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Welttriegs-ErinlleruMN. 9. Januar 1915. (Fluggeschwader über Dünkirchen. — Französische Verleumd un- g e n.) Das bislang bedeutendste Flugunternehmen wurde an diesem Tage von den deutschen Fliegern über Dün kirchen auSgeführt. 14 Zweidecker kreuzten über der Ctadt von 11 Uhr vormittags bis 3'/, Uhr nachmittags. 50 Bomben wurden geworfen, die ziemlich großen Scha den anrichteten und eine Anzahl Personen töteten und verwundeten. Zwar richtete man die Abwehrkanonen ge gen das deutsche Fluggeschwader, allein dieses konnte un gehindert und unbeschädigt seinen kühnen Flug über Dün kirchen nach der See hin sortsetzen. Bei Soissons gingen die Kämpfe weiter, die Franzosen suchten in wü tenden Vorstößen mehr und mehr Raum zu gewinnen. Andere französische Angriffe bei Niederaspach und PertheS wurden zurückgewiesen. — Konnten die Franzosen auf militärischem Gebiete nichts erreichen, so blieben sie doch stark in Verleumdungen. So gab der Ministerpräsident Viviani einen Bericht der „Untersuchungskommiss ion über Verletzungen der Menschenrechte durch die Deutschen", wel cher Bericht eine einzige Kette niedrigster haltloser Ver leumdungen bildete, in dem auch nicht der Versuch eines Beweises für die schändlichen Behauptungen gemacht wurde. — Am genannten Tage erließ der preußische Landwirt schaftsminister einen Mahnruf, amtliche Ratschläge enthal tend bezüglich der Fleischversorgung während des Krieges; er wies namentlich auf die Dauerwaren hin und warnte vor Vergeudung. Die sächsischen Truppen im Felde. Zur Veröffentlichung zugelassen. Oberkommando in den Marken. Berlin, den b. Januar 1vl6. Vlll. Kreislauf. Ich habe hier im Westen schicksals- und fahr' tenreiche Geschütze gesehen. Ihr vorletzter Aufent halt mar Nowo-Georgiewsk. So wenig wir auch von dieser Festung wußten, bevor wir sie einnahmen, ist doch gleich bei unserer Ankunft dort ein frohes Wie dersehen gefeiert worden. Tie Welt sieht eben nur auf der Landkarte so mächtig aus, in Wirklichkeit läßt sich ihr Kreislauf oft auf schmälstem Raume nachweisen. Da standen also Kanonen, die unser Krupp vor 10 Jahren nach Rußland verkauft hatte. Aber gewisse Stempel ließen erkennen, daß sic we nig später von den Japanern im ehrlichsten Kampfe erobert und nach Tokio gebracht worden waren. Nun aber, wo der ungefährlich gewordene sibirische Nachbar in Not geriet, blieb der japanischen Nächsten liebe nichts übrig, als das kostbare Gut seinem vo rigen Herrn zurückzuborgen (vielleicht war's auch in zwischen ausgeleiert); und die Russen endlich sahen edelmütig ein, daß sie auf solche Vornehmheit das Siegel setzen und die Geschütze Deutschland über lassen müßten, weil es doch schließlich das aller erste Anrecht an die Lieferungen Krupps hat. Das geschah dann ohne Stempel, ohne Transportkosten und sogar ohne Trinkgeld in Nowo-Georgiewsk; und auch der Westen hat nun seine Freude dran. Blindgänger. Strenge Befehle gibt es, alle nicht krepierten Geschosse, sogenannte Blindgänger, unberührt aus dem Flecke liegen zu lassen, wo sie niedergefallen sind, und außerdem einen Zaun aus Hindernispsäh- len um sie herum aufzurichten. Die Gefahr ist eben sehr groß. In der Nähe unserer Quartiere wird so ein Ungeheuer entdeckt, das sein Gift noch nicht ver spritzt hat, und ein Soldat bekommt ein halbes Dutzend gespitzte Hölzer, Draht und den nötigen Austrag dazu. Er erreicht die kleine Grube, legt seine Last ab, ergreift, da er doch eine Art von Axt braucht, di« gefüllte Granate, schlägt mit ihr allo sechs Pfähl« wetterfest ein und legt sie dann selbst — ganz vorsichtig — mitten in den Bann kreis. Nun kann ja kein Unglück mehr geschehen! Bewegter Abschied. Eines unserer Reiterregimenter wird plötzlich nach dem Osten versetzt. Was es für eincü Reiter bedeutet, aus dem Schützengraben heraus aufs Pferd zu dürfen, das grenzt schon an Weihnachts feier. Aber es hat sich in der Regimentsbagage durch die Monate vielerlei angesammclt, was nun schleunigst verpackt werden muß. Platz ist nicht viel in den Zügen. Die Achsenzahl steht fest. Gott sei Dank, gibt der Divisionär einen Dag der Vorbereitung zu. Ein großes Morden hebt an. Gänse, Enten, Hühner, sogar Schweine gehören zur inneren Re- gimentsbagage; man hat sie von den Abfällen sorg fältig fett gemacht. Nun kräht's, schnattert's und quiekt's ein paar Augenblicke, dann wird Max Lie bermanns Bild aus der Nationalgalerie, die „Gän- sorupserinnen", ins Männliche übertragen, und der schöne, fleischerne Rembrandt. Und bald ist der ganze große Stall „in die Wurscht". Die vornehmsten Offiziere aus der Nachbarschaft finden sich ein, um —, natürlich um ihre Glück wünsche darzubringen und sich zu verabschieden. Aber der Oberst sieht tiefer: „Die Geier kommen schon!" ruft er ihnen entgegen. Er weiß, daß re quirierte Krümper und Handwagen, überzähliges Sattelzeug und andere kavalleristische Kostbarkeiten ihm nunmehr unter Abschiedstranen abgeschwatzt werden sollen, daß man vielleicht auch den Versuch Wagon wird, transportschwierige, rcvierkranke, Voll blüter gegen zugelaufene Milchwagenmaulejel einzu tauschen. Und er wappnet sich mit Gleichmut und Freundlichkeit. Listen. Wir waren ganz gewiß ohne Falsch wie die Tauben, als der Krieg begann, aber daß wir auch klug wie die Schlangen geworden sind, verdanken wir den Feinden. Sje haben sich, besonders im Westen, in Listigkeiten Überboten, um uns im Kleinen zu schaden, weil sie es im Großen nicht vermochten. Noch jetzt kommen wir fort und fort ihren Ver suchen auf die Spur, in unserem Rücken, wo wir nicht jede» Quadratkilometer bewachen können, Spions vermittelst der Flugzeuge zu landen. Sie setzen sie, fern von unsern vorher gut erkundeten Ansamm lungen, in einer Schlucht nieder und holen sie dort auch wieder ab. Die zweite Maßnahme gelingt manchmal vorbei. Sogar uniformierte Franzosen sind ausgegriffen worden, wie sie eine Etappen brücke sprengen wollten, die für unsere Zufuhren von höchster Wichtigkeit war. Denn die Wiederher stellung, gehe es noch so geschwind damit, verzögert di« Verpflegung, die Munitionsergänzung und den Truppencrjatz. Treten die Ausgesetzten als Svlda ten aus, so werden sie nicht einmal erschossen, nur zu Gefangenen gemacht. Kleiden sie sich als Zivilisten, so ist wiederum ihre Festnahme erschwert, es sei denn, daß sie aus frischer Tat ertappt würden. Ob di« Gegner unsere Funksprüche auffangsn, weiß ich nicht. Wir bekommen die Weisheit des Eisfolturms jedenfalls zur selben Stunde wie die sranzösischen Adressaten. Unterhalten sich unsere Ge neralstäbler telephonisch oder sunkentelegraphisch über di« Schicksale von Brigaden, Divisionen und Perso nen, so bedienen sie sich gern festgelegter Decknamen, die dann nicht ohne Stilgefühl in Sätze gebracht werden. Etwa: „Diana durchnäßt, braucht 400 Unterhosen." „Sieglinde (ein französischer General, der ab- gcjetzt worden ist) selig verschieden." „Piccolomini macht Seitensprünge, möglichst von hinten zu versohlen." „Milsord abgetreten, Niederkunft vermutlich in L." „Grane (eine Kavalleriebrigade) im Stalle." Auge in Auge. Prinz Oskar von Preußen hat eine groß ge schaute, groß empsundene Schilderung von der Win- terjchlacht in der Champagne gegeben, die, ohne das Geringste auszuplaudern, doch alles jagt, was wäh rend des Krieges zu wissen nottut und rütlich ist. Jeder Mann meiner Kompanie, der ich das Schrift- chen vorlas, verstand die stolze Aufgabe, um die es sich damals handelte, und konnte auch die wunder volle Lösung würdigen. Die an den einzelnen Kämp- ssr und die Truppenverbände gestellten Anforderun gen, meinte der Prinz, ständen hinter den östlichen nicht zurück, und wie ihnen Genüge geschehen, das wäre mir den gewöhnlichen Worten der Sprache nicht zu umschreiben. Die Herbstjchlacht in der Champagne, der ich in nächster Nähe — zuhörte, wird auch irgendwann ihren künstlerischen Zusammenfasser finden. Was ich davon weiß, sind Einzelzüge, Einzelaugenblicke, die aber, jeder an seinem Teile, das Ganze zum glückli chen Ende führen halfen. Unser mit Lob und Sil ben immerdar kargender und dennoch weit ausgrei fender Heeresleitungsbericht rühmte ausdrücklich den Anteil sächsischer Regimenter. Das macht unsere Herzen schneller schlagen und das deutet historisch wichtige Taten an, denen wir auf dem Fuße zu folgen guttun werden. Wenn ich dabei nicht fabulie ren will (und angesichts der verrichteten Wunder wäre so frühes Fabulieren Herabsetzung!), muß ich meinen Kreis gar eng ziehen; kaum auf eine Graben- linio von 7 Kilometer wage ich den Durchmesser aus- zudchncn: 7 Kilometer Front ostjüdöstlich von Aube- rivo (Auberive selbst liegt 30 Kilometer östlich von Reims-. Was da kämpfte, waren Reserveformatio- neu. Wer von uns hat keinen Freund darunter? Wir alle kennen Joffres geschickten und nicht unbescheidenen Armeebefehl für seinen Septcmber- Plan. Er zählt die ungeheuren Vorbereitungen auf, die, das muß man zugestehen, nach menschlicher Be rechnung einen bedeutenden Erfolg versprachen. Aber alle menschliche Berechnung hat schon seit Krieg rbc- ginn Bankerott angejagt. Unser Werk ist nun einmal nicht papieren und nicht von Mathematiksgnaden, un ser Werk ist ein Triumph des Gemütes. Verluste hatte die sranzöjische Heeresleitung von jeher nicht gescheut, wo es galt, uns aus dem Lande zu treiben. Auch hier war der Feind wagehalsig vor Monaten aus einer 1000 Meter entfernten Stel lung aus etwa 400 Meter an uns herangerückt, in dem er ausgeschwärmt vorkroch und sich neu eingrub. Was das in offenem Gelände heißt, weiß jeder, der sich nur die im Namen liegenden Eigenschaften eines Maschinengewehrs vergegenwärtigt. Und dann wurde drüben die große Munitionssparkasse eingerichtet, die ein Vierteljahr lang Kapital auf Kapital aus der halben Welt aufhäufte, und nur noch so viel verausgabte, wie nötig war, um uns in unseren Gra bearbeiten zu beunruhigen. Sic waren dabei vor trefflich beraten. Zehn Flieger auf einmal kreisten in fast unerreichbarer Höhe über unseren stets tiefer und tiefer gebohrten Stellungen, photographierten von zehn Punkten aus zugleich, wie's bei uns aus sah, und projizierten in ihren Studios das mannig faltige Ergebnis vuf die gleiche Ebene. In der Zei chensprache, schon fast von Rasse wegen erfahren, zo gen sie das noch zurückhaltende Gcanatseuer der Ihrigen auf engstchende Arbeitsgruppen und auf unsere umfangreichsten Unterstände, wo sie Kantinen, Geschäftszimmer, Besprechungen vermuten, und zwan gen unsere Leute, ihre kostbare Nachtzeit an das Aus- bessern der verschütteten Bastionen zu verschwenden, wo es doch neue bombensichere unterirdische Minen zu bauen nottat. Unsere Stellung (nicht für alle Abteilungen gleichmäßig) gliederte sich mehrfach, in der Mitte lag die Sehnenstellung. Schon vom 14. September an steigerte der Feind seinen Beschuß erheblich. Ab r derartige Schwankungen in seinem Munitionsver brauch waren wir gewöhnt — es blieb uns noch immer Zeit, der täglichen Zerstörungen Herr zu wer den, so schwer uns das auch meist die eigenen, zu Klumpen und Barrikaden zujammengeschossenen Drahtverhaue und Holzverkleidungen machten. Wieder wie früher schoben sich aus den feind lichen Gräben beschriebene Schilder heraus, dis so etwas wie Zuversicht bekundeten. Eine Zeitlang war es mit diesen Fernunterhaltungen aus gewesen. Da hieß nun eins: „Deutschland, Deutschland unter alles", ein anderes, das auf Italien zielte: „Vive votre ein Trittes, das über einem mächtigen Brote bam melte . „Das bekommt Ihr, wenn Ihr herübcrkommt." Endlich wurde unsern Landsern ein Fliegergeuß her- untcrgewvrfen, der hieß auf deutsch: „Schmiert Eure Stiefel, Ihr müßt bald laufen!" Die Unverdrossenheit unserer Leuts ist grenzen los. Während des 75stündigen Trommelfeuers zeigte sich das am deutlichsten. Da war ein Essenholer, der mit seinen gefüllten Eimern über Bergs von Schutt steigen mußte und bei jedem vierten Schritt dem Feinde ein breites, hohes Ziel bot. „Mensch, das geht doch nicht!" rust ihn ein Unteroffizier an. „Endweder brauchen die Leute das Essen oder nicht", antwortete er; „und wenn sie's brauchen, muß es doch eener holen". Andere, die vorsichtiger zu Werke gingen, haben einmal aus der Strecke zu den Feld küchen vier Nachtstunden und zurück noch einmal vier verbracht. Die Offiziere fanden kaum noch den Mut, Befehle für's Eisenholen auszugeben und als Leut nant Roitzsch den Wassermangel nicht mehr mit an- schen konnte, machte er sich selbst auf den gefährlichen Weg und es gelang ihm, zwei Feldkesjel voll Wasser und eine Flasche Bier heranzuichlcppen. Sein Zug drängte sich an ihn, er teilte die Schätz« aus und bekommt im selben Augenblick einen tödlichen Kopf schuß. Man hatte sich drüben wohl aus einen bestimm ten Tag, ja, von vornherein aus eine bestimmte Stun de sestgelegt. Abschnittsführer gebrauchten, als jie davon sprachen, das Bild von einer pünktlich begin nenden Premiere, der mehrere Proben und eine Ge- neralprobe vorausgingen. In den Taschen gefange ner Franzosen fand man Quartierzettel, von denen der eine auf I. und auf den 27. September lautete. (In diesem Orte sah ich aber am 10. Oktober noch unsere Rekruten, die dort ihre letzte Ausbildung be kommen, Fußball, Sackhüpfen, Bock- und Seilsprin gen spielen.) In Rethel, noch weiter hinten (Etap pengebieti, wcigcrten sich die französischen Händler, vom 28. September an Eßwaren zu verkaufen, legten frische Blumen bereit, um die heimlich angekünoig ten landsmännischen Sieger zu empfangen und steck ten plötzlich von neuem die widerwilligen Gesichter auf, die jie ein reichliches Jahr lang hatten verber gen müssen. Woher ihnen die trügerische Wissenschaft gekommen war, ist uns ein Rätsel geblieben. Die Nacht von Miramont. Kriegserzählung von Lothar Brenkendorff. (Schluß). Die Verwundeten sollten im Schiff der Kirche gelagert werden, und der losgebundene Pfarrer erhielt den bün digen Befehl, unverweilt für Matratzen und Decken zu sorgen. Mit wankenden Knien schritt er dem Pfarrhause zu. Die drei anderen in der Sakristei aber wurden nun mehr etwas schärfer ungefaßt als bisher. Mit auf den Rücken gebundenen Händen wurden sie in die Mitte ge nommen, und ich ließ ihnen keinen Zweifel, daß der morgige Tag der legte sein würde, an dem sie die Sonne hatten aufgehen sehen. Noch waren wir bei der Kirche in voller Arbeit, als sich ein von dem Unteroffizier Eberle abgefchickter Mann bei mir meldete. Daß der Wackere rechtschaffen am Werke gewesen war, hatte mir schon das aus jener Richtung ver nehmliche, aber bald wieder verstummte Gewehrfeuer ver raten, nun aber erhielt ich eine sehr erfreuliche Bestäti gung durch die Meldung: „Die versteckten Franzosen un schädlich gemackt; acht Tote und Verwundete; einund zwanzig unverletzte Gefangene." Im Dorfe selbst hatte sich während des kurzen Kampfes nichts gerührt, und auch, als ich mich mit kleiner Be gleitung nach dem Wirtshause zurückbegab, blieb es in den Häusern totenstill. Keine heimtückische Kugel gefähr dete unser Leben, und keine verdächtige Gestalt ließ sich erspähen. Die Leute hatten offenbar begriffen, dag wir ihnen vor der Zeit hinter die Schliche gekommen waren, und nun hatte keiner mehr den Mut, sein kostbares Leben bei einem Franktireurstückchen zu riskieren. In unserer Feldwache sand ich die Situation so be friedigend als möglich. Meiner Weisung »achkommend, hatte Eberle es hier mit dem bewährten Mittel der „Aus räucherung" versucht. Ein paar in der Nähe der bewußten Kellertür aufgehäufte und in Brand gesetzte Strohbündel hatten rasch einen so ausgiebigen Qualm entwickelt, daß die Herren Rothosen mit großer Geschwindigkeit aus ihrem Schlupfwinkel zum Vorschein gekommen waren. Anfänglich hatten sie es gleich denen in der Kirche mit dem Schießen versucht; aber sie hatten sich der gut verteilten und ge- deckten deutschen Minderheit gegenüber in so ungünstiger Lage oefunden daß sie es sehr bald vorgezogen hatten, sich ebenfalls zu ergeben. Immerhin gab es hier auch aus unserer Seite zwei Verwundete. Und einer von ihnen I war der Unteroffizier Eberle selbst, dem «ine französisch« I Kugel das linke Handgelenk bös zersetzt hatte. Mit seinem I von einem Kameraden angelegten Notoerband aber ver-