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SCHÄDELBESTATTUNGEN UND SCHÄDELKULT IM LICHTE ARCHÄOLOGISCHER ZEUGNISSE Von Lothar Schott, Berlin Eine in ihrer zeitlichen Dimension nicht festlegbare weltweit verbreitete Überlie ferung besagt, daß in den einzelnen menschlichen Skelettelementen, besonders aber im Schädel, geheime Kräfte enthalten sind, die durch bestimmte magische Verrich tungen dem einzelnen wie der Gruppe dienstbar gemacht werden können. Das ist der Urgrund allen Skelett- bzw. Schädelkults. 1 Der Schädel wird daher bereits auf früher gesellschaftlicher Entwicklungsstufe für magische Zwecke verwendet. Dabei können Zusammenhänge mit dem aus dem ethnographischen Bereich bekannten Brauch der Kopfjagd nicht ausgeschlossen werden. Besonders aus Borneo und Neu guinea liegen in hinreichender Menge Beobachtungen vor, die erkennen lassen, daß die Schädelbasis rund um das große Hinterhauptsloch (Foramen occipitale magnum) aufgebrochen worden ist, um das Gehirn zu entfernen. 2 Das Gehirn wurde verzehrt, um sich die Kräfte des Opfers einzuverleiben. 3 Der Schädel selbst diente als Tro phäe (Abb. 1). Der Gedanke, die Köpfe gefallener Feinde als Trophäen zu verwenden, ist auch in der europäischen Geschichte nachweisbar. Herodot erzählt von den Tauriern: „Den Feinden, die sie gefangen nehmen, schneiden sie den Kopf ab und nehmen ihn mit nach Hause. Hier stecken sie ihn auf eine lange Stange und stellen ihn oben auf das Dach, gewöhnlich über den Rauchfang. Dann glauben sie, er schwebe da oben in der Luft als Schutzgeist über ihrem Haus.“ 4 1 R. Martin, Über Skelettkult und verwandte Vorstellungen. In: Mitt. d. geogr.-ethnogr. Ges. Zürich 20, 1920, S. 5-64; F. Henschen, Der menschliche Schädel in der Kulturgeschichte. Berlin, Heidel berg u. New York 1966; H. Gastaut, Le crane, objet de culte, objet d’art. Marseille 1972; G. H. R. v. Koenigswald, Skelettkult und Vorgeschichte I. In: Nat. u. Mus. 105, 1975, S. 229—235; ders.. Skelettkult und Vorgeschichte II. Der unverzierte Schädel. In: Nat. u. Mus. 106, 1976, S. 323-329; ders., Skelettkult und Vorgeschichte III. Der verzierte Schädel. In: Nat. u. Mus. 107, 1977 (a), S. 41-47; ders., Skelettkult und Vorgeschichte IV. Schädelmasken. In: Nat. u. Mus. 107, 1977 (b), S. 285-290. 2 G. A. Zegwaard, Headhunting practices of thc Asmat of Netherlands New Guinea. In: Am. An- throp. 61, 1959, S. 1020-1041. 3 F. Boehm, Formen und Motive der Anthropophagie. In: Imago 18, 1932, S. 150-188; A. Montagu, A brief excursion into cannibalism. In: Science 86, 1937, S. 56 f.; C. A. Schmitz, Kopfjäger und Kannibalen. Basel 1962; U. Schaefer, Künstliche Eröffnung des Foramen occipitale magnum bei Vormenschen und rezenten Schimpansen. In: Anthrop. Anz. 33, 1971, S. 109-113. 4 Herodot, Buch 4, Kap. 103; zit. nach T. Braun (Hrsg.), Das Geschichtswerk des Herodotos von Halikarnassos. Leipzig 1964, S. 342.