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Leipzig, 5. Juli, Nuchm. 8 Uhr. vonmSfichtliche Wittenmg für Dienstag, 8. AUi: VerSuderlich, Temperatur wenig veräudert, zeitweise Niederschliige. A»Matt für die kölliglichm Md stiidtischm Behörden zn Freiberg nud Brand Bermüwortlicher Siedakte« 2»tt»S Srau» tu Freiberg. In Vertretung: Trust Mauckisch. 154. Erscheint jeden WochaNw andern Tag. Preis vierte zweimonatlich 1N. bSi i «bend« S Uhr für den ljährltch 2 Mark 25 Pf., if. u. einmonatl. 75 Pf. SS. I«hr,«, Dienstag, dm ö. Juli Inserate werden bi« Bormittag« 11 Uhr angenom- men und beträgt der Brei« für die gespaltene Zelle ad« deren Rama 1b Pfamige. 1880. Abonuemeuts «us bett«n«l für die Mouate IM, August «ud September werde« von sSmmtltcheu Postaustalteu wie vo« der ««terzeichueteu Expeditiou ««d de« dekauuteu Aus gabestellen in Freiberg, Braud, Laugeuau, Halsbrücke u»d LaugheuuerSdorf zum Preise bau 2 Ml. 25 Ps. angenommen. LxpsäMon äss „frvidvrgvr ^nrsigvr» unä IsgsdluN". Neisebriefe. Vom Pastor G. Richter in Krummenhennersdorf. VI. (Schlug.) Heute zum Sonntag (27. Juni) wollte ich gern dem Gottesdienst in Heringsdorf beiwohnen. Dies Dorf hat eine sehr schöne, meist aus Spenden der Badegäste erbaute Kirche und ist Filial von Benz (2 Stunden entfernt). Im Winter kommt der Pfarrer aller 14 Tage Nachmittags 2 Uhr dahin, im Sommer allsonntäzlich um 12 Uhr. Um ganz sicher zu gehn, hatte ich mich heute früh in Herings dorf selbst erkundigt, zu welcher Stunde der Gottesdienst beginne, und das eben Erwähnte erfahren. Als ich aber um 12 Uhr wieder dahin ging, standen wohl vor der Kirche einige Wartende, aber die Thüren blieben beharrlich verschlossen; endlich erfuhr ich von einem Einheimischen, daß unter Sommer nur Juli und August zu verstehen sei; es sei heute früh 10 Uhr Lesegottesdienst gewesen, nun folge weiter nichts. Auf diese Weise bin ich heute seit 18 Jahren zum ersten Mal, einige sehr seltne Krankheitsfälle abgerechnet, des Sonntags nicht in der Kirche gewesen. Gegen Abend fuhr mich mein braver Fischer mit Segel boot 1 Meile in die offne See hinaus. Es wehte eine „frische Prise", so daß unser Boot pfeilschnell dahinflog. Wir fuhren bis an die „klingende Tonne." Diese ist ein weißangestrichnes, verankertes, schwimmendes Thürmchen von Eisen, worauf eine Glocke hängt, an welche bei jeder Wellenbewegung 2 schwebende Hammer schlagen. Der Zweck ist, bei Nebel den Schiffen ein Merkmal, wo sie sich befinden, zu geben. Die Bootfahrt war wundervoll, obwohl das Boot sich mitunter hoch aufbäumte und der Wellen- schaum uns übersprühte. Daß eS heute zum Siebenschläfer nicht geregnet hat, erregt hier große Freude. Man hofft, daß es nun recht warm werden und daß die Sonnengluth die Berliner in die Seebäder treiben würde. Die Zahl der Badegäste ist ja hier eine Lebensfrage; drum freut man sich auch, viel leicht ebenso sehr wie ein Schüler, auf Beginn der Schul ferien, welche die meisten Gäste bringen. — Den 2. Juli 1880. Abermals habe ich eine herrliche Tour gemacht. Am Montag Nachmittag 5 Uhr fuhr ich von Heringsdorf aus mit Boot (5 Minuten lang) an den Raddampfer Prinzeß Royal Victoria, welcher nach der Insel Rügen ging. Die See war ruhig, so lange das Land vor dem Winde etwas schützte; aus hoher See da gegen ward das Schaukeln des Schiffes sehr bemerkbar; man mußte sich fortgreifen, wenn man seinen Platz ver ändern wollte ; von den mttfahrenden 7 Damen wurden 6 ein Opfer der Seekrankheit ; ich blieb, ebenso auch auf der Rückfahrt, davon verschont. Einige Regenschauer trieben uns unter das Zelt, doch nie auf lange. Zu sehn gab es immer etwas: vorüberfahrende Schiffe, fischende Boote; an einer Stelle ragten 2 Masten aus der See hervor ; dort war ein kleineres Schiff, von Rügen mit Steinen beladen kommend, von einem Dampfer übersegelt worden und sofort untergegangen; die Mannschaft, nur aus 2 Personen bestehend, war gerettet worden; aber der Eigenthümer hatte sein Schiff im Werth von 12000 Mk., sein ganzes Vermögen, verloren; er hatte nicht versichert und der Dampfer war straffrei gesprochen worden. — Nay zweistündiger Fahrt trat die Insel Oie in den Ge sichtskreis; sie ist sehr klein, hat vielleicht nur»/« Stunde im Umfang, guten Weizenboden, trägt einen Leuchtthurm, 2 Windmühlen, 3 Bauernhöfe und etliche Fischerhütten. Da die Uferwände sehr schroff zur See abfallen und große Felsblöcke aus dem Wasser hervorragen, einen Wall bildend, so hat das Landen seine große Schwierigkeit. Bis vor Kurzem, so ward erzählt, hätten die Bewohner vollständig von der Welt abgeschlossen gelebt, nie habe ein Fremder sich verheirathen dürfen; noch jetzt trügen die Bewohner eine seltsame Kleidung und sprächen einen eigenthümlichen Dialekt. Als Kuriosum ward erzählt: Länger als 100 Jahre habe kein Bettler die Insel vetreten, auch die ältesten Einwohner hätten noch nie einen gesehn gehabt; da sei einmal im Winter ein fechtender Handwerksbursche über das Eis auf die Insel gekommen und dies seltene Ereigniß habe man durch Festlichkeiten dem Gaste zu Ehren gefeiert. Neuerdings hat man durch 2 Molen einen kleinen Roth- hafen für Boote und kleinere Schiffe geschaffen; da werden sich die Eigenthümlichkeiten von Oie wohl bald verlieren. Nunmehr treten auch die Ufer von Rügen hervor; aber wir hatten noch 2 Stunden zu fahren, da der Dampfer bei Saßnitz landen sollte und dieses Seebad in einer weiten Bucht liegt. Näher und näher kamen wir; schon sah man das Jagdschloß, in weiter Ferne den Leuchtthurm von Arcona, dazwischen die Kreidefelsen und endlich auch die weißen Häuser von Saßnitz. Da ein größeres Schiff nicht bis an das Ufer heran kann, so wurden die Passagiere in Booten abgeholt, 2 Bootsleute rudern. In meinem Boot saß noch ein liebenswürdiges Pärchen. Während der Fahrt ward das Bootsgeld (20 Pf.) verlangt; als ich mein Portemonnaie öffnete, kam ein Windstoß und entführte mir daraus mein Retourbillet, welches 8 Mark zu bedeuten hatte. Ehe es mir noch gelang, mein verdutztes Gesicht in ein lachendes zu verwandeln, hatte der freundliche Herr gerufen: „Boot wenden;" das geschah in Schnelligkeit, aber bereits sah man das schwimmende Billet nicht mehr. Der Herr kommandirte weiter: „Zurück zum Schiff." Auch das geschah. Ich meldete meinen Unfall dem Billeteur, aber trotz meiner Zeugen bekam ich kein neues Billet, sondern eine volle Ladung von Grobheiten, so daß wir sehr schnell wieder abstteßen. Ein und dasselbe Hüte! „Zum Fahrenberg" nahm uns auf; die Lage ist reizend mit weiter Aussicht auf die See; die Preise sind mäßig. Mir schien meine Reisegesellschaft wegen der Jugend und der zärtlichen Blicke und der besorgtesten Aufmerksamkeit für einander ein Ehe paar zu sein, welches seine Hochzeitsreise machte; aber es ward mir die Versicherung, daß sie schon 9 Jahre ver- heirathet seien. Da konnte man sich ein rechtes Muster nehmen. — Der junge Man» begleitete mich am andern Morgen noch einmal an den Dampfer, ehe derselbe abfuhr; und diesmal gelang es nach längerer Verhandlung, ich bekam ein neues Billet, aber auch sehr scharfe Ermahnungen, die ich mit nachahmenSwerther Bescheidenheit aufnahm; die eine habe ich auswendig gelernt: „Wenn man einmal ein Billet gelöst hat, dann darf man es unter keiner Bedingung verlieren." — Hierauf bestieg ich den Fahrenberg, von welcher Anhöhe aus man einen sehr hübschen Blick auf Saßnitz und die See, und, wenn man sich umdreht, auf Berge und Schluchten, mit Buchen bewachsen, hat. Die Tour ist vom Hotel aus in einer halben Stunde hin und zurück ausgeführt. Länger und weit beschwerlicher war die Tour, welche ich nunmehr antrat. Auf dem soge nannten Waldweg wanderte ich nach Stubbenkammer, immer in herrlicher Buchenwaldung mit schönem grünen Untergrund (namentlich Waldmeister, Leberblümchen und Epheu). Wenn das Seewasser am Ufer Wein wäre und die Kreidefelsen wären Zucker, und man würfe den Wald meister, den man stellenweise gleich abstcheln kann, herein: das müßte eine herrliche Maibowle geben. Der Weg ist darum so beschwerlich, weil er beständig steil auf, steil ab geht; wohl 15 Mal in drei Stunden hat man diesen Wechsel; der Weg ist darum so schön, weil er immer an der See hinführt, meist ziemlich hoch über derselben. Ich brauchte vier Stunden und bin auf dieser ganzen Strecke nicht einem einzigen Menschen begegnet. Wer, wie ich, dazu neigt, Schwindel zu empfinden, der wird öfters etwas mehr Land zwischen sich und den Abgrund zu bringen suchen, als der Weg bietet. Nach einstündiger Wanderung gelangt man zur Restauration „Waldhall e", einer lieb lichen Waldeinsamkeit unter mächtigen Buchen (mit Theer- ringen gegen Raupenfraß); man thut wohl, sich hier für die weitere Wanderung zu stärken. Unmittelbar daneben find die „Wissower Klinken", pfeilerartige Kreidefelsen, welche mir ganz besonders gefallen haben. Eigentlich hatte ich mir Kreidefelsen weißer vorgestellt ; sie sehen ziemlich gelblich aus. Einmal, am „Kolliker Bach", muß man tief herunter bis an den Strand, welcher mit runden Feuersteinen vollständig bedeckt ist; dieselben haben meist einen kreidigen Ueberzug. Der nächste reizende Punkt ist die kleine Stubbenkammer mit der Viktoria- und Wil helm I. - Sicht. Endlich erreicht man die große Stub benkammer, so heißt eine steil aus der See aufsteigende Kreidewand, 128 Meter hoch ; die oberste Spitze wird der Königsstuhl genannt; wer schwtndlich ist, wird keine Neigung haben, sich darauf zu setzen. Eine gute Restau ration bietet Gelegenheit, auszuruhen; ab und zu wird man ja immer wieder au den ganz nahen Aussichtspunkt heran- treten. Den Rückweg legte ich auf der Fahrstraße zy Wagen zurück, dabei den Herthasee besuchend. Dieser' entsprach meinen Erwartungen nicht; er ist nur ein großer' Teich mit vielen weißen Teichrosen ; am Ufer tpachse« un zählige Vergißmeinnicht. Seine tiefdunkle FäMng bÜH mir verborgen; das Wasser war so weißhell, wie in andern Teichen. Interessant find mehrere große Steinblöcke, welche heidnische Opferaltäre gewesen sein sollen. — Gegen Abend machte ich einen Spaziergang, um Saßnitz genauer kennen zu lernen. Dieses ist ein feineres Seebad, liegt sehr hübsch am Strand lehnan; die äußersten Häuser stehen bereits am Anfang des Waldes. Die Häuser haben ein sehr freund liches Aussehen, meist ist ein Rosengarten davor. Herings dorf erscheint mir aber doch viel schöner. Auffallend war mir, daß man nichts von einem Brausen der See vernahm; an den großen Steinen und Kieseln müßte sie eigentlich mächtig branden. Noch auffallender war mir die vollstän dig grasgrüne Färbung der See an jenem Abend und am andern Morgen. Früh '/»7 Uhr (Mittwoch) trat ich die Rückreise auf dem Raddampfer Misdroy an; das Wetter war herrlich, die See glitzerte im Sonnenschein bald wie Gold, bald wie Silber. Dteßmal kamen wir ganz nahe an den beiden vor Saßnitz ankernden Kriegsbriggs vorüber, auf welchen Seekadetten und Schiffsjungen ausgebildet werden; die Verdecke waren sehr belebt; auf dem einen schien große Wäsche gewesen zu sein, eine Menge Stücke waren zum Trocknen aufgehängt. Einige der jungen Leute hatten Schwimmstunde. Da der Wind sehr günstig war, dauerte die Fahrt bis Heringsdorf nur drei Stunden. Den ganzen Tag über, namentlich wenn ich saß, blieb mir das Gefühl, als ob der Boden hin- und herschwanke. Donnerstag Mittag trat ich meine Heimreise an, indem ich von Swtnemünde nach Berlin mit der Bahn fuhr; auf diese Weise lernte ich noch einen andern Theil der Insel Usedom kennen, welcher mir nicht so fruchtbar erschien, wie der mir bereits bekannte. Ueber die Prene, welche an dieser Seite Usedom zur Insel macht, das kleine Haff mit der Ostsee verbindend, führt eine Eisenbahnbrücke, über welch» zu gelangen der Zug bei langsamem Fahren 2 Mi nuten brauchte; ich hatte sie mir größer vorgestellt. Zahl reiche Viehheerden, viel Störche, einige sehr große, hübsche Seeen gewährten freundliche Anblicke. Bet Angermünde vereinigt sich die Bahn mit der von Stettin kommenden. Ich übernachtete in Berlin, um das Aquarium besuchen zu können. Die frühen Morgenstunden brachte ich in dem thaufrischen Thiergarten zu, mich an den herrlichen Promenaden erfreuend. Von der SiegeS-Allee mit ihren blühenden Lindenbäumen sieht man die neue Siegessäule am imposantsten; sie macht einen sehr tiefen Eindruck. Auf einer sehr hohen Säule steht die Siegesgöttin, durch weg vergoldet, in der einen Hand einen Lorbeerkranz hal tend. Das Denkmal trägt die einfache Aufschrift: „Das dankbare Vaterland dem siegreichen Heere." Reizende Rosenplätze mit Sträucher- und Blumengruppen umgeben sternförmig das Denkmal. Auch das vor einigen Wochen enthüllte Göthe-Denkmal, zu welchem ich erst gelangte, als ich nach „Jöthe" fragte, sah ich mir an; der weiße Marmor, aus welchem es besteht, blendet förmlich durch seine Weißheit. Die Göthe-Statue ist vorzüglich gelungen. Das Aquarium bietet wett mehr, als ich erwartet hatte; es interessirte mich so, daß ich es 2 Mal durchwanderte. Eine etwas dunkele Felsengrotte, in welcher man bald auf-,