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Abonnementspreis pro Vierteljahr 1 Mark frei in's Haus, durch die Post bezogen 1 Mark 25 Pf. Bei Abholung aus der Expedition 90 Pf. pränumerando. Inserate werden pro Spalt zeile mit 7 Pf. für Abonnenten, mit l O Pf. für Nichtabonnenten berechnet. Bei mehrmaliger Be stellung Rabatt bis zu 33'/» Procent. Ergebenst Exp d. „Waldenburger Anzeiger." Umschwung der öffentlichen Meinung. Als sich nach dem Jahre 1866 ein Theil der Fortschrittspartei, das naturgemäße Ergebniß der Confliktszeit, von dieser zu einer besonderen „Nationalliberalen" Partei abzweigte, so geschah dies infolge der großartigen Waffenerfolge des preußischen Heeres und der eminenten politischen Erfolge eines Staatsmannes, dessen Politik man bis dahin auf's äußerste bekämpft hatte. Es wurden Männer in das damalige Zollpaclament und später in den deutschen Reichstag geschickt, welche in Uebereinstimmung mit den deutschen Million. Unpolitische Plauder-Ecke. Wer kennt nicht die schönen Stunden im männlichen Leben, die allabendlich am gewohn ten Biertische unter alten Bekannten bei harm loser Unterhaltung, bei schlechten Witzen, aber auch zuweilen bei hitzigem Wortgefecht, nament lich wenn die Sitzung etwas lang ausgedehnt wird und die Gemüther in gereizte Stimmung gerochen, dahinfließen. Wer sie kennt, „ihre Kraft und Eigenschaft," der kann sich nimmer von ihnen trennen; der ist auch ein milder Rich ter über- die Sünden Dessen, so gegen die Ge- ote seiner „Alten" verstößt. Ja, die Frauen, me sich sonst um Alles kümmern, denen nicht der leiseste Hemdenknopf entgeht, wenn er irgendwo fehlt, die mit scharfem Adlerauge sofort den Kra gen entdecken, der nicht von heute und gestern ist, die es einander sofort erzählen müssen, wenn der Frau Registrator» ihr Lenchen ein neues Kleid bekommen hat, und die sich darum streiten, wie viel Kilometer das Gretchentäschchen herabhängen muß, sie fragen das ganze Jahr nicht darnach, welche Annehmlichkeiten ein solches Stündchen bietet, was denn den Mann veranlaßt, oft bis zu Mitternacht — 's ist eine wahre Schande — in der Kneipe zu sitzen und zu trinken. Wenn sie sich nur einmal darum kümmern wollten, sie würden dann nicht chiehr ihr liebes Männchen mit einer Fluth von Gardinenpredigten empfan- Sonnabend, 6. Znli Regierungen die Schaffung von Gesetzen auf breitester freiheitlicher Grundlage auf ihre Fahne geschrieben hatten. Der deutsche Staatsbürger sollte in seinem Thun und Handeln sich vollkom men und ungehindert frei bewegen dürfen, es wurde in dieser Beziehung die Gewerbefreiheit, die Freizügigkeit rc. geschaffen, es wurde der Handel mit dem Auslande möglichst frei gegeben, und im Uebrigen dem Grundsätze gehuldigt, Alles gehen zu lassen wie es geht. Das waren und sind noch die Prinzipien der nationalliberalen Partei. In den ersten Jahren ging es damit vortrefflich und diese national liberalen Prinzipien hatten in der großen Majo rität des deutschen Volkes ihre treuesten Anhän ger. Mit der Zeit jedoch stellten sich auf man chen Gebieten unseres wirthschaftlichen und gewerblichen Lebens Uebelstände ein, deren Ursachen man unzweifelhaft in gewissen Män geln der allzu freiheitlichen Gesetzgebung er kannte. Langsam und zuerst nur in conser- vativen Kreisen, jetzt aber bereits in einem großen Theile des liberal gesinnten Volkes hat sich die Erkenntniß Bahn gebrochen, daß es so nicht wei ter gehen könne, daß wir auf diesem Wege unse rem gewerblichen und industriellen Ruine ent gegengehen. Hierzu kamen dann noch die schreckenerregen- den Auswüchse der Sozialdemokratie, deren Trei ben man bislang ruhig zugesehen hatte, war man ja doch der Meinung, daß ihre unausführ baren Irrlehren von dem gesunden Sinne des großen Theiles unserer Arbeiter mit der Zeit als solche erkannt würden und daß diese ganze Be wegung schließlich stillschweigend im Sande ver laufen werde. Die letzten Ereignisse aber lehr ten, daß diese für ziemlich bedeutungslos ange gen, wenn er später als gewöhnlich selig und und seelensvergnügt aus der Kneipe nach Hause kommt. Wie mancher Mann mag schon mit einem Schlage aus süßen Träumen in die öde Wirklichkeit zurückversetzt worden sein, wenn er in der gemächlichsten Stimmung von der Welt und heiter lächelnden Gesichts in die Nähe seiner besseren Ehehälfte geräth und mit Blitz und Don ner angefahren wird. Aber was ntttzt's. Mit philosophischer Ruhe und Ergebung läßt der ver stockte sündhafte böse Mann das Gewitter über sich ergehen und wandert des andern Tages, als wenn nichts vorgefallen wäre, in des altgewohn ten Löwenwirths Hinterstube. Auch der Calculator Schlibbe war dem un widerstehlichen Zauber des Stammtisches ver fallen und mit derselben Regelmäßigkeit, wie die Thnrmuhr 6 Uhr schlug, lenkte er seine Geh werkzeuge dem Rathskeller zu, wo ein alter Revier förster, ein Handschuhmacher von der andern Seite des Marktes, der vor drei Jahren sein fünfundzwanzigjähriges Stammgastjubiläum ge feiert hatte, der Cantor und ein erst im vergan genen Jahre in die Stadt gekommener Schnitt- waarenhändler täglich Abends zu treffen waren. Der Schnittwaarenhändler war ein „gereister" Mann und hatte davon einen etwas „losen Mund" bekommen; er liebte es, zu Allem seine „schnoddrigen" Redensarten zu machen. Auch heute war das der Fall. Der Calculator machte für sein Leben gern in Politik und so brachte er bald das Gespräch auf die Congreßverhandlun- 1878. sehens Bewegung gefährlich zu werden beginne und daß dagegen energische Mittel in Anwendung gebracht werden müßten. In diese Zeit des Umschwunges der öffentlichen Meinung ist nun die Auflösung des Reichstages und die Wahl zu einem neuen Reichstage gekom men. Die deutschen Regierungen, in dem Be wußtsein, nicht mehr mit der seitherigen Majo rität des Reichstages weiter arbeiten zu können, richteten im Namen des Kaisers einen Appell an die deutsche Nation, welche nun Antwort geben soll, ob auf dem bisherigen Wege weiter geschrit ten oder ein Weg zwar nicht der Rückkehr, aber doch der Reformen auf Grundlage des bisher Geschaffenen eingeschlagen werden soll. Dieser Appell, der erste hochbedeutsame Regierungsakt des deutschen Kronprinzen, erwartet als Antwort das letztere. Er erwartet, daß die Wahl solcher Männer in den Reichstag angestrebt werde, welche die Regierung in der Abwehr der sozial demokratischen Umtriebe, in der Hebung unserer wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände durch Correctur unserer Gewerbe-, Zoll-, Steuer-, Freizügigkeits-, Armen- und Strafgesetzgebung, sowie in beb Reform des Wahlgesetzes kräftig zu unterstützen bereit sind. Bereits haben eine Anzahl Mitglieder der nationalliberalen Partei, wie Gneist und Treitschke, sich einer Wandlung unterzogen und auf dem Boden einer neuen Parteibildung diese Bestre bungen als die ihrigen anerkannt, aus allen Theilen des Deutschen Reiches kommen Meldun gen von der Aufstellung von Candidaten, welche dieselben Ziele als ihr Programm angenommen haben und auch unser Reichstagscandidat, Herr Professor Or. Birnbaum in Leipzig, hat in der Darlegung seines Programmes dieselben gen und auf die Art und Weise, wie die Tür kei ein Stückchen um das andere kleiner ge macht wird. „Der Spaß hätte ja gleich ein Ende, wenn sie dem Hunde den Schwanz auf einmal abhacken wollten", wandte der Schnittwaarenhändler ein. „Die Herren Diplomaten wollen den Sultan vorerst noch eine Weile zappeln lassen. — Uebri- gens ist für uns in Deutschland jetzt die Reichs tagswahl die Hauptsache. Und da ist das Aller wichtigste, daß die socialdemokratischen Führer be schlossen haben, das deutsche Reich nicht mehr als existenzberechtigt anzuerkennen, die ganze dumme Reichstagswählerei sein zu lassen, Deutschland für eine socialdemokratische Republik zu erklären und die Wahl zu einem Präsidenten auszuschreiben, der wird nachher das übrige schon besorgen. Da für soll nun Bebel aufgestellt werden. Wer also den schleunigsten socialdemokratischen Staat haben will, der wähle Bebel. Ich wähle Bebel!" „Was, sind Sie socialdemokräterig geworden?" ruft der ruhige Cantor erschreckt. „Es ist wirk lich weit gekommen. Schon die Jungen in der Schule werden socialdemokratisch. Kommt heute ein kleiner Bursche aus einer andern Klasse zu mir in die Schule, ich weise ihn zurecht: Aber Kleiner, Du gehörst ja nicht in die Klasse. Ach was, meint er, die Klasserunterschiede müssen nu endlich mal aufhören. Ich habe ihm aber die Unterschiede klar gemacht." „Das ist ganz recht und so muß es der Staat auch machen," fügt der loyale Calculator hinzu