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Grossenhainer Anterhaltnngs- und AnMgeblatt. Mit Hoher Concession gedruckt, verlegt und redkgirt von Herrmann Starke. 4. Mittwoch, den 13. Januar 1847. Die Namensvettern. (Fortsetzung.) Endlich brach der Tag an; hier und da schau ten Köpfe hinter den Vorhängen hervor, und mehrere Stimmen fragten den eintrctenden Schiffsjungen, wie viel Uhr cs sei, und wo das Schiff sich befinde. Die Passagiere standen einer nach vem andern auf, kleideten sich an und begaben sich auf das Verdeck. Auch mein Namensvetter folgte dem Beispiele der Uebrigen. Ich betrachtete ihn mit stillem Ingrimm. Er war ein hübscher Mann von etwa 28 Jahren, mit einer Habichtsnase und schwarzen Augen. Seine blühende Gesichtsfarbe beurkundete ein behag liches, sanguinisches Temperament, welches unter allen Verhältnissen sich gleich bleibt. Er hatte in seinem ganzen Wesen eine desperate Nonchalance, von welcher ich mir in meiner reizbaren Stimmung nur ein Quentchen ge wünscht hätte, und außerdem zeigte sein frisches kräftiges Aussehen, daß er in meinem Bette sehr ruhig und süß geschlafen hatte. Trotz der bedeutenden Portion Galle, welche mir ohne Zweifel in den Magen getreten war, wuchs mein Appetit mit jeder Secunde zu einem wahren Wolfshunger, und ich hörte mit be deutendem Wohlgefallen das Klappern der Tassen und Teller über mir. John Brown hatte endlich zu meinem und des Unter-Pro- viantmeisters größten Wohlgefallen seine Toi lette beendet. Kaum hatte ich mich jedoch von meinem improvisirten Lager erhoben, so bekam ich einen heftigen Anfall von der Seekrankheit, ich vermochte mich nicht auf den Füßen zu halten, und sank in meinen Winkel zurück. Die Pas sagiere, welche die Kajüte sehr froh und heiter verlassen hatten, kamen einer nach dem andern leichenblaß und mit wankenden Schritten zu rück. Es war ein Trost für mich, alle die see kranken Leidensgefährten aus meinem Versteck zu beobachten, wie sie so hastig ihrer Kleider sich entledigten und ihre Hängematten aufsuch ten, wo sie seufzten und ächzten, und gar jämmerlich sich geberdeten. Ich fühlte eine wilde Schadenfreude darüber, daß ich Andere sah, welche so uncomsortable waren, wie ich selbst. Die drei folgenden Tage bildeten eine Lücke in meinem Dasein. Eine Stunde folgte der andern, und brachte keine Erleichterung. Die See ging beständig hoch, und wer nie eine Seereise unternommen hat, kann sich kei nen Begriff von den Qualen machen, welche in einem so engen Raume durch das Heulen des Windes, das Schaukeln und Schwanken des Schiffes, das Knarren der Mastbäume und die Vibrationen der Dampfmaschine einem Seekranken verursacht werden. Aber alle Lei den, selbst die einer stürmischen Seereise, müssen ein Ende nehmen; auch die unserige nahm ein Ende, als eben die Kohlen bis auf einige Schaufeln voll verbrannt und die Mundvor- räthe beinahe verzehrt waren. 2 Wir landeten in Newhaven an einem schönen sonnigen Morgen. Die kurze Seereise hatte auf die Passagiere eine wunderbare Wirkung hervorgebracht. Aller Stolz, alles Geckenhafte und Uebermüthige war verschwunden, und die Passagiere waren ohne Unterschied auf einen Zustand der Hilflosigkeit reducirt, welcher zu sagen schien: i<thut mit mir, was ihr wollt, es ist mir Alles eins.» Auf dem Verdeck des kleinen Dampfbootcs, welches uns ans Ufer brachte, lagen Dandies mit ungekämmten Haa? ren und zerzausten Kleidern, und mit Gesich tern, auf denen unter sämmtlichen Regenbogen farben ein zwischen Purpur und Blau die Mitte haltendes Farbenspiel vorherrschte. Wohlbe leibte Rathshcrren waren zu ihrer ursprüng lichen schmalen Taille zusammengeschrumpft. Der Zustand der Damen ist gar nicht zu be schreiben. Die Pekins und Foulards waren zusammengedrückt, und mit den Ueberbleibseln der Seekrankheit besudelt; Hüte und Hauben waren zu allerlei phantastischen Formen, die Sonnenschirme zu Fragmenten zerknittert. Die Rosen waren von den Wangen verschwunden, die Augen, welche beim Einschiffen in Black wall siegreiche Blitze auf die Passagiere schossest, hatten ihren Glanz verloren, und die Haare hingen unordentlich unter den zerdrückten Hüten heraus. Ich fand indessen bald, daß ich mich uni etwas Wichtigeres zu kümmern hatte, als um die blassen Wangen 'und die erloschenen