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Ein ganz anderer Geist war plötzlich über den edlen Renner gekommen: die schwermütig gesenkten Augen hoben sich flammend, seine Nüstern öffneten sich weit, ein lustiges Schnauben machte seiner bisher betätigten völligen Stumm heit ein Ende. Stolz hob er den Kopf, spitzte die Ohren — alte, halb vergessene Erinnerungen an eine schönere Zeit mochten wohl in ihm aufwachen, er dachte daran, wie er einst, als Perle des Zirkusstalls, mit seinem inzwischen ver unglückten Herrn, dem großen Parforcereiter Mr. Sper- bins, einer Attraktion ersten Ranges, in rasendem Tempo durch die Manege gesprengt, umjubelt von tausenden be wundernden Zuschauern, von nichts gehalten als dem Lasso, ohne Sattel und Zaum, ohne Gebiß und Zügel! In Anbetracht solcher beängstigender Symptome er achtete es Moritz für geraten, abzusteigen; bevor er jedoch diese für ihn gar nicht so geringfügige Aktion in Szene zu setzen vermochte, war der Zug vorüber, und er dachte lang sam wciterzutrotten, als plötzlich der Rappe den Kopf stolz emporwarf, unruhig wieherte, dann kräftig in die Zügel biß und im Galopp mit seinem Reiter hinter den ehemaligen Kameraden herjagte. ' Ein Todesschrecken durchzuckte den kühnen Moritz, der sich außerstande sah, dem Ungestüm seines Tieres zu weh ren, und sich doch auch schämte, um Hilfe zu rufen — er wäre ja in der ganzen Stadt ausgelacht worden. Krampf haft packte er die Zügel und preßte seine Beine um den Leib des Pferdes. — Blondin aber, ohne auf die Sensibili tät seines Reiters die mindeste Rücksicht zu nehmen, tanzte nach dem Takte der Musik hinter den Zirkuspferden her und ahmte alle ihre Bewegungen nach, von denen er keine ein zige vergessen hatte, sodaß es ordentlich prächtig zu sehen war, wie Divritz wild im Sattel auf und nieder flog! „Seht nut — ist das nicht Doktor Hoheneck?" rief es erstaunt aus dem Kreise der Neugierigen. „Seht nur, wie herausfordernd er um sich blickt" — in Wahrheit waren es Blicke grenzenloser Verzweiflung, die der arme Kandidat um sich warf, aber die Todesangst ver lieh ihm ctivas Wildes, Flammendes, das man ihm für Mut und Tollkühnheit auslegte. Auf dem Markte waren einige künstliche Hindernisse aufgestellt, ziemlich hohe Barrieren: im Nu setzten die Zir kusrenner einer nach dem anderen darüber hinweg, und prompt folgte Moritz, der seine Mütze dabei einbüßte, die in einem graziösen Bogen über ihn wegflog. Jetzt hatte er auch noch die Mähne seines Pferdes gepackt .aber das nahm ihm niemand übel, einige der Zirkusreiter hatten das auch getan. Einer der Reiter hielt jetzt und versperrte den Weg mit großen Reifen, durch welche die folgenden Tiere mit ihren Reitern in spielender Grazie hindurchsetzten. Moritz duckte sich in Verzweiflung auf den Rücken seiner Bestie zu sammen, denn er ahnte, sie würde vor dem Hindernis nicht Halt machen — und in der Tai durchsprang sie sämtliche Reifen mit ihm, während um ihn Feuerwerk puffte und Böllerschüsse knatterten. Und plötzlich nun setzte sich Blon din in rasenden Galopp — wie um die Manege so stürmte er um den Markt herum, wild flog Dkvritz auf und nieder; in seiner Todesangst kam ihm der wahnsinnige Gedanke, abzuspringen, und wirklich hob er sich zu diesem Zwecke in die Höhe, sodaß er in den Steigbügeln stand. — „Bravo, bravo!" ertönte es jauchzend aus dem Haufen, und als Blondin jetzt still hielt, keuchend, mit S<l)aum bedeckt, da drängten sich alle Bekannten und Kommilitonen, ja selbst die Kunstreiter herbei, hoben ihn im Triumph aus dem Sattel und gratulierten ihm zu seiner unerhörten Bravour leistung. „Ist das ein Reiter!" rief der Direktor des Zirkus be wundernd aus. „Mein Herr, ich engagiere Sie auf der Stelle!" „Moritz, Du hast mich belogen," sagte Erich frappiert. „Mir weiß zu machen, Tu könntest mit Pferden nicht um gehen — so ein Duckmäuser!" Moritz hob einen schüchternen Blick nach dem bewußten Fenster aufdort stand Irmgard mit ihren Eltern, mit glühenden Wangen und feurigen Augen schaute sie hinab zu ihm, unausgesetzt mit der Hand winkend, ein strahlen des, stolzes Lächeln auf den Lippen. Moritz hütete sich natürlich, seinen Bewunderern den Star zu stechen —- er hatte sich die geernteten Lorbeeren sauer genug verdient. Soviel stand bei ihm fest: nie wie der bestieg er in seinem Leben ein Pferd; schon der bloße Anblick eines solchen trieb ihm Schauer über den Rücken! Das hatte er aber auch nicht nötig. Irmgards Gunst war ihm von Stnnd an sicher, und mich den Ruf eines außerordentlich kühnen Reiters hatte er davongetragen, der ihm fortan sein ganzes Leben hindurch verblieb. Es ver steht sich, daß er sich bereits einige Tage nach seinem be rühmten Marktritt mit der Geliebten Verlobte — als sie ihn jedoch bat, ihr einmal wieder stolz zu Roß zu nahen, da entgegnete er Pfiffig: „Ach, erinnere mich nicht daran, teure Irmgard. Reiten ist meine Leidenschaft — und denke Dir, welche Grausamkeit — der Arzt hat mir es streng verboten, weil ich zu einer Disposition für ein Herzleiden neige. Er meint, der Versuch könnte gefährlich werden!" Um des Himmels willen — den geliebten Mann einer solchen Gefahr aussetzen wollte sie unter keinen Umständen! „Nie wieder besteigst Du mir ein Pferd," entschied ste kategorisch. Und wiewohl etwas „widerwillig", fügte er sich gehorsam ihrem Befehl. Ein Onkel besuchte seinen Neffen auf der Universität. Nachdem sie einige Sehenswürdigkeiten besichtigt haben, meint der Neffe: „Wollen wir nicht einen Frühschoppen trinken, lieber Onkel?" „Ja, hast Du denn schon Durst?" „Oh, ich denke, es ist am besten, man läßt eS gar nicht so weit kommen."