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McnIiiiM MM. Erscheint wöchentlich drei Mal: Dinstags, Donnerstags und Sonnabends. Preis incl. der Sonntagsbeilage „Der Erzähler" vierteljährlich 1 Mark, durch die Post bezogen i Mark 25 Pf. — Einzelne Nummern 8 Pf. — Jnsertionsgebühren pro kleingespaltene Zeile für Abonnenten 7 Pf., für Nichtabonnenten 10 Pf., im Nedactionstheil 20 Pf. Bei mehrmaliger Insertion entsprechender Rabatt. — Jnseraten- Annahme bis Abends 5 Uhr des vorhergehenden Tages. — Geeignete Beiträge sind stets willkommen. 53. Donnerstag, 31. October 1878. Bekanntmachung. Die den 1. November d. I. fällige Einkommensteuer ist bis zum 12. desselben Monats anher zu bezahlen. Stadtsteucr-Einnahme Waldenburg, am 29. October 1878. Bekanntmachung. Diejenigen, welche von der ihnen nach ß 8 ul. 6 des für hiesige Stadt bestehenden Anlage-Regulativs eingeräumten Selbstabschätzung zur Gemeiudeaulagen-Einschätzuug für das Jahr 187S Ge brauch zu machen gedenken, werden hiermit aufgefordert, ihre diesfallsigen Erklärungen bis zum 11. November dieses Jahres bei Verlust des Rechtes der Selbstabschätzung in der Rathsexpedition abzugeben. Waldenburg, den 23. October 1878. Der Stadtrat h. Cunrady. Politische RMschan. * Waldenburg, 30. October 1878. Daß die Lösung der orientalischen Frage durch den Berliner Vertrag herbeigeführt worden sei, wird von Niemandem geglaubt, denn so lange die türkische Herrschaft in Europa bestehen bleibt, wird sie den Anlaß zu Conflicten geben. Die Erhaltung der türkischen Herrschaft in Europa war aber lediglich dem englischen drohenden Auf treten Rußland gegenüber zu danken, welches seine Handelsinteressen sowie seinen asiatischen Besitzstand bei einer größeren Ausdehnung des russischen Reiches nach Süden zu gefährdet sah. Durch seine drohende Haltung hat es England dahin gebracht, daß Rußland vorläufig viele seiner Ansprüche fallen lassen mußte und daß das Be stehenbleiben der türkischen Herrschaft in Europa durch den Berliner Vertrag sanctionirt wurde. Es ist nur zu natürlich, daß Rußland darüber erbittert wurde und auf Mittel und Wege sann, diesem englischen Einflüsse entgegen zu wirken. Zunächst mußten die englischen Truppenansamm lungen am Mittelmeere beseitigt werden; das ist auch Rußland glücklich gelungen, indem es Eng land glauben machte, es ziehe die russischen Truppen zurück und beginne abzurüsten; sodann mußte die Wiederanhäufung englischer Machtmittel verhindert werden, was Rußland ebenfalls wieder dadurch zu Wege brachte, daß es den englisch-af ghanischen Conflict anzettelte; damit ist England in Asien gebunden. Ferner war ein Grund erforderlich, die russi schen Truppen, die nach den Bestimmungen des Berliner Vertrages zurückgezogen werden mußten, in der Türkei stehen zu lassen, und so wurde in Ruinelien und Macedonien so lange gewühlt, bis ein neuerlicher Aufstand ausgebrochen ist. In folge dessen wurden die auf scheinbarem Rückzüge befindlichen Truppen wieder vorwärts geschoben und heute haben sie nicht gar so weit mehr nach der türkischen Hauptstadt. Die Türkei befindet sich nun in derselben Lage wie vor Beginn des Krieges, nur daß heute alle ihre Kräfte erschöpft sind, und daß der Aufstand weiter im Innern wüthet, daß ihr der Feind mit ten im Herzen sitzt, und daß der einzige Freund, der aus eigennützigem Interesse für sie cintreten würde, in Asien engagirt ist. Zum Ueberflusse hat die Türkei selbst noch alle Sympathien, die ihr jedoch auch nicht viel genützt hätten, seit der Ermordung Mehemed Ali's verloren. Zwar soll jetzt Constantinopel in aller Eile be- stsiigt werden, aber wird das den Gang des Schicksals der Türkei aufhalten können? Die Chancen stehen so außerordentlich günstig für Rußland, daß wir einen abermaligen Krieg zwi schen Rußland und Türkei für leicht möglich hal ten, wobei wir nur wünschten, daß das türkische Regiment endgiltig in Europa beseitigt würde. ! So wenig die Türken zur Hebung der Cultur > beigetragen haben, so viel ist sie durch dieselben gehindert worden, und wenn auch vom russischen Regiment in dieser Beziehung nicht viel zu hoffen ist, obwohl die russische Negierung in letzter Zeit sehr viel zur Hebung der heimischen Industrie gethan hat, so kann die gegenwärtige starke gei stige Gährnng in Rußland doch bald zu einer Klärung und diese zu besseren Zuständen führen. Und dann, wenn der orientalische Zankapfel be seitigt und Vertrauen in die Sicherheit der Zu stände zurückgekehrt sein wird, wird auch wieder mehr Unternehmungsgeist sich entwickeln und da durch ein besserer Gang des Geschäfts im All gemeinen eintreten. Der deutsche Kaiser hat sich alle Empfangs feierlichkeiten in Berlin verbeten. Von der Er bauung eines Triumphbogens wird daher auch abgesehen werden. Die Beschwerde-Instanz des Bundesrathes wird bald Arbeit bekommen. Berliner Rechts anwälte haben bereits den Auftrag, Beschwerde gegen das Verbot verschiedener Schriften anzu bringen. Es ist schon früher auf die bemerkenswerthe Thalsache hingewiesen worden, daß der Procent satz, in welchem die Juden von unseren höheren Lehranstalten Gebrauch machen, ein im Vergleich zu der christlichen Frequenz stark zunehmender ist, und daß derselbe bereits um ein Vielfaches den Procentsatz übertrifft, welcher nach Maßgabe der Bevölkerungsziffern auf die jüdische Frequenz ent fallen müßte. Während in Preußen auf je etwa 73 Staatsbewohner 1 Jude kommt, gab es in den Gymnasien bereits über halb so viel Juden , als Katholiken und in den Vorschulen sogar fast ! schon doppelt so viel Juden als Katholiken, ob- l gleich von dec gesammten Bevölkerung des Staates die Katholiken 33,5 pCt. und die Juden nur 1,3 pCt. bilden. Der in Braunschweig erscheinende socialde mokratische „Volksfreund" ist am 28. d. M. Abends polizeilich mit Beschlag belegt und das fernere Er scheinen desselben verboten worden. Derselbe ent hielt einen Protest des socialdemokratischen Reichs tags-Abgeordneten Bracke gegen das Verbot der beiden Braunschweiger Vereine, der Metallarbeiter- Gewerksgenoffenschaft und des demokratischen Wahlvereins. Der Wiener „Montagsrevue" zufolge wird dem österreichischen Abgeordnetenhause demnächst der Gesetzentwurf über die Einverleibung von Spizza in Dalmatien zugehen, welcher als Bei lage den Berliner Vertrag enthält. Der letztere Umstand wird Andrassy die Möglichkeit geben, sich über seine Orientpolitik auszusprechen. Das italienische Parlamentsmitglied Ming- hetti hielt vor seinen Wählern in Legnano eine Rede, in welcher er auch die orientalische Frage berührte und hierbei hervorhob, das historische Gesetz dränge die Türkei nach Asien, die italie nischen Traditionen verwiesen Oesterreich nach dem Orient. Italien habe zwar im Orient keine directen Interessen, müsse aber seinen Einfluß wahren. Die italienischen Bevollmächtigten auf dem Berliner Congresse hätte» unmöglich Besseres leisten können. Man müsse einem befreundeten Nachbarstaate gegenüber Klugheit und loyale Mäßigung bekunden. Die Wünsche nach einer Grenzberichtigung seien legitim, aber nur be sonnenen Völkern böten sich opportune Gelegen heiten. Die Verlobung der dänischen Prinzessin Thyra mit dem Herzog von Cumberland ist jetzt Thatsache. Die Beziehung zu dem Sohne des Königs Georg datirt schon seit längerer Zeit her, da der Prinz vor ein paar Jahren sich am däni schen Hofe aufhielt. Das Attentat auf den spanischen König scheint ebenfalls der socialistischen Bewegung seinen Ursprung zu danken, und zwar scheint in Spanien die Socialdemokratie noch weit leidenschaftlicher aufzutreten; wenigstens heißt es in einem Briefe eines Spaniers an einen Pariser Gesinnungsge nossen, welcher Brief sich im staatsanwaltlichen Requisitorium in der Angelegenheit des Pariser Arbeitercongresses befindet, folgendermaßen: „Ich bedauere lebhaft, daß wir uns auf dem socialisti schen Congreß in Paris nicht vertreten lassen können, denn wir sind mit dem Werke der Re volution sehr beschäftigt. Sie können uns hin sichtlich der concreten Punkte des allgemeinen Princips des collectivistischen förderativen Socia- lismus vertreten. Wir sind vor allem revolutio näre ausübende Socialisten; in wirthschaftlicher Beziehung Collectivisten; in der Politik: die Com mune als Regierungsform und die Föderation mittels der Solidarität." Der spanische König hat übrigens aus allen Theilen seines Landes Zeichen der Treue und Anhänglichkeit erhalten. Ueber bedeutende militärische Vorkehrun gen in Rußland meldet ein Specialcorrespon- dent der „N. Fr. Pr." Danach sollen zur Ver stärkung derOccupationsarmee gegen 60,000 Mann nach der Türkei befördert werden. Noch größeres Aufsehen macht die Bewegung in Bessarabien, wo in aller Sülle vier Divisionen Infanterie, 8 Regimenter Cavallerie, 12 Feld-, 4 Gebirgs- battericn und ein beträchtlicher Park von Bela gerungsgeschützen concentrirt werden. Ueber die Bestimmung dieser Truppen ist man noch im Dunkel, und trägt dies um so mehr zur Beun ruhigung bei, als man in militärischen Kreisen positiv versichert, daß aus Livadia Befehle an General Nikitin ergangen feien, zu jeder Stunde marschbereit zu sein. Der Ernst der Lage ist auch daran kenntlich, daß die Rückbeförderung der türkischen Gefangenen in ihre Heimat, die in Se- bastopol ausgeliefert wurden, plötzlich sistirt wor den ist. Aus alle dem läßt sich jedenfalls schließen, daß bedeutungsvolle Ereignisse in nächster Zeit bevorstehen.