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250 Frankreich. Von Paris gehen noch fortwäh rend Truppen zur italienischen Armee ab. Trotz dem hat, wie der „ Constitutionnel" bemerkt, die Armee von Paris keine merkliche Veränderung erlitten, sie sei vielmehr um einige Divisionen Cavalerie verstärkt worden. — Der Contre-Ad miral Jurien de la Graviere hat bezüglich et waiger Conflicte mit englischen Schiffen sehr aus führliche, aber auch strenge Vorschriften erhalten, und wird längs der adriatischen Küste die Blo- kade der österreichischen Häfen durch strenge Be wachung der neutralen Schiffe handhaben. — Eine aus Rom in Paris eingetroffene Depesche meldet, daß von L-eiten Oesterreichs ofsiciell die Neutralität des römischen Gebietes anerkannt wor den sei. — Eine Commission des gesetzgebenden Körpers hat aus dem Gesammtb-trage der Rech nungsjahre 1854 bis 1857 die Posten ausgezogen, die sich auf den orientalischen Krieg beziehen. Auf diesem Wege hat sich herausgesteUt, daß der orientalische Krieg Frankreich 1721 Millionen Francs (circa 464 Mill. Thaler) gekostet hat. England. Graf Persigny, welcher an Stelle Pelissiers zum französischen Gesandten ernannt wurde, ist den 15. Mai in London eingetroffen. — Die Canalflotte wird durch neun große Fre gatten, sowie eine Anzahl Corvetten und Kanonen boote verstärkt werden. In Rußland werden fünf Armeecorps auf Kriegsfuß gesetzt, welche zusammen eine Militär macht von 200,000 Mann umfassen werden. Alle im Auslande weilenden Offiziere haben Befehl erhalten, sich zu ihren Corps zu verfügen. Spanien. Die Regierung hat Befehl ertheilt, sofort Lagerzelte für 30,000 Mann herzustellen. Friedrich der Große und der Rußbutten junge. Erzählung von Z. E. Deutrich. l Fortsetzung.) Eben faßen die beiden Damen beisammen und beriethen sich mit einander, was sie nun zu ihrer nächsten Sicher heit unter so bewandten Umständen zu tbun hätten, als Simon, ohne vorher anzuklopfen, ohne Gruß in das Zim mer trat und mit freudestrahlenden Blicken, fast athem- los und über und über vom Schweiße triefend, das Päck chen unter dem Wammse bervorzog und es den erschrockenen Damen darbot. Welche Ucberraschung! welches Erstaunen! Aber auch welches Entzücken! welche Seligkeit! Da der gähnende Abgrund, dem schon der eine Fuß so nahe steht, und hier die rettende Hand, welche noch zu rechter Zeit den Hinabstürzenden erfaßt, ihn hinwegreißt und rettet! Nicht anders hier bei diesen Unglücklichen. Wie ein Bote Gottes erschien der arme zerlumpte Knabe und brachte im Augenblicke der höchsten Nolh das Mittel zur Erret tung. Er gab Leben den mit dem Tode Ringenden, flößte neuen Lebensmulk und Erquickung d.n ermatteten Herzen ein. „ Mit lautem Schrei der Freude stürzten die Damen auf idn zu und sie würden, trotz des zerlumpten und beschmutzten Anzugs, ohne nach der niedrigen Abkunft zu fragen, den Knaben geküßt haben, wenn derselbe nicht dergleichen Zärtlichkeiten und Dankesäußerungen kräftig zurückgewiesen hätte. Simon wußte weder was er denken, noch wie er sich dabei verholten sollte. Der Wechsel der Verhältnisse und der Extreme machte die schwachen Wesen beinahe wahnsinnig; ihre Freude wollte nicht enden. „Du sollst reichlich belohnt werden", — begann nach einiget Zeit die Gräfin. — „Ich halte mein Wort und erkenne mich lebenslang als Deine Schuldnerin!" Nun mußte Simon erzählen, so ausführlich er vermochte. Als sie hörten, daß er mit dem König gesprochen, daß dieser von den Papieren wisse, und was er Alles zu ihm gesagt, erröthete zwar die Gräfin etwas; faßte sich aber bald wieder und zeigte, wie vorher, eine nur spannende Miene. Sie wußten endlich, welche Opfer ihnen Simon gebracht, wie schwer und wie gefahrvoll sein vollendetes Werk gewesen war, und konnten nunmehr ermessen, wie sehr er ihren Dank verdient hatte. Vereinigt seine Lage verbessern, für seine fernere Erziehung sorgen und ihn für eine höhere Bestimmung vorbcreiten lassen zu wollen, das war zunächst ihr Entschluß; was der König selbst thun werde, sollte der Zeit überlassen bleiben, ihren Entschluß aber erst näher bestimmen. Für jetzt ließen sie ihm ein Kämmerchen anweisen, kauften ihm einen neuen Anzug und versorgten ihn mit Wäsche; dem Wirthe aber gaben sie Anweisung, ihm Alles auf ihre Rechnung zu reichen, was er nur verlange. Doch es kam anders, als sie ge dacht, gewollt. - Die geistige und körperliche Anstrengung und alles das Fremde und Außerordentliche, was seil dem Eintritte in Dresdens Mauern an ihm vorüber gegangen war, aus ihn eingcstürmt halte, mochte doch der Natur des Knaben zu schwer gewesen sein; denn schon am nächsten Lage zeigten sich Symptome des Nervenfiebcrs und bannten ihn aufs Krankenlager. Sein kräftiger Körper unterlag den gewaltigen Eindrücken der Ereignisse, und bald stand der Lod mir ausgestreckten Armen vor ihm, die schöne, rein« Seele zu fordern und den Engeln zuzuführcn. Wie eine geknickte Blume lag er da; nur schwach noch schlug das edle Herz ihm in der Brust und das sanfte, liebestrahlende Luge umdüstertc mehr und mehr die Nacht des Todes. Da zeigten die Damen zuerst ihre Dankbarkeit, und besonders das Fräulein schien mehr als von Menschenliebe und dieser Dankespflicht gelrieben zu werden, dem unglück lichen Knaben eine gütige Pflegerin zu sein; denn sie wich, ohne auf die Warnungen und Vorstellungen des Vaters und der Gräfin zu achten, nie von dessen Lager. Beküm mert saß sie im Kämmerchen neben ihm und trocknete ihm den Schweiß vom glühenden Gesicht, reichte ihm den Thee und die Arznei, labte ihn durch kühlende Tränke, und suchte ihm auf alle Weise dies« traurige Prüfung zu er leichtern. In den fieberlosen Stunden sprach sie dann auch mit ihm von seinen Eltern und Geschwistern, denen sie eigenhändig von dem Zustande, aber auch von den edlen Handlungen Simons geschrieben; machte ibm Hoffnung, daß er die Seinen bald sehen werde und tröstete ibn, so viel sie konnte; im Zustande des Deliriums aber, wenn sein Geist sich mit den Bildern der Angst und des Schre ckens, die in so wenig Tagen an ihm vorübcrgegangcn, beschäftigte, wenn er vom Uebersteigen der Schanzen und Mauern, von dem Funde der Papiere, vom Donner der Kanonen, dem Gekrache der cinstürzenden Häuser, von seinem Rückweg, der Gefangcnnehmung durch die Husaren und vom Könige, der die Kirchen zufammenschießen ließ, redete, dann sank ihr Haupt betrübt nieder, Thränen flossen herab vom schönen Gesicht und jammernd erfaßte sie die Hände des Kranken. Und was sprachen dann di« sonst so feurigen schwarzen Augen hinter den langen Wim pern hervor? Was hob die Brust unter ängstlichen, lauten Schlägen? — Das Fräulein wußte cs wohl selbst nicht so klar zu benennen; wäre Simon ein Jüngling von 18 oder SO Jahren gewesen, dann hätte sie cs Liebe nennen müssen, nun sic aber an 6 bis 8 Jahre mehr zählen mochte als Simon, durfte sie es wenigstens solche Liebe, wie Lie bende empfinden, nicht nennen. Jedoch an den Unterschied, an die weite Kluft des Standes zwischen ihm und ihr dachte sie am allerwenigsten. Gewiß war, daß ihre Rube, ihr Glück, ja ibr ganzes Sein sich an den Leidenden gekettet hatte und von ihm abbing. Welche plötzliche Veränderung! Sie, das stolze, edle, reiche, fcinerzogcnc gebildete Fräu lein, und hier, — ein unwissender, ungebildeter niedriger Knabe, der, mit Rußbutten handelnd, vor wenigen Tagen zum ersten Male von ihren Augen erblickt worden! Das war es auch nicht, was sie an ihm liebte; nein die Lugenden, die Reinheit seines Herzens, der edle, fromm« Sinn, mit einem Worte, die Engels seele, die in diesem unedlen Körper wohnte, die ihn zierte, war es, welche sie liebte und die ibr Herz besiegt hatte. Schon damals, als sie den Knaben am Brunnen gesehen,