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Lagesneuigkeiten. In Hinsicht auf die Wahl des deutschen Reichs- Verwesers, Johann, Erzherzog von Oestreich ist noch zu erwähnen, daß die äußerste Linke dcßhalb nicht bei dieser Wahl sich betheiligte, weil ein un verantwortlicher Reichsverweser ihrer Ueber- zeugung zuwider war. Was nun den Erwählten selbst anlangt, so thei- len wir Folgendes mit: Johann, Erzherzog von Oestreich, ist geboren den 20. Januar 1782 und ist der sechste Sohn Kaiser Leopolds II. mit der In fantin Marie Louise, der Tochter König Karls III. von Spanien. Die Ausbildung seines Geistes ver dankt er mehr sich selbst, als seinen Lehrern. An den Kriegen mit Napoleon nahm er längere Zeit als Oberbefehlshaber eines Armeecorps Theil. Seit 1816 hat er größtentheils in Gratz, der Hauptstadt Steiermarks, seinen Wohnort gehabt, da er mit dem Mettcrnichschen Treiben und dem Leben am Wiener Hofe sich nie befreunden konnte. Er war es auch, der in Eöln die berühmt gewordenen Worte sprach: Kein Oestreich, kein Preußen; ein einiges freies Deutschland! dafür aber in Wien einen nicht eben angenehmen Empfang hatte. Derselbe steht jetzt im 67. Lebensjahre. Die deutsche Bundesversammlung hat eine Be glückwünschungsadresse an denselben abgehcn lassen, worin zugleich versichert wird, daß sämmtliche Für sten mit seiner Wahl sich schon vorher einverstanden erklärt hätten. Bei der neuen Präsidentenwahl der Nationalver sammlung (sie geschieht alle 4 Wochen) ist Gagern wieder mit großer Mehrheit zum Präsidenten er wählt worden. Erster Bicepräsioent ward Soiron, zweiter Andrian. In Karlsruhe ist die Wahl des Reichsvcr- wesers sehr festlich begangen worden. Die Kriegsangelegenheiten mit Dänemark ha ben die friedliche Wendung wieder verlassen. Die Unterhandlungen wegen des Friedens sollen gänzlich abgebrochen sein, da die Dänen mit großer Unver schämtheit ihre Bedingungen stellten. Die deutsche Bundesmacht rückt wieder nach dem Norden vor, findet aber nirgends mehr die Feinde, welche sich bis jetzt überall eiligst zurückgezogen haben. Auf welche Hülfe die Dänen sich stützen, ist schwer ein zusehen, da der kriegerische Geist der Schweden und Norweger sich schon sehr abgekühlt hat, von Rußland aber schwerlich Hülfe erwartet werden zu können scheint Die Tscherkessen, zu denen eine dunkle Kunde von den Ereignissen in Deutschland und Frankreich gekommen zu sein scheint, haben wiederum mehrere bedeutendere Einfälle in die russischen Grenzorte ge macht, und sollen sich wiederum zu einem ent- scheidenden Kampfe vorbereiten. Rußland ist daher gezwungen, daselbst ein bedeutendes Heer zu halten. Eine zweite Truppcnmacht braucht dasselbe im In nern des Landes, da in den großen Städten des Reichs eine nicht geringe Unzufriedenheit herrschen soll. In Petersburg selbst soll ein neunstündiger Aufstand stattgcfundcn haben, doch ist nichts Ge naueres darüber zu erfahren gewesen. Alle Deut schen im Innern des Reichs, selbst wenn sie ver- heirathet und ansässig sind, werden der Sage nach entfernt, wenn sie nicht schon 18 Jahre in Ruß land verweilt haben. 18 Jahre scheint also die rus sische Regierung für hinlänglich zu halten, um rus sische Biloung (?) einzuimpfen. Eine dritte Trup penmacht hat Rußland für Polen nöthig. Wenn nun dasselbe auch ein Heer von 600,000 Mann stellen kann, so würde es doch kaum die Hälfte disponibel haben, welcher Umstand die Russenfurcht wohl zu mäßigen im Stande ist. Die größte Lust scheint Rußland vor der Hand zur Eroberung der Donaufürstenthümer zu haben, wenn England und die andern Mächte damit einverstanden wären. Für Deutschland wäre cs sehr wenig wünschenswerth die unteren Donauländer und die Schifffahrt dieses Flusses an Rußland übergehen zu sehen. — Nach unserer Meinung droht ein gefährlicherer Feind von Osten, als das russische Militär, näm lich die Cholera, welche am 2 t. Juni in Peters burg ausgebrochen und auch in Moskau sehr heftig ausgetreten ist, so daß von 222 am 1t. und 12. Juni Erkrankten 122 starben. Außerdem herrscht diese Krankheit noch in 20 anderen südlichen und west lichen Regierungsbezirken Rußlands. In Frankreich ist die Ruhe so ziemlich her gestellt. Paris ist noch im Belagerungszustand, und wird es auch noch 10 —14 Tage bleiben. Man will diese Zeit benutzen, um eine Menge Gesindel, aus entlassenen Sträflingen, Dieben rc. bestehend, welches bis zu 20,000 Mann angewach sen war, zu fangen und aus Paris an geeignetere Orte zu versetzen. Die Anzahl der gefangenen Auführer beträgt gegen 7000. Die Schiffe zu ihrer Transportation nach den Inseln Cayenne (wo der Pfeffer wächst), Pondichery und Mayotte sind aus gerüstet und die Abreise, zu der sich ganz Frank reich Glück wünscht, wird nächstens erfolgen. Den Weibern und Kindern ist es sreigestcllt, ihren Män nern zu folgen. Unter diesen unfreiwilligen Aus wanderern befinden sich auch 700 Deutsche. Alle politischen Clubs und Bereine in Paris und Frankreich sind geschlossen, desgleichen viele wüh lerische und Aufruhr predigende Journale theils un- terdrückt, theils »aus Furcht vor der Strafe selbst eingegangen. — Die Hälfte der Stadt, in welcher der Kampf wüthetc, ist sehr übel zugcrichtet. Die meisten Häuser sind durch die Kanonenkugeln arg beschädigt, mehrere selbst zusammengestürzt. — Elf Weiber, welche vergiftete Getränke während der Revolution an die Soldaten und Nationalgardc verkauft hatten, wurden sogleich erschossen und niedergehauen. Als ein Beispiel, wie weit es die Roheit bringen kann, verdient cs Erwähnung, daß eine Anzahl Weiber um einen auf einen Pfahl ge-