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-» « Erscheint jeden Wochentag Abends ü Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2L Pj., v zweimonatlich I M. S0 Ps u. einmonatl. 7b Pf. Familien- und Volksleben mehr als so manche andere so genannte soziale Frage zusammenhängt, ja sogar durch die innigsten Bande damit verknüpft ist. Wenn Holtzcn- praktische Angelegenheit: um die sogenannte Brot- und Lebensfrage der Frauen, noch um eine rein theoretische Angelegenheit: eine Frage der Wissenschaft, eine Erörte rung der Gleichberechtigung der Frauen — cs handelt sich vielmehr um eine Frage, die mit un'crcm ganzen dorff meint, die Frauenfragc sei eigentlich nur eine Jung- frauensrage, so setze ich dem entgegen, daß diese Frage, wenn man sic näher prüft, eine viel größere Bedeutung hat, daß sic eine Kulturfrage ist, von deren richtiger Lösung das Wohl und Wehe des zukünftigen Geschlechtes abhängt. Diese Frage ist nicht nur eine Jungsraucn- frage, sie berührt auch nicht etwa bloß die Halste des Menschengeschlechts, sondern sie ist eine Frage der Mensch- 38. Jahr«»»,. Mittwoch, deu 16. Februar Frau Goldschmidt über die Fraueufrage. Ein sehr zahlreiches, vorwiegend aus Damen bestehendes Auditorium hatte sich am gestrigen dritten Vortragsabende des hiesigen handclswissenschaftlichen Vereins im Saale des „Bairischen Gartens" versammelt, um dem Vortrage der Frau vr. Goldschmidt aus Leipzig bcizuwohncn Im Interesse unserer geehrten Leserinnen, welche am Erscheinen behindert waren, geben wir im Nachstehenden den wesent lichen Inhalt des Vortrags wieder. Frau Dr. Goldschmidt begann: Der Aufforderung, das Thema: „Die Frauenfragc als Kulturfrage" zu behandeln, bin ich gern und bereitwillig nach- gckommen. Freilich kann ich in dem Rahmen eines Vortrages nur in Umrissen zeichnen, hoffe aber, daß es mir gelingen möge, Ihr Interesse für diese Frage wachzurufcn, damit Sie ergänzen und vervollständigen, was ich hier nur an- deutcn kann. Es handelt sich hier weder um eine rein Gist, welches so viel Familienglück zerstört. Außer dem Mädchen mit der Sehnsucht im Herzen giebt es noch andere Gestalten, sie sehen nicht bleich aus, so lange die Schminke dauert, man sieht an ihnen kein Elend, denn es wird verdeckt durch seidenes Gewand, aber sie werfen doch den dunkelsten Schatten aus unser Kulturleben. Wir dürfen uns nicht einfach abwenden von dieser schmachvoll sten Erscheinung; oft ist materielle Noth, ost schlechte Er ziehung die Ursache; ost geschah der erste Schritt in Folge der iiberreizten Phantasie, erzeugt durch die schlechte Ln- türe, durch Jsolirtheit, ja sclvst durch unsere Schaubühne. Giebt es in unserer gesammten Literatur ein Werk wie sic „Antigone", in welchem die Pflichten gegen die Leben sen und die Pietät gegen die Todten den Mittelpunkt »cs Interesses bildeten? Nur in seinem erhabensten Werke, »er „Iphigenie" hat Göthe einen ähnlichen, aber doch dem Alterthum entnommenen Stoff behandelt. Die gesammtc moderne Bühnenliteratur wird von den, erotischen Ele ment beherrscht. Ist cs nicht geboten, daß neben Kunst und Poesie die Ausbildung zu ernster Berufsarbeit bei dem jungen Mäd chen schon deshalb gepflegt werde, damit durch diese für jene Ueberreizung der Phantasie ein Gegengewicht geschaffen werde, ganz abgesehen von der Brotsrage? Nicht nist Unrecht wurde früher der übrigen Bildung des Mädchens keine "so große Bedeutung beigclegt, denn da nahmen die häuslichen Arbeiten die ganzen Kräfte in An spruch, sie waren eine ernste Lebensaufgabe; jetzt werden diese Arbeiten vielfach durch Maschinen gemacht und die geistige Ausbildung tritt nun mehr in den Vordergrund. So wie für die jungen Männer jetzt mehr gesorgt wird, daß deren intellektuelle Ausbildung größer sei als früher, so sollten ähnliche Bildungs- und Ünterrichtsanstaltcn allge mein von Staat und Gemeinde auch für junge Mädchen errichtet werden. Von der Uebcrzeugung beseelt, daß die Kulturverhätt- niffe, welche diese Frage erzeugten, diese Frage auch lösen müssen, unternahmen es eine Anzahl deutscher Frauen, einen Verein zu bilden. Der erste Schritt wurde als eine gewagte Emanzipationsbestrebung aufgefaßt; war es doch oas erste Mal, daß Frauen in öffentlicher Versamm lung nicht sangen, deklamirten, spielten, sondern sprachen und ernst sprachen. (Es folgt nun eine Darstellung des Entwicklungsganges der deutschen Fraucnvcrcine, welche sich aus kleinen Anfängen zu immer größerer Thätigkeit und Ausbreitung entwickelten und eine Ermahnung an die vermöglichcn Frauen, es als eine Pflicht zu erachten, die Bestrebungen dieser Vereine zu fördern.) Die Frauenfragc berührt es insbesondere auch, führt dann die Rednerin weiter aus, daß dahin gewirkt werde, jene Zweige der menschlichen Thätigkeit, in denen nament lich das mütterliche Element zu segensreicher Wirksamkeit sich entfalten könnte, so zum Beispiel ein Theil der städtischen Armenpflege, die Beaufsichtigung der weiblichen Sträflinge, Verwendung in Speise-Anstalten u. s. w-, den Frauen zu überlassen. Die alten Römer entlehnten das Bild vom Haus, um danach den Tempel zu formen; entlehnen wir auch das Bild vom Haus, um danach die Stellung der Frau in der Volksfamilic richtig zu bestimmen. Ist denn die Frauenfragc als Kulturfrage mit Rücksicht auf den Beruf im Hause als Mutter bereits in ihrer Bedeutung aner-- kannt? Nicht im Mindesten, und es ist sonderbar, daß, wenn von einem Beruf der Frauen die Rede ist, man gerade am allerwenigsten an den von Gott und Natur ihnen zuaewiesencn erzicherischcn Beruf denkt, so daß jene jungen Mädchen sich zur Erzieherin ausbildcn, welche selbständig, ohne Ehe, diesen Beruf auszuüben gedenken, während jene, welche mehr Aussicht auf Verhewathung haben, diese Vorbereitung auf den ihr naturgemäß ob liegenden Beruf für die erste grundlegende Erziehung des kommenden Geschlechts nicht für nöthig halten. Neben diesem in der Natur des Weibes als Mutter begrün detem Beruf zur Erziehung, welcher cs jedem Mädchen zur Pflicht machen sollte, sich auf dessen zweckentsprechende Ausübung vorzubcrcitc», ist allerdings der Beruf als Fachlehrerin nicht ausgeschlossen, ja es liegt darin nur eine Steigerung des ersteren. Um aber diesen, der ganzen Anlage der Frau so naheliegenden Berus in weiterem Maße austtben zu können, bcdars cs der Errichtung ent sprechender höherer Mädchenschulen, zunächst allgemeiner Institute für Volkscrzichung für die künftigen Mütter, hcit überhaupt. Der Begriff, welchen wir mit dem Worte „Frauen frage" in Deutschland ausdrückcn, war dem gebildeten Alterthum fremd und würde dem gebildeten Griechen oder Römer sehr schwer verständlich gewesen sein. Für die übcrmüthigc, stolze Tochter Roms, wie für die römische Frau und Mutter, die watrona, welche in dem Zusammen hang des römischen Volkes eine ganz andere Stellung cinnahm, als die moderne Frau, gab cs eine Frauenfragc, wenigstens in diesem Sinne, nicht. Die alten Kultur völker betrachteten die Frau nur in ihrem Zusammenhang mit dem Volksganzcn; die einzelne Person, losgelöst von diesem Zusammenhang, verlor die Würde ihres Menschen- thumS. Aus dieser Auffassung des Volksganzen erwuchs für die Männer die Verpflichtung gegenüber Volk und Staat, eine Familie zu gründen, und diese Verpflichtung war um so ernster, ie stärker das Volksbewußtsein war. Später, als Partcitreibcn dem einheitlichen Volksgcdanken Platz machte, begann auch sofort die Ehelosigkeit einzu reißen; die Stellung der Frau in ihrem Zusammenhang mit dem Volksganzcn wurde erschüttert. Allerdings war damals, als die Ehelosigkeit verpönt war, die Gattenwahl für beide Geschlechter sehr beschränkt. Heute ist das nicht mehr der Fall, heute soll die Ehe ein freies Bündniß der Liebe zweier Menschen sein- Es ist unbestreitbar, daß diese letztere Auffassung der Ehe idealer ist, als jene des Altcrthums, aber ebenso unbestreitbar ist, daß eine Frage von so prosaischem Charakter, wie cs die Frauen-Erwerbsfragc bei uns ist, dem Alterthum fremd war, fremd sein mußte. Einer unserer gelehrtesten Kultur historiker sagt zwar auch heute noch: das Mädchen gehört in die Familie, ihre Bestimmung ist, zu heirathen! Ist cs aber nicht geradezu die Sache auf den Kopf gestellt, dem Mädchen zu sagen: deine einzige Bestimmung ist, zu heirathen, dein einziger Wirkungskreis ist die Familie, wenn man dem jungen Manne die Freiheit giebt, in die Ehe einzutreten oder nicht? Von wem kann und soll die Entschließung zur Heirath ausgehen, als von dem Manne? Von dem letzteren Gesichtspunkte ausgehend, war auch im Alterthum der Diann verpflichtet zur Heirath, und Strafen zuweilen recht erniedrigender Art trafen den Mann, der sich dieser Verpflichtung entzog. Der Mor kamllias des alten Rom hatte auch nicht nur Verpflichtungen gegen die Familicnaliedcr, sondern auch gegen verwittwete Frauen und verwaiste Kinder und war als Familicnhaupt mit seinem allerdings etwas despotischen Charakter nicht mit Unrecht der bestimmende Mittelpunkt der Familie. Das ist anders geworden: der Mann ist nicht mehr m- Tageblatt Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg und Braud Verantwortlicher Redakteur Julius Brauu iu Freiberg. verpflichtet zur Heirath, auch der verheirathetc ist nicht mehr das Familicnhaupt für einen weiteren Familienkreis, sein Recht über die eigenen Kinder ist kein absolutes und erlischt ganz, sobald sie mündig geworden sind; und welcher Vater ist in der Lage, materiell seine eigenen Kinder zu versorgen? In diesen Verhältnissen liegt der Keim zu der Fraucnsrage als Kultur- und Brotfrage. Hat man prinzipiell zugegeben, daß dem Einzelnen über lassen bleibe, eine Familie zu gründen oder nicht, so ist damit die feste Basts für die Existenz des Weibes inner halb der Familie zerstört. Das Aufhörcn einer gesetz lichen Verpflichtung zur Heirath für den Mann hat schon im Mittelalter seine Folgen in der schroffsten Weise geltend gemacht. Der Satz: Heirathen ist gut, nicht heirathen ist besser — wurde buchstäblich befolgt und die Ehelosigkeit nahm derart überhand, daß sie noch andere als volks- wirthschaftliche Uebel mit sich brachte. Aber das Mittel alter war wenigstens konsequent; indem cs die Ehe nicht als nothwendig erklärte, schuf es Klöster für beide Ge schlechter, in welchen sic auch außer der Familie eine Existenz fanden. Weder das Alterthum noch das Mittel- alter beging die Inkonsequenz, welche unsere Zeit noch auszeichnet, indem cs dem Mann srcistellt, ledig zu bleiben, dem Mädchen aber sagt: Deine Bestimmung ist, zu hci- rathen. Man muß gestehen, daß man auch an das Mädchen nicht niit einem Zwang herantritt; auch das Mädchen hat das Recht, chelos zu bleiben, hat das Recht der freien Wahl. Man sagt, die moderne Zeit hat das Recht des Herzens im Prinzipc anerkannt. Aber vielleicht keine einzige noch so weit gehende Forderung nach Emanzipation der Frauen ist in den Folgen, welche man thcilwcifc davon befürchtet, mit den Gefahren zu ver gleichen, welche aus dem jetzigen Zustande für die gesell schaftlichen und staatlichen Verhältnisfe erwachsen. Wo diese freie Wahl unmöglich ist, wo die rechte Wahl des Herzens nicht gefunden, wo das Herz getäuscht worden, wo das Mädchen unbemerkt geblieben — welch ein Gemüthszustand ist die Folge! Decken wir den Schleier über die Oedc und Trostlosigkeit des verlassenen Herzens, über den Zustand der Verbitterung, welcher nach jahrelangem vergeblichen Harren das einsame Mädchen erfaßt und welcher nicht so harmlos ist, als er erscheint, denn ein solcher Zustand entwickelt nicht die edleren Triebe. In dem Alter von 15, höchstens 16 Jahren, wo an den jungen Mann die ernste Berufsarbeit hcrantritt, beginnt für das Mädchen die Vorbereitung für die Haushaltung. Da in unserer Zeit in Folge der Fortschritte der Jndustnc viele sonst gewöhnliche Arbeiten im Hause nicht mehr vorgcnommen werden, so wird jetzt auf den Schmuck des Hauses und der Person viel Zeit verwendet und dies fälschlich als zur Führung des Haushaltes gehörig be zeichnet. Das geistige Leben aber, welches auch seine Be- fnedigung verlangt, sucht und findet Nahrung in unzäh- igen guten und schlechten Romanen, welche unsere Tages- litcratur in Fülle bietet, sucht und findet eine Art von Zerstreuung in geselligen Vergnügen, auch in Kunst- Übungen, die aber' mehr der Eitelkeit dienen, als das Ge- müth befriedigen. Wie jedes Licht seinen Schatten wirst, so wirft auch das Licht unserer Kultur seinen Schatten, der vcrhängniß- voll für das weibliche wie für das männliche Geschlecht werden kann. Aber während der junge Mann in seinen ernsten Berufsarbeiten und in seinen Studien Anregung erhält, verzehrt sich das Herz des jungen Mädchens in müßiger Sehnsucht oder in dem Gefühle der Enttäuschung und oarunter leidet die Gesundheit von Seele und Leib. Wie leicht findet sich der Man» zurecht, wenn der Jugcnd- traum nicht in Erfüllung geht, wie schwer das einsame Mädchen. Und wie viele sind ihrer! Ein Blick in die statistischen Zusammenstellungen zeigt es uns. Fast die Hälfte der heirathsfähigen Mädchen sind unverhcirathet. Dieser Schatten unserer Kulturverhältnisse wird noch trüber, wenn man die Zahl der Wittwen und Waisen betrachtet; die moderne Kultur verbraucht viel männliche Arbeitskraft und so ist das Sterblichkeitsvcrhältniß ein solches, daß die Zahl der Wittwen doppelt so groß ist, als jene der Wittwer. Und wenn wir den gewissenhaft prüfenden Blick auf unsere Kulturzustände richten, dürfen wir auch die un heimlichen Gestalten nicht übersehen, deren gespenstisches Dasein nicht wegzuleugnen ist. Es ist Pflicht, diesen wundesten Punkt zu berühren, dieses heimlich wirkende i men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeil« I 1 oder deren Raum 1b Pfäinige.