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Schulstube. Und dort sich er wieder die aufmerksam lauschende Schar vor sich sitzen, sah er die erwartungsvollen Gesichter, und seine Zuversicht kehrte zurück. „Ja," rief er, „alle Vie neumodischen Dmge lernen sie bei mir nicht, aber ich gebe ihnen et was zum Nachdenken nach Hause mit — ist das nicht besser? Ich bringe ihnen bei, wie man sich selbst erziebt — ist das nicht mehr werf? Was will man denn noch von mir?" Und das Bewußt- ain, etwas geleistet zu haben, richtete ihn auf, und weit von sich, wei ter als je, wies er die Abschiedsgedanken. Inzwischen hatten sich die kleinen Ritter von der Fibel im Schul- zimmer versammelt, und Hartstock ging, um sie in die ersten Geheimnisse des Lesens und Schrei bens einzuweihen. Aber er hatte noch nicht lange unterrichtet, da wurde an die Tür geklopft, und als er nach^ah, stand mit verweinten Augen des Pastors Dienstmädchen vor ihm. „Was gibt's denn, Anne?" Das Mädchen holte einigemal tief Atem. „Ob Sie nicht so freundlich sein wollten, nachher einmal herüber zu kommen, Herr Hartstock. Fräulein Marie schickt mich." Hartstock sah sie ganz erstaunt und fragend an. „Herr Pastor ist sehr krank ge worden", fuhr das Mädchen fort, „er wird wohl sterben." „Sterben?" Hartstock fuhr zu sammen. „Ist ja Torheit! Herr Pastor ist noch viel zu rüstig zum Sterben", rief er in großer Er regung aus, faßte sich jedoch schnell wieder und setzte in freundlichem Tone hinzu, daß er sofort nach Beendigung des Unterrichts kom men werde. Das Mädchen ging und ließ den Alten allein mit seinen Schulkin dern und mit ihrer Trauerkunde. Noch nie hatten die Kinder einen und noch nie hatte ihr Lehrer so sehnlich das Ende der Schulstunde erwartet wie heute. Pünkt lich um elf Uhr schloß er den Unterricht und begab sich sogleich ms Pfarrhaus, wie er versprochen hatte. 3. Rike war heute sehr unzufrieden mit ihrem Herrn. Stets wurde in seinem Hause pünktlich um zwölf Uhr zu Mittag ge gessen — sie entsann sich wirklich keiner Ausnahme — und heute war schon eine reichliche Viertelstunde über die Zeit hinaus verstrichen, und noch immer hatte der Alte, der sonst so genau die Tageseinteilung innehielt, sich zum Essen nicht eingesunden. Auch das Mittaglüuten hatte sie nicht gehört, das schien er eben falls vergessen zu haben. Er war ins Pfarrhaus gegangen, um den kranken Pastor zu besuchen, und wenn er dort so lange blieb, dann konnte Rike wissen, daß der alte Herr sehr krank war. Gut! Aber Rike hatte noch einen anderen Grund, unzufrieden zu sein — rundheraus gesagt: der alte Hartstock gefiel ihr gar nicht mehr. Er war seit einiger Zeit nicht mehr wie früher, hielt sich für sich, sprach zu ihr nur das Notwendigste, und auch das in einem Ton, durch den man anzudcuten Pflegt, daß man an: liebsten überhaupt nicht spräche. Rike überlegte. Sie war seine Schülerin gewesen vor Zeiten, hatte sich bald nach ihrer Konfirmation als Dienstmädchen bei seiner Frau verdingt und sich in den langen Jahren so gut be währt, daß er ihr seinen Haushalt anvertraute, als ihm seine Frau durch den Tod entrissen wurde. Sie stand also lange genug in seinen Diensten, um seine alltäglichen Sorgen und Freuden zu ! kennen, und wenn sie jetzt durchaus nicht ergründen konnte, was ihrem Herrn die Laune verdarb, dann mußte etwas ganz Außer ordentliches vorgegan gen sein. Sie überlegte wieder. Oder war sie selbst etwa Ursache und Gegenstand . seiner Mißstimmung? War er mit ihr unzu frieden geworden? Sie stellte den Koch topf, den sie gerade vom Feuer gehoben hatte, mit solcher Wucht auf den Herd, daß es krachte. „Ich tue meine Schul digkeit, ich halte die Wirtschaft in Ordnung," — sie schob hastig die Ringe auf das Feuer loch — „ich koche ihm. alles, was er gern ißt — wenn er nicht zufrie den ist, kann er es sa gen." ' Sie hatte recht, denn daß die Ziege alt und krank geworden war, dafür konnte sie nicht. Und Hartstock, der das doch wußte, brauchte ihr gar kein schiefes Gesicht zu machen, und sie selbst brauchte sich gar nichts vorzu werfen. Lächerlich war es, daß sie es im Grunde dennoch tat und ihm zur Auffrischung seines Gemüts heute sein Leibgericht — Backobst und Klöße — vorsetzte. Er verdiente es gar nicht. Unter solchen Betrachtungen hatte sie wieder eine Viertelstunde verbracht, doch nun war ihre Geduld zu Ende. „Wenn er jetzt nicht kommt, esse ich allein", fuhr sie die sum menden Kochtöpfe an, und um zu zeigen, wie entschlossen sie war, ihre Drohung auszuführen, riß sie wütend die Deckel herunter, warf sie beiseite und lief zum Küchenschrank, um die nötigen Schüsseln hervorzuholen. Als dann die Näpfe auf dem Küchen tisch standen, machte sie einige unnötige Wege zum Kochherd Der erste Aufsatz. Gemälde von Julius Günther. (Mit Text.) und wieder zum Tisch zurück, fand, daß die hervorgeholten Schüsseln nicht die richtigen waren, stellte sie wieder zurück, um andere an ihre Stelle zu setzen — kurz: sie traf ihre Vorbereitungen mit Das albanesische Fürstenschloß in Durazzo. (Mit Text.)