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vor SaUvater. Von Ernst Konrad. Angenehm war's ihm zwar nicht — aber was half's, auch das mußte überstanden werden. Man ist eben nicht ungestraft Ballvater, das war dem Rentier Theophil Neu burger schon seit geraumer Zeit klar geworden. So ließ er denn auch heute den ihm so lieb gewordenen Dämmer schoppen „schießen" und machte sich daran, sich in den Ball staat zu «werfen ... für korpulente Herren eine schwierige Aufgabe, bei der es ohne einige kräftige Donnerwetter nicht abzugehen Pflegt. Als Herr Theophil Len ersten und zweiten Kragcnknopf zerbrochen hatte, als sich in den dritten der Kragen nicht einfügen lassen wollte, als ihm Lie weiße Kra watte aus den Fingern in Len Waschkrug geglitten war, ging das Naisonnement auch in diesem Falle los: „Josefine," rief Herr Theophil mit der Stimme eines grollenden Löwen, „Josefiineeel" „Ich komme ja schon," tönte es ihm aus dem Neben zimmer zurück und herein rauschte eine korpulente Dame in tiefem Negligee. „Kann man sich denn nicht in Ruhe fertig machen?" eiferte sie, „und Klärchen und Minchen müssen doch auch angeputzt werden . . . was hast Du denn schon wieder?" „Der Knopf und der Knopf und die Krawatte —," weiter kam Herr Theophil nicht, denn mit robusten Händen griff seine Frau zu und bald war sein Hals in einen Kragen gezwängt, die Krawatte fest zugezogen, der Frack auf den Leib gezogen, der Zylinderhut aufgestülpt urrd der Ucberrock Übergehungen. „So," kommandierte Frau Josefine, „nun bleib aber so stehen, bis wir auch fertig sind. Wenn Du wieder umherturnst wie nicht gescheit, dann reißt Dir von neuem alles kaput und Du kommst nicht als Gentleman, sondern als Vagabund in den Ballsaal." Herr Theophil blieb gehorsam vor dem Spiegel stehen, zehn Minuten, eine Viertelstunde, fünfundzwanzig Minuten — alle Wetter, das dauerte eine Zeit, ehe die Damen sich reisefertig gemacht hatten I Er warf einen Blick in den Spiegel: na nu, er hatte schon einen ganz roten Kopf. Und da sollte er noch länger so stehen? Fehlte ihm gerade . . . und er ließ sich gewichtig in ein Fauteuil fallen. Die Nähte der Pantalons knirschten gewaltig, aber sonst schien sein Ball- staar heil geblieben zu sein. Trotzdem stiegen trübe Ge danken in ihm auf: da sollte er nun Lie Nacht hindurch bis zum frühen Morgen in dieser modernen Zwangsjacke stecken, jeder und jedem zulächeln und auf jede Frage antworten: „Ich habe mich in meinem Leben noch niemals so gut unter halten wie heute." Brrr . . . Herrn Theophils Rücken überlief eine Gänse haut, was ihn zwang, die Westenschnalle einige Zentimeter zu erweitern. Was einem Ballvater alles zugemutet wurde, das ging schon über jede Hutschnur. Da, — man hörte Türen auf- und zumachen nnd in feierlichem Zuge erschienen die Balldamen. An der Spitze marschierte das Dienstmäd chen mit der brennenden Küchenlampe, dann Frau Josefine en granäe toilette: weißsciden Kleid, Ausschnitt „mit Ober licht". Die Frisur war tuvbanartig um das Haupt herum aufgebaut, — so üppigen Haarschmuck hatte Frau Josefine noch nie besessen! Und Klärchen und Minchen ... wie zwei duftige Frühlingsblüten: na, weun's noch keine Verlobung gab . . . Behutsam richtete sich Herr Theophil auf, jetzt erst wurde er sich seiner erhabenen Aufgabe voll und ganz ge recht: das Schicksal seiner Töchter war. in seine Hand — Handschuhnummer 8V« — gegeben. „Na, was dusselste denn schon wieder," rüttelte ihn die Stimme seiner Frau aus seinen Träumereien, „Du sitzt doch hier nicht an Deinem Stammtisch I Jetzt heißt es auf dem Posten sein und der Mitwelt zeigen, wie ein guter Vater seine heiratsfähigen Töchter in die Gesellschaft einführt." „Laß den Zweispänner Vorfahren," befahl Theophil dem Dienstmädchen, das erstaunt über diese Energie ihres Herrn nach der nächsten Straßenecke eilte, um eine Droschke zu holen. Beim Hinabsteigen der Treppe verfiel Herr Theophil in ein gelindes Stöhnen, der eine Lackstiefel drückte mit solcher Gewalt auf sein Licblingshühnerauge, daß ihm Hören und Sehen zu vergehen drohten. Aber er biß krampfhaft die Zähne aufeinander und schleppte sich ziemlich aufrecht bis zum Schlage des Wagens. Noch ehe er seinen Fuß auf das Trittbrett gesetzt hatte, scholl ihm schon der Warnungs ruf ans Ohr: „Sei vorsichtig beim Einsteigen. Alach Dich ganz dünn und schmal rind quetsche Dich behutsam in die Ecke des Rücksitzes, damit Du die Kleider Deiner Töchter nicht zerdrückst." Her Theophil zog den Atem hoch und die Schultern zusammen. Dann nahm er mit kühnem Satz die Bord schwelle des Wagens und . . . krach, er war mit' solcher Wucht mit dem Zylinderhut an die Wagendecke gestoßen, Laß ihm der Hut bis unter die Ohren über den Kopf getrieben wurde. Er war also gar nicht in der Lage, die Schreckensschreie hö ren zu können, welche die Damen ausstießcn. Der Kutscher wurde vom Bock gerufen. Der mußte Herrn Theophil aus dem Wagen ziehen und ihm den Hut wieder himmelwärts befördern, was sowohl an den Ohren Theophils als auch an der Hutkrempe schmerzliche Eindrücke hinterließ. Als der Kopf aus seinem Fut teral befreit war, gab'S eine Flut von Vorwür fen entgegen zu nehmen. „So'n Tolpatsch ist doch ohne Beispiel in der Welt-Geschichte," eiferte Frau Josefine. „Der Hut ist doch nun sicher Leichte Wahl. Wirt: „Stoppelbauer, soll i Dei Alte holen lassen oder willst lieber auhi geschmisse werden?