Volltext Seite (XML)
Beilage za Re. SV des Großenhainer Unterhaltungs- und Anzeigeblattes. Dienstag, den 8. Marz 1859. Da in mehreren Kalendern die Zeit der Abhaltung des zweiten diesjährigen Jahrmarktes unrichtig angegeben ist, so wird hierdurch bekannt gemacht, daß derselbe vom 5. bis 7. Kuli dieses Kahres und daß Tags vorher, mithin am 4. Juli, wie gewöhnlich der Wieh-'und Bretermarkt abgehalten wird. Der Stadtrath. Großenhain, den 2. März 1859. Schickert. Bezirksgerichtliche Verhandlung. Meißen, 3. März. Ein in der Strafrechtspflege Gott sei Dank sehr seltener und deswegen höchst interessanter Fall wurde heute vor dem hiesigen Bezirksgericht verhan delt. Der Verhandlung wohnte Herr Oberstaatsanwalt Schwarz bei, sowie auch Herr Gchcimerath vr. v. Langenn und die Herren Oberappellationsräthe v. Kyaw, v. Salza und Cuno unter den Zuhörern sich befanden. Sie werden von der scheußlichen Mordthat gehört haben, welche am 7. Januar d. I. an einem Wäschjungen in der Nossener Gegend verübt-wurde, und gewiß mit der öffentlichen Meinung darin einverstanden gewesen sein, daß hier die ganze Strenge des Gesetzes ohne Zulassung von Milderungs gründen angewcndet werden müsse. Die kcutigc Verband- jung hat auf Grund gesetzlicher Bestimmungen ein anderes Resultat geliefert, als die öffentliche Meinung sich einbilden konnte. Der Mörder wurde in der Person des am 20. Fe bruar 1844 in den Haidehäusern bei Hohentanne in der Gegend Nossens geborenen Wäschjungen Carl Eduard Wüstner ermittelt und heute auf die Anklagebank ge führt. Man konnte einen starten Burschen mit kecker, ver wegener Stirn erwarten; die Persönlichkeit Wüstners ent sprach jedoch diesem Bilde nicht, ein schwächlicher, schlecht genährter Knabe mit einem Plattkopfe setzte sich auf die Anklagebank und ließ das Räthselhafte der That noch mehr steigern. Ein im Laufe der Verhandlung vorgelcscnes Gutachten rechtfertigte die mangelkafte Ausbildung des .Nnaben. ohne jedoch ibm Zurechnungsfähigkeit abzusprechen. Die Antworten auf die rhm gestellten Fragen waren ziem lich klar und bestimmt, namentlich legte er einige Fertrgkeit im Rechnen ab und seine Wortkcnntniß von Bibelsprüchen war nicht unbedeutend. Wie kann ein so schwächlicher Mensch von so jugendlichem Alter auf Mordgedanken koin- mcn k Diese Frage wurde heute beantwortet. Der Mörder und der Ermordete Franz Adolph Pahlitzsch arbei teten als Wäschjungcn an zwei verschiedenen Gruben und waren durch Zusammenwohnen der beiderseitigen Eltern in einem Dorfe mit einander bekannt. Die Eltern hatten keinen Umgang unter sich, da Wüstners nicht umgänglich sein sollens Wüstner erzog seine Kinder streng und hielt sie knapp, da er nur wenig verdiente und seine Erspar nisse bei einem Hausbau zugesetzt batte. Er ist Bergmann, treibt dabei Hausschlächterci und Schuhflickerei. Das Ver diente seiner Kinder in den Bergwerken benutzt er zur Er baltung der starken Familie und so ist auch der Ange klagte genötbigt gewesen, sein Verdienst, das in 14 Tagen 3 Thlr. 17 Ngr. 8 Pf. betragen bat, bis auf 2 Rengroschen an den Vater abzulicsern. Dafür hat er die Kost gehabt und auch Kleidungsstücke erhalten, beides jedoch in zehr beschränkter Weise; zur Anfabrt auf >2 Stunden hat der Sohn nur Brod mit wenig Butter erhalten und nur des Abends ist ihm nach der Rückkehr in der sechsten Stunde etwas, Warmes verabreicht worden. Er bat mit lcinem altern Bruder nur einen Sonntagsrock gehabt und noch nicht die Mittel gefunden, sich einen Bcrgmannsbut an- ^ufchaffen. Die übrigen Wäschjungcn baden es dagegen besser gebabr und gcwöbnlich Mittags warme Kost von den Eltern maesendct erhalten. Auf den Gruben bestellt nun die Einrichtung, daß die Frauen der Wäsebsteiger mit Vietualien bandeln und sich dafür stets an den Lohntagen auszahlcn lassen Von einem zum andern wird ange- schrieben Solche Anfchreibungen belaufen sich auf 2, 3 bis I I Ncugroschen. Wüstner hat ebenfalls anschreiben lassen und wegen vcrmehrier Bedürfnisse nach und nach eine Schuld von 2 Thlr. 6 Ngr. gekabt. Am Abend des ll Januar, dem Vorabend des Lohntages, ist Wüstner von seinem Vater bedeutet worden, den Lok» Mittags einzuscndrn, da er das Geld zum Ankauf einer Kuh ge braucht. Wüstner hat Strafe gefürchtet, wenn er diesem Befehl nicht Nachkomme. Den Lohn an 3 Thlr. 17 Ngr. 8 Pf., den er erhalten, bat er jedoch bis auf 3 Tblr. zur Abschlagszahlung auf seine Schuld bei der Wäschstcigcrin, die ibn dringend gemahnt und mit Abzügen gedroht, ver wendet und' nur 3 Tblr. an den Vater gesendet. Es ist ihm klar geworden, daß sein Vater die Schulden erfahren werde, wenn er nicht das volle, Geld ablicfere, und um seiner Verlegenheit abzuhelsen, ist er auf den Gedanken gekommen; „Ich schlage Einen todt!" An eine bestimmte Person hat er nicht gedacht, aber wohl daran, daß der Lohntag der allein günstige Tag sei, wo seine Kameraden Geld bei sich führen. Bon zwei Seiten gedrängt, ist die ser Gedanke immer fester in ihm geworden. Zufällig bat ihm der Ermordete mitgetheilt, daß er Abends etwas eber die Grube verlassen werde und Wüstner an der Stelle, wo beider Wege Zusammenstößen, auf ihn Abends warten möge. Dieser Umstand hat ihn Pahlitzschen als Opfer be zeichnet. .Wüstner ist mit zwei anderen Jungen von der Grube Abends fortgegangen, hat sich aus einem an der Muldenbrücke stehenden Rcißighaufen einen kiefernen Knit tel berausgczogen nnd denselben mit den Worten: „Nun soll mir Jemand kommen!" seinen Begleitern gezeigt. Unterwegs bat er von der Begegnung mit Pahlitzschen zu ihnen gesprochen und, da derselbe zur bestimmten Zeit aus- geblieben, sich hingesetzt und gewartet. Die beiden Andern haben seinem Beispiele gefolgt, sind aber wieder aufge brochen, da Pahlitzsch nicht gekommen. Wüstner bat es jedoch so weit gebracht, daß sie Pahlitzsch endlich erreicht bat. Die vier Jungen sind zusammen -weitergegangcn. Wüstner hat wohl gewußt, daß die beiden Ersten einen andern Weg Anschlägen werden, ehe sein und Palitzschens Weg durch ein Erlenbüschchcn, das Wüstner zu seiner That gewählt, führt. Bald ist er auch mit Pahlitzsch allein ge wesen. Sie sind bald hinter einander, bald neben ein ander, wie der Weg es gestattet, gegangen. Im Erlcn- büschchen hat Wüstner von binten mit dem Knittel, den er mit beiden Händen gefaßt, auf die beiden Schläfe Pah- litzschens geschlagen, so daß er sofort zu Boden gesunken. Er ist jedoch wieder zu sich gekommen, hat gewimmert und gefleht: „Laß mich gehen!" Das hat aber Wüstnern nicht gerührt, wohl aber bat ibn eine Angst, daß er entdecke werden könne, ergriffen. Er hat ibm mehrere Schläge auf den Kopf gegeben, dann, als er noch geröchelt, den Körper mit Hülse eines Strickes, mit dem Pahlitzsch seine Blende festgebunden, um den Hals auf die andere Seite gewendet und neue acht Schläge ausgefübrt. Nach crhal- tcncr Ueberzcugung vom cingetretcncn Tode hat er in den Taschen nach dem Geldc gesucht und dapclbe, in ein Tuch gebunden, in der Hosentasche gefunden. Ohne nachzu- scllcn, was der Inhalt, hat er das Tuch mit dem Geldc cmgesteckt, drei liartc Tbaler will er gefühlt haben. Nach dieser That hat er schnell den Platz Verlagen, den Knittel versteckt und sich nach Hause begeben. Nur zwei kleine Geschwister sind da gewesen, die Mutter war auf Arbeit und der Valer Hausschlachten in den nahen Tcicblläusern. Obne das geringste Gefühl von Reue hat er sich ausge- zogen, seine Kleider vom Blute gereinigt, das Tuch mit dem Gelbe bei Leite gelegt und mit großem Appet.it ge gessen. Als seine Mutter nach Hause zurückgekehrt, Kat sic ihn schlafend auf der Ofenbank gefunden. Ihr erstes Wort ist nach Geld gewesen. Wüstner hat sofort aus dem Tuche einen Tkalcr genommen, ihn der Mutter gegeben und, da diese und die bereits gesendete Summe den Be trag des Lohns überstiegen, geantwortet: es sei Ueber- verdienst. Wüstner ist an demselben Abend zu dem Vater nach den Tcichbänsern geschickt worden, um zu helfen, hat