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die „Fee" noch Sentikowski Neuralgie, aber letzterer tat etwas ganz Außergewöhnliches, nämlich er — fluche«. Und fluchend stürzte er in seine dunkle Schlafkammer, wo er sich fürs erste seinen „Dämel" anrannte und fürs zweite seinen Tornister nicht fand, da ihn das fürsorgliche Mädchen zu gut aufgehoben hatte. Endlich erwischte er chn und schnau bend rjß er die Konservenbüchse heraus, um sie blindlings in die unergründliche Tiefe des Korbes zu schmettern. Gegen solche seelischen Ausbrüche lvaren zwar die beiden Grenadiere völlig unempfindlich. Der eine bemerkte nur noch „bist verrrricktl", dann setzten sie gleichmütig ihre Runde fort und brachten die eingeheimsten Schätze auf den Marktplatz zur Feldküche, wo der Koch bei stockfinsterer Nacht eine Büchse nach der anderen heraustastete und den Inhalt dem bauchigen Kessel cinverleibte. . Der Morgenstern fand das Regiment bereits wieder auf der Marschstraße. Ein entsetzlich heißer Junitag zog herauf. Die Herren Stabsoffiziere schimpften auf die Schweinerei — auf welche wußte eigentlich keiner, die Herren Hauptleute auf das Frühausstehen, d«e Herren Leut nants auf die Latscherei und die Herren Musketiere na, die haben überhaupt nicht zu schimpfen, sondern zu tip peln. Kurz und gut, man brachte es auf ob und etliche Kilometer. Menschen, die arbeiten, sollen manchmal Hunger Und Durst verspüren. Da aber der Soldat nach höheren Be griffen mehr den zoologischen Lebewesen angchört, hat er darauf eigentlich keinen Anspruch. Dennoch machte sich allmählich eine knurrende Leere bemerkbar. Zum Glück hieß es auch bald: „Regimutt rastetI Feld küchen vorziehen I" Eitel Freude herrschte überall. Bald sah man allerorts lautlos, — d. h. lautlos, soweit das menschliche Rcdetöne betrifft, — also in diesem Sinne „lautlos" kauende M«n- schenmasscn. Auch Hans Erwin und seine beiden Offiziere hatten einen gesegneten Appetit, das sah man den sehnsüchtig auf die Kochtöpfe gerichteten Blicken an; noch waren ihre Teller nicht gefüllt denn immer erst die Leute t Aber was hatten denn die? Wohl waren die Kochz:jchirrdeckel ge strichen voll, Wohl führten sie gierig den Löffel zum Dtunde — aber — befand sich Hans Erwin in einem Wachsfiguren kabinett voll scheußlicher Fratzen — schon nach dem ersten Bissen verzerrten sich alle Gesichtsmuskeln derartig, daß sie jedem Charakterdarsteller bei den Worten: „Herr, welches Schreckliche sinnet Ihr mir an?"', stürmischsten Applaus ein- bcracht hätten. Erstaunt fragte der Chef: „Na, Kerls, was habt Ihr denn, Ihr verzieht ja das Gesicht wie 'ne Gurke, die sechs Wochen in essigsaurer Tonerde gelegen hat?!"' Als aber auch die Mutter der Kompagnie eine gar erbärmliche Visage schnitt, kam ihm das doch merkwürdig vor: „Was soll denn das heißen, Feldwebel?" Vergeblich versuchte dieser dem gekrümmten Körper Strammheit zu geben: „Verzeihen Herr Hauptmann . . . aber, aber die Suppe ist nicht zu genießen." !. . nicht . . . zu . . . genießen??!!" jede Silbe betonend, äffte Hauptmann von Breuen nach, als wollte er sich vergewissern, daß man so etwas vom kgl. Gut behaupten konnte. „Nicht zu genießen," wiederholte die Mutter mit Todes verachtung. „Mir auch einen Teller," herrschte da Hans Erwin den Koch an, der zähneklappernd und beineschlotternd wie das leibhaftige böse Gewissen dastand, „wollen doch sehen ..." und mit bewundernswertem Heroismus nahm er den ersten Löffel, um ihn sofort wieder mit entsetztem Grauen aus zuspucken. Wie ein wahnsinnig gewordener Fiedelbogen sah dabei sein Körper aus. „Was . . . was ist denn das? Das schmeckt ja wie Stiefelwichse!" Da wurde es still im Kreise — still wie vor dem Sturm. Aber es kam kein Sturm. Noch einmal beschnupperte Hans Erwin seinen Teller von allen Seiten, dann murmelte er in stiller Ergebenheit: „Nicht zu genießen", und goß den In halt mit nachdenklicher Bedachtsamkeit in den heißen Sand. Mit ebensolcher Bedachtsamkeit kaute die ganze 3. Komp, mit langen Zähnen am „Barras", schlechthin Kommisbrot genannt, und würde der unschuldige Koch feine drei Tage abbrummen. Denn wie schuldlos er war, das wußte nur er selbst und am Abend noch einer, und dieser eine war Sentikowski. Als er nämlich nach der Rückkehr in die Kaserne seinen Tornister wieder des Inhaltes beraubte, fand er zlvar nicht mehr seine Stiefelwichse, wohl aber, was friedlich in ihrer Nähe geschlummert hatte — die Konservenbüchse. Anfäng lich soll der brave Grenadier nicht gerade sehr geistreich aus gesehen haben. Dann aber flog ein solch durchtriebenes Leuchten über sein Antlitz, wie es noch nie ein Vorgesetzter an ihm bemerkt hatte. Schleunigst verbarg er den Fund und heimlich . . . ganz heimlich verzehrte er die Füllung mit dem sorglos friedlichen Gesichc eines rechtschaffenen, unver zagten, Pflicht- und ehrliebenden Soldaten. Fatale Prade. Gast: „Aber, Herr Wirt, warum wird denn jener Herr da hinausgeworfen? Er hat doch nichts getan und war ganz ruhig." — Wirt: „Ja, das stimmt auch; aber heute ist der neue Hausknecht hier, und da muß ich doch wissen, ob ders Geschäft richtig versteht." Der kleine Michel: „Schau, Mutter, da droben machtS ooncr d'n Vatter nach."