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Großenhainer Anterhaltungs- und Anzeigeblatt. Gedruckt, verlegt und redigirt von Herrmann Starke. 58. Mittwoch, den 19. Juli 1848. Lagesnachrichten. Da wir glauben, daß der jetzige Chef der aus führenden Gewalt Cavaignac mehrfaches Interesse erregt hat, so geben wir eine kurze Lebensbeschrei bung desselben. Elconor Louis Cavaignac, jetzt Dictator von Frankreich, ist zu Paris im Jahre 1801 geboren. 1830 war er einer der thätigsten Theilnehmer und Kämpfer bei der Julirevolulion, ein Gegner der Thronerhcbung Ludwig Philipps und lange Zeit ein erbitterter Feind desselben. We gen Theilnahme an den Aufständen im October und December 1830 ward Cavaignac verhaftet, je doch von den Geschwornen sreigesprochen, entging auch als Haupt des „Vereins der Volksfreunve" 1832 der Vcrurtheilung. 1834 war er einer der Häupter des Aufstandes in Lyon und kurz darauf in Paris, wurde auch deßhalb gefangen genommen, entzog sich jedoch durch die Flucht der Bestrafung am 13. Juli 1835. Im Januar 1836 ward Ca vaignac, der jedoch schon langst in England war, aus Frankreich verbannt und kehrte erst nach dem Erlaß seiner Strafe 1837 im September m sein Vaterland zurück, trat nun in die Dienste Ludwig Philipps, ward Oberster und 1846 General und Commandant der Truppen in Algier. Nach den Februartagen 1848 wurde er zum Statthalter von Algier ernannt, später Kriegsminister, am 24. Juni Chef der ausführenden Gewalt bis zur Dämpfung der Revolution. Als er am 28. Juni sein Amt in die Hande der Nationalversammlung niedergelegt hatte, wurde er durch Zuruf unter dem Titel Prä sident des Ministerrathes, mit dem Rechte, sich seine Minister frei zu wählen, von Neuem mit einer außerordentlichen Gewalt bekleidet, so daß die re publikanische Selbstregierung Frankreichs mit dem Tage vier Monate gedauert hat. — Der Depor tationsplan in Hinsicht auf die Insurgenten ist ab- geandert worden ; die schwerschuldigen und schon einmal bestraften werden nach Guyana geschickt und dort zu schweren Arbeiten unter Aufsicht ver wendet; die weniger Schuldigen und Verführten in eigenen Districten in Algier angesiedelt, erhal ten Grund und Boden, sowie das nöthige Hand werkszeug, welches, sobald sie Heimchen und Kinder haben, ihr Eigenthum wird. — Die französische Nationalversammlung theilt sich jetzt in zwei scharfe, fast gleiche Parteien; die eine will die constitutio- nelle Republik, die blos noch dem Namen nach Republik sein würde, die andere die nordamerika nische Republik mit Cavaignac als Präsident. — Der vorige Präsident der französischen Republik, Lamartine, welcher einige Wochen lang der Abgott Frankreichs war, wird jetzt kaum mehr erwähnt und will eine Reise nach dem Orient antreten. — Cavaignac wendet zur Erhaltung der Ruhe sehr energische Mittel an und scheint den Belagerungs zustand von Paris noch lange nicht beendigen zu wollen. In der Nähe von Paris wird ein Lager von 50,000 Mann regulärer Truppen errichtet, gegen welchen Act nur die äußerste Linke in der Nationalversammlung sich erhob, jedoch erfolglos. — Wegen der Cautionsstellung haben viele politische Journale schon aufgehört zu erscheinen. Die Sum men sind auch ziemlich hoch und hätten wir das Unglück, für Deutschland ein ähnliches Gesetz zu erhalten, so würden wir bald gar kein politisches Journal mehr haben, oder doch sehr wenige. Für die in der Nähe von Paris und in der Stadt selbst erscheinenden Zeitungen muß nämlich Cauttvn ge stellt werden, bei täglichem Erscheinen 24,000 Fr., bei wöchentlich zweimaligem Erscheinen 18,000, bei wöchentlich einmaligem Erscheinen 12,000 und für die monatlich erscheinenden 6000 Fr. Die Pro vinzialblätter haben in Städten von 50,000 Seelen 6000 Fr. und in kleineren Städten 3500 Fr. zu zahlen. — Auch über die Clubs und Vereine ist ein strenges Gesetz erschienen. Alle bewaffneten Zu sammenkünfte sind durch strenge Strafen bedroht; die Eröffnung eines jeden Vereins muß der Polizei mindestens 48 Stunden vorher angezeigt werden; alle Clubs müssen öffentlich sein, wenigstens ein Viertel der Plätze für Nichtmitglieder und einen Platz für einen Polizeibeamten frei lassen. Abgeord nete eines Clubs an andere Vereine zu senden, ist nicht erlaubt. Man sieht hieraus, daß Frankreich, mit Ausnahme einer Minderzahl ewig unzufriedener Subjecte, der Wühlereien und Aufregungen der Vereine überdrüssig ist, obgleich sie mit einer sol chen Anmaßung sich in die Regicrungsgcschäfte nie mals gemischt haben, wenigstens bei der Regierung niemals eine solche unverzeihliche Schwäche und Nachgiebigkeit gefunden haben, als cs hier und da in Deutschland geschehen ist. Ein Ministerium muß über den Parteien stehen, nicht der Spiclball der Parteien sein, wenn cs seinen Posten ausfüllen