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Oas neue Lickt. Skizze von Paul Alexander Schettler. Endlich sollten wir elektrisches Licht bekommen. Ich hatte es beim Hauswirt durchgesetzt. Es kostete mich meine ganze Ueberredungsgabe und die fürchterliche Drohung, daß wir widrigenfalls usw. auf die Suche nach einer neuzeit lichen Wohnung gehen würden. Dieses „neuzeitliche" hatte den letzten Rest von Wider stand gebrochen, den der Besitzer meinem Anstürmen ent gegengesetzt hatte. Nein, es war aber auch wirklich zu altmodisch! Man denke, wir saßen noch allabendlich bei einer Petroleumlampe um den Familientisch. Bei einer Petroleumlampe! Und bei was für einer Petroleumlampe. Ella, die Jüngste, meinte, sie stamme gewiß noch aus Noahs Zeiten. Kurt, der mehr positive Kenntnisse über die Vergangen heit besaß, meinte, daß Noah zwar noch nicht einmal Petro leum gebrannt haben könne, aber Cicero könnte ganz gut schon bei ihrem trüben Licht und bei ihrem Geruch seine Reden auswendig gelernt haben. Maria aber, den Backfisch, bedrückte die Petroleum lampe ganz besonders schwer, und sie äußerte wiederholt und sehr ungehalten, daß sie sich wahrhaftig schämen müsse, Freundinnen einzuladen. Ueberall habe man elektrische Kronen, die man bloß zu knipsen brauche, und die wie Tageslicht so hell leuchteten und nicht — röchen. Und nur, wer es sich nicht leisten könne, habe noch Gas. Aber Petro leumfunzeln, die hätte keine Familie aus ihrer Klasse, und sie dürfte das sa nicht sagen, daß sie zu Hause so rückständig wären, sonst würde sie erbärmlich damit aufgezogen in dec Schule. Und übrigens täten jetzt immer ihre Augen Weh von dem trüben Licht, und sie leide an Kopfweh von dem Gestank. Na, also schien es doch klar, daß es höchste Zeit war, sich elektrisch beleuchten zu lassen. Und so kam denn der Augenblick, wo unsere Petroleum lampe aus der Zeit Noahs oder Ciceros hinausgestoßcn werden sollte, damit ein helleres Licht unsere Familien abende verschöne. „Morgen kommt der Installateur," sagte ich eines Abends, als ich nach Hause kam. Alle saßen sie, wie ge- wöhnlick, um den runden Familientisch, auf dem die Petro leumlampe traulich und bescheiden thronte. Bei dem Worte Installateur ging es Ivie ein Aufatmen durch die Reihe der Meinen. „Ach, endlich!" seufzte Maria. „Famos!" brummte Kurt. „Wie herrlich!" jubelte Ella, „dann werden wir elek trisch!" Und die Mama nickte wohlwollend. Nur die Petroleumlampe schien mir — vielleicht war es auch nur eine Täuschung — plötzlich um einen Schatten dunkler zu brennen, als habe ihr meine Kunde eine trübe Ahnung beschert, und ich hatte fast Mitleid mit ihr, wenn ich daran dachte, daß sie jahrelang hier auf diesem Tisch uns Gesellschaft geleistet hatte, ja, daß sie als ehemaliges Hochzeitsgeschenk die einsamen Stunden zweier Glücklichen geteilt, dann den kommenden winzigen Menschlein das erste Licht der Welt bedeutet hatte, das ihre Augen im Laufe der Jahre erblickten, daß so manche Nachtarbeit bei ihrem Scheine mir unter den Händen gedieh. War es nicht so etwas wie ein Verrat an einem Freunde, wenn man sie, die mit einem zwar unbewußt, doch so innig verwachsen war, einfach ausrangierte? Zwar, was ist eine Petroleumlampe! Weder Mensch noch Tier, eine liebe Er innerung allenfalls. Aber genügt das nicht, um an ihr zu hängen? Und ich entschied: „Meine Lieben, wenn die Petro leumlampe auch weichen muß, und es ist vielleicht gut so, denn das Alte weicht immer dem Neuen, so bitte ich mir aber aus, daß Ihr sie weder verschenkt noch verkauft —" Hierbei lachte Maria belustigt auf. „Ja, daß Ihr sie auch nicht wegwerft. Sie wird viel mehr sauber auf meinen Bücherschrank gestellt. Ver- standen?" „Du willst sie doch nicht etwa aufheben, Papa?" fragte Ella. „Natürlich will ich das. Vielleicht schenk ich sie später einmal dem Museum!" „Das kannst Du jetzt schon tun," lächelte Kurt, „so alt wie sie ist." „So alt wie sie ist, so lieb ist sie mir, meine Kinder. Doch davon versteht Ihr nichts." „Herrgott, da blakt sie schon wieder!" rief die Mama und drehte den Docht herunter. Da beugten sich die anderen tiefer auf ihre Schularbeiten, und Ella lernte: „Und Fin sternis herrschte über den Wassern, und die Erde war wüst und leer. Und Gott der Herr sprach: Es werde Licht.. ." Und es ward Licht. Knips! Unser Wohnzimmer erstrahlte in ungewohntem Glanze. Ja, es erinnerte wirklich an die Schöpfungsgeschichte. Jetzt sah man den Unterschied von gestern und heute. Von einer prächtigen Leuchtkrone floß es silbcrgleißend auf uns nieder, das neue Licht. Ein allgemeines „Ah" begrüßte es. Der Installateur schmunzelte. Wahrscheinlich hatte er so überraschte Gesichter schon oft erlebt. Ella, Kurt, Maria hingen sich in tollem Uebermut an meine Arme und tanzten in der Stube herum. Und Mama, die Bedachtsame, sagte: „Und es macht auch nicht solche Schweinerei wie das Petroleum." „Es riecht nicht und fleckt nicht und spart die Zünd- Hölzchen," jubelte -Maria. Triumpbiercud trug man die Petroleumlampe hinaus — auf meinen Bücherschrank. Dort sollte sie im Dunkeln langsam verstauben. Es war doch zu schön mit der elektrischen Beleuchtung. Zu schön. Schon das Knipsen! Ach, eine Wonne, besonders für ein Kinderherz. Knips — hell, knax — dunkel, knips — hell, inax — dunkel, knips — hell. „Kinder, ich habe Euch schon einmal gesagt, ich lese gerade, also laßt das Licht brennen." „Ach, Vati, bitte, laß mich noch ein einziges Mal, immer will nur Kurt knipsen!" „Kinder, das ist doch kein Spielzeug! Was denkt Ihr wohl?" murrte die Mama, die bei der Knipserei eine Masche vom Strumpf verloren hatte. „Ach, bitte, bitte, lieber Vati," schmeichelte Ella. „Na also gut, knipse noch einmal, aber dann ist Schluß, hört Ihr?" „Hurra!" schrie Ella, und dann drehte sie wonne durchbebt an der Schaltung. Knax — dunkel, knips — hell, knax — dunkel, knips „Na?!" Knips — knips — knips —. Tiefe Finsternis. „Ja, was ist denn das, willst Du denn nicht das Licht andrehen?" „Ich drehe ja immerzu, aber es will nicht!" klingt es weinerlich von der Tür her. „Was will nicht?" „Es will nicht hell werden." „Laß mich mal!" sagte Kurt. Knips — knips — knips — Noch immer ägyptische Finsternis. „Aber Kinder!" seufzt Mama. „Kaput, natürlich!" polterte ich. „Bande, warum müßt Ihr auch immer an der Schaltung spielen!" Und ich taste mich durch die Dunkelheit zur Tür an den Knipser. Ich drehe ihn rechts, sogar links. Dunkel bleibt es, wie zuvor. „Da sitzen wir! Was machen wir nun, he?" Verschüchtert räuspert sich's in den dunklen Ecken. „Soll ich den Installateur holen?" sagt Kurt. „Tu das, mein Junge!" „Aber so lange können wir doch, nicht im Dunkeln sitzen," jammerte Marias Stimme irgendwoher aus der Stockfinsternis. „Ich habe noch den Aufsatz ins Reine zu schreiben.". „Und ich muß das „vierte Gebot" lernen," klagte Ellas Stimme. „Das kommt von Eurem elektrischen Licht — Narrheit, bei der alten Petroleumlampe wäre uns das nicht passiert."