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Grossenhainer Nnterhaltungs-und Anzeigeblatt. Mit Hoher Concession gedruckt, verlegt und redigirt von Herrmann Starke. Io Sonnabend, den 20. Februar 1847. Die Ohrfeige. Der berühmte Herzog von Richelieu, galanten und ritterlichen Andenkens, war in seinem letzten Lebensjahre noch genöthigt, das wichtige Amt eines Präsidenten des Ehrengerichtes zu begleiten. Dieses seltsame Tribunal, an welchem jeder der Richter außer seinen übrigen hohen Aemtern noch durch den selbstverdienten Marschallsstab sich aus zeichnete, hatte vom König den gemessenen Be seht bekommen, zur Verhinderung oder Bestra fung der Duelle milzuwirken, die in jener Zeit in Frankreich so sehr an dcrTagesordnung waren, daß man von früh bis spät fast aus jedem Ge hölze Pistolenknall oder Degengeklirr erschallen hörte. Die Wahrheit zu gestehen, bekannten die Herren Mitglieder des Ehrengerichts privatim ganz offen, .daß ihre Ansichten über Ehre und Duelle in offenem Widerspruche mit den Pflich ten und Principien ihres Standes ständen; alle diese hoben Schiedsrichter in Ehrensachen hatten sich selbst schon zwanzig-, ja hundertmal ge schlagen , und waren gewiß nur mit Wider streben dazu zu bringen, den ihrem Richterspruch Unterworfenen jenes Recht persönlichen Muthes zu versagen, das sie sich selbst in den schönen Tagen ihrer glorreichen Jugend so oft zu Nutzen gemacht halten. Der Herzog von Richelieu na mentlich , dem es noch in frischem Andenken war, daß der Prinz von Liren von seiner Hand ge fallen war, verweigerte niemals Einem die Er mächtigung zum Duell, und hütete sich noch mehr, einen Proceß gegen einen Solchen einzu leiten, der sich tapfer geschlagen und nobel ge rächt hatte. Galt es, in der Ausübung seines Amtes einen Kläger zu bescheiden, ver dem Ehren gericht das Geheimniß einer Beleidigung an vertraute, die er erlitten hatte, so hütete sich der alte Marschall wohl, ihn in bündigen Wor ten zur Rache, zur Wiedervergeltung, oder zu einem Duell zu ermächtigen, allein er wußte immer eine ziemlich gewandte, geistreiche Scherz rede oder Entscheidung auszutheilen, mittelst deren er dem Kläger seine eigene Ansicht über die zu befolgende Handlungsweise und die zu fordernde Genugthuung mittheilte. Eines Tages waren alle Mitglieder des Ehren gerichts außerordentlicher Weise bei dem Marschall de Richelieu in einem der Säle des Pavillons versammelt; als sie erst in den Stühlen saßen, hatten sie nichts Eiligeres zu thun, als die Last der Amtsgeschäfte und die Prüfungen der Streit fragen abzuwickeln, welche man ihrem Richter spruch unterworfen hatte; alsdann war die lästige Amtspflicht bald vergessen, und man erging sich nach Herzenslust in einem angelegentlichen Ge spräche über allerlei Gegenstände des Tages. An Stoff zum Gespräche fehlte es Gottlob nicht; man sprach von den Philosophen und den Tän zerinnen, die eben im Schwünge waren, vom großen Friedrick und der kleinen Duthe, von der Encyclopävie und der Mademoiselle Guimard, von Herrn v. Laudun und den geheimnißvollen Seufzern Marie Antoinettens, von dem Privat vermögen Ludwigs des Sechzehnten und den leeren Kassen des Staates, von den neumodi schen Beinkleidern, die aus England herüber- kamcu und den neuen Damenmoden, welche die Königin erfunden hatte — kurzum die Herren Marschälle schienen ganz des Ernstes und der Würbe ihrer Stellung zu vergessen, um sich mit desto innigerem Vergnügen einer Fröhlichkeit hinzugeben, zu welcher der Herzog von Riche lieu durch seinen unwandelbaren Frohsinn selbst aufzufordern schien. So war es schon spät ge worden, und man stand bereits im Begriff, die Sitzung des Ehrengerichts zu vertagen , als einer dcr Laquaien des Hotels dem Herzog von Riche lieu meldete, daß ein Ofsicier von den franzö sischen Garden um die Erlaubniß bitte, vor dem Ehrengerichte erscheinen und reden zu dürfen; auf die Erlaubniß des Präsidenten erschien denn auch sogleich ein hübscher junger Mann von etwa 20 Jahren auf der Thürschwelle, grüßte seine Richler ehrerbietig, übergab seinen Degen einem derselben, trat dann in den Salon vor, und wandte sich mit zitternder Stimme an den Präsidenten der Marschallstafel, um seine Klage vorzubringcn. «Gnädiger Herr,r hob er an, «ich habe mich mit einem Gecken gezankt, der mir Herz und Hand einer geliebten Dame streitig macht; er rühmte sich frechcrweisc der Gunst dieser Dame, ich hieß ihn einen Lügner, und er gab mir dagegen eine Ohrfeige, — was soll ich nun machen?,'