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Uchmümrger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger. Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Sonntags eine Gratisbeilage „Der Erzähler". Preis vierteljährlich 1 Mk. 50 Pf. Alle »Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Bestellungen an. Jnsertionsgebühren pro kleingespaltene Zeile für Abonnenten 7 Pf., für Nicht abonnenten 10 Pf. Jnseraten-Annahme für die nächsterscheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. 72. Waldenburg, Mittwoch, den 11. December 1878. Zur Bequemlichkeit des Publikums habe» wir bis jetzt an folgenden Stellen Listen zur Ein zeichnung von Abonnements auslegen lassen: a) in Altstadt Waldenburg bei Herrn Kaufmann Max Liebezeit, „ Restaurateur Friedemann, „ Althanns; b) in Callenberg bei Herrn Restaurateur Fritzsche, „ „ - Böhme, „ „ Harnsch; e) in Oberwiera bei Herrn Restaurateur Martin, Heitzsch. Weitere Auslegestellen werden noch errichtet. Expedition des Schönb'^ger Tageblattes. Politische KuMan. * Waldenburg, 10. december 1878. Aus landwirthschaftlich« z Kreisen hat die „Volkszeitung" eine Zus cift erhalten, welche sich gegen Getreidezölle.au. p,richt. Um zu entscheiden, sagt das Blatt, ob , deutschen Landwirthschaft denn wirklich durch Hn ange strebten Schutzzoll aufgeholfen werd» muß der Einfluß der Preise der landwirthsch s'ichen Pro ducts auf die Arbeitspreise, dann So. Einfluß dieser Preise auf die Entwickelung unserer In dustrie, und müssen endlich die Wechselbeziehun- -»»n zwischen Industrie und Landwirthschaft fest gestellt werden. Zu den Worten „angestrebter Schutzzoll" be merkt die „Deutsche Landes-Ztg.", das Organ der Wirthschaftsreformer, welches zugleich die Interessen der landwirthschaftlichen Kreise ver tritt, „daß es sich gar nicht für lins um einen Schutzzoll bandelt, wir wollen vielmehr Steuer ausgleichzölle. Es ist eine Forderung der aller einfachsten Art, daß das Ausland, welches unse ren Markt haben will, dieselben Steuern zahlt, die die inländische Production zu tragen hat. Steuerausgleichzölle wahren den inländischen Producenten dasselbe Recht, welches den auslän dischen zu Theil wird. Daß der Arbeitslohn durch die Höhe der Lebensmittelpreise bestimmt wird, ist eine Be hauptung, die durch die Thatsache entkräftet wird, daß allein die Nachfrage nach Arbeitskräften die Löhne dedingen, hohe Löhne aber eine gesteigerte Nachfrage nach Lebensmitteln und damit eine Erhöhung der Lebensmittelpreise Hervorrufen, welche Thatsache erklärt, daß die Lebensmittel preise in industriellen Gegenden höher als in nichlindustriellen Gegenden sind. Die Wechselbeziehungen zwischen Industrie und Landwirthschaft, bemerkt die „Landesztg." weiter, beruhen ans etwas ganz Anderem, als in Arbeits lohn und Lebensmittelpreisen. Hohe Preise der landwirthschaftlichen Products machen den Land mann consumtionsfähig. Hat die Industrie Con- sumenten im eigenen Lande, so gedeiht sie besser, als wenn sie alle ihre Products exportiren muß, sie erhält bessere Preise, indem sie Fracht, Spe ien u. s. m. erspart, kann also auch gute Löhne geben. Steigen die Löhne, so hat das nicht seinen Grund in der Steigerung der Lebens- mittelpreise, sondern in der gesteigerten Nach frage nach Arbeitskräften. Die Industrie gewährt den Arbeitern nur dann höheren Lohn, wenn sie höhere Löhne zahlen kann, ohne Rücksicht auf die Lebensmittelpreise, sie schraubt sie wieder herab, sobald Arbeitskräfte entbehrlich sind. Den Scha den dabei hat stets die Landwirthschaft, welcher die Arbeitskräfte entzogen wurden, die nicht mehr zurückkehren. Ebenso hat auch die Landwirth schaft daran ein Interesse, daß die Industrie consumtionsfähig sei, denn nur dann kann sie ihre Products im eigenen Lande preiswürdig verwerthen. Sind Arbeitslöhne niedrig und das Brod billig, so hungert der Arbeiter trotz der billigen Kornpreise. Uebrigens bestätigt die „Volkszeitung" selbst im weiteren Verlaufe ihres Artikels, was sie vor her durch ihre Behauptung bezüglich der Bestim mung der Arbeitslöhne bestritt, indem sie sagt: „Mit der Entwickelung der Industrie stieg der Arbeitspreis, damit sofort die Nachfrage nach landwirthschaftlichen Produkten, welche dann die Preissteigerung dieser Produkte nothwendig zur Folge haben mußte. Wenn dieses schon bei den Kornfrüchten der Fall war, trat es namentlich bei Fleisch und Molkerei-Producten ein, Artikel, welche der Arbeiter, seines geringen Verdienstes wegen, bisher wenig oder gar nicht consumirt halte. Den Landwirthen mag das durch die Industrie herbeigeführte Steigen der Arbeitslöhne unangenehm sein, unzweifelhaft ist es indeh, daß durch die hohen Löhne erst die große Masse des Volkes in die Lage kam, landwirthschaftliche Pro ducts in großem Maße zu consnmiren, daß die gesteigerten Arbeitspreise die Verhältnisse der Landwirthschaft außerordentlich gehoben haben." Die „Volksztg." sagt also, daß die Löhne durch Entwickelung der Industrie steigen; da hohe Löhne die Lebensmittelpreise steigern und den Landwirth damit consumtionsfähiger machen, wird damit auch auf die Entwickelung der Industrie günstig eingewirkt. Die Steigerung der Consumtionsfähigkeit des Landwirths und die sich daraus folgernde Rück wirkung auf die industrielle Entwickelung geschieht in gleicher Weise durch Einführung der geforder ten Steuerausgleichzölle und darum wird ein solcher Zoll für beide Theile nur von Nutzen sein. Der Handelsminister Maybach hat in der Budgetcommission des preußischen Abgeordneten hauses die Erklärung abgegeben: Dem Reiche sei durch Preußen die Offerte eines Uebergangs der Staatsbahnen auf das Reich gemacht worden. Darauf sei bis jetzt keine Antwort er folgt. Das Reichseisenbahngesetz sei ausgearbeitet, welches die Aufsicht der Einzelstaaten über das Eisenbahnwesen dem Reich überträgt. Auch über dieses vorliegende Gesetz seien positive Aeußerungen noch nicht erfolgt. Die Commission nahm eine Resolution an, welche dahin geht, daß der Ueber- gang der Aufsicht über das Eisenbahnwesen an das Reich baldigst herbeizuführen sei. Im preußischen Abgeordnetenhause ist am 9. d. durch eine Anfrage des Abg. Virchow die Verhängung des kleinen Belagerungszu standes in Berlin zur Sprache gekommen. Minister Graf Eulenburg erklärt darüber: Vor aussetzung bei Anwendung des Paragraphen 28 des Socialistengesetzes brauche keine unmittelbare Gefahr zu sein. Voraussetzung bei Anwendung des Paragraphen wären auch andere Gefahren, welche für Berlin existirten. Eine Gefahr sei zunächst das allgemeine Vorhandensein einer über aus großen Zahl von Anhängern der Social demokratie und die Gegenwart zahlreicher Agita toren. Bereits nach den Attentaten habe man an ähnliche Maßnahmen gedacht; man wollte indeß zunächst die Wirkung des Socialistengesetzes abwarten. Leider habe sich die Hoffnung der friedlichen Unterwerfung der Socialdemokratie unter das Gesetz nicht bestätigt. Es traten vielmehr Anzeichen hervor, welche die Organisation einer geheimen Propaganda erkennen ließen. Die Re gierung hatte außer dieser allgemeinen Veran lassung zu ihrem Vorgehen noch die besondere, das Leben aller europäischen Fürsten erscheine bedroht, man hätte das in Berlin, Madrid, Nea pel erlebt. Hinzugekommen sei noch, daß man in Berlin ausländische Nihilisten angetroffen habe, welche mit den hiesigen Socialisten in Verbin dring standen, deswegen mußte die.Regierung die Schule des Verbrechens schließen und die Lehr meister derselben beseitigen. Die Regierung be dauert mit dem Landtag und dem Lande, zu Maßnahmen gezwungen zu sein, aber sie hatte die Pflicht, weiteren Gefahren vorzubeugen, vor allem das theure Leben zu sichern, welches seit Kurzem dieser Stadt wieder anvertraut ist. Die Regierung konnte diese Verantwortung nicht von sich weisen, ebensowenig wie das preußische Volk und die Einwohnerschaft Berlins, welche soeben ihrer Liebe für den Kaiser so glänzenden und würdigen Ausdruck gegeben haben. In der Sitzung des Westfälischen Städte tages am 7. d. gelangte ein Antrag des Refe renten, Bürgermeister Lindemann aus Dortmund, zur Annahme, welcher dahin lautet: Der Städte tag erklärt es für die Aufgabe des Bürgerlhums speciell der Vertreter und Beamten der Gemein den, die Arbeiter heranzuziehen zu gemeinsamer Arbeit, insbesondere behufs Förderung aller auf die Hebung der sittlichen und materiellen Lage der Arbeiter gerichteten Bestrebungen und zu ge meinsamer Geselligkeit, damit alle rohen und un sittlichen Vergnügungen beseitigt und der vater ländische Sinn gepflegt werde. Die Großherzogin von Hessen-Darmstadt ist ernstlich an der Diphteritis erkrankt. Die Krankheit ist mit heftigem Fieber aufgetreten, das bisher in gleicher Höhe forldauert. Aus Braunschweig schreibt man: Der 5. December, der Tag des Kaisereinzuges in Berlin, ist für unsere Commune in politischer Hinsicht von großer Bedeutung gewesen. Bei den gestern stattgehabten Stadtverordnetenwahlen der dritten Wählerklasse sind die bisherigen Stadtverordneten Bracke und Steinau, ersterer der Hauptsührer der Socialdemokraten und Reichstags-Abgeordneter für Glauchau, letzterer sein Gesinnungsgenosse, wenn auch nur Demokrat, nicht wieder gewählt und gehört dem Stadtverordneten-Collegium nun mehr nur noch ein Socialdemokrat an. Damit sind zum ersten Male bei uns die praktischen Folgen des Ausnahmegesetzes hervorgetreten, denn wenngleich mancher Anhänger der focialdemokra- tischen Bestrebungen schon nach den abscheulichen Attentaten seiner Partei den Rücken gewandt hat, so dürfen wir uns doch nicht verhehlen, daß das Resultat (auch die übrigen socialdemokratischen Kandidaten haben es nur zu einer schwachen Minorität bringen können) nurdurchUnterdrückung der bisher in unserer Stadt in höchster Blüthe gestandenen öffentlichen Agitation möglich gewe sen ist. In Frankreich wird jetzt mit einer ausgiebi gen Ausbildung der Volksschule wirklich Ernst gemacht. Und was gleichfalls von Belang für die Zukunft ist: Diese Reformen fallen in eine Periode des Abscheues und Widerwillens gegen