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31. I«b»»«»« —. Dienstag, den 17. Februar 1880. allen Umständen zu der Mehrheit, welche in der neuen Session voraussichtlich die Vorlagen de« BundeSrath» in allen hauptsächlichen Punkten vottren wird, mag sich nun diese Mehrheit im einzelne« Falle au« den Konservativen und dem Zentrum oder au- den Konservativen und den Nationalliberalen zusammeusetzen. Insofern erweist sich also die Wahl des Grafen Arnim allerdings als «in außerordentlich glücklicher Echachzug der konservativ-kleri kalen Koalition Aber auch in einer anderen Beziehung verdient sie diese Bezeichnung. Bekanntlich war die deutsch« Reichspartei in der vorigen Session dem Bündniß mit dem C-ntrum nichts weniger als geneigt. Der Tradition der preußischen Mit glieder der Fraktion, welche im preußischen Landtage als „Freikonservative" die entschiedensten Gegner d«S LentrumS im „Kulturkämpfe" gewesen waren, widersprach eS, nun so ohne Weiteres mit dem bisherigen Feinde Arm und Arm zu gehen, und nur die sächsisch«« und württembergischen Mitglieder der Fraktion unter der Führung deS Herrn v. Barn- büler, di« an der ktrchenpollttsch.n Vergangenheit der Partei wenig oder gar nicht betheiligt waren, befürworteten damals schon den Beitritt zur Allianz, um nicht durch »ine tsoltrt» Stellung die Partei zur politischen Ohnmacht verurthetlt zu sebeu. Indem man jetzt dex ReichSpart«', die unter den drei Parteien der Rechten an Mitgliederzahl die schwächste ist, die Besetzung des PräsidentenftuhlS durch einen der Ihrigen anbot, hat man fie für die Allianz ge Wonnen, deren erster und hauptsächlichster Zweck für den Beginn der Session war, di« Wahl des Herrn v. Bennigsen, der persönlich den preußischen Mitgliedern der RetchSpartei sehr sympattsch ist, zum ersten Piäfidenten zu hintertreiben. Daß auS sachlichen Gründen, mit Rücksicht auf die geschickte Führung der Präsidialgeschäste, die Wahl des Herrn v. Bennigsen den Vorzug verdient haben würde vor der Wahl deS Grafen Arnim, wird Wohl von keiner Seit» bestritten werden, denn der L-tztere, obwohl er als Präsident der evangelischen General'ynode bereits einen ähnlichen Posten bekleidet, hat doch noch nicht in genügender Weise seine Befähigung zu d>m schwierigen und verantwortungs reichen Posten eines Präsidenten des deutschen Reichstags dargethan, wogegen Herr v. Bennigsen als eh.maliger Präsident des preußiichen Abgeordnetenhauses in dieser Beziehung genügende Leistungen aufzuweisen bat. Hinter Herrn v. Forckenbeck und vollends hmter Herrn vr. Simson, d-m unerreichten Vorlnlde eines Parlamentspräsidenten, steht er allerdings zurück. Dafür spricht z. B. die That- sache, daß er vor einigen Jahren sich außer Stande erklärte, den klerikalen Abg. v. W.ndt zu hindern, eine in Preußen verbotene Bulle des Popiks PiuS IX. in öffentlicher Sitzung des Abgeordnetenhauses zu v«rlesen und dadurch das obrigkeitliche Verbot thatsächlich unwirksam zu machen, wogegen Herr v. Forckenbeck als Reichstagspräsident an der Hand einer im Wesentlichen gleichen Geschäftsordnung sich für vollständig belügt erachtet«, dem Abg. Liebknecht die Vorlesung einiger Stellen auS der ebenfalls verbotenen Arntm'ichen Broschüre „?ro mbilo" zu unte'sagen. Immer hin hätte man von Herrn v. Bennigsen eine im Allgemeinen zufriedenstellende Führung der Präsidialgeschäste erwarten können. Aber wenn man nun einmal davon ausgeht, daß eS bet uns, anders als in England, gebräuchlich ist, bei der Besetzung des Präsidiums an erster Stelle die Partei- verhältnifle in Anschlag zu bringen, so wird man nicht umhin können anzuerk-nnen, daß von diesem Gesichtspunkte aus die Wahl des Herrn v. Bennigsen zum ersten Präsi denten nicht wohl möglich war. Der einzige Fachmann im Präsidium ist Herr v. Hölder, der seit 1875 die Stelle eines Präsidenten der württem- bergtschen Abgeordnetenkammer bekleidet, wenn gleich eS weit leichter sein mag, 93 biedere Schwaben in Ordnung zu halten, als 397 Volksvertr.ter aus allen Gauen Deutsch lands mit so bedeutend d ffertrenden politischen Ansichten, die nicht selten mit einer an Leidenschaftlichkeit grenzenden Energie vertreten werden. Mit der Wahl Hvlder'S sucht die Koalition dem Ansprüche Rechnung zu tragen, den die Nationalltberalen nach ihrer Stärke auf ihre Vertretung im Präsidium erheben können. Freilich ist diesem Ansprüche nur sehr bedingt Rechnung getragen, denn bei der großen Secession am 12. Juli v. I. befand sich auch Herr von Hölder unter denjenigen, welche im Gefolge des Abg. vr. Völck ihren Austritt aus der nationalltberalen Fraktion erklärten. Uebrigens Hst auch er die Wahl abgelehnt. Tagesschau. Freiberg, 1L Februar. AU der Reichstag 1878 di« Dauer des Gesetzes gegen die gemeingefährlich«« Bestrebungen der Sozialdemo kratie auf drei Jahre beschränkte, ging er nicht von der Ansicht aus, daß d>« Gefahre», welche da- Gesetz bekämpfte sollte, im März 1881 beseitigt sein würden. Die Majorität ließ sich von dem Gedanken leiten, zunächst ein Urtheil über die praktisch« Wirkung deS Gesetz«» und üb«r die rich tige Handhabung deffelb«« seitens der Staatsbehörden z« gewinnen und bei günstigem Ausfall dieses Urtheil» die Dauer der Geltung zu verlängern. Da» Gesetz ist im ganzen Reich« maßvoll und gleichartig zur Ausführung gelangt. Di» Vereine der Sozialdemokratie find geschloffen, di» Versammlungen derselben verhindert und ihre Zeitungen verboten worden ; eS wurde dadurch den lauten Kund gebungen der Sozialisten, den offenen Verhöhnungen von Gesetz und Recht ein Ziel gesetzt. Weit« Kreise deS Volke- wurden von dem Drucke der Agitation befreit, der Wieder herstellung der gestörten Eintracht verschiedener Klaffen der Gesellschaft, den Bestrebungen zur Hebung de- Wohle- deß arbeitenden Klaffen wurde der Weg geebnet. Trotzdem blieb di» sozialdtmokratische Agitation wirksam und die Organisation blieb fest und au-gebreitet, allerdings im Geheimen. Die Unentschlossenheit und Bestürzung der Führer wich dem Beschlusse, sich dem Gesetze zu unter werfen, eS aber auf jede Weise zu umgehen. Sie hielten au ihren Bestrebungen fest und ersetzten die verboten» Presse des Inlandes durch auswärtige sozialistische Organe Hauptsächlich wird vielfach die von Most in London Hera«»- gegebene Zeitung „Freiheit" verbreitet, ebenso vaS offiziell» Parteiblatt „Der Sozialdemokrat" in Zürich. In beiden Blättern wird die Solidarität der Interessen und di» Nothwendigkeit der Verbrüderung mit den Umsturzparteien des Auslandes betont, in beiden tritt der Grundgedanke hervor, daß die bestehende Ordnung der gemeinsame, zu vernichtende Feind der Proletarier aller Länder ist. Nimmt man hierzu das geschlossene Austreten der Eozialdemokratt» bet mehreren Ergänzungswahlen zum Reichstage, den Auf schwung, welchen die kommunistische Agitation neuerdings in Frankreich gewonnen hat, so ergiebt sich, daß die Or ganisation noch in voller Macht besteht. Offenbar legt» das Gesetz von 1878 den Sozialisten viele Schwierigkeit«« in den Weg und zwang dieselben zu vielen Opfern, welche nur in der Hoffnung getragen wurden, daß die Wirksamkeit des Gesetzes im Jahre 1881 aufhören werde. ES wurde gerade diese kurze Frist benutzt, um die Masse« zum Au»- harren zu ermuthigen. Deshalb erscheint eS der Reich»« regierung dringend geboten, die Verlängerung der dem Gesetze gegebenen Geltungsdauer schon jetzt auszusprechen, um damit der sozialistischen Agitation den Boden zn e«t- ziehen. AuS allen diesen Gründen ist daher dem Reichs kanzler und von diesem dem BundeSrathe der Entwurf eine» Gesetzes vorgeletzt worden, welches die Dauer der Geltung des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878 bis zum 31. März 1886 verlängern soll. Dem BundeSrathe ging ein Freundschafts-, Handels-, Schtffahrts- und Konsular-Vertrag zwischen Deutschland und dem Königreich der Hawaiinseln zu, ferner ein Antrag des Reichskanzlers um Ermächtigung über einen Freund- schaftS-, Handels-, SchiffahrtS- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und Madagaskar mit der dortigen Regierung zu verhandeln, auf der Grundlage, daß dadurch den deutschen Reichsangehörigen auf Madagaskar dieselben Rechte wie den Angehörigen anderer Staaten, besonder» auch da» Recht zur Erwerbung von Grundbesitz, zugefichert werd««. — Der Abgeordnete v. Hölder hat die ans ihn gefallene Wahl zum'zweiten Vizepräsidenten des Reichstag» in einem an den Grafen Arnim gesandten Telegramm abgelehnt. Am Mittwoch wird die Wahl des zweiten Vizepräsidenten noch einmal wiederholt werden müssen. Die in der vorigen RetchStagSsesfion aus der national-liberalen Fraktion auS- geschtedenen Mitglieder wtrden nicht, wie das „MontagS- blatt" schreibt, eine neue Fraktion bilden. Mehrere national- liberale Abgeordnete, die in der letzten Session gegen da- dem Abgeordneten Völk ertheilte Mißtrauensvotum gestimmt, haben privatim bet einigen der ausgeschtedenen Mitglieder angefragt, ob dieselben geneigt wären, wieder in die Fraktion einzutreten. Die Antwort war eine ablehnende, jedoch in den höflichsten Formen. Man hat dabei versichert, daß die Briefe vom Reichstage, i. A Berlin, 1b. Februar. „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen grpflastert!" L« diese« alte« und fast abgedroschenen, aber dtSwtgen mcht weniger wahren Ausspruch wird man stets erinnert, wen« e» sich um die Eröffnung einer ParlamentSsesfion handelt. Da liest «a« in allen offiziösen und nichtosfiziösen Blättern, die bevorstehende Session werde voraussichtlich NU »ine kurze sein, man werde bis zu der und der Frist fertig werde«. Ebenso regelmäßig stellt es sich aber im Verlaufe der Session heraus, daß man die Dauer derselben bei Weitem unterschätzt hat. Auch der RetchStagSsesfion, welche am vorig»« Donnerstage begonnen hat, wurde vor Weihnachten in der Presse das Prognostikon gestellt, fie werd« bi- Ostern beendet sein. Bekanntlich beruhen die Aussprüche der TageSskribenten nicht immer auf einem genaue« Studium der etnschlagenden Verhältnisse, und so hatten sich vermuthlich auch die Urheber jener Nachricht, als sie dieselbe in di« Welt hinausposaunten, noch nicht i« den Besitz de» Kalenders für da- lausende Jahr gesetzt, sonst hätten fie sich leicht ausrechnen können, daß von Mitte Februar bi» zum Palmsonntag — denn in der Charwoche tagt der Reichstag nicht — nur fünf Wochen find, eine Zeit, die sich noch für keine Session deS deutschen Reichstags als ausreichend erwiesen hat, nicht einmal für di« Herbstsesfion deS JahrcS 1878, in der sich der Reichstag doch einzig nnd alltin mit dem Sozialistengesetze zu be schäftigen hatte. Heute hält eS wohl kaum ein mit den Ver hältnissen nur trg«nd vertrauter Mensch für möglich, daß der Reichstag die ihm obliegenden gewaltigen Arbeiten: Verlängerung d-r EtatSperioden, Verlängerung des Sozta- ltsttngesetzeS, Militärgeietznovelle, Fortsetzung der Steuer reform, von vielen anderen, weniger erheblichen, aber doch immer Zeit in Anspruch nehmenden Gesetzvorlagen ganz zu schweigen, vor Pfingsten bewältigen kann, und wenn sich das HauS in Gemäßheit seiner bisherigen Praxis drei wöchentliche Osterferien gönnt, so daß von jetzt bis Pfingsten nur zehn Arbeitswochen zur Verfügung stehen, so dürfte auch dieses Zutrauen sich als recht knapp erweisen. WaS die Parteiverhältniffe anlangt, so schließt sich die jetzige Session ena an die vorjährige an. Die Wahlen zum preußischen Landtage und dieser selbst haben daran nichts zu ändern vermocht. Die Koalition der beiden konservativen Parteien und des CentrümS, welche das Tarifgesetz mit dem Anträge Franckenstein zu Stande brachte, bat auch da- Präsidium für die jetzige Session bestimmt, ihre Liste hat mit großer Mehrheit gesiegt. Ob sreilich diese Koalition eine dauernde sein wird, ist zweifelhaft, di« Wahrscheinlichkeit spricht entschieden nicht dafür. Be kanntltch ist da» Militärgesetz des Jahres 1874 sowohl als das Sozialistengesetz des Jahres 1878 durch die Koa lition der Konservativen und Nationalliberalen gegen den entschiedensten Widerspruch des Zentrums und der Fort schrittspartei zu Stande gekommen und eine veränderte Stellung der Zentrums zu den diesjährige» Militär- und Sozialistenvorlagen würde selbst ein so gewandter Dialektiker Wie Windthorst kaum zu rechtfertigen vermögen, namentlich «ach den in der vorigen Session ausgesprochenen stolzen Worten: „Für Freund und Feind erklär« ich, daß wir heut, find, «a» wir gestern waren, und daß wir morgen sein werden, wa» wir heut« find." Weit leichter dürfte die Unterstützung des Zentrums für die Steuervorlagen zu gewinn»« sein, d»nn namentlich die bairischen Ultramontanen haben ein große» Interesse daran, da» heimische Defizit durch erhöht» Rtichseinnahmen zu decken. Die Bvrsen- steuer ist ohnehin ein LiebltngSprojekt de- Zentrums und mit der Brausteuervorlage würde e- sich um so leichter versöhne», al- die norddeutsche Brausteuererhöhung den Baiern nicht sehr weh thun würde, eine daran- entspringende Steigerung d»S bairischen Aversums auch bereits durch die Erhöhung der bairischen Malzsteuer mehr al- ausgeglichen ist. ! Ist demnach nach der Natur der gemachten Vorlagen eine Verschiebung der Parteiverhältniffe im Verlaufe der Session sehr leicht möglich, so ist doch dafür, daß eine solche Verschiebung nicht, wie in der vorigen Session, zu > einem Wechsel im Präsidium sührt, genügend gesorgt. Der neue Präsident Graf v. Arnim-Bvytzenburg wird niemals, - - vorigen Jahre Herr v. Foickenbeck, in einen prin- 1'piellen Gegensatz zur Mehrheit deS Hauses gerathen, denn als Mitglied der deutschen Reichspartei gehört er unter und Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen imd städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur Iuliu» vruu, i> Freiter^