja»«« 1901. Ier Diiikr. Von Georg Paulsen. Nachdruck verboten. Mit dem Jahreswechsel ist der Winter so echt und recht zum Besuch gekommen; hier und da, nach der warmen bisherigen Witterung, gleich etwas zu kräftig. Die Bauarbeiten ruhen, um so kräftiger klirren die Schliissel zum Kohlenkeller. Wer einen warmen Ofen zur Verfügung hat, rückt ihm näher, und der Gastfrcund von Mutter Grün läßt sich, ach, mit welcher sehnsüchtigen Bereitwilligkeit! cinsperren. An den Bauten ruht die Thätigkeit, und Brauereien und andere Etablissements gehen mit Eifer an die willkommene Eisernte. Jung- Deutschland bewundert die Eisblumen an den Fenstern oder tummelt sich auf den Stahlschuhen, und Woll- waarenhändler und Pelzleute reiben sich die Hände. .Was dem Einen sein' Eul, ist dem andern sein' Nach tigall'!" so heißt's auch von jedem Stadium des Win ters. Ist er milde, klagen die Einen, ist er strenge, klagen die Andern! Die Meisten betrachten die Gegenwart, doch Andere schauen rückwärts! Das scharfe Einsetzen des Winters wird unsere Veteranen an die Zeit vor dreißig Jahren erinnern. Es waren Tage, bei denen es in der Er innerung noch Manchen schüttelt. Schon vor Paris war Manches auszusteben, aber es gab doch auch manche leidliche Quartiere, aber die Kämpfe um Belfort, das Raufen um Chanzy's Truppen bis nach Le Mans, das Ringen auf dem nördlichen Kriegsschauplatz, die ließen Franzosen und Deutsche Winterleiden erkennen. Und die Unseren hatten mit manchem armen Teufel von Franzosen, der unter dem ungewöhnlich harten Frost noch weit ärger litt, als sie, noch rechtes Mitleid, das freilich nicht selten durch Undank gelohnt wurde. Viel Federlesens wurde nicht gemacht in diesen Tagen, und die Franktireurs, die den Deutschen ein Grab unter dem Schnee zu bereiten suchten, konnten merken, daß jede Gutmüthigkeit ein Ende hat. Mit schmunzelndem Behagen werden unsere Veteranen aber auch zahlreicher französischer Ouartierwirthe gedenken, die anders waren! Aber war 1871 die Kälte auch streng, es gab in dem Winter doch eine Musik, die dem ausgefrorenen deutschen Soldaten lieblicher klang, als alles Tröpfeln des Thauwetters: Das war das Grollen der deutschen Batterien, die ihre ehernen Grüße zu der Seinestadt hinübertrugen und sie in Kurzem demüthigten. Und sie waren humoristisch ausstaffirt, unsere Braven auf Vor posten; o weh, wenn ein deutscher Soldat sich so auf offener Straße heute sehen lassen wollte! Was warm hielt, das wurde umgebunden, und aus der Ferne sah ein deutscher VaterlandSverthcidiger mitunter mehr ans, wie eine kugelrunde Marktfrau, denn wie ein Krieger. In solchem Winter schwindet der Sinn für Eleganz all mählich. Heute wiegt in der Erinnerung der Humor vor! Wie viel Blut ist damals zwischen Schnee und Eis geflossen? Wie Viele erstarrten in bitterkalter Nacht? Bei uns wird heute eher über Kälte geklagt, als früher, wir haben im letzten Menschenalter verhältniß- mäßig wenig strenge Winter gehabt, und Gewohnheit, wie Empfindung für solche schwächten sich ab. Hin gegen hat eS in den Ländern, die wir warme nennen, in Südfrankreich, Italien, Spanien rc. eine erhebliche Zahl von Wintern gegeben, kalt natürlich nicht im nörd lichen Sinne, aber viel härter empfunden. Uns im Norden, die wir gute Oefen, dichtschließende Fenster und Thüren, und einigermaßen Schutz bietende Wände haben, machen 15 Grad Kälte noch nicht so viel aus, wie in den genannten Ländern fünf Grad. Ja, schon 1 und 2 Grad unter Null können einen Deutschen dort unten nervös machen. fFenster und Thüren lassen dem Zug wind Spielraum, ein Kamin ist nicht da, ist er da, so taugt er meist nichts, und wenn, so fehlt das Brenn material. Kommt auch das endlich, so raucht'S zum Gotterbarmen. Deutsche, die für den Winter in warme Länder gingen, haben dort oft »ehr gefroren, als zu Hause. Jammervoll frieren müssen im Winter auch die Pariser oft. Gewiß hat die Seinestadt eine bevorzugte Lage, aber die Häuser sind sehr oft der Temperatur nicht entsprechend eingerichtet. Tie armen Teufel, in deren Etat der Posten Brennmaterial überhaupt nicht vorkommt, spielen eine jammervolle Rolle, und da Wärmehallen bei Weitem nicht genügen würden, zündet man auf den Straßen große Feuer an. Auf der andere» Seite empfinden die Ruffen die große Kälte, bei deren Nennung unS schon schaudert, erheblich weniger, als wir auch nur eine Mittelkälte. Kleidung und Wohnung sind darnach eingerichtet, der Pelz ist National-Gebrauchs-Gegenstand. Die WohnungS- Einrichtung thut gegen die Kälte selbstverständlich äußerst viel, und es kann nicht ganz in Abrede gestellt werden, daß bei uns nach einer langen Reihe von mehr oder minder milden Wintern „leichter" gebaut wird, als früher. Hingegen ist die Construction solcher Oefen, die eine ergiebige Wärme spenden, ganz außerordentlich vor geschritten, wenn der Vervollkommnung freilich auch die Preise gefolgt sind. So viel über harte Winter geklagt wird, so wenig Freude besteht über zu milde Winter. Also: Die Jahreszeit muß doch ihr Recht haben! Vermischtes. Unter deutscher Führung nach Paotingfu. Ueber die unter deutscher Führung unternommene Expedition von Tientsin nach Paotingfu sendet der Berichterstatter der „Voss. Ztg." seinem Blatte Briefe, in denen man Nachstehendes lesen kann: Unter klingendem Spiel der Regimentskapelle des 3. Regiments zogen wir aus dem Feldlager bei der Universität durch die Straßen der europäischen Niederlassung nach der Chinesenstadt, die sich noch nahezu zwei Stunden lang im Westen der europäischen Niederlassung erstreckt. Ein Marsch mit Artillerie und Bagage durch eine so schief und winklig gebaute Stadt, wie Tientsin, ist an sich schon ein Kunst stück. Dazu kam in diesem Falle, daß die ganze Bagage auf zweirädrigen Chinesenkarren verladen werden mußte, für die man das Zugmaterial — Ponies, Maulesel und Esel — erst kurz vorher durch Beitreibungen hatte beschaffen können. Die Thiere waren noch nicht ein gefahren, die Sielzeuge zum Theil nothdürftig aus Stricken zusammengesetzt, kurzum es ergaben sich hier große Schwierigkeiten. Schlimme Stunden waren es besonders, als etwa 10 Kilometer hinter Tientsin der Weg sandig wurde, und die Karren zum Theil einfach im Sande stecken blieben. Dabei waren die Wege, weil trocken, noch verhältnißmäßig gut. Bei Regen wetter wäre die Sache viel schlimmer gewesen, weil dann der staubige Sand sich in braunen Schlamm ver wandelt, und die ganzen Straßen lehmig und klitschig werden. Im Uebrigen war der schlechte Sandweg nur von kurzer Dauer, späterhin hatten wir ziemlich feste, zum Theil sogar recht gute Wege. Tie Temperatur war mäßig, nur nachts wurde es empfindlich kalt. Die Gegend, durch die wir kamen, war durchweg gut angebaut. Wir sahen vorzüglich stehende Kauliang- und Maisfelder, sowie zahlreiche Gärtnereien und Gemüse pflanzungen, die so gut abnivellirt waren, daß sie aus einem einzigen Brunnen durch Kanälchen und Rinnen bewässert werden konnten. Die Dörfer und Städte, durch die wir kamen, waren im Durchschnitt sauber, wohlhabend und ansehnlich. Je weiter man von Tientsiii fortkam, um so wohlhabender wurde die Gegend. Die schmutzigen Lehmhütten, wo die Armuth wohnt, wichen schönen Steinbauten und großen Bauernhöfen. Wir verglichen die Höfe und Dörfer, die wir fanden, mit denen bei unS zu Hause, und wir kamen oft zu der Ansicht, daß gar manche Gegend in Deutschland glücklich zu nennen wäre, wenn sie so große Güter und Bauernhöfe aufzuweisen hätte, wie wir sie hier fanden. Dabei lagen die Dörfer dicht bei einander, der Boden war überall gleichmäßig ausgenutzt und hätte bei ratio neller Wirthschaft sicherlich noch weit höhere Erträge abwerfen können, als er eS gegenwärtig wohl thut. Auch landschaftlich ist die Gegend zwischen Tientsin und Paotingfu ganz angenehm. Zwar ist aller Flachland, und Wiesen sind selten, aber hin und wieder sieht man einen Wasserarm. Jedes Dorf steht inmitten eines Haines von Bäumen, unter denen sich, besonders in der Nähe der Tempel, oft sehr alte Cedern finden. Dazu kommen die zahllosen Tauben, wilde Gänse und Enten, die in gewaltigen Schwärmen auftreten, und die lang beinigen Reiher mit den schmucken Federn, die jetzt in Europa so häufig auf den Hüten unserer Damen prangen. Folgendes Urtheil über die Chinesen finden wir in dem Briefe aus Tientsin, den ein Fahrer bei der 1. Artillerie-Munitionscolonne des Ostasiatischen Feld- artillerie-Regiments an seinen ehemaligen Meister in Zehlendorf bei Berlin gerichtet hat: „Mir gefällt das Leben hier ganz gut. Trotzdem muß man hier ver dammt vorsichtig sein, besonders auf Posten, denn so unscheinbar und feige auch diese verdammten gelben Hunde sind, so hinterlistig sind sie aber auch. Allein und unbewaffnet darf sich Niemand in ein Torf wagen. Es sind verschiedene Fälle vorgekommen, daß Soldaten hinterrücks überfallen, verstümmelt und gemartert worden sind. Was diese Hallunken nun von uns zu erwarten haben. ES ist hier noch keine Nacht vergangen, wo nicht einige der Kerle von Posten erschossen werden. WaS sonst von den Chinesen zu sagen ist, so kann ich nach meiner Beurtheilung nur sagen, daß sie geborene Schweine sind. Kommt man in ein Torf, so kann man kaum die Zeit erwarten, ehe man wieder heraus kommt. Straßen giebt es überhaupt nicht. Die Häuser sind dicht zusammengebaut, so daß nur ein schmaler Gang dazwischen bleibt. Dieser Gang dient den Bewohnern der Lehmbuden als Closett, Aus guß, Dunggrube usw. Hierzu kommt dann noch der Lehmboden. Ist nasse Witterung, so kann sich ein Jeder vorstellen, wie es in so einem Chinesendorf aussieht." Schlimme Zustände herrschen unter den oberen Zehntausend Englands. Admiral Lord Charles Beres ford schreibt darüber in der „North American Review": „In England hat die Geldkorruption schrecklich in den Reihen der Gesellschaft gewüthet . . . Die englische Gesellschaft leidet von oben bis unten an dem Geld krebs. Infolge dessen können sich die sittlich Verworfen sten als Menschenfreunde und Wohlthäter aufspielen. Schönheit dient dem Gold als Sklave oder vielmehr Sklavin, und Jntelligeuz, von Schönheit verführt, tanzt ebenfalls nach dem Willen der Plutokraten." In Be stätigung des Vorstehenden sagt der Londoner Berichter statter der „Krzztg.": „Es ist thatsächlich der Fall, daß einige der schönsten und vornehmsten Frauen Englands Sklaven des Goldes geworden sind und in der scham losesten Weise allen Schranken des Anstandes und der Sittlichkeit Hohn sprechen. Ebenso wahr ist eS, daß dieselben Frauen zur Kurzweil oder aus Sucht nach Allgemeinbekanntsein öffentlich Wohlthätigkeit betreiben, Bazare anstiften, Krankenhäuser besuchen und letzthin sogar die Lazarethe in Kapstadt unsicher machten . . . Die stets im Wachsen begriffene Anzahl der Ehe scheidungen zeugt an und für sich schon von dem Ueber- hanl nehmen der Unsittlichkeit in den höheren Kreisen der Gesellschaft. Aber selbst das Gebahren der jungen Mädchen entwickelt diese Tendenz — am schlimmsten zeigt sich die« in den höchsten und in den niedrigsten Schichten des Volkes. Der niedere Landadel und der Mittelstand dagegen sind im Ganzen noch frei von den Folgen der Geldwuth." Kunst und Litteratur. Di» soeben erschienen« Nr. 39 des Si«plieisst»«S ist wieder hervorragend. Das Titelbild von Bruno Paul „Mollke al- Erzieher" ist von geradezu malerischer Wirkung, der Text dazu, ein Ausspruch Moltke's, eine feine, dabei sehr scharte S«lire auf gewiße Gepflogenheiten in der deutschen Politik der Gegenwart. — Th. Th. Heines »Zur Kohlen noth" ist wieder ein Meisterstück. Wiviel Phantasie, welch köstlicher Humor steckt in diesem „Höllenbild". Heine hat uns schon öfler einen Blick in das Reich der Hölle werft» lassen, aber das vorliegende Bild übertrifft alle bisherigen an koloristischer Wirkung und unheimlicher Komik; diese grünen zottigen Teufel, wie sie gravitätisch einherschreiten und ein armes zerlumptes Mädel durch die rothen lodernden Flammen führen. Und diese boshafte Ironie, wenn Hein« sagen läßt: „Bitt schön, lieber Herr Teufel, holen Sie doch auch mein Mutter!, bei Euch ist so schön eingeheizt." Auch E. Thöny, R. Wilke und F. von Reznicek sind mit 3 ganz seitigen Illustrationen glänzend vertreten. Auch I. B. Engl fehlt nicht mit seinen grotesken Bildern und seinem derben, kernigen Humor. Im Text finden wir eine spannende Er- zählung von Korfiz Holm „Doctor Tod", zwei graciöse, stimmungsvolle Gedichte von Otto Julius Vierbaum und ein politisches Gedicht von Peter Schlemihl, das der jungen Königin von Holland eine begeisterte Huldigung darbringt für ikr Milchiges Eintreten für den alten wackeren Präsiden ten Krüger. Der Simplicisfimus schließt mit dieser Nummer das III. Quartal seines fünften Jahrganges; sie ist geeignet, ihm neue Freunde zu werben. — Der Simplicrssia uS (illustr. Wochenschrift) kostet 10 Pf. und ist zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter oder direct vom Verlag Albert Langen in München. Einen äußerst interessanten Artikel bringt das Heft deS bekannten Familienjournal „DaS Buch für Allo" unter dem Titel „Meine Bekanntschaft mit den Boxern", worin die Gattin eines amerikanischen Missionars in schlichter, er greifender Darstellung ihre Erfahrungen erzählt, die sie und ihre kleine Tochter bei Ausbruch des chinesischen Boxerauf- standeS mit diesen unmenschlichen Barbaren zu machen hatten. Wir empfehlen di» Lektüre des oben erwähnten, brillant aus- gestattelen und dabei sehr billigen Journals überhaupt unser« Lesern angelegentlichst. „Dentfcher Soldatenhort", illustrirte Zeitschrift für das deutsche Heer und Volt, Herausgeber: General-Leutnant z. D. H- v. Below. Preis pro Quartal 1,80 Mk. Verlag von Karl Siegismund, Hofbuchhändler, Berlin 8^., Deffauer- straße 13. XIII. Jahrgang, Nr. 8, erschien soeben und ent hält: Neujahrsgruß. — In der Ireundschaftscolonie. Lon H. Waldemar. — Die Ausschmückung der Siegerallee in Berlin. (Mit zwei Abbildungen.) — Gut abgekommen. Bon Joseph Maertl. — Zur G»schichte des NeujahrStages. Von G. Reichhardt. — Einzug der vom Kriegsschauplatz in China zurückkehrenden Mannschaften unserer Marine in Berlin am 16. December 1900. (Mit zwei Abbildungen.) — Fanal. Von Fr. Th. Gruß. — Auf Weihnachtsurlaub. (Mit Abbildung.) — AuS dem Bergischen Lande. Von H. von Remagen. — Allerlei von der Seidenraupe. Von Jsolani: — Ein alter Jubelgreis. — Neujahr in China. — Vaterländische Gedenktage. — Neu« Bücher. — Splitter und Funken. — Räthsel. — Briefkasten.