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2. Beilage zu Nr. 56. MjjlMlM NlMVIlM IINÜ WlllÜtUINItllkt .^IllklM Sonntag, d 7. März 1926 > > '. ,.W ' ' > Die Kunst des Hungerns. Noch gar nicht allzu lange ist es her, daß das Hungern jur vaterländischen Pflicht wurde, weil man uns von der «usfuhr abgeschnitten hatte und wir „durchhalten" mutz ten. Da Haven selbst recht „materialistisch" veranlagte Ee- «üter aus der Not eine Tugend gemacht und von Tag zu Tag den Schmachtriemen enger geschnürt. Nun, da diese ichlimme Zeit schon etliche Jahre hinter uns liegt und wir die gewöhnlich auch sie verhältnismäßig schnell vergessen ^aben, ist das Hungern gewissermaßen eine Modetorheit geworden und sehr populär, wie etwa das Boxen und das Zimmytanzen. Nach natürlichen Gesetzen kann ein Mensch !twa 12 Tage ohne Nahrung leben, wobei eingeschränkt «erden muß, daß er natürlich Wasser zu sich nehmen mutz, >urch das auch winzige Bestandteile von Nahrungswerten lein Körper zugeführt werden. Die meisten Vögel können !aum 8—9 Tage ohne Nahrung zubringen. Hunde vertra- jen ein Hungerperiode von etwa 20 Tagen. Dann be sinnen bereits die „Hungerkünstler" der Tierwelt. Die jrösche können 360 Tage. Schildkröten 500 Tage, Schlangen Ho Tage und, Fische sogar 1000 Tage hungern. Was nm die hohe Kunst des Hungerns anbetrifft, so gibt is zur Zeit in Deutschland und in Frankreich, wc >ie eigentliche „Hungerkur" neben der verfeinerten !ßkunst gleichermaßen klassisch und zuhause ist, zahl- leiche Vertreter, die gegenseitig auf „Rekord" und M die Wette hungern. In Frankreich lebt noch der Viekann ein ßuMMM ««» berühmteste aller Hungerkünstler, den man auch vor Jahr- jehnten in Deutschland bei seiner eigenartigen „Kunst" be obachten konnte, Succi. Dieser heute 65jährige älteste Ver treter der Hungerkünstlerzunft gewann beim ersten großen Uetthungern in Paris den ersten Preis in Höhe von ?5 000 Franken, indem er 26 Tage hungerte. .Heute gehl «Nan an die Hungerrekorde mit sportlichen Systemen heran. Zum Hungern gehört danach zunächst ein regelrechtes Trai ning. So vorbereitet steigt der Hungerkünstler moderne? Zeit in den versiegelten Glaskasten, wo er mit Zigaretten, rauchen und Radiohören seine Zeit verbringt. So hielt ini Zanuar d. I. in Cassel der Hungerkünstler Kernhof mit 3Z Tagen im plombierten Elashause den Rekord seiner Kunst. Echon ist ihm aber ein neuer Vertreter seiner Zunft Mrl aus den Versen. In Berlin hungert zur Zeit der Künstler ^olly. ein 24 Jahre alter angeblicher Student der Medizin, der allerdings in den 41 Tagen, die er „durchzuhalten" be- anchtigt, 300 Flaschen Selterwasser und 5000 Zigaretten zr verbrauchen beabsichtigt. Einen besonderen „Reiz" hat vi< Hungeret — wenigstens für die in Scharen hinzuitrömew den Zuschauer — dadurch, daß sie in einem iür sein gutes und — reichliches Esten bekannten Restaurant vor sich geht Das Hungern regt zum Appetit an. Um den armen Kllnst ler hierdurch nicht zu sehr zur irritieren, ist an der einet Wand des Glaskastens ein großes Schild angebracht: „Man bittet das verehrliche Publikum, in Gegenwart der Hungerkünstlers keine Speisen zu sich zu nehmen!" Das das Hungern letzten Endes iür den „Künstler dafür da ist daß er — so paradox das klingen mag — zu essen hat dürfte jedem klar sein. Auch die Hungerkunst geht eber nach — Brot. Eine hübsche Summe bildet meist die „Gage' für diese eigenartigen Künstler. 60 000 Mark sollen Meistei Jolly beispielsweise sicher jein. Also: Wir wünschen woh zu — hungern! dl. k. Anüberbrückbare Gegensätze? In einer Denkschrift, welche die sogenannten „Freien Gewerkschaften" (d. s. sozialdemokratisch-kommunistische Arbeitnehmerverbände) vor kurzem veröffentlicht haben, steht ein Satz, der uns an einem Ausgleich der Interessen im deutschen Volk verzweifeln lasten würde, — wenn er wahr wäre. Er lautet: „In der Lohnsrage bestehen un überbrückbare Gegensätze zwischen Unternehmertum und Gewerkschaften." Das kann nur bedeuten, daß der Kampf zwischen den beiden großen sozialen Gruppen, der „Klassen- kampf", eine Art Naturnotwendigkeit sei, der sich niemand entziehen könne. Wenn allerdings die Arbeitnehmer schaft sich auf den Standpunkt stellt, den die Denkschrift weiter einnimmt, so kann es keine Verständigung zwischen Unternehmern und Arbeitern geben. Tie Denkschrift er klärt nämlich weiter, daß die sozialdemokratisch-kommu nistischen Gewerkschaften die Lebensberechtigung nur solche? Betriebe anerkennen, die auf Grund ihrer Rentabilitä einen ausreichenden Lohn zu zahlen in der Lage und bereit sind. Daß das Streben aller an der Wirtschaftsführung Beteiligten darauf gerichtet sein muß, den beschäftigter Arbeitern und Angestellten einen auskömmlichen Lohn zr zahlen, ist selbstverständlich. Immerhin steht nicht ein deutig fest, was denn ein auskömmlicher Lohn ist Gesetzt nun den Fall, ein durch die Inflation geschwächtes uni von der jüngsten Kapital- und Absatzkrtse stark mit genommenes -Unternehmen kann seinen Angestellten unl Arbeitern noch nicht gleich den „auskömmlichen Lohn' zahlen; soll das Unternehmen dann einfach stillgelegt werden? Und soll dann dem betreffenden Unternehme? und der Belegschaft verwehrt fein, sich so zu einigen, das zunächst ein niedrigeres Lohnniveau beibehalten und erst später bei weiterer Kräftigung des Unternehmens de? „auskömmliche Lohn" gewährt wird? Das würde be deuten, daß die praktische Notgemeinschaft, ohne weicht das deutsche Volk nicht wieder zu Macht und Ehrer kommen kann, verboten sein solll Wollte man alle Be triebe stillegen, die nicht sofort „auskömmliche Löhne' zahlen können, so würde das bedeuten, daß die beängsti genden Zahlen der Konkurse und der Eeschäftsstillegunaen der letzten Monate noch überboten werden würden. Die Zahl der Erwerbslosen würde dann so hoch steigen, daß keine Möglichkeit mehr besteht, alle Unterstützunasbedürf- tigen auch nur einigermaßen zu unterhalten. Denn die immer mehr einschrumpfende Zahl der noch arbeitenden Unternehmer müßte außer allen eigenen Produktions unkosten auch noch die steigenden Summen für die Erwerbs- losennnterstützunq sbzw. Arbeitslosenversicherung) Heraus wirtschaften, Würde es . den. radikalen Eewerkschafts- fäkri-rn aelinaen. die denttche Arbeitnehmerschaft zu ihrer aefährlichen Lobnvolitik m bekehren, so wäre die Folge, da» auch noch die mailiche und rentierende Produktion durch Streiks und Aussperrungen verringert und das Elend dadurch vergrößert würde Der Gegensatz zwischen den Lohnfordernden und den Lohnbewilligenden muß überbrückt werden, wenn wir nicht jede Hoffnung auf baldigen wirtschaftlichen und staatlichen Wiederaufstieg verlieren wollen. Da-u ist durchaus nicht notwendig, daß sich die beiden großen Parteien — Arbeitgeber und Arbeit nehmer — gerührt in die Atme sinken und sich in feier licher Weise verbrüdern. Vielmehr genügt die Einsicht aus beiden Seiten, daß ohne Ileberbrückung der Gegensätze in der Praxis beide Teile schweren Schaden leiden. von Schusters Rappen,klugen Leuten und reichen Bauern. Der Erzähler mischt sich nicht gern in anderer Leute Gespräche, auch nicht als Horcher. Verwichen hat er es aber doch einmal getan und er will dem geneigten Leser auch sagen, warum. Wie er neulich einmal wieder in der Elektrischen sitzt — für gewöhnlich macht er ja seine Wege immer auf Schusters Rappen, aber er Hatje diesmal 30 Mark Honorar erhalten — da hörte er, wie zwei Herren, sie ihm gegenüber saßen, sich von der „Grünen Woche" unterhalten, die just damals in Berlin war. Und die Herren meinten, es könne doch gar nicht so schlecht stehen am die Landwirtschaft, wenn die Landwirte jetzt alle in Berlin herumschwirrten, alle Lokale besuchten und massen- jaft Geld ausgeben täten. „I wo", meint der andere, „die un nur alle jo pover, Geld haben sie genug und einge sichtet sind sie oft mit Kronleuchtern daheim, Pianos, hohen Zpiegeln und teuren, feinen Teppichen, ihr bißchen Arbeit rentiert sich schauderhaft." Da hat sich der Erzähler nimmer »alten können und gesagt: „Mit Gunst, ihr Herren, was ihr >a sagt, ist Unsinn! Denn in Wahrheit gibt es keinen Ztand, der so hart um seine Existenz ringen muß, wie der >er Landwirte, ob sie nun große oder kleine sind- Es ist -ine Tatsache, daß die Landwirtschaft fast überall mit !5 Prozent Schaden arbeitet. Es ist die Konkurrenz des luslandes, die den Bauern ruiniert. Sind doch allein an bartenerzeugnisten im Jahre 1925 für 570 Millionen Nark bei uns eingeführt, und das bei einer Bevölkerung wn 60 Millionen, als wir 1913 noch 70 Millionen im lleiche zählten, waren es nur 310 Millionen, die für diese Einfuhr ausgegeben wurden. Aber es gibt bei uns :a leider noch so viele — zu viele — Leute, die für Vas Ausländische schwärmen. Da muß italienisches Obst her, «isländisches Gemüse, Maltakartoffeln, französische Weine and wie das Zeug alles heißt, denn das ist teurer — also muß es bester sein, denken die Trottel. Und dabei könnte sie deutsche Landwirtschaft, wenn sie nur kräftig unter stützt würde, wenn ihr nicht immerfort Knüppel zwischen die Beine geworfen würden, wenn Hauszins-, Umsatz-, Grundvermögenssteuer und wie das Teufelszeug alles heißt, nicht so hoch wären und wenn vor allem ihr mit den Schutz zöllen bester unter die Arme gegriffen würde, ganz gut unseren Bedarf allein decken und ihr sowohl wie uns wäre geholfen. Hauptsächlich aber müßte der Deutsche sich ge wöhnen, nur deutsche Erzeugnisse zu kaufen und zu ver wenden — und das gilt natürlich nicht für landwirtschaft liche allein." So hat der Erzähler mit den beiden klugen Menschen geredet, ob sie's begriffen haben, weiß er nicht, der geneigte Leser aber wixd's hoffentlich verstanden haben und damit Gott befohlen. Dresdner Brief. —e. Dresden, am 4. März 1926. Laue Lüste erinnern daran: der Frühling naht. Und schon werden allenthalben für den kommenden Sommer Neisepläne geschmiedet. Dresden wird auch in diesem Jahre das Ziel vieler sein. Man ist eben in Dresden Inimer auf dem Posten, um Besucher anzuziehen, den Fremdenverkehr zu heben. Wir haben einen ungemein liihrigen Verkehrsverein. In einer seiner letzten Sitzungen Knüpfte man an die Frage, wie am besten für Dresden zu derben sei, die andere, was Dresden seinen Fremden biete. Da wurde freilich gesagt, unsere Stadt lebe jetzt Hm Teil nur noch von dem Ruhm früherer Jahre, und für die Fremden sei in den letzten Jahren nicht viel getan Korden. Man enibehre hier die Großzügigkeit der Groß- s'adt, es fehle das pulsierende großstädtische Leben. In bezug auf gesellschaftliche Veranstaltungen und 'Unter haltung, ferner auf die Ausdehnung und Ausstattung der Hotels könne Dresden mit andern internationalen Groß- uädten nicht verglichen werden. Die Oper stehe nicht mehr °uf ihrer alten Höhe. Zwanzig Künstlern mit einem Etat von 400000 Mark solle gekündigt werden. Gewiß, in Mancher Hinsicht vermissen wir das Leben anderer inler- bationaler Großstädte. Aber eine solche will und soll ja Lesben gar nicht sein, denn das würde Dresdens guten -ms als vornehme und geruhige Großstadt schaden. Gerade ?*se Vorzüge haben Dresden besonders im Ausland und allen besseren Kreisen als Fremdenstadt beliebt ge- Mcht. Nicht ganz ohne Berechtigung Ist aber auch die Forderung des internationalen Varietö^heater-Direk- oren Perbandes auf Verlängerung der Polizeistunde. Das M aber nicht nur für Dresden. Das ist klar und erwiesen, ! > wie die Dinge heute liegen, ist der 1 Uhr-Schluß, an man im Reichsinnenministerium angesichts der wirt- ^Rllichen Lage glaubt festhalten zu müssen, nur eine v kiion. Denkt das ist bekannte Tatsache, daß diese behörd- He Maßnahme ständig sabotiert wird durch unsolide stiebe, die sich um den 1 Uhr-Schluß herzlich wenig kümmern. Den Schaden haben natürlicherweise die reellen Unternehmer. Doch, das ist nicht nur für Dresden, sondern für alle Großstädte und auch für manche belebte Mittel stadt eikie brennende Frage. Aber die Lage in Dresden ist noch in anderer Hinsicht ungünstig, da die hiesigen Be triebe höhere Lasten zu tragen haben als in den meisten anderen Städten, ebenso haben sich hier in der Frage der Tanzfreiheit noch nicht die Erleichterungen durchgesetzt, wie man sie z. B. den Berliner Direktoren gewährt hat. Den Vorwürfen in der Opeifrage ist entgegenzuhalten, daß unsre Staatstheater (Oper und Schauspielhaus) in erster Linie Kulturtheater und nicht Erwerbsbetriebe siyd. Ver ständlich ist auch, daß sie einiges von ihrem alten Ruhme eingebüßt haben, da sie nicht mehr unter dem Glanze des -Hofes stehen. Doch die Wirtschaftslage der Theater ist ja überall mißlich; ob freilich die angewandte Sparsamkeit am richtigen Orte ist, das ist eine andere Frage. Jedenfalls kann gesagt werden: Dresden versucht alles, um als Großstadt zu bestehen. Und daß der Frem denzuzug, trotzdem das Leben hler ruhiger ist, zunimmt, das zeigen die Statistiken. Im Jahre 1925 sind in Dres den polizeilich 430,190 Fremde ongemeldet worden. Daß dazu noch eine große Zahl nichtangemeldeter Fremden kommt, die in Privatquartieren wohnen, ist bekannt, spielt aber kaum eine erhebliche Rolle. Stellen wir nämlich neben diesen Zahlen die von 1909, wo 380,681 und von 1910, wo 388,005 Fremde angemeldet waren, so ergibt sich gegenüber der Vorkriegszeit für 1925 ein Zuwachs von 40,000 bis 50,000 Fremden. Also kann man mit Recht sagen, daß der Fremdenstrom nach Dresden stark im Wachsen ist, trotzdem ihm die Großzügigkeit gewisser Welt städte fehlt Interessant aus der Statistik ist ferner noch, daß wie vor dem Kriege Juni, Juli, August und Septem ber die fremdenreichstenMonate gewesen sind, ferner, daß die Inländer mit 391,529 zehnmal soviel Fremde stellen als die Ausländer mit 38,671, endlich aber auch, daß die männlichen Fremden mit 260,775 die weiblichen mit 107,318 um mehr als das Doppelte überragen. In maßgebenden Kreisen erwartet man für W26 einen noch viel stärkeren Fremdenzustrom. Anläßlich der Garten bau-Jubiläums Ausstellung (Jahresschau deutscher Ar beit), die am 23. April eröffnet und eine Fülle von Schönheiten und Sehenswürdigkeiten bringen wird, sind hier viele Kongresse und Tagungen angesagt. Wir wir ferner erfahren, sind besonders viele Gesellschaftsreisen aus Amerika in Dresden angemeldet, so z. B. der Newyorker Gesangverein „Arion«, der Brooklyner Sängerbund, der amerikanische Apothekerverband, dann auch amerikanische Studenten, der Sängerbund aus Williamsburg, eine Ge sellschaft mexikanischer Kaufleute und eine solche amerika nischer Kegler. , Im Vordergründe aller Geschehnisse sportlicher Natur aber wird das Bundesf'est des Bundes deutscher Radfahrer vom 6 bis 11. August stehen, ähnlich wie im Vorjahre das Sächs. Sängerbundesfest. Man erwartet weit über 100,000 Bundes-Radfahrer. Und unsere schöne Landes hauptstadt rüstet schon, um ihnen die Dresdner Tage un vergessen zu machen. Es ist längst bekannt, daß Dresden, die Stadt des deutschen Barock, die Stadt der Blumen, von jeher dem deutschen Sport eine, besondere Pflege zu teil werden ließ und gerade die Radfahrer werden ihren Bundesbrüdern hiervon Lobenswertes genug berichten können. Für sie wurden eigene Radfahrwege in dem schönen Großen Gar ten Dresdens geschaffen, für sie auch eigene Fahrbahnen im reichsten Ausmaße innerhalb der Stadt angelegt. Kaum anderswo wird nicht nur sportlich, sondern auch beruflich so viel gefahren, als gerade in Dresden, daß infolge der vielen Vororte geradezu angewiesen ist auf gute Radfahr strecken. Tausende von Berufstätigen bewegen sich zu und von ihrer Arbeitsstätte aus Rädern durch die gepriesenen Grünanlagen unserer schönen Stadt. Haben wir so einen kleinen Ausblick auf Dresdens Fremdenverkehr gegeben, so müssen wir auch offen sagen, daß Dresden ganz wesentlich auf ihn angewiesen ist. Nicht nur Fremdenhöfe und Pensionsinhaber, sondern auch viele Geschäftsinhaber, Handwerker und Lieferanten sind davon abhängig, daß Dresden Fremdenftadt ist und auch bleiben soll.