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mit Kindern zu sprechen und umzugehen verstand. Schließlich sagte er: „Das weiß ich nicht, Onkel", war die Antwort. „Ich bin ja noch nie in einer wirklichen Stadt gewesen, weil wir drei Stunden bis dort haben und es mit der Post viel Geld dorthin kostet." endlich umfaßte sein Arm die schlanke Kindergestalt. „Anne, liebe, kleine Anne", sagte er weich. Das Kind sah ihn glücklich an, küßte ihn nochmals und wandte sich ihren Geschenken zu, jetzt in einen rechten Kinderjubel ausbrechend. Jedes Stück wurde bewundert, jedes Stück dem Onkel gezeigt und beraten, was die Liese, die Lotte, der Rudi von den Herrlich keiten haben sollten, was der Vater., die Mutter, die Großmutter. Der Regierungsrat war plötzlich selbst überrascht, mit welchem Eifer er an dieser Beratung teilnahm. „Wenn dich die Schächtelchen und Kuchen so erfreuen, Anne, warum behältst du sie denn nicht für dich, da ich sie doch nur dir „Komm, Anne, nimm die Sachen, wenn sie dir Freude bereiten. Ich wollte nur, ich könnte dir Besseres geben." Annes Wangen färbten sich dunkelrot. „Mein — Onkel — alles mein", stammelte sie, die Hände fest zusammenpressend. Und als Mending, der seinen Platz am Tische wieder eingenommen, freundlich nickte, trat sie schnell an ihn heran und drückte ihre warmen roten Lippen auf sein Gesicht. Vor Freude bebend, sagte sie nur: „Du bist gut, Onkel — wirklich gut." Zärtlich schmiegte sich das blonde Köpfchen an seine Brust, zärtlich umfaßten die Ärmchen seinen Hals. Ganz wundersam wurde es Mending ums Herz bei diesen ungewohnten Liebkosungen. Steif und Plötzlich schreckte er empor. Er vernahm einen Ausruf freudigen Staunens. Aufblickend gewahrte er Anne mit strahlendem Gesicht am Büfett stehend. Sie betrachtete die sich dort befindlichen wenigen verstaubten Bonbonnieren, Schokoladentäfelchen mit bunten Bildern und Pfefferkuchen, wie man sie häufig auf kleinen primitiven Bahnhöfen findet. Eine Glasglocke war zum Schutze über diese Herrlichkeiten gedeckt. Seiner übernommenen Pflicht eingedenk, trat er zu Anne, ver wundert fragend: „Was freut dich denn, Kind?" „Ach, Onkel, all die Sachen dort. Gar nie hab' ich so etwas Schönes gesehen", jubelte sie. „In den Läden der Stadt gibt es doch viel schönere", meinte Mending befremdet. „Noch nie in der Stadt?" Anne hörte aber nicht mehr diese Frage. Ihre ganze Auf merksamkeit beanspruchten die Herrlichkeiten unter der Glasglocke. Diese Genügsamkeit schien Mending zu interessieren. Er beob achtete, wie sich das schmächtige Figürchen drehte und wendete, um alles genau sehen zu können, wie sich das schmale Gesicht rosig färbte und die Augen bald hierhin, bald dorthin wanderten. Er trat an den Tisch, klopfte einige Male laut auf denselben, um die Besitzerin der Süßigkeiten aus ihrem festen Schlafe zu wecken, was endlich gelang. „Geben Sie mal alles her, was sich unter der Glocke befindet", befahl er. „Wie meinen Sie, Herr — Herr", stotterte die Frau, die ihren Ohren nicht zu trauen glaubte, da noch nie jemand ein derartiges Ansuchen an sie gestellt hatte. „Schwer verständlich ist das doch nicht gerade," war die kurze Antwort, „da, Ihren ganzen Kram möchte ich haben." Jetzt kam in die regungslos Dastehende Bewegung. Flink wie ein junges Mädchen legte sie das Gewünschte zusammen. Sie mochte glücklich sein, diese Dinge loszuwerden, die vielleicht schon Monate zur Schau gestanden hatten. Der Regierungsrat zahlte. Die Verkäuferin schaffte die Sachen eilends auf seinen Tisch. Gleich darauf verschwand sie so schnell aus dem Zimmer, als ob sie Besorgnis hege, der vorteilhafte Handel könne wieder rück gängig gemacht werden. Anne blickte stumm von den Kostbarkeiten auf den Regierungs rat und wieder von dem Regierungsrat auf' die Kostbarkeiten; Mending bedauerte in diesem Augenblicke wirklich, daß er so wenig Generalleutnant v. Faltcnhayn, regungslos büeb er sitzen, da er nicht zu wissen schien, der neue Kriegsmmikkr. (Mit Text.» wie er sich bei diesem unvorhergesehenen Ereignis zu benehmen habe. Einige Male holte er tief Atem, dann trat ein ungewohnt warmer Schein in seine Augen, und Ritter Blaubart. Novelle vvn Helene Dalmer. lFortietzung.) «^«br Regierungsrat mußte denken, was für ein Gesicht wohl der „beste Koch" machen würde, wenn inan von ihm Kartoffelpuffer von vierzig Kartoffeln und zwei Eiern verlangen würde. Pastor Otto sah nach der Uhr. „Ich versprach unserem Schmied, einen Brief an seine Mutter abzugeben, die hier wohnt. Dil nimmst es hoffentlich nicht übel, wenn ich dich auf ein halbes Stündchen verlasse, Kurt, nicht wahr?" fragte er. „Solche Gefälligkeit von dir zu verlangen, finde ich, gelinde ausgedrückt, etwas anmaßend! Wozu schickt der Mensch den Brief nicht per Post?" brauste dieser auf. „O, nicht anmaßend, lieber Kurt! Der Schmied meinte, ich könne mündlich besser über den Zustand der Greisin berichten, als es schriftlich geschehen kann. Und ich tu es gerne", war die Er widerung. „Du bist doch noch ganz derselbe gutmütige Otto von ehedem", sagte Mending warm. „Nun, ich begleite dich." Leichte Verlegenheit zeigte sich auf dem Gesichte des Pastors. „Wenn ich offen sein darf, lieber Freund, wäre ich dir aus egoistischen Gründen sehr dankbar, wenn du hier bliebest. Ich möchte meiner Anne nicht noch den Weg zumuten. Sie ist ein schwächliches Ding und muß noch bis abends zehn Uhr mit ihren Kräften reichen. Lies du nur ruhig die Zeitung, stören tut dich das Kind nicht. Und ab und zu schaust du mal nach dem Mädel." Freundlich bittend sah der Pastor zu ihm hin. Wer dem Regierungsrat vor vierundzwanzig Stunden gesagt hätte, daß er, gleich einer Kinder bonne, ein achtjähriges Mädchen beaufsichtigen solle, den hätte er einfach für nicht zurechnungsfähig er klärt. Und heute fügte er sich, dem Freunde zu Gefallen, ruhig darein. Pastor Otto ging. Mending zog seine Zeitung aus der Tasche. Anne trat an das Fenster, dem Vater nachzublicken. Die alte Restaurateursfrau saß hinter dem Büfett, von der Gardine halb verborgen, und war über ihrem Strickstrumpf eingenickt. Ganz still war es rings umher, so daß Mending, welcher einen höchst spannenden Zeitungsartikel durchlas, vergaß, wo er sich befand.