Volltext Seite (XML)
^»chicksalswege. Novelle von Wolfgang Kemter. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) ein Mensch, nicht einmal ihre Mutter, ahnte, was in diesen Wochen in Erika vorgegangen war, wie es in ihr gestürmt und getobt hatte. Still und allein be grub Erika diesen Liebestraum. Das Schicksal wies sie mit gebietender Hand andere Wege. Und eines Tages — Erika war im Grunde eine energische Natur und hatte nur in letzter Zeit das Zaudern kennen gelernt —, eines Tages also hatte sie alle diese Fragen niedergerungen und es stand bei ihr fest, ihr Wort zu halten, dem treuen, schlichten Manne ein gutes Weib und ein guter Kamerad zu sein und ihm, soviel es in ihrer Macht stünde, seine Liebe zu vergelten. Mit diesem Entschlusse wurde es Erika so wunderbar leicht und frei zumute. Ja sie fand ihre alte Fröhlichkeit wieder, und auch ihr Aussehen besserte sich von Tag zu Tag. Die schwere Zeit, die sie allein durchgekämpft hatte, versank gleich dem langsamen, fernen Vertonen eines immer leiser wer denden wehmütigen Klingens. „Erika, du siehst wieder wohl aus", sprach Johann Murr eines Abends er freut ; „ich gestehe es, in letzter Zeit hast du mir Sorge gemacht." „Keine Ursache," lächelte Erika, „der Fasching hat etwas zn große Anforde rungen an mich gestellt, aber jetzt bin ich wieder ganz auf dem Damm. Im Mai kamen dann Johann Murrs Schwägerin und älteste Schwester nach Breitstem auf Besuch. Aufs herzlichste wurden sie von Erika wie auch von der ganzen Familie des Stadtarztes empfan gen und bewirtet. Zwei Tage mußten fie bleiben, und als sie wieder heim nach Neustadt kamen, berichteten sie Wunder von der Aufnahme, die sie gefunden hatten, von dem schönen und reichen Hause vr. Linders. Sie brachten ein hübsches Geschenk von Erika für die Mut ter mit und berichteten voll Stolz, daß Erika und ihre Mutter mit ihnen ge gangen seien, nm es einzukaufen. Es kam der Sommer. Viele Hände waren mit Erikas Aussteuer beschäftigt, und im Juli wurde in aller Stille, wie es vr. Murrs Wunsch war, dem sich Erika gerne anschloß, in Neustadt die Hochzeit gefeiert. Das letztere hatte Erika gewünscht, damit die alte Frau Murr am Ehrentage ihres Sohnes teilnehmen könne. Am Nachmittag trat das junge Paar nach überaus herzlicher Verabschiedung von Eltern, Geschwistern und Verwandten die Hochzeitsreise an, die es zunächst nach Dresden, Leipzig, dann nach München und in die Alpen führen sollte. Vier Wochen später waren die beiden, Johann Murr in glück seligster Stimmung, am Tegernsee. Das herrliche Land, das herrliche Wetter paßten so recht zu ihrer Hochzeitsfahrt. Auch Erika war ruhig und froh; die Stürme in ihr waren ganz zur Ruhe gekommen, und da ihr eigener starker Wille selbst ihr wallen des Blut gebändigt hatte, war auch nichts von einer trostlosen, öden Leere, wie sonst vielfach in solchen Fällen, zurückgeblieben. Sie gab sich mit stillem, heiterem Genüsse den wunderbaren Tagen hin, die ihnen beschert waren, und wenn sie auch für den Mann an ihrer Seite noch nicht so empfand, wie sie für einen anderen hätte empfinden können, so fühlte sie doch, wie sie ihm von Tag zu Tag näher kam. Johann Murr erkannte das zu seiner freudigen Überraschung. Daß diese Wandlung eintreten werde, war seine Hoffnung ge wesen; niemals aber hatte er sie in so kurzer Zeit erwartet, darum kannte sein Glück keine Grenzen. Selbst dann, als Erika von ihrer Mutter die Nachricht be kam, daß auch auf Lauterbach Hochzeit gefeiert worden sei, und Johann Murr mit derselben Post die Vermählungskarte Egon Brandecks mit der Baronesse Else Klaaren erhielt, tat Erikas Herz keinen Schlag mehr, und von den ehemaligen heißen Wün schen und Hoffnungen regte sich nichts mehr in ihr. Wie die Frau Stadtarzt schrieb, hatte das junge Paar seine Hochzeitsreise nach Amerika angetreten, um dort nahe Verwandte der Familie Brandeck zu besuchen. „Nun ist er unter der Haube, der Schmetterling!" lachte Johann Murr. „Hat ihn doch noch eine zarte Hand einfangen können, ich hätte es beinahe nicht geglaubt. Aber für jeden kommt seine Stunde." Erikas Schwester hatte über die Hoch zeit auf Lauterbach einen eigenen Brief geschrieben, worin sie in weitläufiger Wichtigkeit alle die wunderbaren Kleider und die großartigen Schmuckstücke aufs genaueste beschrieb, die die Hochzeits damen auf Lauterbach getragen hatten. Sie wußte es von der Frau Mühlig, der Gattin des Breitsteiner Friseurs, die mit ihrem Manne am Hochzeitstage auf dem Gute gewesen war, um die Damen zu fri sieren. Nach jedem Satze stand ein dop pelt unterstrichenes: „Denk dir nur", und Erika und ihr Mann mußten über diesen Brief herzlich lachen. Der Oberlehrer meinte dann: „So nobA war es bei uns nicht, da hätten meine Leute schlechr dazu gepaßt." Erika aber erwiderte: „Du hast a-er- auch keine Baronefse geheiratet." „Nein, ich bin nicht so ehrgeizig- aber glücklich und zufrieden." Nach längerem Aufenthalte fetzten sie ihre Reise fort: fuhren über Rosenheim,. Kufstein nach Innsbruck; hielten sich dort einige Zeit auf, verweilten ein paar Tage am Achensee und nahmen dann in dem kleinen, reizend gelegenen Dörfchen des Zillertales für die letzten Wochen ihres Urlaubs Aufenthalt. In einem reinlichen, kleinen Gasthofe fanden sie bei freundlichen Wirtsleuten vorzügliche Unterkunft. Das Dorf lag etwas abseits von dem großen Touristenstrome; nur ein paar Innsbrucker Fa milien weilten hier zum Sommeraufenthalte, und dann und wann zogen einige Bergsteiger durch. Aber gerade das war Jo hann Murr recht,'er wollte diese letzten Tage ganz semem Gluckc- leben, und auch Erika war von der köstlichen Stille und dem göttlichen Frieden, die über dieser Landschaft lagen, entzückt. In ruhiger Gleichmäßigkeit gingen ihnen diese herrlichen Adolf Freiherr von Rhemen zu Barensfeld, General der Infanterie, wurde zum Generalgouverneur für da« gtkuvierte Serbien ernannt