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der großen Entfernung. Die Fußtour würde ihm nach der langen Wagen fahrt wohltun, sagte er. Nur seine Sachen möchte man ihm fahren, erbat er sich. Und nun war es ganz still geworden in seiner Brust, ganz ruhig. „Mag es werden, wie es will, du handelst, wie es dein Gewissen dir gebietet. Mögen Sie dich verurteilen, du wirst zu deiner Verteidigung kein überflüssiges Wort sprechen. Ein Unschuldiger braucht wenigstens nicht zu leiden für dich. Oh, das ist ja schon viel", sagte er zu sich selber, und Wort für Wort wiederholte er sich, was zwischen ihm und dem Baron auf der Schanze gesprochen worden war, jede Einzelheit rief er sich ins Gedächtnis zurück. Immer höher stieg die Sonne, Mittagsglut brannte sengend auf den einsamen Wanderer hernieder; er machte halt unter den schauenspendenden Buchen des Waldes und beschloß, ein Viertelstündchen im hohen Farnkraut zu lagern. Bis zu Grunows Villa war's nicht mehr weit, und die Stätte, an der Lili für einen flüchtigen, seligen Augenblick in seinen Armen, an seinem Herzen geruht, konnte er von hier aus ganz genau erkennen. An sie, die er über alles liebte, muß te er denken, an sie und an die ande re, die seine Hand nun nicht mehr berühren mochte, die ihn verab scheute als einen Mör der, die ihn haßte, weil er sie in Schimpf und Schande ge bracht. Ach, welch eine Egoistin war Alix, die nichts von seinem WeA. fühlte, di?^ nicht einmal ein Wort der Erklärung aus seinem Munde an hören moch te! — ' ,7Sie hat dich ebenso wenig mit dem Herzen geliebt, wie du sie lieben konntest", seufzte er bei diesem Gedanken vor sich hin. Und dann kam es wie eine bleierne Müdigkeit über ihn. Wie lange hatte er nicht mehr wirklich geschlummert! Die Mittagsglut, die Abspannung seiner Nerven, schlaflose Nächte, des Waldes Kühle, alles wirkte zusammen. Da wiegte sich auf schwankem Riedgras ein bunter Falter. Ein Bienlein summte, summte und summte immerfort, in den Blättern der Buchen glitzerte-es von Sonnengold, und durch das Gezweig schauten lächelnde Kindergesichter mit grünen Kränzen im Haar, streckten sich weiche Feenarme, die bunte Blumen auf ihn streuten, als wüßten sie nicht, wer er war, als wüßten sie nicht, daß die Braut ihn verflucht, weil Blut an seinen Händen klebte, Menschen blut. Ganz leise, leise flüsterte es dort über ihm, als sollte ihn keine schrille, schellende, vorwurfsvolle Stimme stören. Und bald hörte er dieses Flüstern und Raunen nur noch im Schlaf. Eine wunderschöne Fee mit goldigem Haar und goldigem Lachen aus sanften braunen Augen^das Gesicht so zart wie Rosen und Lilien, die Hände so weich wie Blütenschnee, saß neben ihm im Traum, streichelte ihm die Wangen und verscheuchte die schwarzen Kobolde mit den blutroten, feuerflammenden Augen, die immer wieder an ihn herandrängten: - „Hier ist mein Reich," sagte sie mit einer Stimme so hell und klangvoll wie wunderbares Glockenläuten, „hier habt ihr keine Macht über dieses gehetzte Menschenkind." Und lange, lange schlief Achim unter der Buche im Farnkraut, auf schwellendem Moos. Als er erwachte, war Mittag längst vorüber, die Bäume warfen lange Schatten und die Sonne stand bereits fern im Westen. Er sprang auf, dehnte die Glieder, schaute erschreckt auf die Uhr und eilte weiter. Da, am Waldesrand, gar nicht weit von jener Stelle, wo er sich vermessen hatte, die Geliebte an sein Herz zu drücken, tauchte eine Helle, schlanke Mädchengestalt guf. Einen Augenblick war es ihm, als äffte ihn üöch das liebliche Traumbild der holden Fee, die seinen Schlummer schützte — schien sie es ja selber zu sein, die dort stand; aber dann wußte er ganz genau, daß es ein Wesen von Fleisch und Blut war, daß Lili allein es sein konnte. Schon vermochte er sich nicht mehr vor ihr zu verbergen, sie hatte ihn ebenfalls gesehen und erkannt, und auf ihrem lieb lichen Antlitz malte sich etwas wie freudiges Überraschen. Ach, wenn sie es wüßte! — Schon stand er neben ihr, und in seinem Hirn schwirrte es wirr durcheinander von all den Ge danken, die eben für ein paar Stunden geruht. „Fräulein Lili, wir sehen uns wahrscheinlich in dieser Stunde zum letztenmal!" stieß er aus, nachdem er ihre Hand, die sie ihm geboten, ganz flüchtig berührt, als dürfte er siö nicht fest in die seine schließen. „Dies wird unsere Schei destunde sein. Er schrecken Sie nicht und hö ren Sie mich wenigstens an: Ich bin gekommen, um den ver hafteten Freund noch heute frei zu machen und an seine Stelle zu treten. O Lili — wenn du mich ver stehen könn test, wenn ich mich von dir nicht ver dammt wüß te !" „Achim," hauchte sie mit schwa ¬ cher Stimme, „wir wollten Freunde sein; ich bin Ihre Freun din und werde es bleiben, so länge ich lebe. Alles verstehe ich; ich ahnte ja, daß Sie es gewesen sind. Und ich weiß, daß Sie Ihrer Sinne nicht mächtig waren, ich weiß, was Sie gelitten hatten, wie es um Ihre Nerven stand." „Und ich bin glücklich, von Ihnen nicht verdammt zu werden. Sie werden mich anhören. Alix wollte es nicht — Alix — ach, Sie wissen " „Ich weiß es, Achim. Bitte, sprechen Sie ganz offen zu mir." Und als sie alles gehört, da sagte sie mit fester Stimme: „Ich glaube Ihnen, ich glaube jedes Wort. Wenn das Kriegs gericht den ganzen Vorgang so auffaßt, wie ich es tue, dann wird Ihnen nichts geschehen. Aber, Achim, das ist nicht gewiß. Die Zeugin hat nichts von einem Degen erwähnt, den der Baron zuerst gegen Sie zückte. Sie hat wahrscheinlich nichts von seiner Waffe gesehen und wird darum dabei bleiben, daß er wehrlos war. Wo blieb der Stockdegen nachher?" „Ich warf ihn ebenso wie die Staffelei in den Graben. Dort wird man ihn finden." „Das ist zweifelhaft. In dem Morast? Und wenn man ihn auch fände, so könnten die Richter doch der Meinung sein, Sie hätten den Baron auf der Schanze aufgesucht, um ihn zu ver nichten. Ich sage, sie könnten. Und leidend, wie Sie jetzt sind, würden Sie. sich nicht genügend verteidigen können. Die Unter suchungshaft würde Ihrem Zustand so schaden, daß — ach Gott, es ist gar nicht auszudenken, welche Folgen noch aus Ihrer Selbst anzeige erwachsen werden. Gewiß, Sre dürfen nicht schweigen, Die deutsche Untersecbootdivision im Kieler Hasen. Phot. A. Renard. (Mit Text.)