Volltext Seite (XML)
360 Tagesnachrichten. Großenhain, 3. Mai. Heute Morgen nach 5 Uhr wurde Dor dem Rechen der sogenannten Hintermühle ein männlicher Leich nam aus dem Wasser gezogen, in welchem alsbald ein hier wohn haft gewesener Fabrikarbeiter erkannt wurde. Derselbe hat frei willig den Tod im Wasser gesucht, wie aus einer vor seinem Weggange aus der Wohnung in der -vergangenen Nacht auf den Tisch mit Kreide gebrachten Notiz entnommen werden mußte. Der Betreffende, ein unbescholtener Mann in den 60er Jahren, sollte seines vorgerückten Alters und verminderter Arbeitsfähigkeit halber heute von der „Sächsischen Wollgarnfabrik" allhier aus der Arbeit, die er in dem genannten Etablissement eine lange Reihe von Jahren gefunden, entlassen werden. Dies und der Umstand, daß er kürzlich eine erwachsene Tochter durch den Tod verloren, und daß seine Frau krank darniederliegt, haben ihn zu dem verzweiflungsvollen Schritte der Selbstentleibung getrieben, weshalb auch die Polizeibehörde in milder Beurtheilung des Falles den Leichnam nicht an das Militärhospital zu Dresden abgeliefert hat, sondern dessen stille Beerdigung auf hiesigem Friedhöfe gestatten will. Sachsen. Aus Riva wird dem „Dr. I." unterm 30. April geschrieben: Nachdem es vom 19. bis 25. April fast ununter brochen geregnet hatte, herrscht hier seit dem 26. wieder das herrlichste Wetter. Ihre Majestäten der König und die Königin, Allerhöchstwelche Sich des besten Wohlbefindens erfreuen, be suchten am 26. das ungefähr 2^ Stunden von Riva entfernte, im Sarkathal gelegene Schloß Toblino; am 27. den Varonne- wasserfall; am 28. den Lago-di-Lopio und am 29. das Schloß der Gräfin Formenti, sowie das Val-di-Ledro. Ueberall wurden die hohen Herrschaften auf das Gastfreundlichste empfangen. Am 28. brachte man den Majestäten abermals eine Serenade auf dem See; für übermorgen ist eine größere Rundfahrt auf dem reizenden Gardasee mittelst Dampfschiff projectirt, wobei die Orte Limone, Salo, Garda, Malcesina rc. besucht werden sollen. — Nach der jetzt veröffentlichten Uebersicht der Betriebsergebnisse der sächsischen Staats- und in Staatsverwaltung befindlichen Privateisenbahnen haben die Staatseisenbahnen (118,1 Meilen) im Jahre 1871 eine Gesammteinnahme von 11,366,734 Thlr. geliefert (2,120,537 Thlr. mehr als 1870), von welcher Summe 3,444,536 Thlr. auf den Personenverkehr und 7,922,197 Thlr. auf den Güterverkehr entfallen. — Die Pleißengasse in Leipzig war am Montag Nachmittag der Schauplatz eines furchtbaren Excesses, wie er seit langer Zeit dort nicht vorgekommen ist und eine Menschenmenge zusammenführte, die nicht mehr nach Hun derten, sondern man möchte fast sagen nach Tausenden zu zählen war. Der Streit entstand zwischen angeheiterten Tischlergesellen und einem Bierfässer abladenden Bierknecht; einzelne einschrei tende Polizeibeamte sahen sich nicht nur bedroht, sondern auch thätlich angegriffen und gemißhandelt, so daß es wiederholter Verstärkung der Polizeimannschasten bedurfte, um dem kolossalen Skandal ein Ende zu machen und die Haupträdelsführer fest zunehmen. — Bei dem Gewitter am 29. April Abends wurde in Röttis bei Plauen eine 30jährige Frau, die mit den Ihrigen in der Wohnstube am Tische saß, plötzlich vom Blitz erschlagen. — In der Nacht zum 1. Mai hat sich auf der sächs.-böhm. Staatsbahn unweit des Dorfes Strehlen ein 20 bis 25 Jahre alter unbekannter Mann von dem Wiener Eilzuge überfahren lassen, wobei ihm von der Maschine der Kopf zermalmt worden ist. — Auf der Chemnitz-Riesaer Bahn wurde am 30. April Abends an der Station Bloßwitz ein Bahnwärterstellvertreter auf bisher unerklärte Weise von der Maschine erfaßt und mit ' fortgeschleift, so daß er beim Halten an der Station Seerhausen todt abgefallen ist. Eine große Strecke von Seerhausen auf wärts fand man Blutspuren. — In Leipzig ist am 1. Mai ein Reitknecht von einem Hengste, welchen er im Gehöfte umher führte, plötzlich mit den Zähnen gepackt, zu Boden geschleudert und derartig durch Bisse und Huftritte beschädigt, daß er unter den Hufen des wüthenden Thieres seinen Geist aufgab. — Bei Bautzen ist am 23. April Abends ein mit Pferd und Wagen von Görlitz gekommener Brodhändler von zwei dem Arbeiter stande angehörenden Unbekannten angefallen, gebunden und seiner Baarschaft von circa 24 Thlr. beraubt worden. Preußen. Die Ausgaben infolge des Krieges gegen Frank reich, soweit sie im Jahre 1871 zur definitiven Berechnung gelangt sind, vertheilen sich auf 195,124,199 Thlr. bei der Landarmee, 3,737,746 Thlr. bei der Marine, 1,273,558 Thlr. bei der Post- Verwaltung, 887,995 Thlr. bei der Telegraphen-Verwaltung, 895,224 Thlr. an Verwaltungen für Kriegsleistungen, 9,889,874 Thaler Verzinsung der Kriegsschuld des Norddeutschen Bundes, 556,682 Thlr. sonstige Ausgaben, theils für Rechnung des Nord deutschen Bundes, theils für Rechnung des Deutschen Reiches, 2,642,584 Thlr. zur Entschädigung der deutschen Nhederei, 12,083,472 Thlr. zum Ersatz von Kriegsschäden und Kriegsleistun gen, 4,000,000 Thlr. Dotationen; in Summa 231,091,334 Thlr. Diesen Ausgaben stehen Einnahmen gegenüber: 97,654,930 Thlr. aus den vom Norddeutschen Bunde contrahirten Kriegsanleihen, 112,813,775 Thlr. Antheil des Norddeutschen Bundes an den Einnahmen aus der Kriegführung, 307,247 Thlr. Zinserträge aus den Contributionsgeldern, 311,795 Thlr. Ueberschuß der Darlehns-Kassen, 106,612,108 Thlr. aus der Kriegsführung, (Kriegs-Entschädigung u. s. w.); Summa 319,367,275 Thlr. Die bisher gezahlten zwei Milliarden der französischen Kriegs- contribution sind zur Deckung derjenigen Kosten verwendet worden,, welche die Kriegsleistungen der verschiedenen Staaten erheischt haben. Diese Summe ist nicht nur ganz consumirt, sondern noch um 13 Millionen Thaler überschritten worden. Hiervon sind allerdings auch die Vorschüsse erstattet worden, welche aus dem preußischen Staatsschatz geleistet worden sind. Dagegen ist die 5procentige Bundesanleihe davon noch nicht getilgt worden. Von den noch von Frankreich zu zahlenden 3 Milliarden werden nun die Kosten bestritten werden, welche für gemeinsame Reichs zwecke ausgeworfen sind, und ein Restbetrag soll dann noch unter die Einzelstaaten vertheilt werden. Nach ungefährer Berechnung werden die Norddeutschen Staaten davon vier Millionen Thaler erhalten. — Der „D. R.-A." vom 30. April veröffentlicht die von Sr. Majestät dem Kaiser vollzogene Stiftungsurkunde für die Universität Straßburg, welche am Anfänge lautet: „Nachdem Elsaß und Lothringen mit dem deutschen Reiche wieder vereinigt sind, haben Wir auf den Antrag des deutschen Reichstags und unter Zustimmung des Bundesraths des deutschen Reichs be schlossen, daß die durch eine glänzende Vergangenheit ausgezeich nete hohe Schule zu Straßburg in ihrer früheren einheitlichen Gestaltung als Universität wieder ins Leben trete." Nach einem weiteren Gesetze ist zur Einrichtung und Unterhaltung der Uni versität zu Straßburg für das Jahr 1872 der Betrag von 200,000 Thlr. aus der Landeshauptkasse von Elsaß - Lothringen zu verwenden. Gleichzeitig theilt der „D. R.-A." das Ver- zeichniß der vom Kaiser „im Namen des deutschen Reichs" bei der Universität Straßburg ernannten Professoren mit. Die Eröffnungs feierlichkeit der Straßburger Universität hat am 1. Mai in glänzendster Weise und. unter zahlreichster Betheiligung statt gefunden. — Im Reichstage fand am 1. Mai eine vierstündige Debatte über gänzliche Aufhebung oder Ermäßigung der Salz steuer statt. Der Bundeörath hat sich entschieden gegen die Er mäßigung der Salzsteuer, aber ebenso entschieden für deren gänzlichen Wegfall erklärt, wenn in anderen Steuerobjecten Ersatz geboten werde. Schließlich ward bestimmt, daß der Antrag auf Ermäßigung der Salzsteuer bei Gelegenheit des Reichshaus halts in zweiter Lesung mitberathen werden soll. — Wie die vereinigten Zimmermeister Berlins am- 20. April, haben auch die zum Bunde gehörigen 115 Maurermeister am 29. sämmt- liche Gesellen entlassen, um einem beabsichtigten Strike zu be gegnen. Die Zahl der entlassenen Maurergesellen beträgt 2500. Die fremden Gesellen haben auf Geheiß des GesellencomiteS Berlin verlassen müssen. Im Ganzen werden die im Augen blicke brodlos gewordenen ansässigen Arbeiter einschließlich ihrer Familien auf 20,000 Köpfe geschätzt. Italien. Nach einer Meldung aus Neapel vom 1. Mar hat das Auswerfen von Asche und Schlackensteinen beim Vesuv nachgelassen und scheint dem Ende nahe zu sein. Die Dörfer San-Sebastiano und Massa - di - Somma sind fast gänzlich zerstört worden. Die Zahl der Opfer hatte man ursprünglich weit überschätzt; es sind höchstens 12 Todte und vielleicht noch einmal so viel Verletzte bei der Katastrophe zu beklagen.