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—1- 202 i-— Nach der Bescherung. werde noch mehr ausplau ¬ dern, als es das Fräulein für nötig fand, einzulenken, sollte ihr Herrschaft herbegleitet. Das Licht der hohen, kri stallenen Kronleuchter über flutete die feenhaft ausge statteten Räume, als der Leutnant eintrat. Er hatte sich etwas verspätet und die vornehme Welt war schon zahlreich vertreten. Damen in Heller, rauschender Seide, taufrische Blumen, kostbare Perlen im Haar, Herren in eleganten Abendtoiletten, wohin das Auge blickte, nur Prunk, Eitelkeit und das Streben, einander zu i^er- treffen. Zu Hause hatten sie vielleicht ein pausbäcki ges Kinderpaar, das so gern nach der Bescherung noch mit Papa und Mama ge spielt hätte, nun aber zwi schen scheltenden Zofen und Dienern die reizende, kind liche Natürlichkeit vergrub! Der große Saal war mit Tannengrün und Misteln reich geschmückt und unsern Leutnant überkam eine ei gentümliche Stimmung. Es war ihm, als hätte diese sinnreiche, zierliche Dekora- Ehristbäumchen. Äus dem verklärten Antlitz sprach eine Sehn sucht nach Liebe, viel Liebe. Er sah die Züge seiner Mutter, und sie vermischten sich mit denen eines Mädchens mit zwei leuchtenden Augensternen, die einen seltsam anziehenden Kontrast zu dem blonden Haar bildeten. Eine warme Dankbarkeit stieg in des jungen Leutnants Herz auf zu dem Wesen, das sein Leid so schnell fühlte und achtete. Doch nicht lange konnte er seinen Träumereien folgen, als auch schon jene liebe Erscheinung die Türe halb öffnete. „Darf ich sie bringen", fragte sie, und ohne eine Erwiderung abzu warten, schob sie drei kleine, schmächtige Gestalten herein. Es waren die Kinder vom Hinterhause, zwei Mädchen und ein vierjähriger Bursche. Zaghaft schauten sie auf den eleganten Offi zier, der mit scharfem Blick die Kleinen musterte. Ihre Augen blickten in heißem, brennenden Verlangen nach dem Weihnachts baum, ihre Wangen waren gerötet und die selige Freude machte sie verstummen. Den kleinen Kurt bei der Hand nehmend, sprach Selben freundlich: „Kommt nur her und seht euch das Bäum chen gut an, es gehört ohne hin euch." Aufjubelnd stürzten sie näher und schauten in die strahlenden Lichter, Klein- Kurtchen patschte in die Hände. „Ich hab' dich lieb", jauchzte er, während sich jetzt seine Ärmchen um die schlanke Gestalt des Offiziers schlangen. Selben hob den kleinen Mann auf seinen Arm, und von den Lippen der Mäd chen klang es zuerst zaghaft, dann immer fester: „Stille Nacht, heilige Nacht. . ." Leise, wehmütig war die letzte Strophe verklungen, als sechs Patschhändchen auf einmal nach des Leutnants Händen griffen. „Vergelt's Gott," flüsterten die schma len, blassen Kinderlippen, „vergelt's Ihnen Gott tau sendmal." Von Rührung nun über mannt, legte dieser seine Hände auf des Knaben Schei tel, wie es ihm einst seine treue Mutter getan. „Nicht mir dankt, sondern dem Weihnachtsengel dort." „Das ist ja unser liebes, gnädiges Fräulein", sagte das ältere Mädchen mit ge heimnisvoller Wichtigtuerei, und schon glaubte von Sel ben, der kleine Kindermund „Aber Herr von Selben, Sie hören und sehen ja gar nicht, Sie Träumer," schelmisch drohte sie mit dem Finger, „zur Strafe müssen sie den Gegenstand Ihrer Gedanken verraten." Schnell stammelte der Offizier eine höfliche Entschuldigung und sann wieder vor sich hin, während ihn die Dame mit einen: halb mitleidigen, halb ironischen Lächeln verließ. Nun sollte ein Tableau, Weihnachten entsprechend, die Gäste unter Jnkognito gewahrt bleiben. „Kommt nun. bei Mütterchen hat das Christkind auch noch etwas eingelegt." Sie schob die Kleinen hinaus, während der draußen harrende Diener das Bäumchen in Empfang nahm. Schnell war der Offizier hinter dem Mädchen: „Darf ich Sie Wiedersehen? Will mir mein Weihnachtsengel nicht seinen Namen verraten?" Errötend schüttelte sie die blonden Locken und huschte mit einem schelmischen, reizenden Lächeln davon. Der Leutnant war Das villenartige, elegante Wohnhaus des Bankiers befand fich außerhalb der Stadt. In vornehmer Ruhe lag es eingebettet zwischen Rosengärten und schattigen Parkanlagen, die im Som mer einen so reizenden Anblick boten, so erfrischende Kühle spen deten. Nun aber glitzerte ringsum eine weiche Schneedecke, welche durch die hohen, hell erleuchteten Fenster seltsam magisch er glänzte. Als von Selben sich dem Eingang näherte, war er mit sich im Zwiespalt, ob er wirklich hinaufgehen sollte. Nach den letzten Erlebnissen reute es ihn doppelt, dem Bankier ein Ver sprechen gegeben zu haben. War es nicht ein Vergehen gegen seinen holden Weihnachtsengel, seine liebe Trösterin? Bah, er blieb eben eisige Kühle gegen dies gewiß recht hochmütige Däm chen, das wohl stets auf Papas Geldsack pochte. Sie sollte und durfte sich keines Triumphes freuen. Nun stieg er die teppichbelegten, breiten Treppen hinan, überall Diener in reichver ziertenLivreen, überall Glanz und Reichtum! — Plötzlich durchzuckte ihn ein freudiger Schreck, fah er da nicht den alten, ergrauten Mann, den Begleiter jenes Mädchens? Schon wollte Selben eine Frage an ihn richten, als er hinter einer Tür verschwand. Seltsam war es dem jungen Offizier zumute, eigenartige Gedanken stiegen in ihm auf, sollte er sie hier Wiedersehen? / Der Alte hatte wohl seine tion eine liebe, kleine Hand geordnet. Und weiter spannen sich jetzt seine Träume. Er sah seinen Blondkopf im Saale, — da lachte hinter ihm eine be kannte Dame: ' etwas enttäu cht; Narr, der er war, daß er sie so entschlüpfen ließ. Denn daß er sie Wiedersehen und sprechen mußte, stand bei ihm fest! Doch eine mißmutige Stimmung konnte jetzt in Sel ben nicht aufkommen, vielleicht war ihm der Zufall günstig und er sah dies reizende Mädchen wieder. Welch edles Herz mußte es besitzen, um ihn zu lehren, das Glück in der Freude anderer zu suchen! Mit diesen Gedanken verließ er die Wohnung, um sich in der klaren, frischen Winterluft zu ergehen und später das Haus Steinbachs zu besuchen. halten. Im Saale wurde es dunkel, nur leises Wispern und Lachen erklang, alles war voller Erwartung! Der Vorhang öffnete sich — von Selben stieg das warme Blut in die Wangen, wie gebannt starrte er vor sich hin. Er sah nur mehr zwei dunkle, weiche Augen, die so sehnsuchtsvoll in die Ferne schauten. War das wirklich sein Weihnachtsengel? Ein armes, schlicht geklei detes Mädchen stand dort auf der Bühne, ganz einsam inmitten eines weiten Schneefeldes, im Hintergrund dunkle Tannen. Der