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396 „So lange ich noch eine Hand zu rühren vermag, soll es nicht dabin kommen, sagte Minna und reichte dem Blinden die Hand. „ Ich will flechten und nähen, was ich kann, und Gott wird uns gnädig sein." „Amen!" machte Martin und schloß die Tochter bewegt in die Arme. Dann verlangte er seinen Rock und ging, geführt von Minna, ausrecht und gefaßt nach der Polizei, den Betrag sammt dem Briefe abzuliefern. Die auf dem Rathhause schüttelten die Köpfe und sprachen unter einander etwas wie von „Bettelstolz, den so ein alter Soldat doch auch gar nicht los werden könne." Der Frühling kam ins Land, aber in das Stübchen Martin's brachte er keine Blüthen mit. Minna blieb ihrem Vorsatze getreu und arbeitete, daß ihre schönen Augen roth wurden von dem vielen Wachen und ihre Hände einer scharfen Bürste gleichen lernten von dem ungefügen Stroh, welches sie bearbeiten mußte. Und wie elend war der Lohn für das zarte Geflecht, das einstens sich vielleicht stolz auf den Häuptern von Fürstinnen und Herzoginnen zu wiegen bestimmt war. Es fiel den Martin's auf, daß der Hauswirth nicht mehr mahnen kam und oft schmunzelnd an Minna vorüberging. Das Mädchen hatte einige Thaler zusammengebracht und trug sie als Abschlag auf die Miethe hinunter zum Wirthe. Der wollte das Geld durchaus nicht nehmen und meinte, es hätte ja Zeit, da er aber gedrängt wurde, bekannte er, wie er für das ganze Jahr bereits befriedigt worden sei. „Das Geld kam aus der Stadt, wohl von einem heimlichen Liebsten, mein Fräulein", lächelte er Pfiffig, „ich hab's aber nicht erfahren können, von wem." Minna berichtete es ihrem Vater, der stillschweigend den Kopf darob schüttelte und: „Unbegreiflich!" murmelte. Das Geld auf der Polizei war auch nicht zurückgefordert worden und alle diese Umstände zusammengehalten, mußten die Gabe und den Geber erst recht räthselhaft erscheinen lassen. Ein Brief an Minna lief nicht wieder ein und man glaubte nunmehr, der Unbekannte habe das Vergebliche seiner Annäherungsversuche eingesehen und dieselben abgestellt. Oder hatte ihn das grelle Licht erschreckt, das auf die Armuth fiel? Wieder verschwanden einige Wochen, als den blinden Mann das schwerste Unglück traf, dessen er in seiner Lage inne werden konnte. Seine treue Lebensgefährtin gab den Kampf mit Leiden, Entbehrungen und Sorgen auf und ward vom Vater der Barmherzigkeit zu lichteren Gefilden empor getragen. Ein heftiger Anfall ihrer Krankheit endete plötzlich das lang jährige Siechthum. Händeringend stand die Tochter am Sterbebette. Schon seit Tagen hatte die Kranke kein Wort zu sprechen vermocht. Bereits an den Pforten der letzten Dämmerung stehend, hinter welcher der ewige Tag liegt, hauchte sie: „Martin — Theobald — Minna — Segen —!" Mit diesem Vermächtniß für die Hinterbliebenen ging sie hinüber. Martin's erloschene Augen rollten gen Himmel, als wollte er dem scheidenden Geiste das Geleit geben für den Weg nach den Sternen. Worte entheiligten die Feier dieser Scene nicht. Da lag nun der entseelte Körper der Dulderin, die Freud' und Leid mit dem armen Blinden getragen hatte, und es war ihm, als sei es nun doppelt finster in ihm und um ihn, als wäre die Welt versunken mit allen Freuden und Erinnerungen. Wo gab es da einen andern Trost für ihn, als im Gebete? Und Martin betete, inbrünstig, tief. Das Gebet ist die poetische Verklärung des Glaubens. Nehmt dem Armen seinen Glauben und ihr habt ihm seinen Himmel gestohlen ! Euer Verstand kann ihm Vieles glauben machen, aber eine Weihe der Andacht vermochtet Ihr dem Armen noch nicht zu geben. Im Abenddunkel gab es in der kleinen Bergstadt ein stilles Begräbniß, nicht viel besser als eine „ Armenleiche", wie der officielle Ausdruck der Sanitätspolizei lautet. Hinter dem einfachen Sarge ging der Blinde einher, geführt von seiner Tochter, die in Thränen aufgelöst war. Einige wenige Männer, ein Dutzend alter Weiber, die Statistinnen jedes Begräbniß- conductes in der Stadt und wenig unterschieden von den „Klagefrauen" verschiedener Völker, folgten den Leidtragenden. Dicht vor dem Friedhöfe schloß sich ein hochgewachsener Mann in schwarzem Anzuge als der Letzte dem Trauerzuge an. Niemand kannte ihn, Niemand erinnerte sich, je dieses ernste, blasse und doch nicht reizlose Gesicht im Orte gesehen zu haben. Kein Pfarrer stand an der Grube mit einem Worte des Trostes; Martin war ja arm und konnte keinen bezahlen. Der Todtengräber zog seine Mütze und betete ein Vaterunser, seinem Beispiele folgten alle Anwesenden, der fremde, lange Mann aber sprach halblaut: „Selig sind die Todten, die in dem Herrn ruhen! " Dann entfernte er sich, während Martin und die Uebrigen Schollen Erde auf den Sarg der Dulderin warfen und hierauf lautlos auseinandergingen. Die Tochter schaute wieder und immer wieder zurück auf die offene Gruft, die ihr eine Mutter, eine Freundin für ewig verschlingen sollte. Was war ihr dieses Menschenleben gewesen, das da drinnen vernichtet lag! An ihm hatte sich das schwache Kind hinaufgerankt, von ihm war Belehrung, Trost und Hülfe der Jungfrau geworden, wenn sie deren bedurft hatte. Der Vater war gut, er trug ein zärtliches Herz für seine einzige Tochter im Busen, aber die Mutter konnte er dem Mädchen nicht ersetzen, das all' seine kleinen Geheimnisse, seine Sorgen und Hoffnungen der Mutter in den verschwiegenen Schrein des Herzens zur Aufbewahrung übergeben durste, und den Schatz ihrer Unschuld und Jugend darin wohlgeborgen wußte vor den Stürmen der Welt. Nun hatte Minna keinen Menschen mehr, dem sie ihr Heiligstes vertrauen konnte. Kein Liebender bewarb sich um sie, denn was vermochte sie ihm zu bieten? Nichts als ein volles, treuliebendes und reines Herz, dessen Werth aber an der Börse des Lebens noch nicht sestgestellt war. Kannte sie denselben vielleicht doch selbst nicht. Als der Vater, geführt von Minna, die Wohnung wieder erreicht hatte, streifte wie zufällig der Tischlermeister, welcher den Sarg für die Dahin geschiedene gemacht hatte, den Weg und grüßte den blinden Mann. „Ich darf wohl morgen einmal mit hereinkommen?" bemerkte er. „Ich bin leider jetzt sehr pressirt mit dem Gelde, — das Holz ist zu theuer." Martin kannte diese Melodie zu genan, um sich dadurch besonders verletzt zu fühlen. Er sagte: „Seid unbesorgt, Meister, Euch soll werden, was Ihr zu fordern habt. Laßt uns nur bis morgen Zeit." „Verhüt's Gott, Herr Martin, daß ich Euch heute eine Sorge machen sollte, wo Ihr vom Grabe Eurer Frau Eheliebste kommt", erwiderte der Tischler. „Ich ging nur zufällig hier vorbei und mochte nur so zufällig die Sache berühren. Wäre ich nicht selbst ein armer Mann und hätte acht lebendige Kinder, ich würdelängerwarten können, giebt doch mein Geschäfts freund, der Tod, den Leuten auch noch öfter auf einige Jahre Credit. Gott tröste Euch, ehrlicher Martin!" Damit entfernte sich der Tischler, der Blinde aber tastete sich in seine Stube, da Minna bereits still weinend in ihre Kammer gegangen war. Der Alte kniete nieder in dem verwaisten Raume und betete um baldige Wiedervereinigung mit seiner geliebten Elisabeth. Der Mond blickte träumerisch durch das Fenster, Martin konnte ihn nicht sehen, aber er fühlte ihn, sein Glanz gemahnte ihn wie Geistergruß von drüben und betend schlief er ein, das Bild der in den Sphären weilenden Gattin im Herzen. Die Palmen des Friedens rauschten über dem träumenden Armen. (Forts, folgt.) Oeffentliche Sitzung der Stadtverordneten am 11. Mai 1872. Anwesend ist der Stadtverordneten-Vorsteher Hr. Markus, dessen Stell vertreter Hr. Mann, die Herren Stadtverordneten Bielagk, Drache, Kalir, Kirchner, Kohlase, Köhler, Krug, Lochner, Lehnert, Neumann, Reinhardt, Roch und die als stimmberechtigt einberufenen Ersatzmänner Herren Hänßel, Messerschmidt und Wilke. — Ueber die Rathsvorlage, eine Anzahl hiesige Lehrer in die nächst höhere Stelle aufrücken zu lassen, findet längere Debatte statt. Das Collegium stellt gegen Lehre, Leben und Wandel der zur Aus rückung bestimmten Lehrer ein Bedenken nicht auf, und es ist damit ein verstanden, denselben die Proben zu erlassen. Bei dieser Gelegenheit be schließt das Stadtverordneten-Collegium, gegen den Verfasser mehrerer Artikel in der sächsischen Schulzeitung über Großenhains Schulverhältnisse ein Mißtrauensvotum auszusprechen, und behält sich weitere Beschlüsse in dieser Sache vor. — Ueber Raths- und Deputationsvorlagen, die Regelung des Hilfspersonals des Krankenhausverwalters wird von verschiedenen Seiten referirt. Das Collegium bewilligt: dem Krankenhausverwalter alljährlich eine bestimmte Summe zu geben, wofür derselbe verbunden sein soll, ein Hausmädchen und nach Anordnung des Arztes einen Hilfskrankenwäner halten zu müssen. Für letzteren soll, dafern er vorhanden ist, noch Ver pflegungsration nach üblichen Sätzen verrechnet werden dürfen. Auch soll dem Krankenhausverwalter die Instandhaltung des Gartens bei jenem Ge bäude als Obliegenheit übergeben werden. — Eine Beantwortung einer Erinnerung zur Schulcassenrechnung auf das Jahr 1870 wird, wie dieselbe vom Stadtrath gegeben ist, als nicht erschöpfend erachtet, und daher diese Rechnung zur ausführlichen Beantwortung an den Stadtrath zurückgegeben. Zu eben dieser Rechnung beschließt noch das Collegium, auch künftig den Hausmännern in den Schulhäusern die Verwerthung des Düngers im eigenen Nutzen zu überlassen. — Zur Vornahme einer Baulichkeit bei der zweiten Knabenschule wird Zustimmung gegeben. — Mit der Anschaffung einer Waschmaschine für das Stadtkrankenhaus ist das Collegium unter den gegebenen Aufschlüssen und Kostenanschläge einverstanden, wie denn auch dem Rathsbeschlusse, die Wege bei dem Krankenhause mit Kies zu über ziehen , beigetreten wird. — Von einer Verordnung des Königl. Sächsischen Kriegsminifteriums, nach welcher dieses von dem Ankauf des Militärlazarethes absehen will, wird Kenntniß genommen. — Die Kostenanschläge über die Verlegung der Sparcassenlocale liegen zu verschiedenen Ausführungen vor. Das Collegium tritt dem Beschlusse des Stadtraths, nach welchem die Aus führung nach dem billigeren Anschläge erfolgen soll, einstimmig bei. — Ein Rathsbeschluß, in den Promenaden eiserne Ruhebänke aufzustellen, wird einstimmig abgelehnt, doch erklärt das Collegium, andere Vorschläge über Herstellung nicht leicht zerstörbarer Bänke an einzelnen Stellen der Promenade entgegennehmen zu wollen. — Von der Mittheilung über die der Stadt zugefallenen Roth'schen Legate wird unter Dank Kenntniß genommen und den Rathsbeschlüssen, auch einem öffentlichen Danke, in dieser Sache bei« getreten. — Um eine der Stadtgemeinde gehörige, in Naundorfer Flur liegende Wiese nutzbarer zu machen, sollen verschiedene Arbeiten vorgenommen werden. Mit einem nachbarlichen Grundstücksbesitzer ist deshalb auch ein Vertrag abgeschlossen worden. Das Stadtverordneten-Collegium ist mit allen vorgeschlagenen Ausgaben einverstanden, wünscht aber, daß die von der Stadt erworbenen Reckte gesichert werden möchten. — Den Vorlagen des Kirchenvorstandes über Ankauf von Land zur Vergrößerung des Gottes ackers und Bezahlung der dadurch entstehenden Schuld wird einstimmig, beigetreten. — Nachdem hierauf einige Gegenstände in geheimer Sitzung, erledigt waren, kommt noch eine Rathsvorlage wegen Beschaffung eines Krankentransportwagens zur Behandlung. Der gefaßte Beschluß geht dahin, zunächst die vom Stadtrath in Aussicht gestellten näheren Angaben entgegen zu nehmen. — t. L« Thaler Belohnung werden Demjenigen zugesichert, welcher einen Urheber, der Frevel an Bäumen, Barrieren und Schleußen an Großdobritzer Com- municationswegen verübt, so nachweist, daß derselbe gerichtlich bestraft werden kann. Großdobritz, den 18. Mai 1872. Der Gemeinderath daselbst.