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Großenhainer Anterhaltungs- und Ameigeblatt. Mit Hoher Concession gedruckt, verlegt und redigirt von Herrmann Starke. 55. Sonnabend, den 10. Juli 1847. Unstern. Schluß.) «Somit, meine Damens, schloß Julius seine Erzählung, «habe ich Ihnen die Geschichte der vier merkwürdigsten Tage meines Lebens wahr und ohne Ausschmückung erzählt. Sie bietet so viel des Lächerlichen, so viel des Vorwurfs, daß ich mich selbst leider nur zu sehr schelten und verdammen muß. Aber richten Sie mich nicht zu streng! Bedenken Sie, daß in dem jugendlichen Kopfe eines phantasiereichen Man nes die Dinge oft ganz anders aussehen, wie in der Wirklichkeit. Bedenken Sie, daß es wenigstens ein wahres, heiliges Gefühl war, welches mich so viele Thorheiten begehen ließ, und verwerfen Sie mich nicht, stoßen Sie mich nicht von sich!» «Aber, mein Herr —» sagte Frau Heltmann, ihrer Tochter ein Zeichen gebend, «doch es ist Zeit, daß wir nach Hause zurückkehren. Wir werden Ihnen den Nachen wieder hierher zu rücksenden, um auch Sie nach Worstadt zu bringen. Da Sie heute noch abreisen, so leben Sie wohl und merken Sie sich die Lehre, daß man wohl einmal thörichte Streiche machen kann, aber durch diese nicht Andre compromit- tiren darf.» Julius stand da wie ein armer Sünder. Die Damen hingen die Tücher um, sie bereiteten sich zum Fortgehen. «Sie vergeben mir also nicht, Sie lassen mich trostlos von Ihnen scheiden?» sagte der junge Mann mit bewegter Stimme. «Gern sei Ihnen vergeben», erwiderte Frau Heltmann. «Reisen mit Gott und vergessen Sie, was Sie hierher geführt.» «Das kann ich nicht , schrie Julius, «bei Gott, das kann ich nicht. Ich werde niemals vergessen, wem ich mein Leben verdanke. Und wenn Sie auch nicht erlauben, daß ich mich Ihnen in einem anderen Lichte als dem, in welchen ich Ihnen erschienen bin, zeigen darf, so sollen Sie dennock erfahren, daß cs kein Unwürdiger gewesen ist, der Ihnen jetzt so be schämt gcgenübersteht. Gewiß, Julius Wild ist zwar oft ein unbesonnener, aber niemals ein unwürdiger Mann gewesen. Gedenken Sie dieses Namens!» Fast erschreckt sahen sich die beiden Damen an. «Julius Wilv?» frug Frau Heltmann fast athemlos, «Julius? Ist es denn möglich? Sie, Sie sind Julius Wild, der Neffe meiner theu- ren Amalie?» «O, Sie kennen Tante Amalie?» rief der junge Mann entzückt, «dann ist Alles gut. Dann können Sie mir nicht mehr zürnen, müs sen mir vergeben!» Frau Heltmann betrachtete mit einer Thräne im Auge den Jüngling. «Ihre Mutter war meine Freundin, wie es Ihre Tante ist, Ju lius», sagte sie, «und ich habe Sie oft als Kind auf meinen Armen getragen. Und jetzt kommen mir Ihre Züge auch so bekannt, so längst gesehen vor, daß ich nicht mehr zweifeln kann. Welch' glücklicher Zufall! Warum aber, böser Mensch, haben Sie nicht früher Ihren Namen genannt? Doch jetzt keine Vorwürfe, keine Erörterungen mehr. Davon, daß Sie abreisen, lieber Julius, ist nicht mehr die Rede, Sie müssen nothwendig einige Tage bei uns bleiben, damit wir und unsere Freunde wieder gut machen können, was wir an Ihnen, Wild fang, verbrochen haben.» Wie gerne ließ er sich halten. Er bot Ma rien den Arm, und noch war das jenseitige Ufer nicht erreicht, da hatten sich die Beiden schon Vieles gesagt, bekannt, gestanden. Auch der Brief an die Tante kam zur Sprache; Marie zog ihn lächelnd aus dem Arbeitsbeutel. Julius bat um die Zurückgabe; das liebe Mäd chen sagte aber: «Nein, nein, den behalte ich zum Angeden ken; er hat mir mehr gesagt, mehr Freude gemacht, als das schönste Gedicht.» Wie erstaunten die Worstädter, als der Ruhe störer, Rossebändiger mit den Heltmann'schen Damen durch die Straßen ging, und zwar in Bauerntracht! Wie verwunderte sich Papa Helt mann, als er seine Frau am Arme des Sub- scribentensammlcrs in das Zimmer treten sah und diesen als Freund der Familie vorgestellt bekam! Und wie große Augen machte Tante Amalie, als sie am siebenten Tage der Abreise ihres Neffen folgenden Brief erhielt: