Volltext Seite (XML)
—66 -l-— meser Mann hatte einen starken Eindruck in ihr hinterlassen. Sie s dachte oft an ihn und an diese Begegnung zurück. Sie gestand sich unter eigenem Erschrecken, daß die Erinnerung an sein blühen des Leben starker war als das, was eigentlich ihr Herz jetzt ganz hätte erfüllen sollen, das Gedächtnis des zu früh Gestorbenen. Er kam wieder, fchon bald. Wenn sie zusammen saßen, ver strich ihnen die Zeit im Fluge. Eginhart von der Borcht war nicht nur eine für ein Franenauge bestrickende Erscheinung, sondern auch ein interessanter Mensch, einer, der ein kluges und verständiges Urteil hatte über Welt und Menschen, und in seinem Wesen Ernst und Schalkheit so anmutig verbindend, daß Karla sich der Fesseln nicht erwehren konnte, in die seine Gegenwart sie schlug. Ein gefährliches Spiel war das Zusammenfein dieser beiden schönen Menschen. Merkten sie es nicht — oder wollten sie es nicht merken? Während ihre Rede über gleichgültige Dinge hinstrich, führten ihre Augen eine beredte Sprache; was der Mund nicht anzurühren wagte, sagte unverblümt der Blick. Karla Hütte kein heißblütiges Weib sein müssen, um nicht instinktiv zu gewahren, wel chen Zauber sie auch auf ihn ausübte. Die hohe Anmut ih rer mehr mädchenhaften als fraulichen Erscheinung hatte Franz Eginhart von der Borchts Herz in Flammen gesetzt. Bräutliche Gedanken in dem Herzen einer Verlassenen, die erst seit kurzer Zeit der Witwenschleier schmückte! Die ser Schleier wurde ihr zur Wehr und Schußwaffe. Wer weiß, wie schnell das unge stüme Drängen des Mannes sonst ein Ziel gefunden hätte, wenn nicht das Trauergewand fich hindernd und schützend vor alles Begehren und Wünschen geschoben hätte! Franz Eginhart war ein Mann von Charakter, von festen Grundsätzen, ein Mann des Rechts und der Pflicht, und so war er auch bekannt unter den Kameraden in sei nem Regiment. Von ihm hätte auch das Wort gesagt werden können, das von dem alten Fabricius galt: Eher wird die Sonne aus ihrer Bahn wei chen, als dieser von dem Wege der Pflicht und der Rechtlich keit. Davon bekam auch Karla einen starken Eindruck. Gelegentlich berührte er im Gespräch die Erbschaft, einThe ma, bei dessen Erwähnung Karla wieder in höchste Unruhe geriet. „Bitte, lassen Sie uns nicht davon sprechen!" hatte sie aus gerufen. „Warum nicht, liebe Kusine? Ich möchte Ihnen gerne zeigen, daß kein Groll und Neid in mir ist." „Wie ich Sie kennen gelernt habe, denke ich das auch gar nicht." „Es liegt aber nahe. Ich könnte mit meinem Los hadern, weil es an der Kleinigkeit von sechzig Minuten hing, ob ich ein Krösus wurde oder nicht. Aber ich glaube an eine Bestimmung, besser gesagt, an eine göttliche Leitung aller Dinge. Für mich war der Reichtum nicht bestimmt, und ich hatte nie mit den: Erbe gerechnet. Nie hätte ich ja geglaubt, daß Arnold so früh ins Grab sinken werde. Es ist also mit Recht und Gerechtigkeit zn- gegangen, daß Sie, liebwerte Kusine, die Erbin geworden sind, und was Rechtens ist, ist mit heilig, daran rüttle ich nicht." Karla stand Qualen aus. „Ich gönne Ihnen Ihre reiche, freie und sorgenlose Existenz von Herzen," fuhr er fort, ihre Hand suchend, „und hoffe, daß Sie im Genuß der reichen Glücksgüter allmählich die schweren Tage überwinden, durch die Sie hindurchgegangen find." Wenn Franz Eginhart fo redete, hätte Karla ihr Haupt ver hüllen oder sich verkriechen mögen. Den Mann, den sie heimlich liebte und den sie mit jedem Tage lieber gewann, betrog sie fortgesetzt durch die infame Lüge, durch die gemeine, selbst- und gewinnsüchtige falsche Angabe über die Todesstunde ihres Mannes. Damals, als sie der Versuchung erlag, als die Möglichkeit plötz lichen Re:chwerdens sie blendete und ihr Gefühl für Recht und Unrecht verwifchte, erschien ihr die Tat, die sie beging, nicht so schlimm und verbrecherisch. Was war's denn anders als eine kleine Berichtigung der Zeit, eine geringfügige Verschiebung, eine durch keinen Menschen kontrollierbare Änderung, durch welche die Würfel zu ihren Gunsten fallen mußten! Und jetzt sah sie ihr Vergehen in ganz anderen: Lichte. Ein frecher Ein griff war's gewesen in göttliche Fügung, ein Spiel mit Heiligem, ein von Habgier und Mammonssucht in Szene gesetztes Gaukelspiel. Unehrlich war sie, gemein, niederträchtig und falsch. Die Folgen des nicht mehr gutzumachenden Schritts in die Sünde hinein lasteten zentnerschwer auf ihr. Sie hätte es dem edlen Freunde, der ihr vertraute, zuschreien mögen: „Es ist ja alles nicht wahr! Ich habe dich und die ganze Welt belogen! Arnold starb wenige Minuten nach Mitternacht! Der Teufel des Goldes hat mich verlockt und hernach be trogen! Gleißnerisch zeigte er mir ein trügerisches, falsches Glück, und ich glaubte es! Nun habe ich nichts als Selbstver achtung !" Aber das konnte und durfte sie nicht sagen. Es gab kein Zu rück auf den: einmal betrete-, nen Wege. Sie hätte sich selbst gebrandmarkt vor aller Welt als erbärmliche Lügnerin, als ungeheuerliche Betrügerin, als Diebin einer Million, jenen Verbrechern gleich, die eine Vertrauensstellung mißbrau chen zu heimlicher schändlicher Tat, und mit geraubtem Gut das Weite suchen. Sie hätte jenen Mann ver loren, den zu gewinnen ihrer Seele Sehnsucht war. Seine Liebe und Hochachtung, die er ihr zeigte, hätte sich sofort in Abscheu verwandelt. Nein, es gab kein Zurück. Sie mußte tragen, heimlich und allein tragen, was sie in unseliger Stunde sich aufge laden hatte, und niemand half ihr dabei. Selbst wenn sie ihn gewann, den Einzigen, den sie — zum erstenmal in ihrem Leben — heiß liebte, durfte sie ihm nie anvertrauen, was sie bedrückte. Ihr Leben war vergiftet fortan. Oder gab es doch eine Lin derung, eine Rettung? Wenn ihre Wünsche Wahr ¬ heit wurden, wenn sie Franz Eginhart zum ehelichen Bunde die Hand reichen durfte, war ihre Tat dann nicht zu einen: guten Schluß geführt? Wenn sie ihn zum Besitzer dessen machte, was ihm von Rechts wegen gehörte, war dann der Fluch nicht von ihr genommen, der Sünde der Stachel gebrochen? Ja, das erschien als ein Ausweg, als ein mit allen Mitteln zu erstrebendes Ziel. Sie wollte gut machen, das Verfehlte in Ordnung bringen, das Entwendete zurückgeben. Konnte nicht Böses wieder zum Guten gewendet werden? Der Gedanke gab ihr wirklich einige Ruhe. Mochte dann j die schwere Verfehlung als nicht zu löschendes Brandmal in i ihrem Gewissen zurückbleiben, als grauer Schatten in ihrem zu künftigen Leben stehen, die Gelegenheit war ihr doch gegeben, zu sühnen und zu tilgen. Anderthalb Millionen für ein gutes Gewissen! Karla von Haake hätte mit Freuden den Pre:s gezahlt, wenn es möglich gewesen wäre, das hohe Gut damit zurückzukaufen. „Nimm hin das Geld, es soll alles dein sein!" hätte sie gern den: geliebten Manne zuaerufen. „Ich verzichte auf die Erb schaft, kein Pfennig davon soll mir gehören!" Wie gern, wie gern hätte sie so gehandelt! Karla von Haake stand am Fenster und blickte auf die Straße. Ihre Gedanken gingen den gewohnten Weg. Sie dachte auch an Franz Eginhart, an die Gespräche mit ihm, die vor zwei Tagen An der Lee. Nach dem Gemälde von H. Mosler. (Mit Text.)