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und Tageblatt. Amtsblatt für die kömglichen und städtischen Behörden zn Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur Iuliu» Brauu iu Freiberg. ' 38. Jahrs«»». " - -» » Ericheirit jede« »ochmtag Abend-«Uhr sSr d« Ü Inserate werden bis Bormittags 11 Uhr angenom- a 59. , > SonnaSciid, dm 12. März. 1881. «s——SSSSSSS—SSSSSSSSSSSSSSSSM—I—,,. . . ' —1" u1..,'1^.. Dit Zivilehe. Die in den letzten zwei Jahren beim Reichstage ein gelaufenen Petitionen gegen die Zivilehe haben sich, Dank der immer lebhafter werdenden Rückwärtsströmung, in der gegenwärtigen Session in so großer Zahl wieder holt, daß eine gründliche und abschließende Behandlung derselben im Plenum nicht wird umgangen werden können. Die Petitionen sind bekanntlich durchweg aus einer protestantisch-orthodoxen Agitation hervor- gcgangcn, nach deren Behauptungm das Zivilstandsgesetz eine entsittlichende und namentlich eine das kirchliche Leben — zum mindesten unter der protestantischen Be völkerung — zerrüttende Wirkung geübt habe. Beweise werden für diese vollständig unwahren Behauptungen nicht beigebracht; vereinzelte Beobachtungen, die man wohl hier und da mitthcilt, können unmöglich als solche gelten. Andererseits waren auch die Freunde und Ver- theidiger des Zivilstandsgesetzes in den beiden vorigen Sessionen noch nicht im Besitze eines zur vollen Wider legung der Gegner hinreichenden statistischen Materials. Da ist cs denn von gan^ unschätzbarem Werthe, daß dieses Material gerade im gegenwärtigen Augenblicke beigebracht wird; und zwar von einem Manne, dessen strengkirchliche Gesinnung über jeden Zwciscl erhaben ist. Wir meinen den Dorpater Professor der Theologie von Oettingen, in dessen vor Kurzem bei Duncker und Humblot in Leipzig erschienenen Schrift: „Obligatorische und fakultative Zivilehe nach den Ergebnissen der Moral-Statistik" die Wirkungen des in Rede stehenden Gesetzes eine unanfechtbare ziffernmäßige Be leuchtung finden. Sic ist für die Aufstellungen und Be hauptungen jener gegnerischen Agitatoren von schlechter dings vernichtender Bedeutung. Man urtheile selbst! In Preußen trat die Zivilehe mit dem 1. Januar 1875 in Wirksamkeit. Es kamen nun auf 100 Zivilehen unter Personen evangelischen Bekenntnisses kirchliche Trauungen: im Jahre 1875: 83,^; - - 1876: 86,^; - - 1877:87,,«: - 1878: 88,2,; - - 1879: 89,z,; In Baiern, wo die Zivilehe wie in den übrigen deutschen Staaten mit dem 1. Januar 1876 trat, kamen auf 100 Zivilehen unter Protestanten kirchliche Trauungen: im Jahre 1876: 93,,,; - - 1877: 96^; - - 1878: 97,^; - - 1879: 98, In unserem Königreich Sachsen ist das Verhältniß folgendes: im Jahre 1876: 92^; - - 1877:94,^; - - 1878: 95,««; - - 1879: 96, Aus diesen Zahlen crgiebt sich, daß sreilich unmittc bar nach Einführung der Zivilehe die Ziffer der Tra: Unterlassungen überall am höchsten gestanden hat und da sic von da ab überall stetig gesunken ist. Jene Hoh Ziffer des ersten Jahres erklärt sich zum großen Thci daraus, daß damals eine große Anzahl von Verhältnissen gesetzlich geregelt worden ist, denen die Kirche von ihrem Standpunkte aus die Trauung hatte verweigern müssen. Außerdem ist cs erklärlich, daß die kirchlich Indifferenten von der neuen Freiheit gerade im ersten Jahre den um fassendsten Gebrauch gemacht haben. Seitdem ist aus den angegebenen Ziffern eine stetig wachsende Zunahme der kirchlichen Trauung bemerkbar. Besonders interessant erscheint in dieser Beziehung auch die bei uns in Sachsen gemachte Unterscheidung zwischen Trauunterlassungen und Trauvcr- wcigerungcn. Auf 100 Zivilehen kamen: im Jahre 1876 Trauuntcrl. 7,?«, Trauverw- 1,n; - - 1877 - 5„«, - 0,««; - - 1878 - - 4,^. - 0,««; - 1879 - 3,41, ' 0,2«; Die wirkliche Unkirchlichkeit, soweit sic mit der Zivil ehe irgendwie in Zusammenhang gebracht werden könnte, Hai sich also bei uns stetig gebessert und ist jetzt von fast verschwindender Bcdeutuna. Eine seltsame Illustration zu der Thatsache, daß auch hier zu Lande von gewisser Seite eine Agitation gegen die Zivilehe unterhalten wird! Von geringerer Bedeutung für Beurtheilung der Wirkungen des Zivilstandcs ist die Taufziffer. Hier zat sich die alte Sitte ungleich mächtiger erwiesen. In Preußen hält sich die Prozcntziffcr der Getauften gegen über den Geborenen in ^en fünf Beobachtungsjahren ziemlich konstant auf etwas über 92, doch zeigen gerade die ungünstigeren Gebiete eine stetig zunehmende Besserung In Mecklenburg-Schwerin waren bis zum 1. Oktober 1880 nur 12 Kinder protestantischer Eltern »»getauft geblieben. Wir haben in Vorstehenden: die reiche Fülle belehren den Stoffes, welchen die Oettingen'schc Schrift enthält, nur andeutcn können. Jndeß auch nach diesem Wenigen wird man begreifen, warum der Verfasser in dem Zivil- standsgcsetze eher einen Segen als ein Unheil für die Kirche erblickt. Die Frivolität aber, mit welcher unsere orthodoxen Eiferer die Agitation betreiben, hätte eine schärfere Verurthcilung gar nicht erfahren können. Entlassene Strafgefangene. 8.-L. In die oberste Reihe der dringenden sozialen Aufgaben gehört zweifellos die Sorge für die entlassenen Strafgefangenen. Das Publikum kann und wird diesem Zweige der Hilfsthätigkcit sich aber erst dann lebhafter zuwcndcn, wenn es überzeugt wurde, in wie hohem Grade hier ein Bedürfniß vorlicgt, und zugleich, daß ein darauf gerichtetes Thun keineswegs so aussichtslos ist, wie Fern stehende meinen oder behaupten. Vor Allem muß jener, der guten Sache schädliche Wahn — „es Hilst ja doch wenig oder nichts, verloren ist verloren" — bestritten werden. Hier waltet dasselbe, in Unkenntniß, Klcinmuth, Trägheit wurzelnde, oft mit Mangel an gutem Willen Hand in Hand gehende Vorurtheil, welches auch dem kräftigeren Aufblühen der Anstalten und Vereine für Besserung verwilderter Jugend, sür Jrrcnpflegc, gegen Trunksucht u. s. w. im Wege steht. Allerdings hat die Gesellschaft vollauf Ursache, ihre Kräfte vor Zersplitterung zu bewahren und sic vorzugsweise aus solche Punkte zu richten, wo die Erfolge zu den aufgewandtcn Anstren gungen im Verhältniß stehen. Wer jedoch den genannten Angelegenheiten näher tritt und die darin gemachten Er fahrungen und die erzielten Resultate ins Auge faßt, be merkt, daß es sich hier nicht um Danaidenarbeit handelt, sondern um ein wahrhaftes und fruchtverheißendes Ret- tun gswcrk, welches mehr Unterstützung verdient, als cs bisher gefunden hat. Der Liebesdienst' hat mit Sorge für die Familien der Jnhaftirtcn zu beginnen und sich nach deren Entlassung auf ihre entsprechende Unter bringung, Arbeitsnachweis, Beistand in Rath und That zu erstrecken. Die bestehenden H i lfsvcrcinc könnten unendlich mehr Segen stiften, wenn sic reichlicher und nachhaltiger ausgestattct würden. In manchen Landcs- theilcn mußten auch neue begründet werden. Einen unheimlichen aber lehrreichen Einblick in dieses Gebier gicbt u. A. der Vortrag, den Ende Januar Pfarrer Stursberg — derselbe Geistliche, welcher sich seit Jahren um Bekämpfung der Trunksucht verdient gemacht hat — auf der rheinisch-westfälischen Generalversammlung für Innere Mission in Bonn hielt. Von statistischen Einzelheiten sei hier nur Weniges angeführt. In dem Zeitraum vom 1. April 1878 vis 1. April 1879 wurden in Rheinland-Westsalen nicht we niger als 21020 Strafgefangene entlassen, davon in Kob lenz 2873, Düsseldorf 2351, Elberfeld 1893; im Jahre 1880 in Dortmund 1826, in Hagen 1276, in.Men 1868 rc. In fünfzig preußischen Gefängnissen (hier sind die 950 Gerichtsgcfängnisse und viele kleine, in denen nur kurze Strafen verbüßt werden, ebenso die vom Justiz ministerium beaufsichtigten Anstalten nicht mitgezählt), stieg die Zahl der Eingczogeneir seit 10 Jahren von 68006 auf 132475. In den alten preußischen Provinzen haben sich gleichzeitig die wegen Verbrechen verhängten Untersuchungen von 1!440 auf 17722, wegen Vergehen von 109016 auf 186457 vermehrt, und frcigesprochen wurden von den des Verbrechens Angeschuldigten nur 11'/, bis 13 Prozent. — Aber- und abermals bestätigt sich also, in welchem Maße die Gesetzesverachtung und die Verbrechen zunchmen. — In welcher sittlich-religiösen Verfassung, in welchem Gemüthszustandc verbreitet sich die Mehrzahl dieser Leute über Stadt und Land, und wie stand cs um ihre Familien während der Hast ihrer Versorger! — Wohin treiben wir, wenn es so fort und fort gcht!>— „Wie der hungrige Wolf," so heißt es im SturSberg'schen Bortrage, „sich aut seine Beute stürzt, so jagen Kuppler den entlassenen jüngeren weiblichen Entlassenen nach, .... bis in die Asyle hinein verfolgen sie die Opfer. Mit offenen Armen wird der Entlassene von den auf freiem Fuße befindlichen Leidensgefährten seiner Haft empfangen, die den Krieg gegen die Gesellschaft, von der sie sich auogcstoßen glauben, wieder ausgenommen haben .... Für viele Gefangene beginnt daS Schwerste der Strafe, wenn bas Gefängnißthor sich ihnen öff net. Wie ein Fluch verfolgt sie der Makel des BestraitseinS. .... Und wie grausam sind nicht selten die Verwandten, namentlich der besseren Stände. Man iü außer sich über die Schande, ob auch nachweislich ost Mangel an Zucht, die Nicht- gewdhnung an Arbeit, Verhätscheln, Gewöhnen an Vergnügen und leichtfertiges Leben den Grund zum Falle gelegt hat. Vom Verirrten wendet man sich ab, höchstens bietet man ihm dre Mittel zu schleuniger Auswanderung in s Ungewisse." Fürwahr, hier öffnet sich für werkthätige Menschen freunde ein Arbeitsfeld, das auf's dringendste nach treuem, geschicktem Anbau verlangt, wenn nicht der Strafvollzug mehr und mehr zum Verderben für Zeitgenossenschaft und Nachwelt werden soll! Tagesschau. Freiberg, 11. März. Der Reichstag überwies in der gestrigen Sitzung die Vorlage über zweijährige Etats- und vierjährige Legislaturperioden mit 127 gegen 111 Stimmen an eine Kommission. — Bei der Berathung der Denkschrift über die Ausführung des Münzgesetzes sprach Abgeordneter v. Mirbach sich gegen die weitere Durchführung der reinen Goldwährung aus. Abg. Bamberger tritt für letztere ein und hofft mit Rücksicht auf die bisherigen günstigen Resultate, daß die Secschlangc der Doppelwäh rung bald ganz verschwinde. Die Regierung habe den Standpunkt der Münzgesetzgebung von 1871 nicht ver lassen. Er sehe der Pariser Münzkonferenz vertrauensvoll entgegen. Abg. v. Lenthe erklärt, er habe zwar seinerzelt für die Goldwährung gestimmt, sich in den damaugen Voraussetzungen aber geirrt; er sei jetzt Gegner der mo- nomctallischen Schule. Abg. Delbrück sieht nach der vorjährigen Erklärung des Bundcsraths, an den Grund lagen der jetzigen Münzpolitik fcsthalten zu wollen, cben- salls der Pariser Konferenz vertrauensvoll entgegen; er deduzirt unter einem längeren geschichtlichen Rückblick auf die Entwickelung des deutschen Münzwcscns d:e Noth- wcndigkeit, auf der von dem Reiche betretenen Bahn mit Umsicht und Energie weiter zu gehen. Staatssekretär Scholz erklärt, die verbündeten Regierungen hielten daran fest, von der gegebenen Basis der Münzreform nicht abzuweichen. Die Sistirung der Silbervcrkäufc habe keine bimetallistischc Tendenz. Der Reichskanzler sei per sönlich entschieden für die Aufrechterhaltung des Statuo gno. Die Müuzrcform werde nur im vollsten Einvernehmen mit dem Reichstage durchgesührt werden und die Pariser Münzkonfcrenz solle nicht ein Experiment bilden, wobei Einer gewinnen und Einer verlieren müsse, sondern sie 'bezwecke eine gemeinsame Verständigung gegen die Gesahrcn