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Grossenhainer Unterhaltungs- und Än^eigeblatt. Mit Hoher Concession gedruckt, verlegt und redigirt von Herrmann Starke. 9. Sonnabends, den 30. Januar 1847. Die Turner. (Fortsetzung.) Aber die Kirche hat dennoch die Art der Volksbildung, von der wir reden, nie begün stigt, und sie kann es ihrem (oben angedeute ten) Begriff nach nicht, während das Christen thum, das den Menschen aus ihm selbst wic- vergeboren werden läßt, ihre dauernde Quelle ist. Aber die Kirche vermochte auch in der Zeit ihrer unbedingtesten Herrschaft nicht jene Volksbildung, die aus der natürlichen Urkraft des Menschen fließt, zu überwinden, sie nahm sie vielmehr im Mittelalter in ihre eignen Dienste auf. Denn was die Gymnastik der Alten war, und was das Turnen bei uns wieder werden will, dem entspricht im Mittelalter das Tur nier. Freilich ist das Turnier jener Zeit eine sehr unvollkommene und einseitige Erscheinung dessen, wovon wir hier handeln, denn es war Sache eines bevorrechteten Standes, des Ritter standes, und entfaltete sich in der einseitigen Anwendung auf Fehde und Krieg. Aber den noch zeigt sich ein großer Fortschritt im Ver gleich mit dem Alterthum. Nemlich das Rit- terthum verschmolz in seiner Art auf eine vor bereitende schöne Weise die alte germanische Kraft mit dem Geiste des Christcnthuüis. Dem alten Deutschen galt nur derjenige als Mann, der im Selbstgefühle seiner Kraft seine Mann heit bewies und seine Anerkennung nöthigcn- falls erzwang. So lange diese Kraft eine rohe ist, wird Barbarei ihr Element sein. Aber die Ritterlichkeit erwuchs aus ihr eben dadurch, daß sich die Religion der Liebe mit ihr ver mählte. Am charaktervollsten zeigt sich daher der Fortschritt gegen das Griechenthum in Be zug auf das Weib. Das Weib, das im Al lerthum wesentlich noch als Sclavin gilt, ist jetzt die Freie geworden, wie cs das Christen- thum fordert, und der Ritter, der sonst wohl Alles zu zwingen weiß, nimmt doch der Frauen Hand nur als freie Gabe an und fühlt sich überhaupt als ihr und aller Schwachen gebor- ner und berufener Beschirmer. Um nun in einer Zeit, wo Alles noch auf die persönliche Tapferkeit ankam, hierfür tücktig und streitbar zu sein, bedurfte es der'tüchtigsten Leibes übungen, welche kunstmä'ßig erlernt, und im Turnier und Fehde nach einem völligen System von Regeln angewendet wurden. Das sind die wahrhaften deutschen Mannen, deren Kriegs- thaten wir bewundern, und vor denen wir selbst staunen, wenn wir heutzutage ihre Schwer ter, die wir nicht mehr schwingen können, zu Hand nehmen, und den beschämenden Beweis in Händen halten, daß ihre Kraft von unserm Geschlechte gewichen ist. Und ist es die persön liche Kraft des Geistes und der Gesinnung nicht leider auch? Immerhin mag in jener Zeit mit dem Ritterwesen auch noch viel Barbarei verbunden gewesen sein. Aber man soll des halb den Glanz vorhandener Tugend nicht ver kennen, noch sagen, daß solche Kraftbildung des Volkes zur Rohheit führe. Wie bei den Griechen führte sie auch bei den Deutschen zur Bildung, denn sittlicher Sinn und sinnige Zart heit blühete mit der Turnierkunft überall in den deutschen Gauen auf, Sanges-und Dicht kunst war überall im Gefolge, bereitete allen edlen Künsten und Wissenschaften allmählig den Weg, und wie in Griechenland einst, nahm sie auch hier die Religion, nur in der reinern Form des Christenthums, als ihren beseelenden Geist in sich auf. Doch diese Zeit liegt begraben, begraben mit ihren Tugenden und ihren Mängeln. Die Welt ist anders geworden, auch die Zustände, welche hierbei zunächst in Betracht kommen. Die Tur nierfähigkeit auf dem Kampfplatz der Welt wird nicht mchr mit Wappen und Diplom, son dern allein mit der Mannhaftigkeit Leibes und der Seele erwiesen. Seitdem wir wieder Kö nige vom Thron auf das Schaffot und in die Verbannung gehen und Männer des Volkes Throne besteigen sahen, und seitdem das Chri, stenthum angefangcn hat seine Grundlehren von Mcnschentugend und Menschenwcrth und Men schenrecht in neuen Zungen den Völkern zu pre digen, seitdem fängt der Mensch wieder an nur als Mensch und nur soviel zu gelten, als er taugt. Dazu wird die Jugend des Volkes im mer mehr erzogen. Man richtete seine Bemü. Hungen besonders, und mit Recht, auf die gei stige Erziehung; und es ist seit einem Jahrhun dert hierin im Vergleich mit früher Ungeheures