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—» 194 fern im Wagen faß, rief er unter schmunzelndem Lächeln: „Also auf baldiges Wiedersehen!" Dann führte ihn der Wagen davon. Als er so durch die Straßen fuhr, meinte einer der Nachbarn: „Jetzt kann man ihn schon eher für einen reichen Mann halten." Zufällig fing Onkelchen diese Worte auf, und wieder lächelte er schmunzelnd. Bereits am übernächsten Tage hatte Herr Ernst Wolf ram Nachricht aus Hamburg: Die Zollbehörde mache in der Tat große Schwierigkeiten; man müsse Protest erheben und reklamieren, also würde wohl sicher eine Woche darüber hingehen. Man wartete also geduldig. Die Woche verging. Aber we der der Onkel kam, noch ein Lebenszeichen von ihm. Da wurde man ungeduldig, und nun schrieb Herr Wolfram an die ihm vom Onkel hinter lassene Adresse. Wieder war tete man drsi Tage vergebens; dann kam der Brief als un bestellbar zurück. Nun war man ratlos. Da kam eines Tages der Bankier mit Herrn Wolfram zusammen. „Sehen Sie," sagte er, „hätte Ihr Fräulein Schwe- stsr auf mich gehört, dann könnte sie jetzt ein schönes Stück Geld- chen verdienen." „Wieso denn?" fragte Wolfram erstaunt. „Sie hätte damals nicht ihre Goldrente verkaufen sollen, wie ich ihr riet, denn jetzt ist sie bedeutend gestiegen." Wolfram wurde immer erstaunter. „Davon hat mir meine Schwester ja gar nichts gesagt", rief er erregt. „Das wird sie wohl mit dem Herrn Onkel besprochen haben," antwortete lächelnd der Bankier, „der alte Herr war ja jeden Tag bei Fräulein Matchen." Jetzt war Herrn Wolfram, als bekäme er einen Schlug ins Gesicht. Mit zitternder Stimme fragte er: „Mit Onkel Eduard, meinen Sie?" „Das wissen Sie, scheint mir, wohl gar nicht", rief der Bankier, erheitert über des anderen Erregung. „Ja, der Onkel war jeden Tag bei Ihrem Fräulein Schwester zu Besuch, und er wird wohl auch ihr Berater gewesen sein, denn er hat ja noch kurz vor seiner Abreise die Papiere bei mir verkauft." Herrn Wolfram wurde es Plötzlich schwarz vor den Augen; er mußte sich fest auf seinen Stock stützen, um nicht niederzusinken. Er schützte ein plötzliches Unwohlsein vor und emp fahl sich schnell. Kopfschüttelnd und er staunt blickte der Bankier ihm nach, so hatte er ihn noch nie gesehen. Der arme, zu Tode erschrockene Herr Wolfram lief schnurstracks nach der Nilla seiner Schwester. Er wußte nicht, was er von dem eben Gehörten den ken sollte; alles schwirrte ihm wirr durcheinander, und wenn er wirklich ei nen Gedanken festhalten und weiterspinnen wollte, dann wurde ihm der Kopf erst recht wüst, denn er mußte sich ja voll Ent ¬ setzen gestehen, daß alle seine Pläne und Luftschlösser nun elend zusammenstürzten. Als Molchen ihn mit so erregtem Gesicht emtreten sah, schrak sie zusammen und fragte zitternd nach seinem Begehr. Und nun, mehr stammelnd als sprechend, brachte er in kurzen, abgebrochenen Sätzen hervor, was er soeben von dem Bankier erfahren hatte. Die Schwester sah ihn an, als zweifle sie an seinem klaren Verstand. Endlich sagte sie ziemlich ungehalten: „An der ganzen Geschichte ist kein wahres Wort; ich habe wohl mit dem Onkel über die Papiere gesprochen, ich habe sie ihm auch gezeigt, nie aber hat er mir geraten, sie zu verkaufen." „Aber, Malchen, der Ban kier wird doch nicht solchen Scherz mit mir machen! Erst eben hat er mir doch alles haar klein erzählt." „Nun, um der Rederei ein Ende zu machen, will ich dir die Papiere zeigen!" Damit stand sie auf, ging zu dem alt modischen Sekretär, schloß die große Lade auf und suchte in den kleinen Fächern herum. Kaum hatte sie aber das ge tan, da stieß sie auch schon ei nen gellenden Schrei aus und rief laut aufschluchzend: „Die Papiere sind fort! Mein Gott, ich bin ja bestohlen worden!" Und der Bruder saß da wie vom Schlage getroffen. Das Fürchterliche, was er eben noch nicht zu denken gewagt hatte, es war also wirklich und wahrhaftig geschehen: sie alle waren die Opfer eines Be trügers geworden! Mit Gewalt raffte er sich auf, ließ die schluchzende Schwester allein, rannte eilends nach Hause und holte das versiegelte Paket- chen heraus. — Er lachte laut auf mit schriller Stimme, denn was er vermutet, war auch hier eingetroffen: der Inhalt des so vielsagenden Päckchens bestand aus alten Zeitungen und vergilbten Broschüren. Ganz unten aber lag ein kleiner Brief, der Herrn Ernst Wolframs Adresse trug. — Und nun las er folgendes: „Wenn man diese Zeilen liest, dann bin ich längst über den Ozean, also in Sicherheit, denn ich verlasse Europa noch an dem selben Tage, an dem ich in Hamburg ankommen werde. Die Geschichte mit der Zollschwierigkeit ist nur erfunden, um mir den Rückzug zu sichern. Man wird mich zehntausendmal verfluchen, dessen bin ich ganz sicher. Ich gebe auch zu, daß es ein Gaunerstück ist, das ich vollführt habe, gewiß, aber es ist ein sogenannter „großer Coup", einer der tollsten, die ich in meinem abenteuerlichen Leben aus geführt habe, und ich bin stolz darauf, daß er so glatt gelungen ist. Natürlich ist der rich tige Onkel Eduard längst tot und begraben. Erstarb vor einem Vierteljahr, und zwar in bitterer Armut. Durch einen Zufall lernte ich ihn kennen und half ihm zu verschiedenen Ma len, wenn er nahe am Verhungern war. Er war ein guter, aber zu anstän diger Mensch. Möge ihm die Erde leicht werden. Kurz bevor er starb, ließ er mich zu sich kommen, er zählte mir seine Geschichte, hinterließ mir seine Pa piere und bat mich, seinen Angehörigen alles mitzu teilen, wozu er nicht mehr Kraft genug besäße. So wurde ich in alle Verhält nisse eingeweiht, und so entstand der Plan in mir, den ich nun mit so viel Glück und Geschick ausge führt habe. Ich vertraute auf meine große Erfah rung und auf meine Menschenkenntnis. Die Tatsachen hier beweisen, daß ich richtig gerechnet hatte. Und nun, meine Herr schaften, zürnen Sie mir nicht allzusehr. Zwar habe ich Ihnen ja einige Umstände gemacht und Ihre Geldbeutel um eine Klei nigkeit erleichtert; wie ich aber Ihre Verhältnisse kennen gelernt habe, weiß ich auch, daß Sie den Verlust verschmerzen können. FlaschenIürbMt <Mit Text.) A«» Korsika: Eisenbahnbrücke bei Vecchio <Mit Text)