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Eine Coalition mit dem Centrum bei der Wahl des Bureaus einzugehen, wird von deutschconserva- tiver Seite entschieden abgelehnt, und zwar mit dem Bemerken, es habe sich seit dem Schluffe der letzten Session in der Haltung der Centrums- fraction gar nichts geändert, so daß von der bis herigen Praxis, das Bureau nur aus Mitgliedern „reichstreuer" Parteien zu ernennen, nicht abge wichen werden könne. Charakteristisch sind Aeuße- rungen von Mitgliedern aus der deutschconser- vativen Partei, wonach ja das Centrum, „wenn es durchaus einen Sitz im Präsidium erhalten wolle, sich mit seinen Alliirten der letzten Neichs- tagswahlen, den Socialdemokraten, verbinden könnte," es dürfte ein solcher Ausspruch vielleicht nicht ohne Bedeutung für die Haltung der Deutschconservaliven zum Centrum überhaupt sein. Es steht nun fest, daß die maßgebenden Fraktionen, die Nationalliberalen, die Deutsch- conservativen und die deutsche Reichspartei, das Centrum von der Vertretung im Bureau auszu schließen willens ist. Sonach wird das Centrum in allen drei Wahlgängen seine eigenen Candi daten aufstellen. Die Deutschconservativen sollen sich mit der deutschen Reichspartei dahin ver ständigt haben, Forckenbeck als Präsidenten, einen Deutschconservativen als ersten und ein Mitglied der deutschen Reichspartei als zweiten Vicepräsi denten zu wählen. Bei Fürst Bismarck in Gestein hat kürzlich der Führer der ungarischen Conservativen, Baron Seniiyey, einen Besuch abgestattet, welchen man in Wiener eingeweihten Kreisen als bedeutsam für den Fall ansieht, daß Sennyey österreichischer Minister des Aeußern werden sollte. Es handelt sich darum, klar zu stellen, daß mit Sennyeh ein ebenso intimes Zusammengehen, wie mit Andrassy möglich sei. Bismarck soll aus der Unterredung eine volle Beruhigung über das zukünftige Verhältniß zwischen Deutschland und Oesterreich geschöpft habe». Das Deficit im preußischen Staatshaus halts-Etat, das sich auf 20 bis 25 Millionen Mark belaufen sollte, wird jetzt auf nur 15 bis 16 Millionen angegeben. Das Deficit soll nicht »eueren Datums sein, vielmehr hätten eingehende Prüfungen ergeben, daß dasselbe schon seit ge raumer Zeit, ohne entdeckt zu werden, das Bud get beeinflußt. ^Großes Aufsehen machen einige Enthüllun gen der socialistischen „Berliner Freien Presse," welche diese als Antwort auf die jüngsten Bemerkungen der „Prov.-Corr." über die staatsfeindlichen Bestrebungen der Social demokratie veröffentlicht. Die „Fr. Pr." bemerkt ausdrücklich, daß ihre Angaben, es handelt sich um ein Zwiegespräch, Wort für Wort der Wahr heit entsprechen und daß die Verhandlungen zwischen einem Socialdemokraten und dem Ge heimsekretär Z. stattgefunden haben. Das Zwie gespräch laute': Socialdemokrat: „Sie müssen wollen, wenn Sie mit sich im Klaren sind, und die von mir entwickelten Grundzüge als richtig anerkannt haben." — Regie rungsunterhändler: „Aber den Fürsten werde ich kaum zu bestimmen vermögen, mit Allem Hergebrachten zu brechen, um neue Reformen zu bewilligen." — Socialdemokrat: „Versuchen Sie es, als ehrlicher Politiker und als Anhänger und Diener des monarchi schen Prinzips, denn nur durch Einführung gründlicher socialer Reformen vermag sich die Monarchie in der Zu kunft zu befestigen. Das Volkskönigthum " Regierungsunterhändler: „ kommt hier nicht in Betracht, so wenig wie die Monarchie überhaupt. Halten Sie sich versichert, daß ich bei Realisirung meiner Pläne mich nie durch Rücksichten auf die Monarchie habe beschränken lassen. Die von Ihnen angeregten socialen Reformen werden durchgeführt werden, mit oder ohne Monarchie, das ist meine Ueberzeugung, und ich werde gern dazu meine Hand bieten, nur halte ich die Zeit nicht für passend, jetzt von Regierungswegen damit zu beginnen. Die äußere Lage, Sie sagen ja selbst, daß der Krieg unvermeidlich, erfordert die größte Behutsam keit bei der Behandlung wirthschaftlicher Fragen." Bis jetzt hat die Negierungspresse sich über diese bestimmt auftretende Behauptung noch nicht geäußert. Doch könnte man das erwarten und darf man wohl darauf sehr gespannt sein. Die Führer der nationalliberalen Partei, die in Berlin schon sämmtlich eingetroffen sind, haben bereits eine Berathung abgehalten. Darüber war volle Uebereinstimmung, daß es unter den gegebene» Verhältnissen durchaus unmöglich ist, gegenüber der Socialistenvorlage sich auf den Standpunkt der absoluten Verneinung zu stellen. Freilich wird eine Fassung des Gesetzes, welche bei einer Mehrheit Beifall finden möchte, nur aus der Mitte derjenigen Partei hervorgehen könne», welche bisher mit mehr oder weniger Glück die Vermittlerrolle zwischen den Gegen sätzen nach rechts und links gespielt hat. Die Motive zum Socialistengesetz sind gestern, Sonntag, Morgen dem Reichstage in Abschrift zugegange»; dieselben werden in der Neichstagsdruckerei gedruckt und Montag schon de» Reichstagsmitglieder» zugestellt werden. Obwohl der socialistische Arbeiter co ngreß polizeilich verboten war, ist offenbar doch der Versuch gemacht worden, denselben ab zuhalten. Es erhellt dies aus folgendem dem „W. T. B." zugegangenen Telegramm ans Paris: Bei der am Donnerstag stattgehabten Eröffnung des socialistischen Arbeitercongresses wurden mehrere Verhaftungen vorgenommen. Die Delegirten protestirten hiergegen und erklärten, daß sie eine Civilklage anstrengen würden. Aus Thüringen vom 3 Sept, schreibt man der Voks-Ztg.: „Das Reuß ä. L. bei der Ab stimmung über das Socialistengesetz sich derselben enthielt, ist bemerkenswerth. Zugleich dürfte die Stimmenthaltung allerdings nur eine Conseguenz der Haltung sein, die Reuß ä L. dem Jesuiten gesetze gegenüber beobachtet hat. Es hat be kanntlich auch nicht für das Jefuitengesetz, sondern sogar gegen dasselbe gestimmt. Trotz der wenig liberalen Anschauungen, die man bei der Regierung von Neuß ä. L. immer vorausgesetzt, scheint dieselbe aber doch Gegnerin von Ausnahmegesetzen zu sein. Bemerkenswerth ist aber die Abstimmung auch deshalb, weil Neuß ä. L. einer von den deutschen Kleinstaaten ist, in welchem die Social- tzemokratie so stark war, es bis zum Siege ihres Candidaten bei der .Reichstagswahl von 1877 gebracht zu haben. Es war der Abg. Bloß aus Hamburg, der 1877 in Reuß ä. L. gewählt wurde." Vom Occupationsschauplatze. Aus Mostar meldet der „Pester Lloyd": „Alle überwiegend christlichen Bezirke der Herzegowina sind bereits besetzt und der Frieden hergestellt. Stolaz ergab sich vollständig, es zahlt 50,000 Gulden Contri- bution und 50,000 Gulden in Lebensmitteln." Eine Nachricht von schauerlicher Beredtsamkeit kommt aus Konstantinopel. Sie lautet: Ein Telegramm aus Aakowa (Albanien) meldet, daß Mehemed Ali, nachdem es ihm gelungen war, einer Bande von albanesischen Aufständischen, die ihn bei Dakowo umzingeln wollte, zu entgehen, nach Hangar geflohen war; hier wurde derselbe von den Insurgenten umringt und mit 20 Personen aus seinem Gefolge erschla gen. Der türkischen Botschaft in Berlin geht über diesen Vorfall folgendes Telegramm zu: „Der Minister des Auswärtigen an den türkischen Geschäftsträger in Berlin. Pera, 7. September Abends 8 Uhr 15 Min. Sie wissen, daß Me hemed Ali Pascha den Auftrag erhalten hatte, sich in jene Gebiete zu begeben, welche mit Ser bien und Montenegro verbunden werden sollen, und zwar zu dem Zwecke, die Geister zu beruhi gen und die Bevölkerung der Städte auf einen Wechsel vorzubereiten, welcher sie mit Elementen vereinigen sollte, die ihnen sowohl an Abstam mung, als an Religion fremd sind. Wir er halten soeben vom Orte selbst, wo Mehemed Ali Pascha seiner Mission oblag, folgende höchst schmerzliche Nachricht: Die Einwohner von Pa- kowa und Ipek rotteten sich zusammen und stürm ten den Konak, wo Mehemed Ali mit seinem Stabe Wohnung genommen hatte, so daß sich ein blutiger Streit zwischen der Leibwache des Generals und den Aufständischen entspann. Nach dem diese einen Theil des Konaks in Brand ge steckt hatten, gelang es Mehemed Ali, sich in ein befestigtes Blockhaus zu flüchten. Auch hierher von den Aufständischen verfolgt, welche mit Ge walt in das Versteck eindrangen, wurden der Muschir (Marschall) und einige Offiziere seiner Begleitung erschlagen." Batum ist geräumt! Am 6. September Vormittags 11 Uhr zogen die russischen Truppen in Batum ein, sodann wurde in Batumport die russische Flagge anfgehißt und die Verwaltung von den russischen Behörden übernommen. Die türkischen Civilbehörden hatten sich vor dem russi schen Einzuge entfernt. Unter dem Titel „Die Ermordung Mesen zews" wird jetzt in Petersburg und in den Pro vinzen im Geheimen eine Broschüre verbreitet, in welcher die „revolutionären Sozialisten" die Gründe darlegen, die sie zu diesem politischen Mord veranlaßten. Hauptsächlich sei dies die Rache gewesen für den unlängst in Odessa Hin gerichteten politschen Verbrecher Rowalski. Bemer kenswerth ist diejenige Stelle in der Broschüre, in welcher der Regierung folgende Drohung zugerufen wird: „Weh Euch, Negierungsmänner, wenn Ihr den jetzt eingeschlagenen Weg der Tyrannei auch fernerhin befolgen werdet. Wisset, daß ihr uns damit keine Angst einjagen, sondern uns auch zu ferneren schonungslosen Thaten veran lassen werdet- Wisset, daß uns noch viel schreck lichere Mittel zu Gebote stehen, als diejenigen, die schon erprobt sind; von denen wir aber bis jetzt keinen Gebrauch machen wollten, weil sie gar zu grausamer Natur sind. Hütet Euch also, uns zum Aeußersten zu zwingen, denn Ihr wisset, wir erfüllen stets unsere Drohungen!"