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310 Das Turnen eine Mothwen-igkeit. Um die Gegenwart in Rücksicht auf das leibliche Leben recht beurtheilen zu können, ist es nothwendig, einen Blick auf den körperlichen Zustand unserer Vorfahren zu Lhun. stungen in Venetien den österreichischen Entwaff nungsvorschlag nicht als ernst gemeint betrachten könne, und daß Preußen nicht eher abrüsten werde, als bis der frühere militärische Stand in Venetien wieder hergestellt sei. Frankfurt a. M Zu den Staaten, welche in den außerordentlichen Ausschuß für den preu ßischen Bundesreformantrag gewählt wurden, ist noch Baden hinzuzufügen. Die Sitzungen dieses Ausschusses sollten am 28. April beginnen, wur den aber wegen Abreise des preußischen Gesandten nach Berlin wieder abbestellt. — Die ständige De putation des deutschen Abgeordnetentages hat sich fast einstimmig dahin entschieden, daß dem Antrag der nassauschen Fortschrittspartei auf Einberufung des Abgeordnetentages so lange nicht zu entsprechen sei, als nicht das Bksmarck'sche Bundesreform- Project wenigstens bekannt ist. Italien. Die Deputirtenkammer zu Florenz hat am 26. April die vom Finanzminister Scia- loja verlangte dreimonatliche Bewilligung des provisorischen Budgets verworfen und den Com missionsantrag auf zweimonatliche Bewilligung mit 168 gegen 72 Stimmen angenommen. — Die italienische Regierung soll bei den Höfen von Paris und London die Gerüchte von Truppen- Zusammenziehungen in Italien officiell für falsch erklärt haben; auch nicht ein Mann sei einberufen. Dagegen wird der „Allg. Ztg." unterm 25. April von der italienischen Grenze gemeldet: Das Fort Loretta wird schleunig armirt, ebenso die Festung Pizzighettone (nordwestlich von Cremona) und die Positionen von Formigara und Cavacurta, welche Pizzighettone schützen. Alle Vorwerke werden ar mirt, Piacenza wird in Bertheidigungszustand ge setzt. — Die verzweifelte finanzielle Lage des Landes wird als Beweggrund zu der Sehnsucht nach einem Kriege angesehen. Frankreich. In der Donaufürstenthümer- Conferenz zu Paris haben sich Frankreich, Preu ßen und Italien für die Wahl eines ausländischen Fürsten ausgesprochen, während Rußland, Oester reich und England (letzteres bedingungsweise) auf die Wahl eines Bojaren bestehen sollen. England. Im Unterhause des Parlaments ist am 28. April die zweite Lesung der Reform- bill mit 318 gegen 313 Stimmen angenommen worden. China. Berichte aus Hongkong vom 15. März bestätigen, daß die Kaiserlichen einen vollständigen Sieg über eine Streitmacht von 50,000 Rebellen im Nord-Osten von Kwang-Tung erfochten und dadurch den letzten Rest der Taipings vernichtet haben. Sämmtliche Rebellen wurden getödtet oder zu Gefangenen gemacht. Der kaiserliche General ist nach Hankau gegangen, um die Nienfeis-Re bellen anzugreifen. Amerika. Der am 30. März von New-Bork abgegangene und seitdem spurlos verschwundene englische Postdampfer „City of Washington" ist von dem Dampfer „Propontis" auf offener See ohne Steuer und ohne Passagiere angetroffen worden. Drese waren — wie bekannt — ein Naturvolk, und dem nach bestand der größte Theil all' ihres Thuns in einem Kampfe mit der Natur um die Erhaltung des Lebens. Jeder Einzelne war zu anstrengender Thätigkeit in der Natur und gegen dieselbe gezwungen, wenn er Nahrung, Kleidung und Wohnung sich verschaffen und sich erhalten wollte; er war dabei allen Unbilden der Natur und dem Kampfe mit den stärksten Lhieren ausgesetzt, deren Fleisch seine hauptsächliche Nahrung, deren Bedeckung seine haupt sächliche Kleidung ausmachte. Dieses Leben mußte den Leib gegen Witterungseinflüffe abhärten, die Muskeln ent wickeln, die Sehnen straffen, die Sinne schärfen und zum schnellen Gebrauche geschickt machen. Unsere Vorfahren waren deshalb ein überaus kräftiges und leiblich gesundes Volk. In der Folge hat aber bei zunehmender Ent wicklung des geistigen Lebens ein jedes Jahrhundert das Seme dazu beigetragen, das leibliche Leben bequemer zu machen, seine äußerlichen Hindernisse zu überwinden, und dagegen die Natur für dasselbe dienstbar zu machen. Aus dem rohen, robusten Naturvolke entstand ein ackerbauendes und gewerbtreibendes Volk, das Wissenschaft und Kunst pflegte und fortbildete und dadurch die jetzige Stufe der Cultur erreichte. Daß aber die Verfeinerung und allseitige Ausbildung des geistigen Lebens zum guten Theil auf Kosten des kräftigen leiblichen Lebens erfolgt ist; daß unser Volk schwächer, weichlicher und empfindlicher gegen alle Natureindrücke geworden, beweist die Geschichte und das Heer von Krankheiten, das unsere Vorfahren durchaus nicht kannten. Bei einer großen Anzahl unserer Mit menschen beeinträchtigen die Beschäftigungen des Cultur- lebens sogar die naturgemäße Gestaltung des Leibes; denn erkennen wir nicht gar oft den Tischler an der erhöhten Schulter, den Schlosser am einwärtsgebogenen Knie, den Schuhmacher am gekrümmten Arme, den Stubensitzer an der blaffen Gesichtsfarbe, den Landmann und Tagelöhner an der schwerfälligen und unbeholfenen Haltung? Und haben wir uns nicht schon an einige derartige Wider natürlichkeiten in solchem Grade gewöhnt, daß wir z. B. die leibliche Schwäche einer Person und ihre blaffe Gesichts farbe als Merkmale der feinen Erziehung und der geistigen Beschäftigung schön finden? Die Freude über die viel artige Entfaltung des Seelenlebens und über die dadurch sich schnell mehrende Summe menschlichen Wissens und Könnens begann schon vor länger als zwei Menschenaltern der Erziehung eine Richtung zu geben, in der die Sorg falt für körperliche Entwickelung untergeordnet oder neben sächlich galt. Die Folgen dieser Erziehungsweise sind leider zu Tage getreten und von der Gegewart mit Schreck erkannt worden. Man sieht sehr wohl ein, daß ein leiblich herabgekommenes Volk auch seine geistige Kräftigkeit und den Muth verliert, sich auf seiner Stelle und in seinem Rechte zu behaupten. Besonders am Einzelnen werden die Nachtheile einer durch überwiegende Geistesanstrengung bewirkten Herabdrückung des leiblichen Lebens recht sichtbar: Muth und Wille für schwierige Unternehmungen erschlaffen; die Befähigung, sich in außergewöhnlichen Lagen des Lebens zurecht zu finden und der Gefahr die Stirn' zu bieten, verliert sich, und die eingetretenen Verstimmungen der Seele finden keine Gegenwirkung, sie walten ungehindert und treiben oft zu verzweifelten Schritten. Was ist da gegen zu thun? An der Verpflichtung der Kinder, durch die Schule auf die Bildungsstufe der Zeit zu treten, und an der Verpflichtung der Jugend, die gewonnenen Schätze der Wissenschaft aufzunehmen, läßt sich einer Seits nicht mindern; durch das hlose Tummeln der Kinder auf Straßen und öffentlichen Plätzen nach Verfluß der Schul stunden läßt sich andrer Seits das verloren gehende Gleich gewicht zwischen geistiger und körperlicher Entwickelung auch nicht Herstellen. Wo ist nun Abhülfe? — Im Turnen! Denn das Turnen ist eine nach wissenschaftlichen Regeln geordnete allseitige Bethätigung des Körpers und übt darum auf alle Theile desselben und seine Gefammtent- wickelung den förderndsten Einfluß aus. Selbst ältere Personen fühlen sich durch diese Wirkungen des Turnens noch wohlthuend angeregt und empfinden dabei Etwas von dem längst verlorenen Frohsinn der Kindheit und Jugend wieder. Die Volksschule — sie ist eine unabweisbare Noth- Wendigkeit der Neuzeit; aber eine ebenso unabweisbare Nothwendigkeit neben der Volksschule ist der Turnplatz und die Turnhalle!