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397 täuschen! Dann hätte ich doch auch den Hieb über den Kopf gesehen, der Dich so sehr entstellt!" „Zweifelt nicht weiter", — begann Elias wieder, — „es ist, wie ich Euch erzählte. Die Acrzte brachten uns wieder zur Besinnung, sie gaben sich die größte Mühe, unsere Lebensgeister wieder anzufrischen und uns in den Stand zu setzen, die nothwendige Amputation an uns vor- zunchmen. Unter Gottes Beistand ist ihnen das auch ge lungen; bei der sorgsamsten Pflege und Wartung die sie selbst uns gewährten und dann auch weiter noch verschafften, erholten sich unsere Körper und wir wurden soweit wieder bergcstellt, daß wir endlich das Lazareth verlassen konnten. Freilich schien cs unmöglich zu sein, denn Tausende hätten nicht abgehalten, was wir abhielten; allein auch den Aerzten, die alle ihre Kunst aufbotcn, das Leben uns zu erhalten, haben wir Vieles, sehr Vieles zu verdanken. Daß aber meine Kopfwunde damals von Ew. Durchlaucht nicht bemerkt worden ist, liegt sicher daran, weil die Kälte das Blut bald erstarren gemacht hatte und somit nicht zu erkennen war. Sie hat mich zumeist geschmerzt, und diesen Hieb, der mein Gehirn zu sehr erschütterte, werde ich fühlen, so lange ich lebe. Jetzt nehmt unsern innigsten Dank", — schloß er, und neigte sich ehrerbietig vor dem Fürsten, — „Ihr wäret es, welcher uns auf dem Schlachl- felde nicht erfrieren, nicht sterben ließet, und uns allein und mit eigener Hand rettetet. Dafür gebe Euch Gott einst einen sanften, seligen Tod!" Die beiden Invaliden weinten, und auch der Fürst, und Alle die sich um selbige versammelt hatten, weinten; es war ein feierlicher, heiliger Augenblick. „Und was gedenkt Ihr nun zu thun? Wovon gedenkt Ihr Euch zu erhalten?" — begann der Fürst nach dieser stillen Pause. — „Ihr habt weder Ettern noch Verwandte mehr hier, und seid, so viel ich weiß, ohne alles Besitz thum! Wollt Ihr Euch der Wohlthätigkeit der Stadt übergeben, oder im Lande herumziehen und betteln? Ar beiten kann Keiner von Euch, das sieht Jeder klar, und leben wollt Ihr doch!" „Wir sind nicht so arm, als Ew. Durchlaucht meinen", — sagte Elias, und zog einen großen, schweren Beutel mit Goldstücken gefüllt, aus der weiten Tasche, die ihm über den Schultern hing. — „Dies ist ein Geschenk des Generalsv. Römer, den Ihr aussandtct, um einen Chir urg für uns hcrbeizuholen. Er hatte sobald keinen der selben finden können, war dann, durch die Kälte und durch die eingetretene Dunkelheit irregeleitet, vom Schlachtfeld« ab und in die Nähe sächsischer Küraßreiter gekommen, die ihn als Gefangenen mit fortgeschleppt hatten. Nach dem geschloffenen Frieden erhielt er seine Freiheit wieder, eilte jedoch sogleich zurück nach Keffelsdorf, wo er uns noch in jenem Bauerhofe traf. Daß er Euch nicht gefunden, that ihm sehr leid; außerordentlich groß war aber seine Freude, als er erzählen hörte, Ihr habet uns allein an diesen Ort gebracht. Wir lagen damals noch in einem Zustande völ liger Bewußtlosigkeit; denn die vollzogene Amputation ge stattete den Aerzten noch nicht, an uns kräftigere und schneller wirkende Mittel zu versuchen; um so größer war daher unser Erstaunen, als wir später erzählen hörten, der General habe uns ausgesucht und einen Beutel mit Gold als Geschenk zurückgclaffen, der uns, falls wir wirklich genesen würden, ausgehändigt werden sollte. Dies ist das Geld hier, und reicht aus, uns auf längere Zeit das Leben zu fristen. Jndeß scheint es mir, wie insbesondere meinem noch schwerer heimgesuchten Bruder, daß unsere Laufbahn nicht so lang sein wird. Die Aerztc verschafften uns wohl nur durch ihre Kunst eine kurze Frist. Mein Kopf ist schwach, unsere Körper tragen den Tod in sich. Haben wir doch unsern edlen Retter noch einmal gesehen, ihm danken können; nun wollen wir uns ein kleines Zimmer mielhen, und den Tod in unserer Geburtsstadt erwarten. Vielleicht ruft er uns noch eber, als wir vermulhen!" Gerübrt nahm Leopold die beiden Jünglinge bei den Händen und führte sie zu jener Ruhebank, wo er gesessen. Dorthin ließ er ihnen einige Erfrischungen bringen und unterhielt sich mir denselben, bis die Zeit des Mittags- essens erschien. Er hatte fest geglaubt, Beide lägen schon längst bei den andern Todlen der Kesselödorfer Schlacht; eben so war ihm das Schicksal deS Generals unbkkannc geblieben. Nun aber bestimmte er auch, daß sie in einem Zimmer des unweit befindlichen Gärtnerhauses Wohnung nehmen sollten, und daß alle Versorgung ihnen daselbst ge reicht würde. Oft sah man sie während der Sommertagc noch unter der Kastanie sitzen und dort in traulicher Unter haltung mit dem Fürsten begriffen. Als jedoch der Winter wieder kam und die Erde zum Schlafe rief, zeigten sich auch bei ihnen die Spuren eines nahenden Schlafes. Mar tin war der Erste, der einging zur Ruhe, und es war vorauszuschen, daß ihn der Bruder nicht lange allein lassen werde. Auch Elias folgte, wie er schon auf dem Schlacht felde gesagt. Kaum einen Monat später fand man ihn ebenfalls todt im Bett; sowie der dritte im Bunde, Fürst Leopold I. ein Jahr später selbst den Pilgcrstab niedcrlegte. Schließlich noch die Bemerkung, daß der Knabe Gurlich oft bei den Invaliden cinsprach und sie auch zur Ruhestätte auf den Friedhof begleitete. Männliche Würde. Der Hofball war zu Ende; die fürstliche Familie hatte sich bereits in ihre Gemächer zürückgczogen, und auch von den hohen eingeladenen Gästen befanden sich nur noch wenige in den Vorzimmern, ihre Wagen erwartend. Nur Egmont v. H., der schöne und überall in hoher Achtung stehende Flügel-Adjutant des Fürsten, lehnte noch in einer Fenster-Oeffnung, und so in Gedanken über eine ihm heut zugekommene betrübende Nachricht verloren, daß ihm das Jmmerlecrerwerden des Saales völlig unbemerkt geblieben war. Plötzlich ward er durch ein, aus der neben dem Ballsaal hinlaufenden Galerie ertönendes Angstgeschrei aus seinen Träumereien geweckt und eilte schnell dem Orte zu. Bei der sehr schwachen Beleuchtung konnte er nur wahrnehmen, daß am Ende in dem fast ganz dunkeln Theil der Galleric ein wohlgekleidetes Frauenzimmer von Je mandem mit Gewalt nach einem Cabinet gezogen ward. Egmont eilte zu ihrer Befreiung herbei, empfing aber, ohne daß der, die Gcwaltthat verübende Mann ein Wort sprach, einen heftigen Stoß vor die Brust, den Egmont sogleich dadurch crwiederte, daß er ihn am Arm packte und mehrere Schritte weit fortschlcuderte. Das jetzt befreite Mädchen entfloh nun schnell durch die entferntere Thür der Gallerie. Egmont war eben im Begriff, den Frevler über sein Benehmen zur Rede zu stellen, als er, beim Hcrvorlreten desselben, den Erbprinzen erkannte. — Glü hend vor Zorn trat ihm dieser mit einem unbeschreiblich verächtlichen Blick und den Worten entgegen: Was treiben Sie sich denn noch hier herum? — Ruhig und gefaßt er widerte Egmont: Ihr Herr Vater hatte mich zum heutigen Feste einladen lassen, auf seinen Befehl bin ich also hier. — Das Fest ist aber zu Ende, und diese Gallerie gehört nicht zu den Ballzimmern. — Ich würde auch nicht hier eingetreten sein, antwortete Egmont, wenn nicht ein Hülfe- ruf mich dazu veranlaßt hätte, und wo ein solcher mein Ohr trifft, halte ich mich unter allen Umständen zur Hülfe- leistung verpflichtet. Mit höhnischem Lachen entgegnete der Prinz, der schon längst gegen Egmont eingenommen war: Ach ja, ich Halle ihren erhabenen Rittersinn vergessen. Ich warne Sie indessen, mein Herr Ritter von der traurigen Gestalt und glorreicher Pferdebändiger, sich nicht wieder in Dinge zu mischen, die meine Person betreffen, es möchte Ihnen sonst schlecht ergehen, und nun fcheeren Sie sich nach Hause. — Mil diesen Worten trat er in ein Seitenzimmcr und warf die Thür hinter sich zu: Die Anspielung in der Aeußerung des Prinzen bezog sich auf ein Ercigniß, wo Egmont, bei einem kurz vorher zu Ehren einer fremden Fürstin veranstalteten Ritterspiel, nicht nur alle Preise errungen hatte, sondern auch an demselben Tage, und noch im Angesicht des versammelten Hof's und der Stadt, sich wild gewordenen Pferden, die den Wagen einer Bürger- Familie zogen, mit der größten Unerschrockenheit entgegen warf, sie kürz vor einem jähen Abhang zum Stehen brachte, und diese Familie hierdurch von dem augenscheinlichsten Verderben rettete. Eine That, die den lautesten Jubel und Beifallruf des Volks nach sich zog; die Damen des Hofes aber, deren entschiedener Liebling Egmont schon immer war, dergestalt exattirtc, daß sie, zu Acrger sämml- licher Hof-Cavaliere, in seinem Lobe kein Ende finden konnten und ihn seitdem einstimmig den neuen Banard, den Ritter ohne Furcht und Tadel, nannten. (Fortsetzung folgt,)