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1 33. Aodr,avg. Sonnabend, den 23. Juli. reikMAyeiaer md Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen Md Wüschen Behörden zu Freiberg und Brand. Berantwortlicher Redakteur Iuliu» Brau« iu Freiberg. Erscheint jeden Wochentag Abend« S Uyr Mr den andern Taa. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 Pj., -N-zweimonatlich 1 M. 50 Pf. u. einmonatl. 75 Pf. Inserate werden bi« BormittagS l 1 llhr angenom- men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile g g oder deren Raum 15 Psemüge. Wetter-Prognose sür Sonnabend, den 23. Jalis: Keine wesenttiche Amdernvg in dm bestehenden WttternngSverhAtntffe» z« erwarte«. Schafft gute Wege. Die Entwicklung der Volkswohlfahrt beruht großen- theils auf der richtigen Benutzung von Kräften der Natur und der Menschen, um mehr Güter für die bedürftige Menschheit heranzuschaffen. Einer der Hauptgründe, wes halb für unsere Landwirthschaft die Konkurrenz der ameri kanischen Körner- und Viehproduktion so schwer verhäng nißvoll sich gestalten konnte, liegt einerseits in der rast losen Emsigkeit, mit der in Nordamerika für die Herstellung eines billig funktionirenden Verkehrsnetzes und Transport wesens gesorgt wird; andererseits in dem schleppenden und schweren Fortschritte dieser Veranstaltungen bei uns. In Amerika folgen thatsächlich der Eisenbahn und dem Kanale der Landwirth und die Agrikultur. Der Verkehrs weg ist so zu sagen die Avantgarde, der bahnbrechende Pionier sür die Landwirthschaft, die hinter ihm her- marschirt. Bei uns folgt selbst dem festsitzenden Landbau der Verkehrsweg nur unendlich langsam und widerwillig. Man kann fast behaupten, daß der ferne Westen der ver einigten Staaten Nordamerika's seine Produkte mit den nämlichen Kosten auf den europäischen Markt werfen kann, als die vom Verkehre abgeschlossenen landwirthschaftlichcn Distrikte Deutschlands, Oesterreichs und anderer Staaten diesseits des Ozeans. Zwar haben wir ein ziemlich reich entwickeltes Netz von Bahnen und Hauptstraßen, allein dieselben sind meist strategischen Rücksichten und der Vorsorge für die Industrie entsprossen. Es fehlen ihnen vielfach die Saugadern in Form von Sekundärbahnen und guten Wegen, welche die abgelegenen Gegenden, indem sie dieselben in den Kultur bezirk ziehen, zu lebendigerer Ausnutzung ihrer produktiven und konsumtiven Kräfte veranlassen. Ohne Sekundär bahnen und gute Kommunikationswege haben die Haupt bahnen und Chausseen immer nur einen partiellen Werth, eine Bedeutung nur für eine beschränkte Gruppe von Orten und gewerblichen Interessen, denen sie gerade — mit verhältnißmäßig wenig Mühe — erreichbar sind. Na mentlich bedarf die kleinere Landwirthschaft zu ihrer Hebung und leidlichen Rentabilität guter Verkehrsstraßen zweiten und dritten Ranges, weil ihr nicht genug und haupt sächlich nicht genug kräftiges Zugviehmaterial zu Gebote steht, um zu allen Jahreszeiten ihre Produkte auf den Markt zu führen. Man muß es nur sehen, unter welchen unsäglichen Mühseligkeiten auf lehmigen und schlammigen Landwegen zu gewissen Zeiten auch die kleinste Last befördert wird. Der Weg, der kaum eine Stunde lang ist, wird dann zur Tagereise und absorbirt eine volle Tagesarbeit von Menschen und Vieh, einen Aufwand von Kraft und Zeit, welcher den landwirthschaftlichcn Betrieb ansehnlich vertheuert. Wegen Mangel an Sckundärbahnen sind viele kleine Land- wirthe auf den Vertrieb ihrer Erzeugnisfe nach dem nächst gelegenen kleinen Orte respektive Landstädtchen angewiesen, wo sie ohne Rücksicht auf den allgemeinen Marktpreis nehmen müssen, was ihnen geboten wird. Wenn man über den Kornwucher klagt, so möge man auch an dieses Moment denken, das ihn wesentlich verschuldet. Nur indem man den kleinen Landwirth in Verbindung mit größeren Marktplätzen setzt, beugt man dem Schaden vor, der ihm erwächst, wenn er auf die Angebote einer nur sehr beschränkten Käuferzahl angewiesen ist. Und in dieser Beziehung kann man nur dankbar anerkennen, daß das System der Sekundärbahnen auch in unseren Regierungs kreisen mehr und mehr an Sympathie und Unterstützung gewinnt. Erst dieser Tage wurde der Angriff einer solchen Verkehrsader im Rabenauer Grunde gemeldet. Hoffen wir, daß auch das neueste und uns am direktesten be rührende neueste Projekt einer Sekundärbahn von Freiberg über Brand nach Großhartmannsdorf u. s. w. reussiren und zur glücklichen Ausführung gelangen möge. Das Getreide kommt heute schon durch den schwierigen Transport von den Produktionsstätten entweder erheblich vertheuert, oder gewinnlos für den eigentlichen Produ zenten auf den größeren Markt. Gute Kommunikations- wcge und billige Sckundärbahnen sind das wirksamste Mittel, diesem Uebelstandc zu steuern und zugleich auch zu verhindern, daß das einheimische Angebot ein stoßweises, von der Gunst der Witterung und ider Wege ab hängiges ist. Die vielbcklagte geringe Intelligenz der Landwirthe, die eines der wesentlichsten Hemmnisse agrikultureller Fort schritte ist, fällt zum großen Theile der Jsolirnng ge wisser Landbau-Distrikte vom großen Verkehr zur Last, die wiederum nur durch den Bau von guten Wegen ge hoben werden kann. Angesichts der drohenden Konkurrenz der amerikanischen Landwirthschaft und der immer trau riger werdenden Lage der unsrigen wird man als eine der ersten Forderungen zu Gunsten unserer Landbau be- reibenden Bevölkerung zu erwägen und erstreben haben, daß energisch und ohne Rücksicht auf einen nahen und direkten Betricbsgcwinn ein vielfaches Netz von Neben bahnen und Nebenstraßen geschaffen und unterhalten werde. Darum — baut gute Wege! Die Gewerbe-Ausstellung in Freiberg, m. Der Himmel war der gestrigen Eröffnungsfeier unserer Ausstellung sehr günstig, denn er wartete mit dem Erguß seiner wässrigen Fluthen genau so lange, bis im Unions- Karten die Zeremonie ihren Abschluß gefunden und die Theilnehmer unter Dach und Fach waren. Das ist ein gutes Zeichen! Auch die Halle selbst bestand ihre Wasser taufe auf's Beste und rechtfertigte daher auch das Lob, welches kurz zuvor vom Festredner dem Erbauer, Herrn Baumeister Kunze, gespendet war. Ja, das Werk unserer Ausstellung ist gelungen; das zeigte sich unzweideutig am Eröffnungstage, als zum ersten Male der Mcnschenstrom sich durch die Räumlichkeiten ergoß, nicht nur auf den Mienen der erstaunten und befriedigten Beschauer, sondern auch hervorragende Industrielle und Sachverständige be- kunveten dies in unumwundenem Lobe und in warmen Dankcsworten. Freiberg sah niemals eine so reich haltige und gediegene Repräsentation seiner ge werblichen Thätigkeit in Stadt und Umgegend. Zum Beweise dessen wollen wir einen kleinen Rundgang durch die Ausstellung unternehmen, auf welchem uns die freundlichen Leser im Geiste begleiten mögen. Wir betreten zunächst den Saal und befinden uns sofort in einer reichhaltigen Kollektion von Nahrungs- und Genußmitteln, die auf viele Besucher eine ver lockende Wirkung ausübcn wird. Alles, was zu dem Kapitel Essen und Trinken gehört, ist in sauberster und anmuthigster Fassung vereinigt. Ein spezielleres Eingehen auf die hier von Konditoren, Bäckern, Fleischern, Zigarrenfabrikanten u. s. w. gelieferten Waarcn bleibt späteren Detail-Berichten Vorbehalten. Sodann be gegnen dem Auge reichhaltige Sammlungen von Portefeuille-Arbeiten, durch Sauberkeit, Akkura tesse und Eleganz den Blick fesselnd; dann die Pro dukte der Flachsspinnerei, der Uhrenfabrikation, der Gold- und Silberarbeit u. s. w-, weiter I n - strumente, von denen ein alter Spruch sagt: „Musik allein ist die Weltsprache und braucht nicht übersetzt zu werden." Inmitten des Saales prangt die glänzende Ausstellung leonischer Gold- und Silber tressen-Fabrikationmit zwei thätiym Arbeiterinne«, die ihrem Klöppelgeschäst obliegen; dahmter eine reich haltige Exposition von Mineralien der Königl. Berg akademie und den Hintergrund füllt das Oberhütten^ amt mit der brillanten Vorführung seiner Erzeugniffe; rechts davon treten ihr in gewaltigen Quadern die Re sultate des Bergbaues zur Seite. Unmittelbar vor der Mineralien-Sammluna steht, von Vielen nicht gehörig gewürdigt, ein Meisterwerk der höheren Mechanik, nämlich cinUniversal-Jnstrument für Messungen ersten GradeS^ Die Papierfabrikation hat vor und aus dem Podium des Orchesters Aufstellung genommen. Die linksseitigen Nebenzimmer enthalten ebenfalls viel interessante Sachen; im ersteren wird durch eine Anzahl Arbeiter und Arbei terinnen die Cigarrenfabrikation betrieben; das Mittelzimmer haben sich unsere Kürschner und Friseure für ihre Pelzwaaren und Haararbeiten erkoren; das Hintere Eckzimmer füllen die Jünger Guttenbergs mit den Erzeug nissen der Buchdruckerkunst, denen sich die Litho graphie und verwandte Gewerbe anschließen. Wir wiederholen, hier nur in kurzen Umriffen zu skizziren, wobei dieses und jenes Ausstellungs-Objekt unerwähnt geblieben ist. Die später folgende spezielle Bericht erstattung wird diesm Fehler wieder gut machen. Die Halle ist durch den Springbrunnen in zwei gleiche Hälften gctheilt. Fassen wir die Umgebung des Springbrunnens als Zentrum des Gebäudes auf, so wird dasselbe rechts und links von großen Obelisken und Säulen aus Seife abgeschlossen; den Hintergrund bilden drei prächtige offene Zimmer, das mittlere in reicher Blumendekoration die Statuen unseres allverehrten Königspaares enthaltend, links davon ein Schlaf-, rechts ein Arbeitszimmer. Im Vordergründe des Zentrums tehen Küchen- und Stubcn-Oefen. — Den rechten Flügel der Halle Men Superphosphate, die Erzeugnisse der Korbmacherei, der Lcderfabrikation, der Holz- und Spielwaaren - Industrie, der Schuhmacher-, Schneider-, Hutmacher-, Riemer-, Sattler-, Handschuhmacher- und Ban- dagisten-Gewerbe; außerdem sind Tapisserie-, Putz-, Weiß- waaren und andere Geschäfte in reicher Auswahl vertreten. Inmitten dieser reichen Kollektion sehen wir Nähmaschinen, die zum Theil für die Handschuhfabrikation in Thätigkeit sind. Im linken Flügel erfreuen Arbeiten der Kunst schlosserei, der Photographie, Spiegel, feinere Erzeugnisse der Bildhauerei, Drahtflechtcrei, der Kupferschmiede, Bürstenbinder, Seiler, Metallweber und Sicbmacher; da ran schließt sich Erz- und Glockenguß, elektrische Klingel züge und Telegraphenleitung, Klempnerarbciten jeden Genre's und abermals die Kunstschlosserei. Endlich ent hält die Mitte des linken Flügels eine reiche Kollektion von Ausstattungsgegenständen jeder Art: Sopha's, Fau teuils, Salon-, Gewehr- und andere Schränke, Buffet's, Schrcibsekretärc, Geldschränke u. s. w. — alles in solidester und kunstvoller Ausführung. Im überdachten Garten endlich sind eine Reihe prächtiger Equipagen verschiedener Konstruktion, Wagen zu Wirthschaftszweckcn, Turnapparate, andere Geräthe und vor Allem verschiedene Maschinen und Maschinentheile, Destillir-, Vormaisch- und Kühlapparate, Malzquetsche, Wasserpumpe, Spritze, Pflüge, scharsgcbrannte Ziegeln zu bestimmten technischen Zwecken im monumentalen Rohbau sowie ein Aquarium ausgestellt. Die Ausstellungs-Kom mission hat cs nicht für zweckmäßig erachtet, eine besondere Abtheilung für das Kunstgewerbe zu errichten und sie mag hierin recht gehandelt haben; denn die Grenzen, ob ein Gegenstand zum Kunstgcwcrbe gehört oder nicht, lassen sich oft nur sehr schwer feststellen. Dahingegen würden wir ihr dankbar gewesen sein, wenn etwas mehr Rücksicht auf das Zusammenstchen verwandter Gewerbe genommen wäre, selbst auf die Gefahr hin, dem Gesammtcharakter der Ausstellung eine minder lebhafte Physiognomie zu geben. Der freundliche Leser, welcher uns auf diesem flüch tigen und keineswegs erschöpfenden Rundgange begleitet, erfülle nun auch seine Pflicht und trete denselben in eigener Person an. Denn alle so ost und mit besonderer Osten- tation im Munde geführte Sympathien für Industrie und Gewerbe haben keinen Werth, wenn ihnen bei derartigen