Volltext Seite (XML)
Meinungsverschiedenheit mit den Ellen bogen ausfechten, ohne daß iie zur Strafe empor. „Sie ist wieder krank, der Doktor soll kommen", stotterte er. Hartstock schüttelte den Kopf und ging an sein Pult. Grund- manns Mutter war eine arme, kränkliche Witwe, die mühsam sich Das staatliche Kernheizwerk in Dresden. «Mit Text.) Gedanken, es müsse doch möglich sein, über ihn himvegzuspringen. Er versuchte es, aber es mißlang, er wieder holte den Versuch um die Mittagszeit, wenn der Schatten ganz klein ist, tat einen mächtigen Sprung, noch einen, noch einen —> es half ihm nichts: der Schatten blieb vor ihm. Da hätte Hans sich sagen sollen: es ist unmöglich, seinen Schatten zu überholen, und an Unmögliches soll man keine Kraft verschwenden, aber so verständig war er nicht, sondern dachte seitdem an nichts anderes als an seinen Schatten. Und so wurde der Junge, der bis dahin bei allen gut gelitten war, unaufmerksam in der Schule, träge und nachlässig zu Hause, und wenn er einen Auftrag erhielt, und ihren Sohn durchs Leben brachte. Ihr trauriges Los verdiente also ein bedauerndes Kopfschüttelu, allein Grundmann, im Gefühl seiner Schuld, zweifelte, ob es vielleicht nicht doch seinem heimlich verzehrten Bissen gegolten habe. Gleichgültig war es ihm freilich, denn er hatte den Bissen ja glücklich hinunter bekommen. — Inzwischen hatten die Staubwolken sich verzogen und die Fenster konnten geschlossen werden. Als das geschehen war, sang die Klasse ihr Morgenlied, es folgte das Morgengebet, und der Unterricht begann. Der alte Schulmann nahm es mitunter, besonders im Sommer, wenn der Unterricht wegen der Kürze der Zeit doch nur Stück werk sein konnte, mit dem Stundenplan nicht sehr genau. Kam ihm die Laune, so ließ er das auf Pappe gezogene, an der Tür hängende Stück Papier, das die zu leistende Unterrichtsarbeit genau auf die beiden kurzen Stunden verteilte, ganz unbeachtet und erfreute seine Jungen rmd Mädchen damit, daß er ihnen etwas erzählte. Meist wählte er einen Stoff aus der Geschichte, mauchmal aber erfand er selbst eine Erzählung oder sonst etwas, durch das er deu Kindern irgendeine Lebensweisheit anschaulich machen wollte. Doch was er auch erzählte, das Ohr der Klasse gehörte ihm, und die ungezwungene, ehrliche Aufmerksamkeit auf den braungebrannten, frischen Kinderge sichtern beruhigte jedesmal sein Gewissen, das ihn vor seinen pädagogischen Seiten sprüngen zu warnen pflegte. „Hört zu! Ich will euch etwas erzäh len", fing er auch heute an, und eine Be wegung ging durch die kleine Versamm lung. „In einem Dorfe lebte ein Junge, der hieß Hans. Er wäre ein ganz guter Junge gewesen, aber er hatte einen Fehler: e.r wollte über seinen eigenen Schatten sprin gen. — Hast du das auch schon versucht, Karl Wendi?" „Nein", sagte Karl Wendt und sein ganzes Gesicht lachte, denn er hatte diesen Fehler nicht, war also ein besserer Junge. „Du, Fritz Zabel?" forschte Hartstock weiter. „Ja", antwortete Zabel ehrlich und wurde rot wie sein rotes Lineal, das vor ihm lag. „Siehst du!" rief der alte Schulmeister, den eigentlich Zabels Antwort mehr er freute als die feines Lieblingsschülers. „Gib also genau acht, w«e es dem Hans erging, damit du etwas daraus lernst. Also: Haus war etwa zwölf Jahre alt, da ärgerte ihn zum erstenmal, daß sein Schatten ihm immer voraus war, und da kam er auf den Der alte Dorfschulmeister. Erzählung von Koürad Konradi. (Fortsetzung.) er Alte jedoch stellte sich, als habe er von dem Geschrei gar nichts gehört, legte schweigend seine Bücher auf das Pult und wandte sich der Klasse zu. Als er aber sah, wie zwei Jungen sich auschickten, die Fenster zu schließen, rief er sie zurück. ,,Wollt ihr den Staub einatmeu und krank werden?" So wartete denn die Klasse stehend, daß die letzte, Staubwolke aüs den Fenstern verschwinden möchte, und Hartstock hatte Zeit, feine Schüler und Schülerinnen zu mustern. Es waren kaum so viel, daß sie ein Drittel der Schulbänke füllten, denn im Sommer wurden die verschiedenen Abteilungen einzeln und in verschiedenen Stunden unterrichtet; zuerst am Morgen die Ältesten, weil sie während der Sommermonate im Garten oder auf dem Felde helfen muhten. Knaben und Mädchen saßen in zwei gesonderten Gruppen, diese rechts, jene links von einem breiten M'ttelgang, der den Schulraum in zwei gleiche Hälften teilte. In diesem Gang schritt der alte Schulmeister eiuigemal auf und nieder, und sein ernster Blick klärte sich auf wie ein Herbsthimmel, wenn die Sonne durch die Regenwolken bricht. Lä chelnd strich er einem rotwangigen Mäd chen die Haarsträhnen aus der Stirn, lä chelnd ging er die Reihe der Bänke hin unter, Und als er beobachtete, wie Berta Vogt ihrer Nachbarin flüsternd eine wich tige Neuigkeit anvertraute, da schalt er nicht, sondern sah der kleinen Schwätzerin so lange zu, bis sie es merkte und errö tend schwieg. Und dann kamen die Jungen an die Reihe. Obenan saß Karl Wendt als erster, und da Hartstock so viel Freundlichkeit schon an die Mädchen fortgegeben hatte, wollte ! er ihm, seinem Liebling, eine besondere Freude machen. Er legte ihm die Hand aufs j Haupt und — ihm fiel gerade nichts ande res ein — fragte ihn, ob er nicht bald ein mal seinen Rosengarten ansehen wolle. Und Karl Wendt fühlte die Auszeichnung und ivar glücklich, dock nicht halb so glücklich wie sein alter Lehrer. Und die Freude über den gelungenen Einfall stimmte den Alten nachsichtig. Darum dursten auch Fritz Jabel I und sein Nachbar Christian Vogt eine kleine an der Tür zu stehen brauchten, und darum konnte August Grundmann, der auf dem letzten Platz in der letzten Bank stand, heimlich in sein Butter brot beißen und ungestört den Bissen Hinunierwürgen, obwohl Hartstock unbemerkt ganz nahe an ihn herangetreten war und ihm aufmerksam zusah. „Wie geht es deiner Mutter, Grundmann?" fragte ihn der Alte. Grundmann fuhr aus seiner gebückten Stellung erschrocken