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Die Oettern von Rohrbach. Roman von Ludwig Blümcke. (Fortlctzung.) (Nachdruck verbvtcu.» wehrte ihnen: was Gott zusanunengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen. Und sein Mütter- chen strahlte gleich ihnen in Seligkeit. Ja, wäre denn WtÄUx etwas denkbar? Er, der Sohn vom alten Adels- geschlecht, Leutnant in einem der feudalsten Regimen ter — sie ein armes, bürgerliches Mädchen? Gewiß, auch ihre Väter waren adlig gewesen, sollten im Reiche einst eine Rolle gespielt haben. Der Vater besaß das Eiserne Kreuz und hatte seinem König als Offizier in zwei Kriegen treue Dienste geleistet. Doch was wollte das bedeuten? Nicht eine einzige von den Of- siziersdamen des Regiments war bürgerlich. Wie würden all die Stolzen wohl die Nase rümpfen! Richtig, der rote Hellern hei ratete doch damals eine Bürgerliche. Mußte er nicht lediglich deshalb fort, zur Artillerie, an die Grenze? Er hatte sich gesell schaftlich unmöglich gemacht. Sein uralter Freiherrntitel, das Riesenvermögen der Frau nützten nichts. Wieder mußte er seufzen. „Herr Leutnant haben Sie Schmerzen? Ich gebe Ihnen von den Tropfen", hörte er Lottchen da sprechen, und voll rührender Besorgnis schauten die dunklen Augen ans sein bleiches Gesicht. Wie schön sie doch war! Diese langen, seidigen Wimpern, die weiße Stirn, der zierliche rote Mund, das Grübchen im Kinn, der schlanke, blütenzarte Hals — wie bezaubernd alles an ihr! „Ich danke Ihnen — Fräu lein Lottchen, mir ist sowohl", antwortete er und erschrak dann über die Dreistigkeit, sie beim Namen genannt zu haben. Aber das kam von selber. Sie schien es auch nicht übel zu nehmen, hatte es vielleicht gar nicht verstanden. — O, dieses reizende Zimmerchen! All mählich wurde ihm erst klar, wo er sich eigentlich befand. Die Bücher in leuchtendem Goldschnitt dort auf dem Re gal, die vielen Nippesfiguren, das Nähtischchen drüben mit der begonnenen Handarbeit darauf, der zierliche, kleine Schreibtisch, an dem sie ge stern feiner Mutter geschrie ben, alles ließ ihn erraten, daß er sich in Charlottens Zimmer befand. O, wie sollte er ihr und ihren Eltern nur je mals vergelten, was sie an ihm taten?! Müßte er ihnen nicht doch furchtbar lästig fein? Diesem Gefühl gab er in erregten Worten Ausdruck und auf einmal wünschte er lebhaft, daß man ihn forthole, nach Schloß Sidausruh. Heute würde er bestimmt transportfähig fein. „Tas ist yanz unmöglich, Herr von Rohrbach", sagte Lottchen darauf mit ihrer sanften, glockenreinen Stimme. „Sie müssen sich fügen. Vor Sonntag lassen wir Sie nicht aus dem Hause. So hat es der Arzt bestimmt. Lästig sind Sie uns ganz gewiß nicht. Wir müßten ja schlechte Patrioten sein, wenn wir nicht gern bereit wären, dem Kaiser einen tüchtigen Offizier zu erhalten." — Da lächelte er, drückte wieder ihre schlanke, weiße Hand und träumte abermals von lieblichen Frühlingsauen, auf denen fie beide Hand in Hand dahinwandelten. Dann schlief er sanft ein, lag fast den ganzen Tag in füßem Schlummer, und erst zum Abend stellte sich das Fieber von neuem ein, ziemlich heftig. Was er un bewußt redete, mußte nicht nur Lottchen, sondern auch ihren Eltern verraten, wie sehr sich seine Gedanken mit der liebenswürdigen Pflegerin beschäftigten. Wie ein höheres Wesen schien er sie zu verehren. Immer wollte er in ihrer Nähe bleiben. Fünf Tage waren seit Waldemars unerwarteter Wiederkehr ins gastliche Heim der Familie Ellerhus nun verstrichen. Noch immer mußte er still zu Bette liegen, noch immer fand sich das Fieber wieder, und es gab Stunden, zu denen er fast unerträg liche Kopfschmerzen litt. Heute abend traf denn ein Telegramm von Schloß Tannenberg ein, durch das Frau von Rohrbach für morgen ihren Besuch ankündigte. Das brachte Mama Ellerhus wieder in gehörige Aufregung, und den Kranken würde die Nachricht ganz gewiß noch weit mehr erregt haben, wenn Lottchen es nicht verstanden hätte, ihn scho nend darauf vorzubereiten, ihm die ernstliche Besorgnis, seine leidende Mutter könne schweren Schaden von der umständlichen Reise haben, auszureden. Mit dem Mittagszuge traf denn also am nächsten Tage die alte Dame in Begleitung ihrer Gesellschafterin in Hainau ein. Eine wahrhaft vornehnie Er- scheinung war das, gerade und aufrecht, vou mildem, güti gem, noch heute trotz tiefer Kummerfurchen sehr schönem Gesicht, das in der Tat mit dem der Frau Ellerhus einige Ähnlichkeit besaß. Mitleid und Besorgnis sprachen nur zu deutlich aus den großen, dnn- lelblauen Augen, aber zugleich auch herzliche Dankbarkeit ge gen die Leute, die sich so lieb reich ihres Sohnes angenom men hatten. Vergessen schienen alle ei genen Leiden, nur um Walde mar drehten sich ihre Gedan ken. Sofort wollte sie zu ihm, obwohl man sie dringend bat, erst eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen und die sehr energische Gesellschafterin, ein Fräulein von Malchin, das so gar in wenig respektvollem Ton, aber in guter Absicht ge- radezu verlangte. Es hals nichts: das sorgende Mutterherz for derte sein Recht. Ganz allein wollte Frau von Rohrbach bei ihrem Sohn sein. Auch Lottchen mußte das Zimmer verlassen und durfte die rührende Szene des Wiedersehens nicht miterleben. „Herzensmuttchen, warum machst du dir nur so große Sorge um mich!?" sprach Waldemar lächelnd. „Es ist wirklich beinahe gut. Fräulein Ellerhus schrieb es dir doch. Ich will ja einräumen, daß es weit, weit schlimmer stände, wenn ich nicht gerade in diesem Hause ein Obdach gefunden hätte. Dafür können wir dem Him mel nicht genug danken. Tu sahst das Fräulein ja eben, das sich aufopferte für mich. Fräulein Ellerhus war Johanniterin, und Verwundete Russen werden in ein deutsches Lazarett gebracht