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136 Raubmordanfall an einem Leinwandhändler verübt worden. Zu demselben hatte sich etwa 100 Schritt von der Stadt ein junger Mann gesellt, der ihn, nachdem sie eine kleine Strecke gegangen, plötzlich durch einen harten Schlag auf den Hinterkopf mittelst eines Instrumentes zu Boden schlug. Ein zweiter Schlag, den der Angesallene abzuwehren suchte, verwundete ihn an Stirn, Arm und Hand; trotz der harten Schläge und der starken Blutung konnte er glücklicherweise noch einen Hilferuf ausstoßen, worauf ein Mann, welcher Beiden etwa 30 Schritte vorher begegnet war, retour eilte und den Raubmörder zur Flucht veranlaßte. Die Wunden sollen, obgleich sie tief eingedrungen, doch nicht lebensgefährlich sein. Als Thäter ist noch am selben Abend der erst im vorigen Jahre aus der Militärstrafanstalt zu Dresden durch Königs Gnade entlassene Ersatzreservist Gutte aus Scheller- Hau ermittelt, verhaftet und ins Gerichtsamt Lauenstein abgeliefert worden. Preußen. Die Angabe, nach welcher unter den Bundes regierungen bereits über die Ausgabe gemeinsamen Reichspapier geldes unter Einziehung der jetzigen Kassenscheine der Einzelstaaten verhandelt werde, wird als unrichtig erklärt. Diese Angelegen heit, welche selbstverständlich mit der Einführung des neuen ' Münzgesetzes geregelt werden müsse, sei noch im weiten Felde. Auch das Münzgesetz sei kaum schon im Jahre 1873 zu er warten. Koburg-Gotha. Der Ausschuß des gemeinschaftlichen Landtages zur Vorprüfung der neuen, auf die Union zwischen Koburg und Gotha gerichteten Vorlagen wurde wieder vertagt, ohne daß ein ersprießliches Resultat für beide Länder erzielt worden. Bremen. Die Hafendeputation hat unterm 9. Februar Bericht erstattet über die Anlage eines dritten großen Hafen beckens in Bremerhaven, das nicht weniger als etwa dritthalb Millionen Thaler Courant kosten soll. Es wird auf dem Terrain errichtet werden, welches Bremen sich 1869 von Preußen zu dem Ende abtreten ließ, während es zu hannöverscher Zeit darauf niemals Aussicht gehabt hätte. Theils der zunehmende Schiffsverkehr im Allgemeinen, theils und namentlich auch der gerechtfertigte Wunsch, die Petroleumschiffe nicht allzu nahe bei den übrigen liegen zu sehen, nöthigen zu dieser beträchtlichen Ausgabe. Bayern. Se. Majestät der König hat durch Entschließung vom 13. Februar die neue Formation und Eintheilung der Armee genehmigt, welche mit derjenigen in der preußischen Armee und den andern deutschen Truppentheilen übereinstimmt, und als Einführungstermin derselben den 1. April l. I. bestimmt. Oesterreich. Am 13. Februar ist ein Mitglied des öster reichischen Kaiserhauses als Novize (unter dem Namen Schwester Maria) in das Wiener Ursulinerinnenkloster eingetreten: Maria Beatrix (geb. 1824), die Schwester des Herzogs von Modena, die Gemahlin des Jnfanten Johann, die Mutter der Jnfanten Karl und Alfons von Spanien. Alle Anstrengungen der gesummten Familie, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, sind vergeblich gewesen. Sie hatte sich durch Vermittelung des in Rom lebenden Jesuiten-Ordensgenerals Pater Beckx ein päpstliches Breve er wirkt, durch welches ihr die nöthigen Dispensen zur Aufnahme in ein Nonnenkloster ertheilt worden sind. Frankreich. Die Nationalversammlung, welche am 14. Febr. den Witwen der Generäle Lecomte und Clement Thomas eine Pension von 4000 Fres, bewilligte, nahm am 15. mit 310 gegen 260 Stimmen den Antrag an, die Register über die neuen Steuern mit der Inschrift zu versehen: „Kosten des Krieges gegen Preußen, welcher durch Napoleon erklärt worden ist." Die Dringlichkeit für einen Antrag wegen Befreiung des fran zösischen Gebietes von der Occupation mittelst einer Anleihe von 1500 Millionen und der Emission von Schatzbons wurde von der Versammlung zurückgewiesen. — Das „Journal osficiel" veröffentlicht folgende Note: „Auf Ansuchen des Staats sind an die hinterlassenen Papiere des Herrn Conti (früherer Cabinets- chef des Kaisers Napoleon) Siegel angelegt worden. Da die politischen Functionen, welche der Verstorbene ausgeübt hat, der Vermuthung Raum geben, daß derselbe Depositar von dem Staate angehörigen Documenten und Belegen gewesen sein könnte, so glaubte die Regierung von einem ihr durch das Gesetz ge währten und durch eine beständige Rechtsprechung zuerkannten Rechte Gebrauch machen zu sollen." — Das amtliche Organ be richtet ferner, daß von den Kriegsgerichten bis zum 10. Februar über 24,946 Angeschuldigte statuirt worden, und zwar sind davon 4242 verurtheilt, 20,704 in Freiheit gesetzt worden. — In Paris wie in den Departements soll, wie die „Agence Havas" berichtet, eine lebhafte Agitaton der Bonapartistischen Partei stattfinden. — In der Sitzung der Nationalversammlung am 16. Febr. erklärte der Minister des Innern auf eine Interpellation, die Regierung werde alle Bonapartistischen Umtriebe sorgfältig überwachen. Cngland. Dem Parlamente ist am 16. Februar die englische Vertheidigungsschrift in der Alabamasrage vorgelegt worden. Dieselbe sucht nachzuweisen, daß England keineswegs die internationalen Pflichten verletzt, vielmehr strenge Neutralität aufrechterhalten habe. Die Schiffe „Alabama", „Florida", „Georgia" und „Shenandoah" seien nicht auf englischem Ge biete ausgerüstet worden. England bedaure das Auslaufen dieser Schiffe, bestreite jedoch die Gerechtigkeit der amerikanischen Geld ansprüche. Amerika müsse den vollständigen Nachweis dafür liefern, daß England eine Nachlässigkeit zur Schuld falle. Eng land sei bereit, den Ausspruch des Schiedsgerichts anzuerkennen, ob derselbe günstig oder ungünstig für England ausfalle, insolange derselbe gerecht sei. — Die Antwort der Unionsregierung auf die englische Note dürfte erst nach dem 1. März in London eintreffen. Amerika. In New-Jork eingetroffenen Nachrichten aus Mexico zufolge halten die Insurgenten die meisten Districte der Provinzen Puebla und Veracruz besetzt. Präsident Juarez soll entschlossen sein, die Hilfe des Unionspräsidenten Grant an zurufen. Stammverwandt. (Fortsetzung.) Es ist eine bekannte Thatsache, daß bei Charakteren von Hildebrandts Art die Jugenderinnerungen die stärksten sind und daß dieselben mit großer Starrköpfigkeit festgehalten werden. Hildebrandt nahm die von Vater und Großvater gleichsam ererbten Gefühle olme Prüfung hin und machte sie zu den seinigen. Es würde für ihn mit einer Entweihung des Andenkens an diese würdigen Männer gleichbedeutend gewesen sein, hätte er anders fühlen wollen. Wie leid that es Treuberg hinterher, wenn er einmal zu scharf geworden war, indem die Rede auf politische Verhältnisse überging. Nun kam sein Vetter, der junge Doktor, ein Vollblut-Sachse, so zu sagen. Der sollte für Hildebrandt ein lebendiges Beispiel sein für die Richtigkeit seiner, Roberts, Auseinandersetzungen über das neue Deutschland. Hermann Treuberg kam. Am andern Tage stellte ihn Robert der Familie vor. Sie wurden für den nächsten Sonntag zu Tisch geladen. Der Sonntag war da; Hermann und Robert begaben sich nach Hilde- brandt's Wohnung. Marie selbst hatte heute die Leitung der Küche über nommen und kam, noch im Küchenanzuge, eben aus dem Wohnzimmer, als die beiden Treuberge erschienen. Hohe Röthe bedeckte ihr Gesicht; sie eilte, grüßend und sich entschuldigend, rasch davon, um aus dem Gesichts felde der beiden Gäste zu kommen. Hildebrandt hatte die Herren schon erwartet. Sie sprachen von diesem und jenem, bis die dampfende Suppenschüssel auf dem Tische stand und Frau Hildebrandt freundlich ersuchte, Platz zu nehmen. Es ist wahr, was die Zubereitung der Speisen betrifft, da können unsre deutschen Hausfrauen von ihren Colleginnen jenseit des Rheins viel lernen. Marie hatte ihre Aufgabe meisterhaft gelöst. Der Wein that das Uebrige, und so trat denn bald die rechte Stimmung ein, welche den Fluß der Rede fördert. Da ergriff Hildebrandt sein Glas und hob an: „Dieser edle Saft, welcher Frankreichs Boden entsprossen ist, hat nicht verdient, daß wir ihn zwecklos trinken. Mein Haus birgt heute einen lieben Gast, der dem Lande angehört, welches am längsten Freud' und Leid mit Frankreich theilte. Noch da, als Alle wichen, blieb es treu. Das wird ihm Frankreich nie vergessen! Stoßen wir an auf das Wohl unseres Gastes und auf gute Freundschaft zwischen Sachsen und Frankreich!" Die Gläser klangen. Robert war in der peinlichsten Lage, Durfte er auf diesen Trinkspruch eingehen? War es nicht Verrath an seinem engern Vaterlande, wenn er es that? Und wenn er nicht darauf einging, wäre da nicht das schöne Verhältniß zwischen ibm und Hildebrandt sofort gelöst worden? — Zum Glück fiel ihm ein, daß Hildebrandt mit seinen Worten nur seine eigenste Empfindung aussprach. Wären alle Bewohner Frankreichs wie er gewesen, so treu, so ehrenhaft, so ohne Falsch und Heuchelei — wer hätte dann nicht Freundschaft mit Frankreich halten mögen? In diesem Sinne durfte er anftoßen und that es auch. Herrmann war ebenfalls verlegen gewesen und hatte nur mit Zögern sein Glas ergriffen. Dadurch war, ohne daß es Jemand beabsichtigte, eine gedrückte Stimmung eingetreten.