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Sächsischer Landes-Anzeiger : 19.06.1892
- Erscheinungsdatum
- 1892-06-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-189206195
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18920619
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18920619
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1892
-
Monat
1892-06
- Tag 1892-06-19
-
Monat
1892-06
-
Jahr
1892
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 19.06.1892
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Vr 140. Süchstsche» La«de»-A«-etger («hemnitzer Gent*al»A«t*iger). 1-9. Juni 1893. k»> enthüllen zn können. Da» wird auch ivohl möglich sein, wenn kei neuer Entciitcich auf der Bildsläche erscheint. Und der Nackcr wird doch nicht? Aber nun die Westseitedcs Schlosse-frcigelegt, werde» anch Wohl die Häuser auf der Südseite ihre Tage zählen können: Daun bläst >»a» wieder: „So leb' denn wohl, Du alte» Haus!" und der Herr Neptun auf dein Schloßbrnnue» hört z», wenn man ihn nicht vorher in einen Sack gesteckt habe» sollte, uui ihn vor Staub und Schmutz zu schützen. Dann wird aber die Schloßfcage, die so lange eine offene war, wohl geschlossen sei». Denn wenn es heißt, der Kaiser wolle für einige Jahre dauernd in Potsdam bleibe», weil nun auch im Inner» de» alte» HvheuzvllcruschlosscS tüchtig eiugerissc» und »mgebant werde» sollte» so ist das nicht Ernst zu nehmen. Der Kaiser hat eine große Pietät vor historische» Baute», und ohne seine» Einspruch Wäre da» Brandenburger Thor von de» Berlin Verschönern wohl schon irgendwo binler Charlottcnbnrg ausgestellt. Bauen bedeutet nicht: Alles ans den Kopf stelle». Wer aber ein Andenken an die Schloßfreiheit-Periode nud Alles was damit znsammcnhängt, haben will, etwa einen Dachstein oder Mauerstein» der gleich als allermodcrnstcs Uhrkellen-Anhängsel dienen kann, der mag sich beeilen. Die Nachfrage wird nicht kteni sein. Der Kaiser hat de» ersten losgelösten Dachstein bekommen, ei» wohlwciscr Magistrat Nnmmero zwei, von Nummer» drei ab können sich also Bewerber melden. Das alte Schloß an der Spree dient im Sommer nicht mehr zu Jürstcnqnarlicren: Die niederländische» Königinnen und König Oskar von Schwede» hatten ihr Quartier im Potsdamer Stadlschloß aufgcschlagcn, dasselbe werden in kommender Woche König Umberto und Königin Margherita von Italien lhun. Wenn die große Früh jahrsparade vorüber, sinkt das alte Fürstenschloß in den Sommerschlaf. Berlin hat von ten jüngste» Fürstenbesnchc» so gut wie nichts; König Oskar von Schweden blieb nach dein Potsdamer Aufenthalt »och einen Tag in Berlin, in» sich die Stadt anznschen. Ec gehört zn jenen Potentaten» die gern im bürgerlichen Nock in einem leid liche» Nestanrant ei» Glas Bier trinke». Der fürstlichen Freunde eines »»genirlen Verkehrs sind nicht Wenige, und wir haben besonders eine altbcrühmte Bierstube nicht weit von de» Linden, an deren Eichenlischen schon manche Majestät kräftig poknlirt hat; aber das wird nicht ausgcplandert, diese gekrönte Kundschaft würde mit einem Schlage fortblciben» wie die Heinzelmännchen in Köln, wenn ihr stilles Thnn beobachtet würde. Zu Ende geht auch die Thealersaison. Die Hostheater schließen mit dieser Woche und andere angesehene Theater werden bald nach folgen. Dann dominirt die leichtgeschürzte Muse d.r Operette und Posse, und in den Theater- und Cvncerlgärten wird bei Bairisch Bier und belegtem Butterbrod die Kunst als Zugabe geboten. So viel ich mich entsinnen kann, halte Deutschland »och keinen Zoll auf aus ländische Tingcltangclküustlcr, Coupletsänger rc. erhoben. Aber wirk lich hat Oesterreich Ungarn von diesen seinen Produkten noch nie so viel nach Berlin geliefert, als in ncnestcr Zeit, seit dem Inkraft treten des beiderseitigen Handelsvertrages. Es steht wohl an der Donau nicht zum Beste» mit tem Weizen, der goldene Aehren trägt, und Berlin soll nun die Leute hcrausreißcn Sie machen ja auch den Mund weit genug auf bei ihren Vor trägen, aber leider ist das noch nicht die charakteristischste Eigenschast großer Sänger. Eine andere Zugabe »nscrer Bnndcsbrüderschaft mit Oesterreich- Ungarn und Italien ist das massenhasle Weinangebvt. Man braucht sich bloS in einer Straße umzusehcn, um Offerten von österreichisch- ungarischen und italienische» Weine» sich entgegcnlenchte» zn sehen. An manchen sregnentc» Orten sind gleich ein halbes Dutzend Wein stuben dicht bei einander, elegant und schlicht, wie man'S verlangt. Die Weinstube, ehedem eine bevorzugte Erscheinung i» Berlin 8. ^V., W. und 6., ist jetzt auch in Ifl. ^., 0. und 0. keine Selten heit mehr und »eben den bauchigen Flaschen mit dem cdlc» Trank ans Nordhanse», der aber selten aus Nordhanse», sondern meist aus irgend einem verschwiegenen Kellerwiukel hcrstammt, wo allerlei ver dächtiges Zeug zusammcngcrührt wird, paradiren in einem Nachbar lade» die strvhnmhüllten italienischen Weinflaschen. Man braucht «nr znznlangcn, die Mühe des Anssuchens fällt fort. Ebensowenig wie das bisherige Mein-Bcrlin nie Nordhäuscr- Berlin wird, so wird auch das Bier- und Nordhauser-Berlin ei» Wein-Berlin. Sprceathen kann nur ein bestimmtes Quantum Wein Vertrage»; wird ihm zuviel zugemulhet, „lanst's über" Und so wird auch mal diese Wein-Uebcrschwcmmu»g ihr Ende haben. Manche Flasche mag allerdings in dieser Woche nach de» großen Nennen zur Feier deS Jubiläums des Union-Clubs i» Hoppegarten vertilgt sein. Aber dort ist das Wein-Berlin zn Hanse. In dichten Mengen strömte das Publikum znm Nennen und Wette» hinaus, aber die weiten Taschen schienen bei der Rückkehr nicht sehr unter der Last der gewonnenen Schätze zu leiden. Mit den Wetten bei den Nennen ist cs gerade so ein Ding, wie mit de». Plan, die Pferdebahn über die Linden svrtzuführe». Das selbe gilt ja auch von der Weltausstellung. Nicht blos über dem Schicksal der Ausstellung lagert eine Wetterwolke, sondern auch über de» „glückseligen Gefilden", die die Stätten der Pflege von „Wein, Weib und Gesang" bilvcn und sich nicht selten durch ihre Vorliebe für tiefe und dunkle Kellerwohnungen anszeichneten. Ein solches Kunstinstitnt hat schon den Zeitungen,mit- gelheilt, es schließe seine Pforte», weil es trotz seiner Bedeutung in Folge der schlechten Zeiten nicht den wünschenswerthen Ansschwnng nehmen könne, »nd de» anderen Stätten gleicher Art rückt die Polizei mit scharfe» Bestimmungen ans den Leib. Ein Weinen und ein Trauern geht darob nicht durch Berlin, jeder verständige Mensch wünscht, daß eine Unsitte ansgcrvttet wird, die der Reichshanptstadt nicht zur Zierde gereichte. Jeder Besucher Süddeutschlands freut sich über die flotten und bescheidene» Kellnerinnen, die bei einigen Pfennigen Trinkgeld gar nicht wissen, was sie den, Gaste Alles zu Gefallen thnn solle»; kommt die Rede ans die Berliner Kellnerinnen, daun ist es, als werde ein verzerrtes Bild anfgerollt. Die Kraukenkasscnverwaltnng hat festgestellt, daß cs nirgends so viele Kranke giebt, als im Kcllnerinncnslandc. DaS ist auch kein Wunder, wenn solch' armes Geschöpf 20—30 Glas Bier und ein Dutzend CognacS trinken muß. Jeder, wer süddeutsche Verhältnisse kennt, wird eine dortige Kellnerin den meisten norddeutschen Kellnern verziehen. Warm» sollten die Verhältnisse bei »ns nicht ebenso werde» können? Tausende weiblicher Wesen hält.» dann ein an ständiges nud ehrliches Brod. Der Besuch solcher Kcllcrlokale schafft Individuen, wie jene Burschen, die als Mörder der unglücklichen Poslschaffncrsjran Manzel ermiltclt sind I» jenen Beugeln, und namentlich in dem Thälcr, muß doch jedes menschliche Gefühl erstorben sein. Ein Bursche von noch nicht achtzehn Jahren ermordet eine Freundin seiner Eltern, weil ein in Geldverlegenheit befindlicher Freund ihn dazu anffordert. Er begeht die That, nimmt gleichmüthig seine Beschäftigung ans und vecrälh sich mit keiner Silbe, nicht ein mal durch Rvthwerden, obgleich in seiner Umgebung viel über den Mord gesprochen wird. Da giebt es eben keine andere Erklärung, als, der Mensch ist kein Mensch mehr. ^eor« kauis«». Oswin Berg. Novelle von F. von Kapff-Essenther. (Fortsetzung) Nachdruck Verbote». Er schwieg eine Weile. Eine seltsam unbehagliche Empfindung hatte sich seiner bemächtigt, eine geheime Antipathie gegen diese» fremden Mann. Auch krank, auch gelähmt, durfte er die Fra» nicht von seiner Seite lasse»! Indessen bezwang er sich und zog das Mannscript hervor. Eingehend setzte er der jungen Frau seine Meinung über die Novelle auseinander, die poetisch gedacht, aber technisch unvollkommen in der Ausführung war. Auch eigne sich der krasse Schluß nicht für ein größeres Publikum. Der Gatte dürfe nicht znm Mörder an der jungen Fra», diese müsse zur Höhe seiner Glücksvision einporgchobc» werde». Wie ei» Kind hing Auguste an seinem Munde. „Aber im Leben wendet sich nicht Alles znm Guten," warf sic ein. „Es ist gau,icht so leicht, eine unglückliche, verfehlte Ehe zu heilen. Warum also lügen? Ohne Grund rosig malen?" „Die Leser aber, meine verehrte Frau, wollen nicht immer solche düstere Wahrheit hören. Weshalb auch sollte man nicht ver söhnliche Bilder malen? Nimmt nicht gar Mancher das Blatt nur zur Hand, um die graue Sorge des Alltags sür Stunde» abzn schütteln? Und müssen wir dem nicht Rechnung tragen? Versuchen Sic cs, Ihrem Manne den Gedanken nahe zn lege», daß er seine Novelle ändert oder eine andere schreibt in meinem Sinne. Ich Ivcrde daun mein Möglichstes thnn, sie druckreif zu machen, zn ver werthen und sei» Talent zur Geltung zu bringen. Talent — wie gesagt — ist da!" Tie letzte» Worte ginge» ihm seltsam schwer von de» Lippen. Diesem Menschen, der seine junge, schöne Frau hansirc» schickte, Talent zuspreche»! Aber man mußte ehrlich sein. Er brach auf. Sie waren Beide recht ernst geworden. „Wenden Sie sich an mich, Frau Berg, wenn Sie Rath und Hilfe brauchen in littsrarischcn und auch in anderen Angclegenheile ich bitte Sie darum." „O, ich danke Ihnen! Wie gut Sie sind. Ja— ich will Ihnen ganz vertrauen." Wiederum erröthend, reichte sie ihm beide Hände. Er drückte sie und von diesen festen, ein wenig arbeilharten, lcbenswarmcn Hände» strömte es wohlig bis zu seinem Herzen. Der Kleine reichte ihm ebenfalls sein winziges Händchen znm Abschied. „Wie heißest Du?" frng Hellmann. „Oswin Berg," antwortete las Kind schüchtern. Rasch wandte er sich wieder ab. Der Name klang ihm nun einmal unangenehm in den Ohren. III. Oswin Berg wollte seine Novelle nicht ändern, wie Auguste berichtete, lieber eine neue beginnen. Nun war sie doch einmal zur Sprechstunde in'S Bureau gekommen, um diese Botschaft zn bringen. „Oswin," sagte sie erröthend, „ist der Meinung, das Glück sei eben nur eine Vision, und deshalb kann er sich nicht entschließen . .." Sie stockte. „Oswin mag ja Recht haben, verehrte Fra», ich bestreite das nicht — ja, ich gebe sogar zn, daß nicht einmal Jedem eine Vision des Glückes wird. Ich, znm Beispiel, weiß nicht, wie solch' eine Vision aussehen mag. Aber ich will, wie gesagt, meine Meinung darüber nicht verallgemeinern." „Ach Sie, Herr Doctor, Sic muffe» sich doch glücklich fühlen in Ihrem großen, weilnmfassendc» Wirkungskreise!" Er mußte lächeln über die Naivität dieses begeisterten Ausrufes. „Ich müßte also glücklich sein, meinen Sie? In Wahrheit spüre ich gar nichts davon. Ich mache mich nützlich und darum bin ich zufrieden — das ist Alles. Das sogenannte Glück kenne ich »nr aus den Romanen und Novelle», die ich im Interesse meiner Zeitung lese und prüfe." Angnstcn's grane Singen leuchteten ans. „Wenn dem so ist, hätte ich denn doch etwas vor Ihnen voraus, Herr Doctor, denn ich weiß, was das Glück ist. Nur habe ich ebenso seine rasche Ver gänglichkeit und Flüchtigkeit erfahren. Und cs kommt wohl nie wieder, wenn cs einmal dahin ist!" — „Warum sollte Ihne» das Glück nicht wiederkommen, Frau Berg? Ihr Man» kan» ja doch »och gesund werde» und dann werden Sie doch wieder glücklich sei». «Wer könnte das so Voraussagen?" versetzte sie gesenkten Blickes. „Ich denke," fuhr Hellmann »ach einer kleinen Panse fort, „wer des Glückes fähig ist, der vermag das Verlorene auch wieder zn finden. Es mag aber auch arme Tröpfe geben, die zu nüchtern, zu unbeholfen sind, um glücklich sein zn können." „O nein, »ei»," ries sie lebhaft und entschiede». „Das bestreite ich! Sie irre» sich gewiß!" „Aber, Frau Berg," rief er. sinnlos seinen Streusand über seine Papiere ansschüttend, „Sie ereifern sich ja förmlich!" Es schien ihm höchst wunderlich, daß da Jemand auf sei» eigenes Glück anspielte. „Sehen Sie," fuhr er ablenkend fort, „das wäre so ei» hübscher Stoff für eine Novelle, wie man ein verloren ge glanbles Glück wiederfindet, weil man es eigentlich gar nicht ver lieren konnte." „Ich werde darüber Nachdenken," meinte sie sinnend, dann setzte sic rasch hinzu: „und dann Oswin einen Vorschlag machen." „Und benachrichtigen Sie mich dann, wie Herr Oswin über die Sache denkt. Ich möchle dann doch ein wenig nachhelfen, damit etwas sür mein Blatt Verwendbares daraus entsteht." Und sie erhob sich, denn cS warteten noch andere Damen im Vorzimmer. „Wenn Sie wünschen, würde ich zn Ihne» kommen. Sie sind vielleicht i» Verlegenheit, wo Sie Ihren Kiemen lasse» sollen, wen» Sie allein ansgehen." „O, danke — kommen Sie denn, wenn Sie wollen! Aber ja nicht zn spät Abends und nicht für zu lange, damit meine Nach barinnen nichts Schlimmes von mir denken. Ich brauche doch bis- weilen das Wohlwollen und die Gefälligkeit all' dieser gute» Leute." Wie sreimüthig sie sprach! Wie einfach und natürlich sie die Dinge auffaßte und wie sie ihm — gefiel! Er suhlte es so recht, als die Thür sich hinter ihr schloß. Eine Woche später war es, da berief Iran Berg den Freund und Beralher z» einem Plauderstündchen. Nach Beendigung seiner Sprechstunde machte er sich auf de» Weg. Natürlich öffnete ihm auch heute Auguste selbst, aber heute erwartete sie ihn und hatte sich ei» wenig geputzt. Zwar — sie trug dasselbe einfache, glatte, graue Kleid, das auch ihren Visitcnstaat ausmachte, aber ihr reiche-, asch blondes Haar war mit etwas Koketterie frisirt »nd mit einer dunkel- rothcn Rose geschmückt. Eine ebensolche Rose blühte an der vollen Brust der jungen Frau und ei» hübscher, weißer Spitzenkragen um- schloß de» Hals. (Fortsetzung folgt.) Socialdemokrattsche Zukunftsbilder. Frei nach Bebel. Von Eugen Richter, Mitglied des Reichstag». (!4. Fortsetzung.) Nachdruck verboten. 29. Eine stürmische ReichStagssttzung. Seit der Verhandlung über die Sparkassengcldr, war ich nicht mehr im NeichStagsgcbäude am Bebekplatz gewesen. Damals hätte» die allgemeinen Neuwahlen noch nicht stattgefunden, und er waren daher die socialdemokratischen Abgeordnete» aus der Zeit vor der großen Umwälzung noch unter sich, da man alle andere» Mandate als angeblich aus der Kapitalherrichaft hervorgegangen für null unk nichtig erklärt hatte. Heute stillten die ne» gewählten Gegner der Svcialdcmvkratie die ganze linke Seile des NeichstagSsaales aus, also etwa ein Drittel sämmtlicher Plätze. Die einzige ans den Neuwahlen hervorgegangene Dame, die Gattin des Reichskanzlers, halte ihren Platz in der Mitte der vordersten Reihe eingenommen. Dieselbe, eine stattliche, energisch dreinschanende, aber etwas kokett ausgepntzte Dame, folgte der Rede ihres Gatte» mit lebhafter Aufmerksamkeit, bald beifällig nickend, bald das mit rvlhcn Schleifen geschmückte Lockeuhanpt schüttelnd. Unter dem Eindruck der Nachrichten von dem große» Milliarden- desicit hatte sich offenbar der NcgicrnngSpartci eine gewisse Nieder» geschlageuheit bemächtigt, während die antisvcialdcmvkratische Opposition, die Freiheitsparlei, sich in ihren Knndgebnngen sehr mnnter zeigte. Die Tribünen waren dicht besetzt, namentlich von Frauen, so daß kein Apfel zur Erde fallen konnte. Es herrschte un'.er den Zuhörern ersichtlich eine aufgeregte Stimmung. Tagesordnung: Ucbersicht über den Volkshanshalt. In der Discnssio», welche sich über die Ursachen des Milliardendeficits entspann, und die ich mich bemühe, hier auszugsweise wiedcrzugebe», ergriff zunächst das Wort Der Reichskanzler: Die Thatsache einer Verminderung der Prvdnklionswcrthe in Teulschland um zwei Drittel, verglichen mit der Produktion vor der großen Umgestaltung der Gesellschaft, soll man nicht beweinen und nicht belachen» sondern zn verstehen trachten. In erster Reihe sind daran Schuld die Feinde unserer socialisirten Gesellschaft (der Abgeordnete für Hage», links: Rann!) Jawohl, Herr Abgeordneter, znr Durchführung der Ordnung im Innern haben wir die Polizeikräfle mehr als verzehnfachen, zur Unterstützung der Polizei znr Verhinderung der Auswanderung nnd Sicherung gegen das Anstand das stehende Heer und die Flotte gegen früher ver doppeln »lüsscu. Sodann hat die Annullirung der Wcrthpapiere in den socialdemolralischcn Staate» Europas auch für das dort ange legte deutsche Capital die Zinsansprüchc ansgehobc» u»d damit eine Verminderung der Einnahmen hcrbeigcsührt. Unser Absatz im Aus land ist infolge der Umgestaltung der Gesellschaft in de» socialisirten Staaten und infolge der Abneigung der übrig gebliebene» Bonrgeois- staatcn gegen die svcialdemvkratische Prodnktivnsweise ganz außer ordentlich zurückgcgaugcn. An diesen Ursachen wird sich in Zukunft nicht viel ändern lassen. In zweiter Reihe erwähne ich als Ursache der Mindcrerträge i» >cr Produktiv» die Entbindung der junge nund alten Leute von der Arbeitspflicht (Hört, hört! links) und die Verkürzung der Arbeitszeit. Unruhe rechts). Auch da- Verbot jeder Akkordarbeit hat offenbar zu einer Verminderung der Produktion beigctragen. (Hört, hört! links.) Infolge der dcmoralisirenden Nachwirkungen der früheren Gesellschaft (Oho! links) ist leider das Bewußtsein der Arbeitspflicht als unent behrliche Grundlage der socialisirten Gesellschaft noch nicht in solchem Umfange vorhanden (Unruhe rechts), daß wir ans eine Ansdehnung des Maximalarbeitstags bis auf zwölf Stunde», wie wir sie Ihnen Vorschlägen wollen, glauben verzichten zn können. (Sensation). Außer dem werde» wir jedenfalls bis zur Wiederherstellung der Bilanz die Arbeitspflicht sür alle Personen vom 14. Lebensjahre bis znm 75. tatuircn müssen statt bisher vom 21. bis 65. Jahre (Hört, hört! links), wobei wir uns indessen Vorbehalten wollen, talcntirtcn jüngeren Personen Erleichterungen znr Ausbildung und altersschwachen Per sonen Erleichterungen zur Erhaltung ihres GesnndheitszustandeS zu gewähren. Sodann wird eine vereinfachte »ad weniger kostspielige Er nährungsweise als bisher (Unruhe rechts!) erheblich beitragen können zur Verminderung unseres DcficitS. Neuere sorgfältige Untersuch ungen haben nämlich dargclha», daß bK entsprechender Erhöhung der Gemüse- und Karloffelportionen b.i dem Mittagsmahl als Fleisch, ralio» statt 150 Gramm anch 50 Gramm Fl.isch oder Fett pro Köpf ansreiche» dürften. (Abgeordneter für Hagen: In Plötzensee!) Präsident: Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, die Zwischenrufe zu unterlassen. (Beifall rechts!) Reichskanzler fortfahrend: Es giebt ja bekanntlich sehr viele ehrcnwcrtlie Personen, die Vegetarier meine ich, welche den Fleischgennß überhaupt nicht nur als eiubehrljch, sondern für geradczn schädlich für den menschlichen Organismus betrachten. (Unruhe rechts). Vor Allem aber trachten -wir große Ersparnisse zu erzielen, indem wir in folgerichtigem, weiteren Ausbau der socialen Gleichheit engere Grenzen ziehen dem individualistischen Belieben nnd damit dem blinden Walte» von Angebot und Nachfrage, welches anch gegenwärtig noch ebenso die Produktion erschwert, wie die Cosumtion vcrtheucrt. Die Gesellschaft prvdncirt beispielsweise Lebensmittel, Hansgerälhe, Kleidungsstücke, aber die Nachfrage richtet sich in eigen sinniger Laune — nennen wir es nun Geschmack, Mode oder wie sonst — (Abgeordnete Frau Reichskanzler: Ob, vH! —Der Reichskanzler hält i»»e und sucht durch ei» G!aS Wasser seiner sicht lichen Erregung über den Zwischenlant Herr zn w.ndcn). Ich sage, die launische Mode richtet sich nur zn ost nicht ans die bereits pro- ducirten Artikel dieser Art, sondern gerade ans solche, welche'bis dahin wenig oder gar nicht prvdncirt worden sind. Die von der - Gesellschaft angcbolcncn V rccilhe werden infolge mangelhafte» Ab- satzes Ladenhüter, verderben, kurzum erfüllen nicht ihren Zweck, nur weil cS den Herren nnd Damen X. A. Z. anders gefäll». Oder ist cs etwa gerechtfertigt, den individualistischen Neigungen dieser Personen darin unchzugcbeu, daß man ihnen verschiedene Waare» für denselben Zweck der Ernährung. Wohnung nnd Bekleidung zur Ver fügung stellt, damit Herr und Frau X. sich anders nähren, wohne» nnd kleiden können, als Herr und Frau U-? Welche Verwohlseilnng der Produktion läßt sich dagegen erzielen, wen» statt besten die Produktion sich auf wenige oder am beste» auf eine» einzige» Ge- branchsgegenstand für jeden besonderen Zweck beschränkt! Jeder Verlust durch Mangel an Absatz würde vermiede» werden, wen» von vornherein fesisteht, daß die Herren und Damen L. A. Z. sich j„ der vom Staat vvrgeschriebenen We se zu ernähren, zn kleiden nnd ans« zustatten haben. (Fortsetzung solgt.) DerotttworlNch: sjjr «ol,lisch-«. O-r«tch-I und g-uM-tottistisch-« Jul«»« Th-Ißk sür Sächsisch-«: Fr»,,, «ütz-! Mr dk» »dria-» Th-a d-r B-rlcaer; sämmttich i» aiirm»!«. v>ür «»sliewablttu» „nd »lü.Iskiil»,»« Nicht rib-Ik„rc Maiiiislritile lmrd nicht „«l üwl.I 'W kvoi-g Roi-tz» tu lülSWitr. - " Ltax« (gvoonübvf ckvm Ssvlcvrcksnkmsl), liottvris mit livoseu «wbolsgviiU. emxkoftlsn. LS, I. PLIt «vir »ur 122.
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