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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 05.05.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-05-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188505055
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850505
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850505
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-05
- Tag 1885-05-05
-
Monat
1885-05
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 05.05.1885
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Johanna fand den Erkrankten bereit- in Firberphantasien. Er erkannte Niemand mehr. Stumm nahm sie den Platz au seinem Lager ein. Unermüdlich wachte sie Tag und Nacht über da- Leben de- theuren Mannes. Für die Ermahnungen de- Professor-, sich Erholung und Schlaf zu göune», hatte sie nur ein verneinende- Lächeln. So kam der Tag der Krisis heran. Professor Heppner versprach, je um zwei Stunden vorzukommen. Der Kranke athmete schwer und beschleunigt Johanna lauschte bangenden Herzen- seinen unregelmäßigen Athemzügen. »Lieber Bott, nimm mein Leben für das seine!" betete sie angst erfüllt. „Laß genug sein der Opfer, die der grausame Krieg schon au dieser Stätte allein gefordert, — erhalte, — schütze sein theures Leben!"i Sie legte ihre eiskalte Hand auf seine brennende Stirn — das schien ihm wohlzuthuu, er athmete leichter. Endlich uach langem, bangem Harren kam der Professor. Prüfend hielt er da- Thermometer in die Achselhöhle des Fiebernden. »38 Grad!" rief er erfreut, »hat also schon nachgelassen!" Er flößte dem Kranken darauf ein Pülverchen ein, beobachtete ihn »och eine Weile und sprach dann zuversichtlich: »Gegen Morgen können Sie sich niederlegen, Schwester Magda lena, eS ist eine schon bedeutende Wendung zum Besseren eingetreten. Hoffentlich erkennt er uu» morgen'." Mit freundlichem Nachtgruß schied er. Johanna athmete erleichtert aus. »Dein Leben ist außer Gefahr, Geliebter," flüsterte sie, »nun kann ich Abschied nehmen von Dir!" Sie kniete an dem Bettrande nieder und legte ihren Kopf auf da- Kiffen, nahe dem seiuigeu. Der Kranke schlummerte ruhig. Johanna betrachtete mit zärtlicher Wehmuth die geliebten Züge. Ihr Geist eilte zurück zu dem freundlichen Hause, in den lauschigen Park; da sah sie sich an dem thausrischen Sommermorgen auf dem LirblingSplätzchen sitzen — und neben ihr der intelligente, berühmte Arzt, der so treuherzig ihr seine Vergangenheit enthüllte. Deutlich glaubte sie seine vibrireude Stimme zu vernehmen, wie sie so innig bat: Johanna, willst Du mein liebe-, thenre- Weib, willst Tu meinem Knaben eine Mutter werden ? Er wallte heiß in ihr empor bei dieser Erinnerung. Sie fühlte einen unwiderstehlichen Drang, »ur einmal die Liebe und Verehrung, die in ihr für den vergötterten Mann lrbte, über die Lippen strömen zu lasten. Nur einmal wollte sie e- aussprechen, wenn auch ganz leise, was ihr Herz für ihn empfand — er hörte cs ja nicht — und dann wollte sie gehen, weit fort, zurück zu dim alten ehrwürdigen Manne, der schon sehnlichst nach ihr verlangte, dem sic versprochen, zu ihm zurückzukehren, wenn die Sühne, die sie sich freiwillig auf erlegt, vollendet sei. Sie wollte seine letzten Erdeutage mit Tochter- ^ liebe verschönen, ihn hegen und pflegen, wie einst den geliebten Vater. Lcise, aber unaufhaltsam strömten die Worte heißer, aufopferungs vollster, hingehendster Liebe, glühender, ungestillter Sehnsucht von ihren Lippen. Der Kranke schlummerte fort. Soviel Johanna in dem Dämmerlicht wabrnehmeu konnte, hatten seine Züge einen ruhigen, friedlichen Ausdruck. Doch sie mußte Abschied nehmen von diesen Zügen, die sie um ihrer Ruhe willen nie wird er schauen durfte. In leidenschaftlichem Schmerze drückte sie den Kops in die kiffen, küßte wie ein Hauch ihm Lippen, Stirn »ud Augen. »Leb wohl, Tu Edler, Reiner — meine Schuld wirft einen dunklen Schatten zwischen uns! Ich darf Dir nicht gehören — aber beten kann ich für Dich und Tein süßes Kind — für Tein und sein Glück!" Ihre Stimme brach in unterdrücktem Schluchzen. Noch ein gewaltsames Lufrafieu und sie verluß schwankend das kranken-! ziwmer. »Schwester Lisbelh," sprach Johanna zn der die Aussicht führenden Krankenpflegerin im Lazarelh, »schicken Sie eine andere Schwester zu Doktor WaidenS Pfleg«! Heilige Pflichten rufen mich zuiück in die Heimarh. Ter Doktor hat die Krisi- leicht Überstunden, er schlummert der Genesung entgegen. Ta die meisten Verwundeten hier schon über n Berg sind, so wird meine Hilfe hier wenig vermißt werden. Ich werde meinen Austritt dem Professor anzeigen!" »Aber wollen Sie denn sogleich die Rückreise antrcten, Schwester Magdalena>" fragte die Diakonissin staunend. »Sie sehen ja zum Zusammeubrecten aus!" „Ich mnß, Schwester Lisbeih, es wird 'chon geben'. Ein Tag der Erholung und de- Schlafes wird mich genügend kräftigen. Leben Eie wobl!" Mit dic'em freundlichen Eiuß schied Johanna von der Stätte ihrer barmherzigen Thätigkeit. Siebenzehntes Kapitel. Wie wogte und rollte es auf den Straßen, wie stotterten die sächsischen und die deutschen Fahnen aneinander, immer zwei und drei an einem Häuft l Kränze und Guirlanden überzogen mit ihren grünen Gewinden Straßen und Baffen: Dienstmädchen mit Körben voll Jlluminalionslämpchen liefen eilig hin und her, denn heute wurde der Sieg vcn Sedan gefeiert. »ES braust ein Ruf wie Dcnnerhall'." erscholl es immer vcn Neuem. Herr Philippen kam nach Hause. »Ist das eine Aufregung, Frauchen," sagte er. »Tie ganze Stadt ist aus den Beinen, man wird ganz und gar deul'ch Keule mit unfein guten Bürgern! Ich weiß nicht, wie es zum Abend werden soll, wenn sie so forlsingen und jubeln den ganzen Tag, wird ar ch nicht c'ne Stimme mekr in gutem Zustande 'ein. um beim Fackelzuge noch einen Ton von sich zu geben!" (Fcm'esurg svlgi' Im Reiche der Amjrhitrite. Bon Gustav Lössel- (Aachdruck verbitten.) »Ter Himmel bat sein Fegefeuer, und das Meer har — seine Seekrankheit. Ter Vergleich leitet an dcm Erbfehler aller Vergleiche, er hinkt: denn wäbrend man duich das Fegeieuer geläutert zur Seligkeit eingehl, wirkt der durch die Seekrankheit geläuterte Meer> gcnuß nicht immer keftligerd — im Gcgertbeil." Der diese Worte mit vollem Bedachte sprach, war ein sicl- g«reisier Mann: da er sie aber an Leutt richtete, welche das Meer bislang rur vom Strande au- betrachiei batten, crbob sich ein Sturm der Entrüstung wider ihn Man spracb von der »herrlichen blauen Fluid", von »sildcr'chäum'gen Vellen", sogar von .Meerlandschasten" und dcm »Reiche der Amphilrite". Alles das ließ der Vielgereiste lachend über sich ergeben: als dann aber eine umfängliche Dame aus Berlin mit -pree-'ardigem Augevaoft'chlag vcn »die Rcmanri! von dem Meere" sprach, korzenirirle sich der Kenner des Reiches der Ampbitrite nach rückwärts und ertschwand nach dem Teck: denn dieft Unterhaltung fand in der ersten Kajü:e eines nach Australien bestimmten Hamburger Schnellseglcrs statt. »Der Feind weicht: wir Damen bleiben Sieger!" hieß es im fchiffsnachbarlichen eisten Kaffeeklatsch; und die Spreeatheuerin rühmte sich mit Recht der Heldeuthat, ihn aus allen feinen Positionen geworfen zu haben. Noch lag man ja am Quai; noch umwogte da- muntere Hafengetriebe da- Schiff; und wenn der Theergeruch auch schon etwas stark in die Nase duftete, so war man doch entschlossen, sich nichts merken zu lassen. Endlich lichtete das Schiff die Anker, ent rollten sich die Segel stolz zum Winde, und unter lebhaften .Hurrah'K" hüben und drüben, richtete sich der kiel des schlanken »Klipper-' australienwärts. Es war ein erhabener Augenblick, welcher nur dadurch einigen Abbruch erlitt, daß ein flinkes Schneiderlein mit türkischem Untergestell, der eine halbgeleerle Häringstonne erklommen hatte, um seinen am Lande stehenden Freunden sichtbar zu bleiben, nur bis zum »Hurr—" kam, bei dem .ah!" aber in die Tonne versank. Man lachte nicht, man lächelte nur: die Rührung behielt die Oberhand, und im Tone tiefster Zerflossenheit fragte Frau Duffedich au- Berlin, ob die Bäume in Australien auch .jrün" Wären? woraus der Vielgereiste in demselben Tone erwiederte, er habe immer nur von blauen, rothen und weißen Gummibäumen gehört. *) Wie herrlich, wie entzückend diese Flußfahrt mit den beider seitigen, sich immer schöner, immer freier entrollenden Uferpanoramen! Vorbei an den sieben Flußmündungen, vorbei au dem sonnigen Glück stadt und an dem hinter einem undurchsichtigen Damme gelegenen -Brockdorf, bis hinab zur rotheu Tonne unterhalb Cuxhaven, wo sich der majestätische Fluß in einer Breite von etwa 20 Kilometern in die Nordsee ergießt. Ach, und nun diese Nordsee! Welche erhabene Schaumgebilde, welche Zerklüftung, welche Zerrissenheit! O, es muß eine Lust sein, inmitten hinein zu segeln, mit scharfem Kiel, die dunkle Fluth durchpflügend. Ein in Europa unentdeckt gebliebener Wachtel stimmt begeistert an: »Mein lieber Schwa - an!' Und dann begiebt er sich eiligst nach dem Schiffsrand, um sich tief hinab zu neigen und — dem Spiel der Nereiden zu lauschen. »Wenn ich mir jetzt so einen rechten schönen fetten Schweinebraten denke —" begann der Vielgereiste, und ehe er diesen Gedanken weiter ausspiunen konnte, war die Kajüte geleert. Er ober setzte sich, um mit Mirza Schafft, zu reden, auf das Sopha der Geduld und rauchte eine un- bemängelte Zigarre der Betrachtung. Durch den ewig nebelvollen Kanal, wo jährlich hundert Schiffe finken, steuerte man mit dem dumpfcsteu Nachtwächtergetute von Schildburg dem atlantischen Ozean zu. Von Calais nichts gesehen, von Dover noch weniger; den durch die König Lear-Gestalt berühmten Shakespearefelsen nicht zu Gesicht bekommen und den ,,rvbir>- oliüs ot olck Onxlnnä" mit Byron kein weltschmerzlichcs Lebewohl gesungen — nur immer seek:ank gewesen — das war die Konalsahrt der Auswanderer. Aber bei den Scilly-Inseln, da giebt's erfahrungs gemäß Wiedergeresung und einen letzten Blick auf Land; und den beeilten sich dann Alle zu genießen. Nun erst begann sich die auserlesene kleine Schiff-gesellschaft der Kajüte häuslich ei'nzurichtcn und mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß man sobald kein Land mehr zu Gesicht bekommen werde. Aber man tröstete sich wieder damit, daß das Schiff ja ein »Schnell- sezier" sei. Ter Vielgereiste meinte zwar, daß auch das flinkeste Schiff gegen konträre Winde und Windstillen nicht anlämpsen könne: aber Frau Duffedich machte ihn noch eirmal todt, natürlich nur mundtodt, indem sie die spreeathenisch-klassische Erklärung abgab, daß einem Schnellsegler und Käpernick »nie nicht" der Wind versagen könne. Man belebte die nächste Zeit — das heißt, bis zum Acquator — mit allen halbvergeffcnen Erinnerungen, las alle, oder doch die wenigen mitgenommenen Bücher durch, gleichviel ob belehrenden, unterhaltenden oder erhebenden Inhalts, und kam endlich zu der Uebcrzeugung, daß das Schifssleben im Grunde doch recht sehr lang weilig sei. Der Vielgereiste rieb sich vergnügt die Hände: aber er kam mit seiner Schadenfreude noch um vier Wochen zu früh. Ta waren noch die „atlantischen Prairien,' das Gebiet der ewigen Windstillen zu durchziehen, wo Boolparthien, Kahnnschereien, Bälle und das wahrhafte Erscheinen Neptun- au Bord in Aussicht standen. Diesem vergnügten Schlaraffenleben im Sounenlande oder richtiger Sonnenmeere sah mau mit ungelheiltem Vergnügen entgegen. Aber zuvor suchte roch der lange ausgebliebene Orkan, an den man schon nicht mehr glaubte, das Schiff heim. Tieier erschien zuerst als ferne- Wolkenpünktchen am scnnen- vollen Himmel. Dasselbe breitete sich mit rasender Geschwindigkeit aus, Wolken ausstoßend oder vm sich sammelnd. In der Ferne rauicht das noch eben ganz glatte Wasser auf, es tänzelt, schäumt und ziichr wie lausend Schlangen: mau meint, daß ein Leviathan sich dort den Weg zur Oberfläche bahne, um sich auf die erwartungs volle Schiff-gesellschaft zu stürzen. Und gleich furchtbar ist auch der sich al''o vorbereitende Orkan, der das eben noch windstille Schiff mit einem drobncnden Schlage lriffr und es au- die Seite legt. Noch mnf Minuten und der Himmel ist bezogen; noch zehn, und das Meer aus ''eirer trägen Rübe au'gerüttelt, entsendet seine Schaumzarben zu der tief gebenden Strata. Bald ist cs Nacht, das beißt am bellen Mittag wird cs nächtliches Dunkel, und nun erst »rast das Mecr und will sein Opfer baden." Wohl den Passagieren, welche sich jetzt schreierd, jammernd, fluchend und betend im nacht- eisülllen Schiffsraum aneinander und an sonstige Halte klammern, daß man sie einschließt und jede Leffnung für Licht und Luft ver nageln muffen sich doch oben selbst die seefestesten Leute anbinden, um nicht weggespült zu weiden. Und dennoch gekört der Schauer ruf: »Mann über Bord!" an solchen Schreckenslagen nicht zu den Seltendeiten. In lachenden, blendenden Gegensatz dazu tritt das vorerwähnte, vergnügte Leben unter der Linie. Neptun kommt, Nachts zuvor durch ein Sprachrohr vom Mostkcrb augekündigt, mit der aufgcbcnden Sonne an Bcrd. Zwei Boote, aus dem goldenen Thor de- Osten- kommend, führen ibu urd seine Gelreuin heran, alle in der cbaraktcristi'chcn Gewandung ibres untersieffcheu Landes. Auch Amphitrire seblt nicht. Nach feierlichem Umzug beginnt die Taufe, bei welcher mit dem reichlich vorhandenen Wasser natürlich nicht ge spart wird. Alles wird begossen, ob Seebär oder Landratte, am meisten natürlich die durstigen Kedlcn der Mcerbewcbrcr. Ter Abend bringt einen Kostümball roll der ausgelassensten Faichwgsircude: die lustigen Westen einer Ziel-Harmonika werden angerebm durchbrochen vou Gläserllang und frobem Sang urd den kräftigen Juchzern der tanzenden Amvhilrire. Freilich der Sonrcngurt der Erde ist kein zu breiter, und rach Turchschiffurg der „Linie" kommt man in die Region des immer- wädrerdcn Regens. Das ist nasie Ernüchterung nach glühendem Rausch Je nach der Jahreszeit, wird cs bicinach wieder wärmer oder immer käüer, bis mau jenseits des Kaps die Nähe schwimmender Eisberge .füllt" und ftldst ein Schiff im Schnee sehen kann. Endlich, oft eist rach moralclanger Fab«, dreiiel das immer sonnige Australien seine au,steigenden Ufer vor den cnlzvcklen Blicken der Auswanderer aus, und so iekr man sich cdedem beeilte, an Bord zu kommen, io rasch mochte man jetzt wieder hinunter und binaus aus dem nicht ganz gebeuieu Reiche der Lmpbilreie. Fm kolcnialen SrraLgebiauL nenne mau die Gum.m bäume nach der Faibe ibnr Rinde, weiche od'ger Angabe er.i'vricbt. Ver'. Hänschen. Eine Kindergeschichte von B. Herw i. (Nachdruck verboten ) „Ach. Papa, sieh nur, mein Hänschen ist krank, eS singt schon ein paar Tage nicht mehr; heut gab ich ihm ein großes Stück Zucker, aber es ist noch unberührt. — Mama hat ihm auch immer Zucker gegeben, als sie noch lebte, — das weiß ich noch ganz gut. Ach, Tu armer, armer Hans!" TaS Thierchen flatterte ängstlich in der leise untersuchenden Hand. »Du denkst gewiß, Papa, ich habe meinem HauS nicht immer Futter und Master gegeben; o nein, ich habe es nie vergessen, nie, seitdem Mama todt ist, ich Hab' es ihr versprochen; sie hatte den Hans ja so lieb." Laut weinte das schöne Kind, während der Vater sorgsam den kleinen, gelbgefiederten Sänger wieder in das Bauer setzte. „Beruhige Dich, mein Kind," sagte er gütig, »vielleicht wird Dein Vögelchen wieder gesund, laß ihn nur in Ruhe und geh' nicht so viel beran: wir wollen ihn recht inS Helle setzen, siehst Du, so — jetzt blinzelt er auch schon nach dem Zucker. Nun komm, Evcheo, wir wollen spazieren gehen, Taute Hedwig geht mit uns." »Laste mich lieber hier, Papa, "ich werde den Haus nicht stören und hier ganz still fitzen, ich habe schon so viel geweint und bin ganz müde, geh' nur mit Tante Hedwig, die plaudert so gut mit Dir, da wirst Du mich nicht vermissen." Prüfend sah der Vater in die wehmüthig blickenden Augen des KindeS, Ahnte, wußte Eve etwas von den Beziehungen, von den zarten Fäden, die sich langsam, aber fest um zwei Herzen gesponnen hattcn, — galt ihre Erregung nur dem drohenden Verlust des kleinen Lieblings? — Sie war wieder in die Nähe des Käfigs getreten, unbekümmert um den Vater, der mit sinnendem Antlitz das Zimmer verlassen hatte. Still war's geworden, die kleine Krankeuwärterin hatte sich in die Nähe ihres Lieblings gesetzt, an den Tisch, auf dem die Puppen und Spielsachen unberührt lagen — vom Weinen und Warten müde war sie endlich eingeschlafen Ihr blondes Köpfchen lag auf den Armen und ihr schmerzlich verzogenes Gesichtchen zeigte das Wehe- gesühl, das sie erfüllte. Still saß auch das kranke Vöglein auf der untersten Sprosse des Käfigs, nur manchmal schlug es ängstlich mit den Flügeln und machte vergebliche Bemühungen, sich in die Höhe zu schwingen. Plötzlich ließ es ein lautes ängstliches »Piep" er tönen — Eoe erwachte, sie schaute träumend um sich, ja, hatte denn nicht da- Vögelchen gesungen, war's nicht ihr Hans, der sie rief? Das kleine Herz, von Freude gefüllt, eilte sie znm Käsig —, du war ihr Lieblirg eben von der Sprosse herabgeglitten und lag starr und unbeweglich am Boden. Behutsam nahm sie ihn in ihre Händchen, liebevoll streichelte sie den zarten Körper und drückte ihn an ihre kleine Waage, an ihren Mund, als wollte sie ihm neues Leben ein hauchen, und dicke Thränen rcllien ihr dabei die Wange herab. »Mein Hänschen, ach mein Hänschen," klagte sie, »bist Du denn wirklich todt? Was wird die Mama sagen-, daß Du von mir gehst, sie hal s Dir anbefohlcn, Lei mir zu bleiben; sie hat ja gesagt, daß sie Deinen Gesang versteht, und kann immer im Himmel weiß, wie es ihrem Kinde geht. Nun wird sie Dich nicht mehr hören, nun erfährt sie nichts mehr von mir" — immer reichlicher flössen die Thränen des Kindes — ,o, wie wird sie sich grämen! Und mit wem soll ich denn nun von meiner lieben Mama reden?" fuhr die kleine Trauernde fort, »der Papa hat ja so wenig Zeit und seitdem Tante Hedwig hier ist, plaudert er so viel mit ihr." Der todte Vogel war inzwischen ganz kalt geworden, und er schreckt legte ihn Eve auf den Tisch. „Aber wo bleib ich nun mit Dir," sprach sie, ihre Thränen trocknend, „trennen muß ich mich ja doch von Dir." — »Ich bad's, ich Hab s!" rief sie lebhaft aus, und ein sauste- Roth zog über ihr blasses Gesichtchen, „ich nehme das Kästchen zur Korallenkette, die mir Tante Hedwig zum Geburtstag geschenkt, — die Kette habe ich ja verloren — das paßt gut, und Warte sehr ich, ist auch noch dann, nun hinein, mein Hän-chen, noch einen Kuß, — hu, wie kalt, — so, Tu Lieber, nun kommst Tu zu meinem Mütterchen, da sollst Tu sie von mir grüßen." Tie großen Augen des Kindes füllten sich mit Thränen, aber gewaltsam beherrschte eS sich. »Nun schnell ein Baud um das Kästchen und dann fort, — den Weg kenne ich ja, und vermissen wird mich Niemand; Papa nicht und Tonte nicht, die gehen ja spazieren." Mit eiligen Schritten lies das kleine Mädchen davon, unbe kümmert um die Strablen der untergehendeu Soune, die ihr Köpfchen trafen. Fest an die Brust gedrückt hielt sie die leichte Last. Jetzt war sie aus der Stadt und hatte ihr Ziel bald erreicht. Da lag er vor ihr der Kirchhof. Hoch aus die Spitzen hob sie sich, um die schwere Thür zu öffnen, nur mit Ansttenzuug gelang cs ihr. Eilig lief sie den Gang binad. dunkelroth vor Anstrengung und Er legung: bald war sie dcm ersehnten Hügel, den eine Trauerweide beschallte, nahe gekommcn, doch plötzlich stand sie erschreckt still . . . sie war nicht allein: an der heiligen Stätte standen zwei Gestalten, innig umschlungen — Eoe ttal leiie näher, ein tiefer Seufzer ent rang sich ihrer kleinen Brust, — »der Papa," flüsterle sie, »Tante Hedwig." Schon halten die Sinnenden den Kindcsttitt vernommen. Herwig balle sich schnell der Umarmung entwunden und lief lebhaft "erregt der kleinen, zarten Gestalt entgegen. »Mein Eochen," rief sie laut weinend, »rührt Dich denn der liebe Herrgott her, — wußtest Du denn, daß in diesem Augenblick Tu zu uns gehörst, o Hab mich lieb, mein iüßes, gutes Kind, Hab' mich lieb." Eve wußte nicht, wie ibr geschah. »Mein Han- ist todt," sprach sic endlich bebend, — »da wollt' ich ihn zu meiucm lieben Mütterchen bringen, daß er bei ihr bleiben kann." Aengfllich sah sie auf den Valcr, der so sonderbar still auf sie heraddlickic. „Bist Du böse, Papa," siegle sie. seine Hand ergreifend, »daß ich allein wcggelaufen bin, — es war so einsam zu Haus, Papa." Keine Silbe an'worlele er. Warum wohl kluge Männer in marchcn Augenblicken kein Wort spreche» können? Endlich balle er sich gefaßt und sagte mit bewegter Stimme: .Gieb mir Dein:» lobten Liebling, meine Eve, wir wollen ihn sanft dclten, so wie Du eS gewollt hast. Siebst Du, das hätten Deine llcincn Händchen doch nicht allein fertig gebracht. Nun ist er ganz nab bei der Mama und kann ivi von ibrcm artigen Kinde erzählen, — und dann," — wie bebte seine Stimme — »dann kann er ihr sagen, daß das kleine Evcheu nicht mcbr einsam sein, sondern eine liebe, neue Mutter habe» wild" — o wie da? Kiud von Einem zum Andern blickte — „ja, eine neue, gute Muitcr, die ihr die ver lorene rischen will. — sag's ihr, Hedwig, daß Du cs willst, daß wieder Freude bei uns eiuzichl." Hedwig knirlc am Grade und hielt die Kleine i» ihren Armen. „Und Lieder will ich Dir singen, mein Herzen-kind," unterbrach sie den erregten Mann, .besser »och als Dein Vöglein es vermochte, und vcn der I:cdcn Mama im HimrmI wollen wir zusammen spreche«, und ibren Hügel hier wollen wir immer schmücken mit schönen blühenden B.uwen" »Urd Hänschen aact," — lächelte das Kind unter Thränen Verasnvonttcher Rcdakreur Franz Göxe in Chemnitz. — Druck und Vertag von Alexander Wiede in Chemnitz
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