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586 Hotel Park in Newyork. Wenn in Deutschland ein Handwerksbursche reist, so weiß er, wo er einzukehren und zu übernachten hat, in der Herberge nämlich, wenn ein ehrlicher Bürgersmann sich über Feld macht, und fremder Herren Länder besucht, so geht er, falls er sich müde gelaufen und ein gutes Bett sucht, in ein Gasthaus, sei es nun das Gasthaus zum schwarzen Mohren oder zum rochen Ochsen; ist's ein Stu dent oder ein Weinreiscnder, oder Einer, der in Leder macht, oder sonst Einer der auf der ersten Stufe der Bil dung Stehenden, so wird ein Gasthof aufgesucht, denn wenn auch die Herberge vielleicht dem Inhalt des Geld beutels mehr entspräche, so ist doch nur der Gasthof dem Range entsprechend, den man in der Gesellschaft einnimmt; macht aber vollends ein Adeliger, oder ein Officier, oder ein hoher Würdenträger, oder sonst ein Mann, der auf Rang und ein eigenes Fuhrwerk Anspruch macht, eine Reise, so lbut's nicht einmal ein Gasthof, wenigstens keiner zweiten Ranges, sondern ein Hotel muß her und zwar ein Hotel de Russie oder d'Anglelcrre. So ist im lieben Deutschland Alles recht hübsch einge- tbeitt, und es weiß ein Jeder, wo er hingehörl, beinahe schon gleich nach seiner Geburt. Wie spanisch muß es ihm also Vorkommen, wenn er in ein Land geräth, wo man von dieser wohlloblichcn Ordnung nichts weiß, ja, wo man diese Ordnung ganz und gar umkehrt und auf den Kopf stellt! Da weiß man ja wahrhaftig gar nicht, wo man nur einkehren und sein müdes Haupt zur Ruhe niederlegen soll; denn wenn z. B. jedes Einkehrhaus „Hotel" getauft ist, so kann einen das Schicksal bei Nacht und Nebel in ein Haus führen, wo man zwei Thaler fürs Uebernachten zahlen muß, während das ganze Vermögen in dreißig Kreuzern besteht! Und doch ist's so, in Newyork wenigstens, denn dort heißt jedes Wirths- haus, in dem man Nachtherberge finden kann, „Hotel!" Aber lieber Himmel! Welcher Unterschied zwischen Hotel und Hotel! Da stehst Du vor einem. Es führt den stolzen Titel: „Europcan Hotel", — „Europäischer Hof". Du siehst Dir's an. Es kommt Dir accurat vor, wie eine erbärmliche Holzbaracke, die über's Jahr von selbst ein- fällt. Du gehst hinein. Eine Wirthsstube voll Schmutz und Unrath, eine Wirthin mit ungemachtem Haar, ein Wirth mit betrunkener Nase empfangen Dich. Du ver langst ein Zimmer. Ein Zimmer? Es sind nur zwei Fremdenzimmer im ganzen Hause vorhanden! Man führt Dich die wankende Stiege binauf; drei Betten stehen in jedem Zimmer, drei große breite Betten, je für zwei, zur Noth drei Personen; Du kannst wählen, mußt Dir's je denfalls gefallen lassen, einen Schlafkameraden ins Bett zu bekommen, der vielleicht vergißt, wenn er Nachts an- kömmr, auch nur seine kolhigen Schuhe auszuziehen; Du deckst den Teppich auf, unter dem Du die Nacht zubringen sollst (denn ein amerikanisches Bett, wie man in solchen Gasthäusern hat, besteht aus nichts, als aus einer Gras matratze, einem Graskopftissen, einem Teppich und einem Leintuch), um zu sehen, ob das Leintuch reinlich sei, aber schnell wendest Du Dich ab, damit es Dir nicht übel werde, denn das Linnen ist von unzähligen Wanzenmalen gesprenkelt. Das ist das Europcan Hotel, und Du darfst darauf schwören, daß es ein Irländer ist, der es hält. Da stehst Du vor einem andern Hotel. Es führt keinen so stolzen Litel, wie das vorige; es heißt nur „Sanct- Nicolashotel". Aber es steht im Broadway; es ist fünf Stockwerke hoch und zwcihunderlfünfzig Fuß lang; es ist ganz aus Marmor gebaut und die Front ist von eleganten Fuhrwerken belagert. Du betrittst die Treppe, sie ist von Marmor und doch mit Teppichen belegt; Du betrittst den Herrensalon, Du staunst ob der Pracht und Herrlichkeit; Du betrittst den Damensalon und Du bebst zurück vor dem Reichthum und Luxus; Du trittst auf nichts, als auf Sammet und Seide, Du siehst nichts, als Gold und Goldeswertb; Du nimmst ein Zimmer, schwellende Teppiche zieren den Boden, der Spiegel reicht von der Decke bis auf die Teppiche, die Möbel find von Palisanderholz, das Bett ist blendend weiß überzogen, und auf solcher Matratze mit solchen Springfedern hast Du in Deinem Leben noch nicht geschlafen. Du gehst in den Speisesalon, das Früh stück besteht aus Thee oder Kaffee oder Cbocolade und dazu hast Du Eier, Beefsteaks, Eotelcttes, Schinken, Fische, Geflügel; ganz im Verhältniß fällt das Mittag- und Abend essen aus; wolltest Du von Allem nur versuchen, Du müßtest einen herkulischen Appetit haben. Du willst ein Bad, eine ganze Reihe Badezimmer steht parat und keine Sekunde brauchst Du zu warten, bis das Bad fertig ist. Du willst Dich rasircn und frisiren lassen, Du darfst Dich nur in ein paar Zimmer weiter bemühen, und der Borbier mit seinen Gehülfen nimmt Dich in Behandlung, denn ihm ist ein besonderes Local im Souterrain angewiesen, und eine solche Barbierstube findest Du in ganz Deutsch land nicht. Die ganze Nacht schimmert das Hotel in einem Gasmeer, denn das Gas wird im Hotel selbst bereitet; es hat seinen eigenen Gasometer, sein« eigene Gasfabrikation. Tausend Personen können alle Tage logirt werden, und vierhundert Dienstboten sind in den Zimmern und in Küch- und Keller aufgestellt, um die Gäste zu bedienen. Fünf hundert Fremde müssen jeden Tag hier verkehren, wenn das Hotel nicht fallit gehen soll; so groß ist der tägliche Aufwand! Eine Person zahlt täglich von 3'/r bis 7 Dol lars für Kost und Logis, je nachdem dieses Letztere feiner oder einfacher! Das ist das Sankt-Nicolashotel in New york, und kein Hotel in der Welt wird es an Größe und Luxus (möglicherweise aber an Geschmack und Bequemlich keit) übertreffen. Mitten inne zwischen dem Europcan Hotel und dem Sankt-Nicolashotel liegen die übrigen Gasthöfe und nicht wenige nähern sich dem Nicolashotel, so das Metropolitan- Hotel, das Girardhousc, das Astorhvuse, das Lafargeholel, das Delmonicohotel, das Howardhotel und wie sie alle heißen. Doch ein Hotel haben wir vergessen, ein Hotel, wie «S kein zweites gicbt auf Gottes weiter Erde, das berühmte Hotel Park. Saubere und unsaubere, theure und wohlfeile, großartige und winzige Gasthäuser findest Du in Leipzig wie in Paris, in Stuttgart wie Katzenellenbogen, aber ein Hotel Park findest Du nur in Newyork. Nicht einmal Amerika hat ein zweites der Art aufzuweiscn, nur die einzige Stadt Newyork besitzt es. Es ist das größte und besuchteste, das wohlfeilste und frcqucntirteste in der ganzen Welt, und so weit Du reisen magst, cs findet nicht seines Gleichen. Vor dem großen Marmorratdhause in Newyork, der Cityhall, dehnt sich ein ziemlich weitläufiger Park aus mit grünen Wiesen und schattigen Bäumen. Er mag wohl zehn Acker groß sein, dieser Park, und im Sommer, wenn die Sonnenstrahlen glühend herabfallen, ergehen sich täglich Zehntausende in demselben. Es ist eine grüne Oase mitten in dem ungeheuren Häusermeere. Hier säuseln Dir die hohen Bäume frische Luft entgegen und die Wasser werke inmitten der grünen Umgebung erfrischen Deinen lechzenden Mund. Breite Mormorstufen führen zu der Cityhall hinauf, dorische Säulen schmücken den Eingang. Herrliche Fußwege, von grünem Rasen eingefaßt, führen im Zickzack um das weißglänzende Rathhaus herum. Du bist im Freien, bist in Gottes Natur, mitten in der geschäftsdurchwühlten, von Luxus und Elend gepeitschten Stadt. Und wenn die Sonne längst hinunter im fernen Westen, wenn das Regiment des Mondes und der Sterne begonnen, wenn das Gewühl in den Straßen fich gelegt und die Spaziergänger alle in ihren Wohnungen der Ruhe genießen, wenn man nichts mehr hört, als die fernen Carossen, die die Reichen vom Theater und Concert heim führen, oder den Tritt der leichtfüßigen Nymphe, die dem Blick des wachhabenden Sicherheitswächters zu entgehen sucht, wenn man nichts mehr sieht, als den lauernden Dieb, der an einer Straßenecke sich niedcrduckt, oder den faulen Polizcifchutzmann, der das Auge kaum offen zu halten vermag, dann sammelt sich's wieder an im Park von Cityhall. Von allen Seiten kommen sie herbei, leise und unsichern Trittes, denn das Elend tritt kraftlos auf. Vom Broadway und der Chathamsstrcet, von der Centre street und von der Williamsstrect, von überall her nahen sie sich und lassen sich im Parke nieder. Lautlos, ohne ein Wort zu sprechen, schleichen sie fick heran, und der Eine setzt sich auf die breiten Marmorstufen, die zum Rathhaus hinaufführen, der Andere lehnt sich an die dorischen Säulen, der Dritte macht sich's in einer Ecke bequem und der Vierte streckt sich unter einen Baum. Wohl denen, die «inen bevorzugten Platz bekommen haben! Viele müssen