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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 02.05.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-05-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188505027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850502
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-05
- Tag 1885-05-02
-
Monat
1885-05
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 02.05.1885
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rl«terhalt«rrgS-Bla11 zum „Chemnitzer Anzeiger". Im oberen Stock, hinter der Gardine, barg sich schnell ein ver weintes Mädchcngesicht. .Er hat'S schnell überwunden — meine Weigerung scheint nicht allzuweh gethan zu haben — es ist auch besser so!" murmelte Johanna und dennoch konnte sie nicht hindern, daß ein Gefühl un sagbarer Bitterkeit in ihr emporquoll. Am Frühstückstisch blieb Johanna'- Platz leer. .Wo bleibt nur Fräulein Arnold?" meinte Frau Philippsen. .Marie," rief sie dem Stubenmädchen zu, .geh' hinauf zu Fräulein Arnold und bitte sie nochmals zum Frühstück, möglicherweise hat sie das Klingeln überhört!" Nach kurzer Zeit kam Marie wieder. .Fiäulein Arnold läßt sich entschuldigen, sie habe eine schlechte Nacht gehabt und jetzt noch immer heftiges Kopfweh!" berichtete sie. „Das arme Mädchen!" sprach Frau Philippsen bedauernd „Marie, dann trage da» Frühstück hinaus, ich laste dem Fräulein sagen, sie möchte da» böse Kopfweh nur recht bald vertreiben, damit wir am Abend sie frisch und heiter in unsrer Gesellschaft haben können. Die Kinder könnten den Vormittag über im Park sich aufhalten." Ein leises Lächeln stahl sich über des Doktors Züge. Er wußte, woher das Kopfweh bei Fräulein Arnold kam. Fünfzehntes Kapitel. Der Abend dämmerte herauf. Johanna halte den Nachmittag über fleißig mit Hand angelegt zur Schmückung der inneren Ränme des Hauses, während der Doktor bereitwillig das Anbrstigen der Lampions im Garten und Park und die Herstellung des Feuerwerks übernommen hatte. Auf der Schwester neckende Frage: ob das Werk auch den Meister loben werde, da ihm diese Art Beschäftigung wohl neu und ungewohnt sein dürfte, antwortete er siegesbewußt: .Ihr werdet sehen — und staunen!" Schon fuhren die ersten Equipagen vor. Klopfenden Herzens horchte Johanna, ob sie nicht bekannte Stimmen vernehmen würde, indessen kamen Saalseld'S erst spät und das junge Paar Philippsen gar nicht, weil ein plötzliches Unwohlsein Helene befalle» hatte, wie ein Telegramm besagte. Frau Philippsen stellte Jedem der Ankommenden die Erzieherin ihres Kindes vor. Feinfühlenden Herzens wollte sie Johanna ihre abhängige Stellung so wenig als möglich fühlen lasten. Diese zarte .Rücksicht und Achtung gab Johanna ihre völlige Ruhe und Haltung Wieder. Als daher wirklich der gefürchtete Moment kam und sie Reinhard und seiner Gemahlin vorgestellt wurde, verbeugte sie sich mit ungezwungener Grazie. Unwillkürlich hob sie den schönen Kopf noch stolzer empor, als sie das grenzenlose Erstaunen in den Blicken der jungen Eheleute sah. Dann trat sie zurückhaltend abseits und begann mit Anmuth ihres Amtes als Stütze der Hausfrau zu walten. .Ein prächtiges Mädel, diese Erzieherin," meinte ein gulmülhig aussehender alter Herr, .sieht aus wie eine geborene Gräfin, wahrlich, zum Verlieben!" .Ja," entgegnete Herr Philippsen lachend, .meine Frau schwärmt ordentlich für sie, besonders für ihre dunklen, melancholischen Augen." .Hm," meinte der alte Herr wieder, „es wundert mich daher nicht, daß auch Ihr Herr Schwager, Doktor Walden, in diese Augen so angelegentlich zu blicken sucht, hm, hm, — würde ein famoses Paar abgeben." Der joviale Alte zwinkerte mit den Augeu. „Bst," machte Herr Philippsen, legte den Finger bedeutungsvoll auf den Mund und wandte sich. .Reinhard," flüsterte Hedwig ihrem Manne zu, „wie kommt denn sie hierher?" „Wen meinst Du?" fragte er mit gntgcspielter Gleichgültigkeit. „Nun, diese Arnold, diese unverschämte, arrogante Person, die ganz vergessen zu haben scheint, was sie früher gewesen und die mit grenzenloser Frechheit die Nase noch so hoch trägt! Wahrlich, sie verdirbt mir heute den ganzen Abend! Ich kann mich nicht darüber hinwegsetzen, mit einer solchen Person in einer Gesellschaft zusammen gewesen zu sein und halte es für meine Pflicht, der harmlosen, nichts ahnenden Frau Philippsen die Augeu zu öffnen, was für eine Pflanze sie vertrauensselig in ihr Haus genommen! Gott, wenn ihre Ver gangenheit hier bekannt würde, ich müßte vergehen vor Scham, auch nur einige Stunden dieselbe Lust mit ihr geathmet zu haben!" Hedwig ereiferte sich immer mehr. Ihre Stimme klang so schneidend verächtlich, daß es dem Herrn Gemahl höchst ungemüthlich zu Muthe wurde. „Was geht Dich diese Arnold an," beschwichtigte er sie. „Deine Warnung könnte als Verleumdung oder Klatschsucht gedeutet werden und im besten Falle nur Unannehmlichkeiten und Aergerniß erregen! Ich rathe Dir, Hedwig, lieber kein Wort über sie zu verlieren! Du siehst ja, sie genießt hier volle Achtung!" „Das eben kann mich so empören," eiferte Hedwig, „daß eine Person mit solch' einer anstößigen Vergangenheit uuberechtiger Weise noch Achtung genießt und überhaupt so stolz einherzugehen wagt, als Wäre nie ein Stäubchen auf ihre» Ruf gefallen!" .Gieb Dich zufrieden, Hedwig, die Sache geht Dich weiter nichts an!" „So?^ entgegnete sie spitz. .Glaubst Du denn, mein Stolz fühlt sich nicht empfindlich verletzt, wenn ich schließlich in Zukunft immer wieder mit dieser Person hier Zusammentreffen müßte. Nur die Rücksicht auf die Hausfrau hält mich ab, Einigen aus der Gesell schaft, die sie so äußerst interessant und graziös finden, einige Worte über diese Schönheit zuzuflüstern." .Höre endlich davon auf, Hedwig, Du verdirbst mir mit Deinem unnützen Lamento auch noch den Abend!" Reinhard sprach das in recht verdrießlichem Tone. „Bist ja heute wieder recht rücksichtsvoll gegen Deine Gemahlin," meinte Hedwig sarkastisch, „wahrhaftig, der vollendete Kavalier!" „Dann verschone mich mit Deiner Unterhaltung und provozire nicht immer meinen Unmuth!" entgegnete Reinhard ärgerlich. Hedwig zog empört ihre Hand aus seinem Arme und rauschte mit der Miene einer gekränkten Königin davon. Die Liebe der jungen Gatten schien schon stark abgekühlt zu sein, sie sahen beide blasirt und gelangweilt aus und versuchten auf eigene Hand Zerstreuung zu suchen. Reinhard beobachtete verstohlen seine ehemalige Geliebte. Wie sie sich entwickelt hatte! Wie schön, wie stolz und unnahbar sie ge worden war! Ob ihr Herz die erste Liebe vergessen? Ob kein Schlag desselben mehr in Liebe für den Vater ihres Kinde» erbebte? Reinhard fühlte ein unbezwingliches Verlangen, ihr recht nahe zu sein, um wieder in ihre berückenden Augen schauen zu können. Er trat daher an den kleinen Tisch heran, wo Johanna an- muthig den Thee einschenkte und bat um eine Taste. Er sah sie dabei starr an, sie hob die Lider und ein Blick, so eisig, so voll un säglicher Verachtung traf den seinen, daß er hastig die Zähne zu- sammenbiß. Bleich vorWuth, nahm er mit einer Verbeugung die präsentirte Tafle in Empfang und trat zurück. Gleich darauf trat Doktor Waiden an denselben Tisch heran. Ein feines Roth stieg langsam iu Johannas Wangen, leise Befangen heit malte sich in ihren Zügen, sie konnte es nicht hindern, daß die Taste, welche sie dem Doktor reichte, leise in ihrer Hand klirrte. Des Doktors Blicke ruhten ernst forschend auf ihr. Ein be friedigte- Lächeln glitt einen Moment über sein Gesicht, dann trat er zurück. Reinhard hatte mit heimlichem Grimm diesen Vorgang beobachtet. Es flammte wild in ihm auf. „Ich muß sie sprechen," murmelte er, „will doch sehen, ob sie unter vier Augen mir auch noch diese unnahbare Miene zeigt." Die Nacht hatte bereits ihren dunklen Schleier über die Erde gebreitet. Mit magischem Schimmer übergvß der Vollmond die Bäume, Blumen und Sträucher des Gartens, in dem jetzt die Ge sellschaft zu zweien und dreien lustwandelte. Der milde Glanz des MondlichtS verschönte auch die Gesichter und hier und da hörte man den Ausruf: „Nein, wie interessant, wie schön Sie aussehen!" Der Doktor hatte sich um einigen dienstbaren Geistern in die Gebüsche geschlagen, um die letzte Hand au das vorbereitete Feuer werk zu legen. Nach kurzer Zeit flammten in allen Ecken bengalische Lichter auf. Sobald sie dem Verlöschen nahe waren, entstand zischend in der Mitte des Rondells eine mächtige Sonne, aus welcher von Zeit zu Zeit Raketen in die Höhe fuhren, welche hoch in der Luft mit einem Knall zerplatzten und die Gesellschaft mit einem dichten Regen von Fcuerfunken überschütteten. „Reizend! Prächtig! Großartig!" erscholl eS im Kreise. „Und Herr Walden Hat'S gemacht? Dem wüsten wir ein donnerndes Hoch ausbringen!" Wirklich erschollen auch Bravorufe von allen Seiten, als endlich der Doktor sichtbar wurde. Damit man nun nicht plötzlich im Finstern bliebe, wurden nach und nach die bunten Lampions augczündet, welche die Finsterniß in den lauschigen Parkgängcn zu mattem Halbdunkel verwandelten und denselben einen feenhaften Zauber verliehen. (Fortsetzung folgt.) Ihr einziger Fehler. Von M. Sanoi. (Nachdruck verboten.) „Du bist noch immer nicht fertig Bertha, und ich muß doch meine Vorlesung rechtzeitig beginnen. Deine Unpünktlichkeit ist schrecklich! Ich kann es nicht länger ertragen; dieses endlose Warten versetzt mich in eine Aufregung — . ." „Beruhige Dich nur, geliebter Wütherich, einen Fehler hat jeder Mensch und meiner ist nun 'mal zufällig die Unpünktlichkeit; möchtest Du lieber, daß ich unordentlich wäre, oder heftig und ungeduldig wie ein gewisser Brummbär? „Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige" heißt es; bist Du denn ein König? Dann brauchst Du auch gar nicht so unsinnig Präzise zu sein. Wenn Du jetzt schon zur Vor lesung erscheinen würdest, müßtest Du einfach auf Deine Zuhörer warten; nun geschieht es vielleicht umgekehrt, voilä tont; ich bin übrigens in einem Moment fertig." .... Damit verschwand sie, und ich kann darauf gefaßt sein, hier noch mindestens eine halbe Stunde zu warten; dann geht's eins, zwei, drei aus dem Hause, schnell in den Wagen, und wieder heraus, und wenn ich dann vor meinem Publikum stehe, so bin ich um meine Ruhe und Sammlung gekommen. Das ist ja eben das Schreckliche bei diesem Fehler, daß ich selbst dadurch so sehr in Mitleidenschaft gezogen werde. Aber warte nur, Frauchen, „ich will ihn nützen diesen Abend" sagt König Philipp. Oder um mit ihr zu sprechen: diesen „Moment!" Schreiblasel her, ich will es niederschreiben, wie mich Dein „einziger" Fehler peinigt und verfolgt. Zur Warnung für Leidensgefährten. Warum mußte aber gerade auch ich mich in diese Frau ver lieben, die das unpünktlichste Geschöpf ist, da» je gelebt hat und jemals leben wird und die mich täglich eine ganze Stufenleiter von Aerger und Qualen erdulden läßt. Bisher bin ich der exakteste und zuverläßigste Mensch gewesen und gerathe trotzdem durch ihre Lässigkeit auch in dieses Eilen, das mir so verhaßt ist! Unpünktlichkeit ist ihr steter Begleiter von Jugend auf gewesen, ja, ich möchte sagen, auch bereits vor ihrer Geburt, denn wie lange ließ sie Vater und Mutter auf ihr Erscheinen warten! Zehn Jahre waren Beide in kinderloser Ehe vereint, da endlich erblickte sie das Licht der Welt, und die Eltern durch sie eine Welt voll Licht und Fröhlichkeit. Da lag nun das liebliche schöne Geschöpf — und lieblich und schön ist sie geblieben bis auf den heutigen Tag, — da lag sie in den Armen der glücklichsten Mutter und war selbstver ständlich ein Kind, klüger und verständiger als all' die anderen aus dem Erdenrund. So wuchs sie heran, immer das liebenswürdige anmuthige Geschöpf, das Jeden bezauberte; ein kluges freundliches Schulkind, beliebt bei Mitschülern und Lehrern, aber berüchtigt säst durch ihre Unpünktlichkeit. Kam sie einmal pünktlich in die Klaffe, so war dies eben eine Ausnahme von der Reael ihres Zuspätkommens. Daß sie daun auf ihrem ersten Balle eine Stunde später als alle Uebrigen erschienen war, das war wieder, so behauptet sie wenigstens, der Schneiderin Schuld, die das Kleid so spät gebracht hatte. Zu den nächsten Bällen, o da würde sie sicher stets rechtzeitig erschienen sein, wenn ich auf diesem ersten Balle von ihr nicht so bezaubert worden wäre, daß ich mir mein Leben ohne diesen ver körperten Sonnenstrahl nicht mehr denken konnte, und mir das holde goldlockige Geschöpf nicht bald danach als reizende Frau Professor in mein Heim geholt hätte. Was habe ich Alles während der kurzen Zeit unseres Brautstandes von ihrer Unpünktlichkeit zu erdulden gehabt! Ich mußte warten, am frühen Morgen, des Mittags und des Abends, warten und wieder warten. Aber in jener Wonnezeit erträgt sich Alles leicht, da beglückt Alles an dem geliebten Wesen, selbst Fehler ... und sie hat ja nur den einen! Das wird sich schon bessern, tröstete ich mich, wann ich mein Weibchen erst ganz für mich haben werde; ich richte uns einen Stundenplan ein und schaffe mir dann wieder meine gewohnte Regelmäßigkeit. Ja Wohl! Weit gefehlt; um kein Jota ist cs anders geworden, denn vom frühen Morgen an bis spät in den Abend hinein muß ich auf Alles im Haushalte und am Meisten auf mein Frauchen warten. Schon der Morgenkaffee erscheint jeden Tag zu einer andern Stunde, und oft muß ich ihn noch dazu allein trinken, weil Bertha gerade etwas sehr Wichtiges — „es läßt sich nicht verschieben, heißt cs gewöhnlich" — zu thun hat. Zumeist holt sie dann irgend eine Versäumniß nach, schreibt eilig eine Gratulationskarte, die schon gestern weg sollte, oder heftet eine Schleife an ihr Morgenhäubchen — kurz, es geschieht irgend Etwas, das, weil verspätet, nun in Eile beendet werden muß. Wenn ich mich dann beklage, so lächelt sie mich mit dem lieblichsten Gesichtchen der Welt an und dann höre ich: „Du bist ein Pedant"; oder „die Dinge, welche man „in der letzten Minute" vornimmt, gelingen stets am Besten." Wie oft schon habe ich die Suppe kalt essen müssen, weil ich und die Köchin auf die gnädige Frau warten müssen, die dann endlich, wann sie erscheint, immer irgend ein Malheur erlebt hat und dadurch ganz ohne ihr Verschulden die Mittagsstunde nicht einhalten konnte. Da war in drei Pferdebahnwagen kein Plätzchen mehr zu finden, oder sie war durch die Mama so „furchtbar" aufgehalten worden, daß sie nun leider „einen Augenblick" zu spät gekommen ist. O dieser „eine Augenblick." Wie der berühmte rothe Faden in der englischen Marine, von dem uns Goethe erzählt, zieht er sich durch wein Ehelebeu und manchmal fürchte ich, daß „ein Augenblick" kommen könnte, »o ich dem Augenblicke zürnen möchte, in dem mich Amor's Pfeil getroffen. Erwarten wir Gäste, so muß ich den Empfang- meistens allein besorgen, weil Bertha noch „einen Augenblick" mit ihren Anordnungen in der Küche zu thun hat; besuchen wir eine Gesellschaft, so sind wir sicher die zuletzt Erscheinenden, weil sie zu spät angefangen, Toilette zu mache». Und dabei ist sie eine thätige Frau, die geliebten Hände ruhen keinen Augenblick; es geschieht immer Etwas, aber Nichts zur rechten Zeit. „Pünktlich sein heißt auf Andere warten müssen" — predigt mir oft ihr süßer Mund, „ich habe ja nur den einen Fehler!" Aber mich bringt er zur Verzweiflung dieser eine Fehler. Horch! ich höre Schritte, da ist sie! „Siehst Tu, da bin ich, bist Du böse? ich habe Dich doch wirklich nur einen Augenblick warten lasten." Ob ich ihr diese Zeilen zeigen soll? Gewiß, was thuts? Es ist ja ihr einziger Fehler. Im Zickzack Plauderei von O. Bütow. (Nachdruck verboten.) Wir stehen am Vorabende großer Ereignisse. Düstere Wolken thürmen sich am politischen Himmel auf, hier und da zucken schon einzelne Blitze, doch Niemand weiß wann sich das Gewitter entladen wird? Nur das Eine ist klar: Der Vorabend großer Ereignisse ist da und die am bekümmertstcn demselben entgegensehen, das sind die Frauen. Die Frauen? Ja, die armen Frauen, denn es werden wieder schwere Tage für sie kommen, Tage, wo der Mann nimmer gedenken wird, daß er zu Hause Weib und Kind hat, daß ein recht schaffener Bürger um zehn Uhr zu Hause sein soll, und daß die Suppe kalt wird, wenn der Hausherr den Frühschoppen bis auf den Abend ausdehnt. Und je größer die Stadt, desto schlimmer wird es sein, und geradezu schändlich in Berlin. Ich sehe schon im Geiste den Rentier Schnubbe — wer kennt ihn nicht, den jovialen, alten Herrn? — wie er mit gedankenschwerer Stirn vor seine bessere Hälfte tritt und spricht: „Frau" — (gewöhnlich sagt er Laura, manchmal auch Lurchen, Frau nur, wenn es sich um große Ereignisse handelt, z. B. Hundesperre, Fallen seiner Leberthranfabrik-Aktien oder dergl.) „Frau" wiederholt er, und seine sorgenvolle Miene wird noch sorgen voller, „ich gehe aus!" — „Wirklich?" fragt sein besserer Theil. — „In die Wahlversammlung im Eiskeller. Der konservative Kandidat wird über den zersetzenden Einfluß der Deutsch-Freisinnigen auf's Volk reden." — „Warst Du denn gestern nicht bei den Deutsch-Freisinnigen im Tivoli?' — „Es ist Pflicht jedes friedliebenden Menschen, sich über die Umsturzpläne dieser staatsgefährlichcn Menschen zu unterrichten; da lobe ich mir die Antisemiten —" „Willst Du denn Antisemit werden?" fragt sein besseres Ich- wieder. „Frau," sagt Herr Schnubbe und legt sein Gesicht in ent rüstete Falten, „beleidige mich nicht. Ich meine nur, die Antisemiten kennen sie aus dem ü., darum gehe ich hin — darum muß ich hingehen! Und morgen, Laura, muß ich zur Volksversammlung im Kolosseum, da wird rin Kandidat der Antiliberalen über die Schlech tigkeit der Liberalen reden." „Und übermorgen?" lächelt Frau Schnubbe ein wenig spöttisch. „Uebermorgen? Ja, Lorchen, übermorgen möchte Freund Krabbe gern mit mir in den liberalen Wahlverein gehen, da sollen die reaktionären Gelüste der — der Konservativen, glaube ich, gründlich 'runtergerissen werden. Liebes Kind, cs giebt so viele Parteien, daß man sich gar nicht mehr auskennt." — „Sag mal, Rudolf, wenn Du auf alle Parteien schimpfst, warum gehst Du denn hin? Zu welcher gehörst Du denn?" — „Ich ? — Oh — wie Du auch so fragen kannst, liebes Herz, das ist ja aber das fein Diplomatische, ich habe mir gar kein Wahlprogramm ge macht, gerade wie der Minister, der horcht auch immer — ja, ja. Also adieu! cs wird heute Wohl wieder eine lange Sitzung werden, darum warte nicht; ich kann mich ungestörter in die politischen Wirren ver tiefen, wenn ich weiß, daß Du bereits schläfst. Aber, bitte, laß die Lampe brennen, man ist beim Nachhausekommen von all den Wahl kämpfen so erregt und —" damit schwankte Herr Schnubbe zur Thür hinaus Draußen aber lacht er und schlägt ein Schnippchen, was ungefähr soviel heißen mag als: Der habe ich wieder was Schönes weiß gemacht! — Wie gesagt, eS werden schwere Zeiten kommen und nicht allein für die deutschen Frauen, sondern auch für die egyptischen Pharaonen. Die schönen Tage von — Memphis sind vorüber, wo man sich Pyramiden bauen lasten konnte auf Staatskosten, und Hundert tausende von treuen Sklaven beschäftigt waren, den Pharaonischen Staatssäckel, dieses Danaidenfaß, immer wieder zu füllen. Jetzt möchte man jene pyramidalen Ungethüme wohl gerne versilbern, um die große Rechnung zu bezahlen, die ihnen der böse Oheim in England aufgestellt hat. Freilich, er hat in Aussicht gestellt, daß die Angelegenheit demnächst in einem Kongreß eingehend berathen und beschlosten werden soll, rlls wenn Egypten soweit in — Hinter indien läge, daß man dort nicht wüßte, wie es auf solchem Kongreß zugeht? Als ob die Frau Nachbarin am goldenen Horn nicht schon Jedermann kund und zu wissen gethan hätte, daß ein Kongreß aus einem großen Tisch besteht, der meistens sehr schön grün bezogen ist und um den eine Menge Herren sitzen, Jeder mit einer Gabel — Pardon, einer Feder in der Hand. Und nun gehts los. Sobald der Braten, sagen wir z. B. Egypten, aufgetragen, langt Jeder zu, und Wenns zu arg wird, sagt wohl Einer: „Halt, der drüben hat zuviel bekommen!" — „Jn der That," ruft der „aufthuende" Präses, „Sie werden sich den Magen an dem fetten Bisten verderben — bitte, geben Sie Ihrem Gegenüber Etwas ab. Haben Sie nun genug? Was? Das nennen Sie einen „Wüsten"-Knochen? Sie werden noch das ganze Kongreß-Souper mit Ihren Ouängeleien stören — hier, haben Sie noch ein Ende Nil!" So wird dann Egypten auf dem Kongreß vollständig verspeist, so daß nicht einmal ein paar Brunnen-Portionen für den armen Mahdi übrig bleiben. Mancher möchte es vielleicht bezweifeln, daß solches der Zweck eines Kongrestes sei, und doch giebts Beispiele in schwerer Menge dafür. Auch in Wien wird man sich demnächst in einem internationalen Kongreß mit ernsten Plänen beschäftigen, und bereits sind die einleitenden Schritte gethan, um dort endlich und endgiltig über das Schicksal eines Daseins zu beschließen, das, wie gewisse Reiche im Morgenlande, die Mitte hält zwischen Leben und Sterben. Die hervorragendsten Schneider der Welt werden sich daran betheiligen, und es ist wirklich zu befürchten, — oder, wenn wir grausam sein wollen, zu wünschen — daß es dem armen Schelm an den „Kragen" gehe, denn lange genug hat er die ganze Welt, Männlein sowie Weiblein, geärgert durch sein ausdringliches Be nehmen (sogar in die höchsten Kreise hat er sich eingedrängt), durch sein albernes Aussehen und durch sein „herumschwänzelndes" Wesen. Niemand kann ihn leiden; Jedermann schreit bei seinem Anblick: ,O der abscheuliche — Frack!" Nun also wird man ihm auf dem internationalen Schneiderkongrcß in Wien endlich den Garaus machen, (es ist klar, auf Kongressen wird immer Jemand umgebracht) nun soll er endlich heimgeschickt werden zu den Vätern und Vatermördern. So leben Sie denn wohl, Sie — Ungeheuer, reisen Sie glücklich in die Vergangenheit, Herr Frack, und bitte, grüßen Sie dort recht schön Ihre Kousine, Frau Krinoline! — Verantwortlicher Redakteur Franz Götze iu Chemnitz. — Druck und Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz.
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