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Betrage za Re. LS des Großenhainer Unterhattungs- und Anzeigeblattes. Donnerstag, den 1. Februar 1872. Ein Abenteuer in der Wachtstube. Fortsetzung und Schluß. Dem jungen Manne war in den ersten Tagen zu Muthe, als ob es Plötzlich Nacht um ihn geworden sei, aber allmählig schwanden die finsteren Wolken, und der leuchtende Stern, den die Geliebte ihm gezeigt hatte, ver goldete mit seinem Strahlenschimmer die mühevolle Bahn, auf der er seinem Ziele entgegenwanderte. Der Fabrikbesitzer nahm das Anerbieten an, erwünschte, daß der junge Herr sich bald einfinden möge, um sein Amt anzutreten, und der Regiments kommandeur ertheilte um so bereitwilliger den erbetenen Urlaub, als es unzweifelhaft war, daß das Abschiedsgesuch höheren Orts genehmigt wurde. Der Fähnrich nahm von seinem Freunde Abschied und reiste ab. Er fand an seinem Principale einen gebildeten, liebenswürdigen Mann, unter dessen verständiger Leitung es ihm rasch gelang, sich mit den Pflichten seines Amtes vertraut zu machen. Er erfüllte diese Pflichten mit gewissenhafter Treue, jedes Wort der Anerkennung war ein Schritt weiter auf der neuen Bahn und jeder Schritt führte ihn seinem Ziele näher. Sein Gehalt reichte freilich nur zur Bestreitung seiner eigenen Bedürfnisse aus, aber der Fabrikbesitzer hatte ihm ja versprochen, dasselbe zu erhöhen, und der junge Mann durfte die Ueberzeugung hegen, daß sein Principal dieses Versprechen einlösen werde. So verstrich ein halbes Jahr, als eines Morgens der Fabrikant seinen Fabrikaufseher zu einer vertraulichen Unterredung ins Cabinet berief. „Sie haben mir vor acht Tagen eine Denkschrift überreicht, die für mich großen Werth hat", sagte er, als der ehemalige Fähnrich ihm gegenüber saß. „Die Verbesserungen und Aenderungen, welche Sie mir darin vor- schkagen, habe ich sorgfältig geprüft, ich verhehle Ihnen nicht, daß ich er staunt bin über Ihren Scharfblick, Ihre Kenntnisse und Ihr Organisations talent. Wir werden mit unseren Arbeitskräften bedeutend mehr schaffen und jährlich eine namhafte Summe sparen, die bisher nutzlos verausgabt wurde. Ich sage Ihnen meinen Dank dafür." Der junge Mann verneigte sich. „Es war nur meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen", er widerte er, ohne zu verhehlen, daß die Anerkennung ihn mit freudigem Stolz erfüllte; „ich glaube, wir werden außerdem noch Ersparnisse machen können, die man den Arbeitern selbst zu Gute kommen lassen kann, um sie zu belohnen und anzuspornen. Lassen Sie mir Zeit, darüber nachzu denken, mein Plan ist noch nicht ganz reif, ich werde Ihnen später weitere Mittheilungen machen." „Es wird mir lieb sein", sagte der Fabrikant, „aber gestatten Sie mir nun auch, Ihnen zu beweisen, daß ich solche Pflichttreue anerkenne. Es kann nur in meinem Interesse liegen, Männer, wie Sie, dauernd an mich zu fesseln; haben Sie die Güte, diesen neuen Contract zu lesen, ich hoffe, Sie werden ihn unterzeichnen." Hugo war in hohem Grade überrascht; Ueberraschung und Freude raubten ihm die Worte, seinen Dank auszusprechen. Sein Gehalt war verdoppelt und außerdem ihm ein Antheil am Rein gewinn zugefichert, auch sollte er fortan seinen Sitz im Cabinet seines Principals haben. Dem Fabrikbesitzer entging die freudige Ueberraschung des jungen Mannes nicht; er lächelte und sagte in wohlwollendem Tone: „Fahren Sie fort, wie in der bisherigen Weise mich nach allen Seiten hin zu unterstützen, dann werden weitere Anerkennungen Ihrer Verdienste meinerseits nicht ausbleiben. Daß ich Sie fortan in meiner Nähe zu haben wünsche, ist begreiflich; der Rath eines praktischen, scharfblickenden Mannes muß mir ja werthvoll sein. Wenn Sie über ein Capital zu verfügen hätten, so würde ich Ihnen augenblicklich Vorschlägen, als Associö in mein Geschäft einzutreten, Sie werden selbst wissen, daß es der Ausdehnung fähig ist. Nun, da dies nicht sein kann, so hoffe ich, Sie werden mich mit Ihrem Rath unterstützen überall, wo er mir von Nutzen sein kann!" Er verabschiedete den jungen Mann nach diesen Worten mit einem herzlichen Händedruck und Hugo ging, freudig bewegt, in die Fabrik zurück. Hugo wollte heute noch der Geliebten schreiben, sie von dem Glücksfall benachrichtigen und sie fragen, ob er nun hoffen dürfe, daß sie ihm bei stehen werde, den häuslichen Herd zu gründen. Wenn sie ihn liebte, so mußte sie diese Frage bejahen; jetzt, da sein Einkommen reichte, die Kosten einer Haushaltung zu bestreiten, konnte sie nicht mehr die Furcht vor Sorgen und Noth Vorschüben. Ein beseligendes Gefühl durckströmte ihn bei dem Gedanken, daß er nun das ersehnte Ziel erreicht habe; er hegte das feste Vertrauen, daß er das Jawort binnen wenigen Tagen erhalten werde. Er stand, während er darüber nachdachte, an einem Fenster des Zimmers, in welchem die Arbeiter kurz vorher gefrühstückt hatten; reizende, verführerische Bilder zogen seinem geistigen Auge vorüber, Bilder, die ihn für einen Augenblick so sehr fesselten, daß er sogar seine Amtspflichten darüber vergaß. Da, als er aus diesen Träumen erwachte, fiel sein Blick auf eine Zeitung, die vor ihm auf der Fensterbank lag. Es war ein altes, mit Fettflecken übersattes Blatt, in welchem ein Arbeiter sein Frühstück mitgebracht hatte. Eine mit fetter Schrift gedruckte Aufforderung fesselte die Aufmerksamkeit Hugos, er las den Namen „Buchwald", seine Aufmerksamkeit wurde dadurch gesteigert. Er nahm das Blatt auf und las: „ Die rechtmäßigen Erben des in Melbourne verstorbenen Konrad Buchwald werden hiermit aufgcfordert, sich binnen Jahresfrist von heute an gerechnet beim Ministerium des Auswärtigen zu melden, damit ihnen, nachdem ihre Ansprüche als berechtigt anerkannt sind, die bedeutende Hinterlassenschaft des Erblassers überliefert werden kann —" Hier brach der Artikel ab, von der Zeitung war ein Stück abgerissen. Hugo entsann sich, daß der Vater Paulinens damals nach Amerika geflüchtet und seitdem verschollen war; die Möglichkeit lag immerhin nahe, daß dieser Konrad Buchwald der Vater Paulinens war. Aber dem ersten freudigen Gefühl folgte bald die Verstimmung. Wie, wenn das Mädchen ihn vergessen, einem Andern ihr Herz geschenkt hätte? Und war es nicht auch möglich, daß sie jetzt, nachdem sie Plötzlich reich geworden war, von dem armen Fähnrich nichts mehr wissen wollte? Diese Befürchtungen quälten ihn, trotzdem er selbst sie unbegründet nannte; er fühlte, daß er nicht eher Ruhe finden würde, bis er die Antwort auf seinen Brief erhalten habe. Er schrieb diesen Brief in gedrückter Stimmung, ohne daß er wollte und wußte, flossen seine Besorgnisse und Zweifel aus der Feder auf das Papier, er bat sie, chm eine offene, ehrliche Antwort zu geben, ihn nicht auf spätere Zeiten zu vertrösten, sondern ihm ohne Umschweife zu sagen, ob sie Herz und Hand für das ganze Leben ihm schenken wolle. Die Zeitung legte er bei, er machte sie darauf aufmerksam, daß das Blatt schon ein halbes Jahr alt sei und sie deßhalb unverzüglich ihre Rechte geltend machen müsse, vorausgesetzt, daß der Erblasser ihr Vater gewesen sei. Er habe es für seine Pflicht gehalten, ihr diese öffentliche Aufforderung zu schicken, aber er thue es mit schwerem Herzen und wünsche im Stillen, daß seine Geliebte keine Rechte an diese Erbschaft habe, sein Einkommen reiche ja nun hin, ihr eine gesicherte Eristenz zu bieten, und daß sie an seiner Seite glücklich werden solle, dafür bürge ihr seine treue und tiefinnige Liebe. Mit fieberhafter Ungeduld erwartete Hugo die Antwort auf diesen Brief. Sie traf rascher ein, als er es erwartet hatte. „Mein lieber, guter Freund", schrieb das Mädchen, „wie konnten Sie nur glauben, daß der Umschlag in meinen Verhältnissen mich vergessen lassen würde, was ich Ihnen derzeit in der Abschiedsstunde versprochen - habe? Mußten Sie denn nicht seit jener Stunde wissen, daß ich Sie eben so treu und innig liebe , daß mein Herz ungetheilt und auf ewig Ihnen angehört? Wenn ich Ihnen damals sagte, ich wolle Sie und mich nicht binden, so dachte ich dabei nur an Sie, ich wollte Ihnen den Weg durch das Leben frei lassen und ich würde mich nicht beklagt haben, wenn Sie statt des Veilchens eine volle Rose auf Ihrem Wege gefunden und gepflückt hätten. Es war damals Alles so rasch gekommen, daß ich manchmal dachte, das Gefühl, welches Sie Liebe nannten, könne nur ein Rausch sein, dem ein ernüchterndes Erwachen folgen werde. Ja, ich dachte es, trotzdem ich fühlte, daß ich Sie nie wieder vergessen konnte! Verlangen Sie nun noch eine Antwort auf Ihre Frage? Ich glaube nicht, Sie wissen ja nun, daß hier eine Braut Sie erwartet, die Ihnen bei der Gründung Ihres häus lichen Herdes mit treuer Liebe beistehen wird. Lassen Sie mich Ihnen von Herzen Glück wünschen zu den raschen und schönen Erfolgen auf der kaum betretenen Bahn! Ihr Chef ist ein liebenswürdiger Herr und ein Ehren mann, Sie werden ihm ohne Besorgniß das Capital anvertrauen können, welches ich als Morgengabe Ihnen mitzubringen hoffe. Den Artikel, welchen Sie mir schickten, habe ich schon vor einem Vierteljahre bald nach meiner Hierhcrkunft gelesen, Konrad Buchwald war mein Vater. Ich wollte Ihnen von meinen Hoffnungen und Aussichten nicht eher Mittheilung machen, bis ich selbst die Sicherheit besaß, daß diese Aussichten sich verwirklichen würden. Ich wandte mich an das Ministerium und erhielt vor einigen Tagen durch das hiesige Gericht ein Packet Briefe und Papiere, welche nur mir oder meiner Mutter, keinem andern Erben, ausgeliefert werden sollten. Eines dieser Documente ist das Testament meines Vaters, in welchem ich zur Universalerbin eingesetzt werde. Sachverständige, welche dieses Schrift stück gelesen haben, sagen mir, die Hinterlassenschaft sei sehr bedeutend. Man wird sie mir durch unseren Gesandten. in Amerika übermitteln, ich stelle alsdann das Geld zur Verfügung des Mannes, dem ich mehr als das, dem ich meine höchsten Güter anvertraue. Recht wehmüthig hat mich ein Brief gestimmt, den ich unter den Papieren meines Vaters fand. Dieser Brief giebt mir die Gewißheit, daß mein Oheim, dem ich so Vieles ver danke, bis zu seinem Tode ein unversöhnlicher Feind meines Vaters gewesen ist. Die mir unerklärliche Feindschaft dieses Mannes erstreckte sich so weit, daß er die Briefe des geflüchteten Gatten an die Gattin unterschlug und dem Absender mit dürren Worten schrieb, Weib und Kind seien für ihn todt, so lange, bis er Reue und Besserung durch Thaten bewiesen habe. Das war ein Schlag, der das Herz des Mannes traf, aber auch ein Sporn, der ihn antrieb zu rastlosem Schaffen. Seine Arbeit war gesegnet, sie brachte ihm eine reiche Ernte, aber es sollte ihm nicht vergönnt sein, den Lohn für sie zu empfangen. Ein Brief an meinen Oheim kam unerbrochen zurück mit dem Vermerk, der Adressat sei gestorben; mein Vater lag selbst auf dem Krankenbette, er fühlte sein Ende nahen und beeilte sich, seine letzte Verfügung zu treffen.