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Beilage;« Nr. 27 »es „Amts- an» Anzeigeblattes". Eibenstock, den 2. Februar 1919. Christ Kyrie, du wandelst aus der See! (Zum 4. Erschetnungssonntage.) Unvergleichlich hehr und groß steht Jesus im Sonn- tagSevangeltum (Matth. 8, 23—27) vor unö als der mäch tige Herr, dem auch Wind und Meer gehorsam sind. Mitten im wilden Aufruhr der Elemente schläft er voll Friedens. AuS der tiefen Gemeinschaft mit dem Vater heraus kennt er keine Furcht, sondern nur die kindlich freudige Zuversicht, die nichts von Untergang, wohl aber von Leben und Liegen weiß. In solchem Vertrauen be droht er dann den Sturm und erlebt die wunderbare GebetSerhörung, daß der Vater in der Höhe Ja und Amen dazu sagt: „Da ward es ganz stille." Christ Kyrie, ja dir gehorcht die See! Wie gleichen wir aber heute den zagenden Jüngern, wo daS Schiff unserer Kirche hin und her geworfen wird von den tobenden Wogen leidenschaftlichen Hasses, der die christliche Kirche auS dem Volksleben verdrängen, die Er ziehung der deutschen Jugend zu evangelischem Glauben und Leben unmöglich machen möchte. Wieviel Ratlosig keit und angstvolles Zagen und Klagen vor dem drohen den Unwetter auch in unseren Reihen, wieviel sich wider streitende Versuche heute, mit menschlicher Kunst und Or ganisation dem Untergange zu wehren. Vergessen wir doch darüber nicht, daß auch wir den Herrn der Hilfe selbst an Bord haben, und gehn wir zu ihm! Da kam den Jüngern Rettung, als sie zu ihm riefen in der Not: Herr, hilf unS, wir verderben! Wenn Christus seine Kirche schützt, so mag die Hölle wüten. Er führt sie auch durch den Sturm der Gegenwart sicher in den Hafen. Darum nur mehr Glaubensgewißheit und zuversichtliches Gebet: Christ Kyrie, erschein uns auf der See! Wohl hat JesuS auch heute allen Grund, unser man gelndes Vertrauen zu schelten: „Ihr Kleingläubigen, waS seid ihr so furchtsam?", wie kann euch der Ansturm der Feindesmocht schrecken, wo ihr doch meine Treue und Gnadenhilfe kennen solltet! Aber er weiß unsrer Seele auch gar trostreich -uzusprechen und ihr durch seine große Verheißung neuen Mut zu machen. So dürfen wir heute Jesu Wort an Petrus beim Beginn seines Leidens für unS aufnehmen (Predigttext: Luk. 22, 31—32): „Ich habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre". Dem Begehren des Satans, durch seine List und Kunst die Jünger zum Abfall vom Glauben zu bringen, tritt Jesu machtvolle Fürbitte für sie entgegen. Er ringt mit ihm um die Seelen der Seinen, daß sie nicht in den Abgrund der Verzweiflung stürzen. Das darf unsre feste Burg in aller Anfechtung sein, unsre Stärke und unser Trost. Freilich ist es dem Herrn nicht darum zu tun, daß wir von der Sichtung verschont bleiben. Diese wird keinem erspart, sie ist unS nötig zum Gericht über unsre Lieblosigkeit und Untreue, daß wir loskommen von Hoch mut und falschem Vertrauen auf eigene Kraft. Aber un ser Glaybe soll nicht aufhören, soll nicht über Vermögen versucht werden: dafür steht Jesu- mit seiner mächtigen, huldvollen Fürbitte ein. Wenn der Herr aber so hinter seiner Kirche und ihren strauchelnden Gliedern steht, dann kann ihr alle Feindschaft der Welt nicht schaden, sie muß aus jeder SichtungSzeit zu größerer Herrlichkeit hindurch- dringen, zu immer tieferem Elfassen ihres Heilsbesitzes und zu sieghafter Gewißheit der ewigen Gottesgnade. Darum wohl uns des feinen Herren, der Geduld mit unsrer Schwachheit hat und unserm schwankenden Glau ben aufhilft, daß wir durch ihn tüchtig und freudig wer den zum Wirken und Kämpfen unter Jesu Segen, daß wir auch die Brüder stärken in der Versuchung und end lich doch gewinnen und den Sieg behalten. Deshalb Christ Kyrie, komm zu uns auf die Tee! VV. NmgefclLtett! Novellistische Skizze von S. Glesch. - > Nachdruck verboten. Auf dem Bahnhof versammelte sich die Kauls voleo der Finanzwelt, Damen und Herren des Sports, lauter erstklassige Passagiere. Die räube rische Elster liebt das glänzende. Erne verschleierte Dame in hocheleganter Toi lette musterte die Gesellschaft, vornehm nachlässig mit ihrem Sonnenschirm spielend. Auf einmal ent fiel der Schirm ihrer Hand. Eine junge Dame bückte sich liebenswürdig, um den Schirm auszuhebeck. Gleichzeitig aber auch die verschleierte Dame. Der Bahnhossinspettor gab das Zeichen zur Abfahrt. Die Lokomotive pfiff und dahin brauste der Zug. „Mein Gott, meine Brosche, meine Brillanten brosche!" Die junge Dame, die vorher den Schirin aufgehoben, stieß leichenblaß diesen Schrei aus. „Ich muß sie beim Einsteigen verloren haben!" Ter Zug führer wurde benachrichtigt und der Verlust der kost baren Brosche von der nächsten Station telegraphisch dem Bahnhossvorstand gemeldet. In dem Moment, wo die verschleierte Dame einen glänzenden Gegenstand in ihren KleiderfalteU ver schwinden ließ, legte sich ihr eme gelbbehandsch ihte Hand saust auf die Schulter. „Fräulein Commilito!" Die Dame wandte sich um und sah einen äußerst vornehmen Herrn neben sich in schwarzem Gehrock und Zylinder. „Herr Professor!" Anfänglich schien sie etwas überrascht, dann ein gegenseitiger AuLenwink von feinem Lächeln begleitet, und Herr und Dame schrit ten zusammen dem Ausgangsportal zu. Der Herr riet einen Wagen herbei. „Eine Stunde spazieren fahren draußen". Galant öffnet: er der Dame den Wagenschlag und dahin fuhr das leichte Gefährt. „Elegant und meisterhaft gemacht. Ich bewun dere Ihr Talent." „Ihre Schule, Herr Professor." „Wie lange arbeiten Sie hier am Platz, Fräu lein Rosa?" „Vielleicht einen Monat. Aber Sie hier? Ich glaubte Sic in London. Geschäftlich hier?" „Zum Glück für Sie heute noch nicht dienstlich." „Heute noch nicht, aber morgen vielleicht. Wir verstehe ich das, Herr Professor?" „Nun, sehr einfach. Ich bin als Organisator hierher berufen und morgen vielleicht der Direktor des Tetektivbureaus." „Dann bedaure ich uns!" Der Ausruf klang tragisch-komisch und dazu stimmte auch die Mimik der schönen Rosa. „Aber, wenn Sie nicht mehr mit- machen, Herr Professor, verliert die Welt ihren be sten Meister und unsere Kunst sinkt zum Handwerk herunter. Warum denn zum Henker unserer Kunst werden?" „Ihretwegen, Rosa!" „Meinetwegen? Rätsel! Rätsel, wollen wir andern bleiben, uns nicht, Herr Professor." „Sv denke ich auch. Hören Sre mich an, Ro fa. Aus der Höhe unserer Kunst sehe ich mich, seit Sie aus Loudon verschwinden mußten, allein Ern Verlangen, in Ihrer Nähe zu sein, ließ mich Si? suchen. Ich hatte eine dunkle Ahnung, die mich unter den Galgen stellte, an dem Sie baumeln. Wir haben Geheimnisse, Rosa, wir beide, seit unserer Studienzeit, die entweder den Galgen oder auch den Direktorstuhl verdienen. Ich ziehe den letzteren vor, weil man sich am besten dahinter verbirgt. Ich tue diesen Schritt zum Altenteil Ihretwegen, Rosa, und — meinetwegen. Ihretwegen, weil ich bestinymt weiß aus internationalen Verbindungen, daß S:e zum letzten Mal gemaust haben und meinetwegen, weil - alte Liebe nicht rostet —" „Herr Prosessor — —" * * * Prosessor Marley war als Meister der inter nationalen Taschendiebe weltbekannt Sein Rus war unbestritten; -er hatte den höchsten Rekord. Man sagte von ihm, daß es für ihn keine Polizei gäbe, oeun bis in die Feinheiten feiner Arbeit vermöge kein Auge zu schauen. Seine Arbeit sei Kunst, die nicht selten an Wunder grenze. Ja, man behaup tcte von ihm, daß er hochgradig magnetisch sei und die in Gold gefaßten Brillanten ohne seine Kunst sertigkeit nur so in seine Taschen spazierten. Den Titel Prosessor hatten seine Schüler und seine Kunststücke ihm beigelegt. Längere Zeit war er Direktor eines Kunstinstituts für die Speeres Taschendiebcrci gewesen. Seitie Schüler und Schüle rinnen virgötterten ihn. Seine Unterrichtsmethode war eben,v wissenschaftlich als praktisch. Hatte irgendwo ein Bekleidungskünstler einen neue" Kler Verschnitt erfunden, der der Tasche eine neue Lage oder einen neuen Schnitt gab, er erkannte sie sofort. Mit einem Blick bemaß er den Wert jedes Bril lanten bis auf das genaueste. Seine Münzen kenntnisse waren unerreicht, kurz, er war der In halt aller feinsten Spitzbübereien, ein Spitzbube par sxeelisncs. Tas wußte die Welt, darum fürch tcte sie ihn und — suchte ihn. — Tie Meldungen über täglich neue Taschen- dikbcieien hausten sich in solchem Maße, daß es nn heimlich wurde. Die Detektivs, die geschliffensten und pfiffigsten waren ohnmächtig gegenüber den zahlreichen Fällen der letzteren Zeit, namentlich des letzten Monats.. Man nahm an, daß eine inter nationale Gaunerbande am Platze sei, die wie heut zutage so vieles überfein arbeite. Hier war die beste Aushilfe notwendig und die war einzig und allein! Prosesfor Marley. * * * „Ich muß einen großen Teil der Schuld an der Ueberhandnahme dieser unliebsamen Erscheinun- gcn>tzem Luxussinn unserer Zeit zuschrerben und wo die Börse in Betracht kommt, der offenen Tür der Taschen, wcitercs der der Tamen. Gelegenheit macht Diebe Der Herr Polizeipräsident lächelte da bei geheimnisvoll. „Verzeihen Sie, Herr Marley, meine Offenheit; wir sind entrs nous." „Ich verstehe die Welt und ihre Sprachen, Herr Präsident, die Bezeichnung Dieb kann nnch n'cht trefsen, aber auch die nicht, die gemeint fein sollen, dann wären jie nichts weiter als das, was das Zu Zweien einsam.' Roman von S. CourthS-Mahler. LSI (Nachdruck verboten.) „Bitte auf einige Minuten. Ich möchte von dir hören, wie du dir künftig unser Zusammenleben denkst. Ich brauche dir nicht zu versichern, wie sehr es mich schmerzt, dir so gegenüberstehen zu müßen. Aber nickt meinetwillen halte ich dich noch einmal aus, um dich zu bitten, die Be leidigung zurückzunehmen, die du mir zugefügt hast, und die uns innerlich voneinander entfernt. Ich werde ja darüber hinwegkommen mit der Zeit, daß deine Liebe nicht groß genug war, mir eine Täuschung zu verzeihen, aber du, Liselotte, du wirst schwerer an dieser Entfremdung tragen." Seine Worte verhärteten sie noch mehr. Er gab eS ja ganz offen zu, daß er leichter darüber hinwegkommen würde als sie. Sie wollte ihm »eigen, daß er sich darin täuschte. Der brennende Wunsch, ihn noch mehr zu denrütigen, sich für die erlittene Schmach zu rächen, brachte alles andere in ihr -um Schweigen. Sie zuckte leicht die Achseln. „Mach dir darüber^keine Kopfschmerzen, auch ich werde darüber hinwegkommen. Nehmen wir die Angelegenheit Nicht zu tragisch, sondern finden wir un» mit den Tatsachen ab. Da ist zugleich deine Frage, wie sich unser Leben ge stalten soll, beantwortet. Du bist Herr aus Schönburg geworden, und ich erkenne deine Vorzüge als aus gezeichneter Landwirt an. Mein« Güter werden in dir «inen musterhaften Verwalter haben. Unsere Ehe ist eben «in Geschäft gewesen, bei dem wir beide gewonnen haben, wir werden in Zukunft nebeneinander leben, ohne unS gegenseitig Zwang aufzulegen,- denn den Skandal einer Scheidung dürfen wir unS in unserer exklusiven Stellung Nicht leisten." Er sah sie starr an. Jeder MuSkel in seinem Gesicht war angespannt, und die Zähne preßten sich fest aufMander. Lar daS Liselotte, seine Liselotte, die so zu ihm sprach? Wahrlich, die Leib« waren dach allesamt nicht wert, daß man sich um sie grämte. Er raffte sich auf und warf den Kopf zurück. Gut — wenn sie diesen Lon wollte, damit konnte er auch dienen. „Du scheinst also vollkommen mit dir im klaren zu sein. Gut — ich werde mich demnach mit dir auf einen rein geschäftlichen Standpunkt stellen, solange eS dir beliebt." „Eins laß mir dir sagen, Liselotte" — seine Stimme verlor nun doch etwas von dem scharfen, kalten Ton — „ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß du dich eine» besseren besinnst, wenn du ruhiger geworden bist und ge rechter urteilen wirst. Ich will darauf warten. Dein Ausspruch vorhin, der mir gemeine, niedrige Berechnung vorwirft, soll auSgelöscht und vergeßen sein, sobald du ihn zurücknimmst und mir sagst, daß du in unseliger Ver blendung mir diesen Schimpf angetan hast. Laß mich nicht lange darauf warten, Liselotte,'hörst du?" keine eindringlichen Worte blieben nicht ohne Ein druck, aber wie zum Schutz gegen sich selbst rief sie sich Frau von Römers Worte inS Gedächtnis zchrück, und da- machte sie hart. Sie hatte daS Vertrauen zu ihrem Gatten verloren, zu den Menschen überhaupt, und nun fand sie sich nicht mehr im Leben zurecht. Ihre Empfindsamkeit, ihr Trotz bäumtm sich auf gegen die angetane Schmach. Ki« wußte es ja nicht, »ie meisterhaft es Sibylle ver standen hatte, Wahrheit und Lüge zu vermengen und auS harmlosen Zufälligkeiten und auS einer gut gemeinten Täuschung ÄolsS ihr gegenüber ein ganze- Gewebe von Bosheit und Niedertracht zu spinnen. Sie neigte nur stumm den Kopf und ging an ihm vorüber zur Tür hinaus. ES ging zu Ende mit ihrer Kraft, sie sehnte sich danach, endlich allein zu sein und all ihren Schmer- und Kummer auStoben -u lassen. Er blieb stehen und sah ihr lange starr und düster nach. War es denn nur möglich, baß st« so von ihm ging! W«lch« ränkevollen Worte hatte S'byll« gebraucht, um Liselotte- Her» sm zu vergiften, diese» weiche, edle Herz, da» rr so »ut »ttMnnrn gemeint» in dem er bisher wie in einem aufgeschlagenen Buche zu Nsen geglaubt hattet Konnte er sich so geirrt haben? Nein, Liselotte mochte trotzig, empfindsam, eigensinnig sein — falsch war sie nicht. Und sie liebte ihn auch trotz allem. Zu deutliche Beweise ihrer Liebe hatte er empfangen, es wäre Wahnsinn, daran zu zweifeln. WaS auch geschehen sein mochte, wie gut eS Sibylle auch ver standen hatte, Zwietracht zwischen ihn und sein Weib zu säen, ihre Liebe zueinander hatte sie nickt töten können. Liselotte würde sich besinnen, eS würde ihr klar werden, daß Sibylle ein falsches Spiel mit ihr und ihm getriebe» hatte, und dann, daS wußte er, dann würde sie komme» und ihn bitten, da» böse, schlimme Wort zu verzeihen Und er wollte r» ihr leicht machen, wieder Vertrauen »w ihm zu faßen. ES mußte doch alle» wieder gut werde» zwischen ihnen, daran wollte er nicht zweifeln. Voll heißen Mitleid» dachte^er an sie, die jetzt wohl voll Kummer und Sckmerz einsam in ihrem Zimmer war und sich mit ihrem Leid abzufinden suchte. War e» nicht Wahnsinn, daß er hier stand und sich nach ihr sehnte? Konnte er nicht zu ihr gehen, sie an sein Her» nehmen und ihr mit tausend lieben Worten den Wahn ausrede», der fi» befangen hatte? Er schritt schon der Tür zu. um sein Vorhaben aus zuführen. Da blieb er stehen. „Du bist ein Mitgift jäger wie die anderen auch", tönte e» ihm wieder in die Ohren. Er hielt den Fuß zurück. Nein, dies Wort riß «ine Kluft auf zwischen ihnen. Sie selbst mußte einsehen, baß e» ein schreiende» Unrecht war, ihn so zu nennen. Von selbst mußte sie daS Vertrauen zu ihm wiederfinden, ohne sein Dazutun, sonst würde eS nur ein halbes Leben sein, daS sie führten. Besser, jetzt fremd gegenübersteben, alt «in halb«» Zugeständnis von beiden Seiten mit Zweifeln und Zagen. Sie mußte ja zur Einsicht kommen. Wolf kam diese Nacht nickt zur Rub«. Er fand ebenso wenig dm Schlaf wie Liselotte. (Fortsetzung folgte