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»Wer bedenken Sie, wir sollen zwei Kilometer laufen — im Schnee," stöhnte Schmolling, der etwas beleibt war. „Hilft nichts — los," kommandierte Herbenau, und nachdem die beiden Herren sich aus ihren dicken Pelzen ge schält und diese im Wagen untergebracht hatten, bahnten sic sich einen Weg durch die Schneemassen. Schweigend gingen sie in dieser schweigenden majestä tischen Winterruhe dahin. Da — nach einer reichlichen halben Stunde eine Wegbiegung — eine kleine Anhöhe — und mit einem Male mitten hinein in die große Schweig samkeit eine Helle, jauchzende Stimme: „Also — Hollah — Achtung —" Und ein Sausen und Brausen und vom Berg hernieder flog ein Rodelschlitten mit einigen weiß vermummten In sassen zu Tal gerade vor den Füßen Schmollings und Hcrbeuaus landete der Schlitten mit seiner jungen Last. — „Wie kommen Sie auf Drönnewitzer Feldmark — das hier ist verbotener Weg," inquirierte ein Bengel von unge fähr zehn Jahren gleich darauf die beiden Wanderer. „Unser Auto will nicht weiter und liegt nicht weit vom Wegweiser fest — da mußten wir uns zu Fuß menschliche Siedelungen in dieser Einsamkeit suchen," sagte Herbenau in guter Laune. „Sie sind einen verbotenen Weg gegangen," meinte der Junge. „Das ist doch aber die Chaussee. Der Bengel mit der Weißen Strickmütze lachte: „Ja, das glauben Sie — aber beim Schneewehen ist der Weg oft nicht gerade innczuhaltcn — dort drüben läuft die Chaussee gerade auf Dorf Drönnewitz, hier dieser Privat weg führt nach Schloß Drönnewitz." Von der Anhöhe scholl mitten hinein in die Rede des kleinen Drönnewitzer Herrensohnes ein Kommando vom zweiten Rodelschlitten her: „Holla — Achtung — Vorwärts I" Die Stimme kam Herbenau sehr bekannt vor — aber ehe er noch so recht zum Nachdenken kommen konnte, war auch dieser Schlitten zu Tal gesaust und ungefähr da ge landet, wo Kaspar von Drönnewitz mit den beiden Herren unterhandelte. Ein lächelndes frisches Mädchcnantlitz wendete sich den beiden Herren zu. „Mein gnädiges Fräulein," rief Herbenau, und „Herr Rittmeister von Herbenau, wie kommen Sie in diese ver schneite Einsamkeit — wollen Sie unsern dörflichen Win tersport teilen?" Kaspar zog sein Mützchen, während Toni den Schnee von ihren Kleidern klopfte und schnell vom Schlitten sprang: „Kennst Du die Herren, Toni — die Herren kamen den falschen Weg — aber wenn sie sich ausweisen können . . „Mein Freund, Konsul Schmolling —" „Das Automobil liegt, schadhaft geworden, unweit des Wegweisers " „Ich bin Kaspar Drönnewitz," sagte der resolute Bengel mit einem Kratzfuß. „Sehr erfreut, einen so schneidigen jungen Herrn kennen zu lernen," erklärte Herbenau lächelnd. „Ich bitte um Entschuldigung wegen Kaspars Gründ lichkeit," lächelte Toni. „Er hat ganz recht gehandelt." meinte Herbenau — „man soll immer zunächst sein Recht wahren." „Vater hat den Weg extra für uns allein anlegen lassen, auch weil das unser" Rode'.berg ist," erklärte Toni, dann, ihrer Eigenschaft als Haustochter eines gastlichen Hauses eingedenk: „Ich bitte nun die Herren, daß Sie sich Kaspar anschließen — Kaspar — Du führst die Herren zum Hof — ich werde mit Peter die Rodelschlitten in den Schup pen bringen, dann kommen wir nach." Peter, Heinrich und Fritz, die sich bisher schweigend verhalten hatten, legten lauten und energischen Protest ein: „Nein — wir gehen noch nicht — wir haben erst zweimal gerodelt, die Sonne ist noch zu hoch — wir rodeln Wester." Aber Toni war unerbittlich: „Für heut ist's genug, Ihr seht, daß wir Gäste haben — verirrte Wanderer —" sie lachte — „also geht's für heute heim." Die Jungens, die nun, bald versöhnt durch Schwol- lings liebenswürdiges Versprechen, sie auch, sobald das Auto wieder flott sei, darin spazieren zu fahren, ahnten nicht, wie schnell ihre Toni heut das Rodel-Vergnügen verschmerzt hatte. Sie ging mit Herbenau vorauf, die beiden hochgowach- senen Menschenkinder schritten dahin durch den hohen Schnee, vorüber an den verschneiten Bäumen, die so schwer an ihrer Last trugen, als schritten sie durch den Frühlingswald, wie holder Frühling blühte es empor in Herbcnaus Herz, das der vorjährige Wintersport im Engadin nicht für die stolze elegante Sportgefährtin erwärmen konnte — so kalt, wie die winterliche «Sonne blieb es auch. Und doch sprachen sie beide so ganz gleichgültige Dinge: ob er wieder nach der Schweiz führe zum Wintersport, fragte sie. Herbenau erwiderte lächelnd: „Nein, Fräulein von Drönnewitz, ich muß erst hier das schöne Rätsel eines Win tersports lösen, denn von der Lösung dieses Rätsels hängt mein Lebensglück ab." Sie sah ihn erstaunt und fragend an — aber als ihre Augen sich trafen, hatte sie ihn verstanden — und er mußte Wohl auch in ihrem Blick gelesen haben, denn er sagte leise und fast flehend — „und vielleicht auch ein anderes Lebens glück — wissen Sie wessen?" Sie antwortete nicht, aber sie ließ ihm ihre Hand, die Wie Etudiosus Brumme» „in die Klappe" kroch.