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644 lebende Sprachen verstand und sogar ziemlich viel vom Englischen. Seine Eltern waren reiche Leute in Deutsch land, und somit wurde er im Reichlhum erzogen und lernte Ansprüche machen, wie cs die Reichen thun. Da starb sein Batcr und es zeigte sich, daß der Rcichthum desselben auf einem hohlen Grunde gestanden habe. Man sprach den Bankerott über seinem Grabe aus und die Mutter folgte ihm dahin in kurzer Zeit nach. Der reich erzogene Sohn schämte sich, im alten Baterlande eine Stelle anzunchmen; er glaubte, man deute dort mit Fingern auf ihn. So ging er nach Amerika. Natürlich dachte er, cs könne ihm bei seinen kaufmännischen Kennt nissen nicht fehlen. Allein der Mensch denkt, Gott lenkt. Er fand keine Stelle, wie er eine ansprechen zu dürfen glaubte, und als er einmal «inen geringeren Platz auf einem Comptoir, der ihn doch wenigstens ernährt hätte, erhalten konnte, schlug er ihn als „zu gering" aus. Der deutsche Hochmuth war ihm noch nicht vergangen! Aber bald verging er ihm. Das mitgebrachte Geld ver schwand, ein Kleidungsstück nach dem andern verschwand ebenfalls, und als Nichts mehr zum Bersetzen da war, wurde das Hotel Park sein Nachtquartier. Wie da sein Rock, der einzige, den cr noch Halle, bald aussah, kann man sich denken! Eines Abends, als er sich eben in sein „Hotel" in früherer Stunde als gewöhnlich — cr konnte vor Hunger kaum mehr gehen — zurückzichen wollte, be gegnete ihm ein Mädchen. Es war die Tochter seiner Amme und fast mit ihm ausgewachsen. „Sind Sie's, Herr Wilhelm?" rief das Mädchen er schrocken, denn der Jüngling, den sie sich nur als den Sohn des reichen Fabrikanten denken konnte, sah gar zu hcrabgekommen aus. Zwar halten sie sich in Newyork schon öfter gesehen, — das Mädchen war schon früher nach Amerika gegangen, weil es Verwandte da hatte, — aber damals balle der junge Kaufmann noch Geld und lebte im Gasthof. „Gewiß, Marie, ich bin's", erwiderte der junge Mann. „Doch warum erschrickst Du so?" Maric stotterte, sie mochte ihm nicht sagen, wie herunter gekommen er ihr vorkommc. „O, ich sehe schon, Du willst mit der Sprache nicht hcrausrückcn", sprach der junge Mann mit bitterem Grimm weiter. „AVer was ist da zu verhehlen? Du slehst's ja, ich logire im Hotel Park." Wenn aber Jemand in Newyork zu einem Andern sogt, er logire im Hotel Park, so weiß dieser schon, wo Bartel den Most holt, und man braucht ihm nicht weiter mit dem Holzschlägel zu winken. Maric war daher tief-inncr- lich bewegt. Tkräncn traten ihr in die Augen, aber sie unterdrückte sie schnell, daß cr's nicht merke und dadurch beleidigt sei. Er, ihr Milchbruder, der reiche, schöne Jüngling, der nur das Tbeuerste und Ausgesuchteste gewöhnt war, er im Hotel Park! „Ich habe mir Etwas erspart", sagte sie endlich schüch tern. „Es ist zwar nicht viel, aber wenn Ihnen damit gedient sein sollte, so ...." Sie konnte nicht fortfahren, denn er hielt ihr den Mund mit der Hand zu. „Sprich nicht weiter", rief er, beschäme mich nicht noch mehr. Ich weiß cs, daß es eine Schande ist, daß ein kräftiger Mann, wie ich, es so weit kommen ließ. Aber Du weißt, daß ich lieber verhungerte, ehe ich eine Unterstützung annäbme!" „Allein", warf sie wieder mit ihrer schüchternen Stimme ein, „ich habe ein Stübchen für mich allein. Die Möbel drinnen sind mein Eigenthum. Ich könnte auf die nächsten paar Tage zu einer Freundin ziehen und dort schlafen, und Sie könnten dann mein Stübchen benutzen. Es ist zwar nicht so, wie Sie's sonst gcwobnt waren, aber " Abermals lag seine Hand auf ihrem Munde. „Du bist das beste, treueste Herz auf der Welt", rief er, ohne ihr jedoch eine Antwort auf ihren Antrag zu geben; denn er dachte, es verstehe sich von selbst, daß er "diesen nicht annehmen könne. — „ Wo arbeitest Du jetzt?" frug er nach einer Weile. „In einer Lintcnfabrik in Duancstrcet", erwiderte sie. „Ich muß da die kleinen Gläser (in solchen wird nämlich in Newyork die Tinte verkauft» füllen und petschircn und bekomme vom Dutzend vier Cents; aber man kann gut seine sechzehn Dutzend den Tag fertig machen. So käme ich ganz gut in der Woche vier Thaler verdienen. Nur sind wir gegenwärtig etwas aufgehaltcn, weil unser Che miker, der die Tinte macht, krank geworden ist, und der Boß h(der Inhaber der Fabrik) sich nicht recht darauf „Also ist die Stelle des Chemikers vacant?" fragte der Jüngling hastig. „Wie viel Nummer ist Dein Shop (Arbeitslocal), Marie?" Natürlich sagte es ihm Marie mit doppelter Freudig keit, als sie vernahm, daß er sich um die Stelle bewerben wollte, da er die Tintenfabrikalion gut verstehe. Hätte man dem jungen Manne ein halbes Jahr vorher gesagt, er werde noch Tintenmischerwerden, so hätte er einen die Treppe hinuntergeworfcn. Jetzt aber war sein Stolz ge brochen, und zwar durch das Hotel Park. Vielleicht trug auch die Begegnung der Marie und sein Gespräch mit ihr Manches dazu bei, seinem Hochmuth Adieu zu sagen. Dies war die letzte Nacht, welche der junge Mann im Hotel Park zubrachte. Den andern Tag war er in aller Frühe bei dem Tinten-Boß und erhielt die Stelle des „Chemikers". Abends aber begleitete er Marie nach ihrer Wohnung und genirle sich nun gar nicht, von ihr etliche Thaler zu borgen, damit er in einem anständigen Logishause sich einmiethcn konnte. Er hatte ihr aber zu vor unumwunden erklärt, daß sie ein paar Wochen warten müßte, bis er im Stande sei, mit nur etwas Sicherheit in die Zukunft zu sehen. Jetzt erst hatte cr bemerkt, wie unsäglich ihn das Mädchen liebe. Jetzt erst ließ es der anerzogene Hochmuth zu, sich zu gestehen, daß auch er dem lieben Kinde gut sei, ob es gleich nur seiner Amme Töchterlein war. Mit der Hochzeit — aber eine recht stille war's — stand's auch gar nicht lange an, denn der Tinten-Boß merkte bald, daß sein Chemiker noch andere Dinge verstehe, als das Tintcnmischcn, wie z. B. Waschblaufabrikation und Stiefelwichse-Producirung. Dazu kam noch, daß er schon lange daran laborirte, eine Schwefclhölzchenfabrik zu errichten, und weil der junge Kaufmann derlei Dinge in seiner Jugend im Polytechnikum mit Halle laufen lassen müssen — damals schienen sic ihm ganz unnütz und jetzt ernährten sie ihn, — so kamen sie übcrein, sich zu ver einigen, und jetzt macht hier Wilhelm Schwefelhölzchen über Schwefclbölzchen, ganz nach Wiener Art und Fär bung. Seine Frau aber fübrt die Aufsicht über di« Sor- lirmädchen und verdient somit immer noch ihre vier Thaler in der Woche. So hat das Hotel Park auch manchmal seinen Nutzen, weil cs dem Stolz und Hochmuth das Genick bricht. Hydro - Oxygen Mikroskop. Das jetzt im Saale des sonst Ba chm an n'schcn HauseS am Neumarkte aufgestellte und mit Hydro-Oxygen-Gas erleuchtete Mikroskop des Herrn vr. Robert war bereits am Abende des 26. Decbr. im Saale der hiesigen Socielät aufgestellt und cs erlangte diese Vorstellung den Beifall der sich zahlreich cingefundcnen Mitglieder. Herr Robert läßt uns einen Blick thun in die geheime Werk stätte der Natur, die Jeden mit Bewunderung erfüllt. Man siebt hier das Entstehen prächtiger Krvstallc; das Leben und Treiben von Waffcrthierchcn, von welchen man früher keine Abnung hatte; die Zcllcngewcbe verschiedener Holzarten. Die Vergrößerung der Gegenstände gebt ins Millionenfache, und das erwähnte Mikroskop macht in Wahrheit aus der Mücke einen Elcpbanten. Die Con- struction des Mikroskops selbst ist ebenfalls von Interesse, und es ist zu hoffen, daß auch in diesem Locale die Vor stellungen einer zahlreichen Thcilnahmc sich erfreuen werden. Bekaiuumachung. Don dem Gesetz- und Verordnungsblatte für das Königreich Sachsen im Jahre 1859 ist das 18. Stuck erschienen, enthaltend: Nr. 98. Bekanntmachung, eine Berichtigung der Ver ordnung wegen der Koklenmaaße vom 20. Oktober 1859 belr., vom 16. December 1859. Nr. 99. Bekanntmachung, die Classisicirung der Post- anstalten im Königlich Sächsischen Postbczirke bete., vom 25. November 1859.