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Oie )eickenspv«cke^ Humoreske von Alois Ulrei ch. Der Schreibtisch des Miuisterialrevidcnten Tiefen- gruber ivar derart plaziert, daß dieser wohlgenährte Funk tionär der Negierung von seinen» Sessel aus Gelegenheit hatte, durchs Fenster ins Freie sehen zu können. Tiefen- grubcr würde von dieser Gelegenheit viel ausgiebigeren Ge brauch gemacht haben, wenn das Gegenüber ein interessan teres gewesen wäre. In der oberen Etage des gegenüber liegenden Hanfes hauste ein Rittmeister, dessen Bursche den halben Tag im Fenster lag und in der heruntercn wohnte eine verwitwete Kommerzienrätin, die von zwei bejahrten alten Dienstboten umgeben war. Diese zeigten sich nur selten an den Fenstern. Man kann sich darum denken, wie überrascht eines Tages der Ministerialrcvident Tiefengruber war, als in einem der kommerzienrätlichen Fenster ein frisches, rundes Mädchengesicht auftauchte, das vou reich lichen braunen Flechten umrahmt wurde. Das Weitze ko kette Häubchen verkündete dem Kenner, datz die Kleine hier Stubenmädchen oder so etwas ähnliches war. Tiefengruber lächelte befriedigt, als die Kleine die längste Zeit bemüht war, aus einem alten Polster mit einem alten Klopfer den alten Staub herausznbckommcn. Von diesem Tage an wid mete der Ministerialrcvident Tiefengruber, dessen staatliche Pflicht cs war, die Telephonleitungen seines Vaterlandes in Evidenz zu halten, dem gegenüberliegenden Hause eine größere Aufmerksamkeit. Wohlwollend freundlich lächelte er immer, wenn das Mädchengesicht mit den Haarflechten auf- tauchie, um eine Tischdecke oder einen Polster gehörig zu bearbeiten. Er stellte fest, datz die. Kleine jetzt immer häu figer am Fenster erschien, was er aus den Umstand zurück führte, datz sie seine bewundernden Blicke bemerkt Hai. Tiefengruber sah sich in den Spiegel. Nun ja, er war ja schon ein älterer Herr, aber gut, sehr gut erhalten. Von diesem Tage an legte er auf seinen äußeren Menschen größeres Gewicht. Er ließ sich öfters rasteren und zog sich einen imposanten Scheitel, während er früher oft recht wild herumgcgangcn war. Mit Befriedigung stellte Tiefengruber fest, datz das nette Stubenmädchen seine aufmerksamen Blicke bemerkt haben mußte, denn sie verweilte immer länger und häufiger am Fenster und sah nicht unfreundlich herüber. Herrn Tiefcn- grubers Blicke wurden immer zärtlicher und verliebter. Es lag auf der Hand, daß er Eindruck gemacht hatte. Er glaubte, es nun schon unternehmen zu können, vor der Klei nen, wenn sic drüben bei der Klopfarbeit war, kleine huld volle Verbeugungen über die Straße hin machen zn können. Später winkte er ihr grüßend hinüber. Noch später legte der würdevolle und wohlinstallicrte Ministerialrcvident Tie- fengrnber in einer unglaublichen verliebten Anwandlung die Hand auf die Stelle seiner Weste, wo sich nach den Ver sicherungen der Anatomen das Herz befinden soll, und sah dabei schmachtenden Blickes nach dem Gegenstand seiner Be wunderung und Verehrung, der meist in einem solchen Augenblicke einen Teppich bearbeitete oder einen Polster klopfte. Nun wagte es Tiefengruber schon, nachdem er sich natürlich vorher überzeugt hatte, daß kein anderes Wesen aus den gegenüberliegenden Fenstern sah, zärtlich seine Hand an den Mund zu führen und der Donna eine regelrechte Kußhand zuzuwerfen. Diese Zeichensprache der Liebe währte zwei Wochen. Da geschah eines Tages zum hohen Entzücken des mehrfach genannten Ministerialfunktionär ein Wunder: die kleine Klopffee bediente sich der von Herrn Tiefengruber geübten Zeichensprache . . . l Sie wieS mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand zuerst auf ihre nette Person, dann auf das gegenüberliegende Haus und schließlich auf die Straße hinab. Herr Tiefengruber war entzückt. Es war ja klar, was diese Gebärden der Zeichensprache bedeuten sollten. Sie hießen: Ich möchte Dich unten auf der Straße treffen I Das nette Stubenmädchen war sich aber auch der Tatsache voll bewußt, daß diese Mitteilung allein nicht genügte. Sie mußte auch eine Zeit angeben. Darum erhob sic noch einmal ihr Händchen, spreizte die Finger beider Hände auseinander, hielt sie hoch, wobei sie rasch die beiden letzten Finger der rechten Hand cinzog, so daß man nur acht auscinandergc- streckte Finger sah. Herr Tiefengruber verstand. Diese acht Finger konnten nichts anderes heißen, als: „Um acht Uhr können Sie mich heute treffen!" Herr Tiefengruber wiederholte die Ziffer acht auf die gleiche Weise mit den Fingern und fügte dann noch mit einigen pathetischen Zeichen hinzu, datz er zur bestimmten Stunde ganz bestimmt erscheinen werde. So hielt er es auch. Schon um dreiviertel auf acht Uhr stand er in der Nähe des Hanstores. Er ging, um sich die Zeit zu vertreiben, einige Schritte auf und ab. Wäre er nicht so sehr mit seinen angenehmen Gedanken beschäftigt gewesen, so hätte er bemerkt, daß auch ein junger Mann mit auffallender Beharrlichkeit in der Nähe des Haustores verweilte. Herr Tiefengruber überlegte, wie er die Kleine ansprechen werde. Da fiel ihm ein, daß er gar keine Blumen habe. Rasch trat er in einen benachbarten Laden und er warb einige Rosen, die er seinem hübschen Klopfgeiste, wie er die Kleine nannte, verehren wollte. Als er wieder zu dem Haustore zurückkam, hörte er Schritte durch den Flur. Er sah hinein — sic kam! Herr Tiefengruber stellte sich in Positur. Er Hob die Blumen mit einer galanten Gebärde in die entsprechende Höhe, machte eine kleine artige Verneigung vor der Daher kommenden und wollte eben sein Begrüßungssprüchlein sagen, als er sich von kräftiger Hand beiseite geschoben fühlte. Er wandte sich blitzartig um — vor ihm stand der junge Mensch, der ebenfalls schon seit längerer Zeit am Hanstore gewartet hatte. „Sie, alter Herr — was wollen Sie denn von meiner Braut?" fragte der junge Mensch mit entfachter Eifersucht. „Mein . . mein . . Herr . . wie . . wie . . können Sie es wagen ..." — Das Mädchen lachte. „Ach Fritz," sagte sie zu dem jungen Menschen, „das ist der alte Äffe, der immer so verliebte Augen wie ein Ziegenbock ans mich macht, wenn ich die Polster klopfe ..." „Aber Fräulein," wagte Tiefengruber den Einspruch, „Sie haben mir doch selbst heute durch die Zeichensprache angcdeutet, daß ich heute um acht Uhr warten soll . . ." „Das hast Du getan?" fragte der junge Mann eifer süchtig. „Keine Spnr," entgegnete die Klopffcc, „ich habe Ihnen nichts angcdeutet. Aber meinem Bräutigam, der wo auch im Ministerium drüben ist, habe ich gezeigt, daß er um acht Uhr kommen soll." „Das hat nicht mir gegolten?" stöhnte Tiefengruber. „Nee — ibm." „Und Sie sind auch im Ministerium?" „Jawohl, wenn es Ihnen recht ist. Ich bin der neue Kammerdiener des Ministers!" Niedergeschmcttert hörte der Revident Tiefengruber diese Worte, die den Zusammenbruch seiner Gefühle bewirk ten. Er war der Nebenbuhler des Kammerdieners des Mi nisters gewesen! Wenn das jemand im Ministerium er fährt — dann ist er fabelhaft blamiert! Eilig wandte er sich zum Gehen. „Gute Nacht, alter Herr," rief ihm der Kammerdiener nach. „Und wenn Sie wieder mal wo die Zeichensprache sehen, so vergessen Sie nicht, daß es auch über und unter Ihnen Stockwerke gibt, denen es gelten kann." Am nächsten Tag bat der Revident Tiefengruber seinen Chef um ein anderes Arbeitszimmer, da ihn hier die Sonne zu sehr plage und er für Hitze sehr empfindlich ist -rsM- Menlckenfreunälick. Schon will der Zug abfahren — da springt ein Passagier ins .Rauchkupee'. „Donnerwetter," ruft er am Fenster stehend und alle Taschen abgreifend, „nun habe ich keine Zigarre bei mir — ohne Zigarre fahren, das halt ich nicht aus! . . Schaffner, Kellner, haben Sie denn keine Zigarren hier?" — Alles schüttelt den Kop'. Schon Pfeift die Lokomotive. Der Reisende ist verzweifelt. — „Ach, wissen Sie was," sagt da der gute Stationsvorsteher, „um Ihre Qual zu lindern, kommen Sie ins Kupee für Nichtraucher — da dürfen Sie nicht rauchen."